übernommen aus der antidiskriminatorischen Betriebsvereinbarung, dazu unten zur Erläuterung überarbeitete Transkription eines Referats zum Diskriminierungsbegriff.
(1) Diskriminierung
Eine Diskriminierung bedeutet die effektive Schlechterstellung (durch Ungleichbehandlungen
ebenso wie durch Übergriffe), basierend auf Machtasymmetrien und umfasst
sowohl mittelbare wie auch unmittelbare Diskriminierung. Die Anweisung zur Diskriminierung
gilt als Diskriminierung.
(2) Übergriffe
Eine offensive Handlung gegen eine Person, insbesondere
a. Belästigung, Verletzung der Integrität,
b. Einschüchterung/ Bedrohung/ Anfeindung/ Beschimpfung/ Angriff,
c. Beleidigung/ Entwürdigung/ Erniedrigung,
d. Bevormundung/ Abwertung,
ist diskriminierend, wenn sie entlang einer gesellschaftlich systematischen
Asymmetrie, in einer Mobbingsituation oder aus einer hierarchisch übergeordneten
Position heraus erfolgt.
(3) Ungleichbehandlung
Unterschiedliche Behandlung von Personen ist diskriminierend, wenn sie entlang
einer gesellschaftlich systematischen Asymmetrie, in einer Mobbingsituation
oder aus einer hierarchisch übergeordneten Position heraus erfolgt, ausgenommen
wenn diese
1. aufgrund besonderer (gegebenenfalls selbstbestimmter) Bedürfnisse der
Person und/oder
2. als Maßnahme zur Besserstellung von Personen erfolgt, die sich gesellschaftlich
in einer systematisch diskriminierten Position befinden.
(4) Gesellschaftlich systematische Diskriminierung
liegt vor, wenn eine effektive Schlechterstellung auf der Basis gesellschaftlicher
Machtasymmetrien zwischen Bevölkerungsgruppen bewirkt wird, die als unterschiedlich
definierten werden nach Hautfarbe, (vermeintlicher) ethnischer Herkunft, Nationalität,
Religionszugehörigkeit, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderung, sexueller
Orientierung, Abweichung von der strikten Geschlechterpolarität oder Alter.
Das Unterlassen von bedeutenderen Investitionen zur Besserstellung bzw. zur
Erfüllung besonderer Bedürfnisse ist dann diskriminierend, wenn es
die effektive Schlechterstellung einer Person oder Gruppe zur Folge hat. Die
gesellschaftlichen Realitäten der systematischen Diskriminierung sind gegebenenfalls
auch Bestandteil aller in § 1 angeführten Diskriminierungen und daher
zudem zu berücksichtigen.
(5) Diskriminierung im Rahmen formaler Hierarchie
Eine effektive Schlechterstellung durch Vorgesetzte bzw. Arbeitgebende (formale
Machtasymmetrie) liegt dann vor, wenn einzelne Untergebene bzw. Arbeitnehmende
im Vergleich zu formell gleichgestellten KollegInnen schlechter behandelt oder
Übergriffen ausgesetzt werden (Bossing).
(6) Mobbing
Eine effektive Schlechterstellung unter formell Gleichgestellten (Mobbing) oder
auch von formell Untergebenen gegenüber Vorgesetzten (Staffing) liegt dann
vor, wenn sich eine Gruppe gegen eine Person oder Minderheit zusammenschließt
(faktische Machtasymmetrie) und diese Person oder Minderheit fortan in Bezug
auf die Arbeitsinhalte und die mit dem Arbeitsprozess verbundenen sozialen Kontakte
wiederholt schikaniert, belästigt, drangsaliert, beleidigt, ausgegrenzt
oder angefeindet wird.
(7) Mittelbare Diskriminierung
Im Gegensatz zu unmittelbar an bestimmte Personen/ Gruppen gerichteten Diskriminierungen
liegt mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine dem Anschein nach neutrale allgemeine
Regel (Vorschriften, Kriterien oder Verfahren) aufgestellt wird, die de fakto
aber besonders einzelne Personen oder Gruppen benachteiligen kann.
(8) Viktimisierung
liegt vor, wenn eine Schlechterstellung als Reaktion auf eine Beschwerde, deren
Unterstützung, oder die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung der
Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung (bzw. darüber hinausgehend)
erfolgt.
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Diskriminierungsbegriff - Referat
(gehalten am 23.02.05 im Rahmen eines Workshops zur antidiskriminatorischen
Betriebsvereinbarung; Transkription: Judit Wlaschitz, Überarbeitung: Andreas
Görg)
Die wichtigsten Erläuterungen zum § 1 – Diskriminierungsbegriff
Als wir Vorlagen für die Arbeit an der antidiskriminatorischen Betriebsvereinbarung
gesichtet haben, sind wir draufgekommen, dass der Diskriminierungsbegriff eigentlich
in Gesetzeswerken und sonstigen Normtexten kaum ausformuliert oder gar definiert
wird. Es steht zumeist nur dort „Du sollst nicht diskriminieren.“
So quasi als das 11. Gebot. Damit wird die Auslegung, was Diskriminierung ist
und was nicht, den Gerichten oder den sonst zuständigen Stellen überlassen.
In diesen Stellen sind Personen aus diskriminierten Gruppen tendenziell unterrepräsentiert.
Je besser daher schon im Normtext definiert wird, was Diskriminierung bedeutet,
desto eher wird ein Auslegungsspielraum der mehrheitlich von Privilegierten
besetzten entscheidenden Instanzen zugunsten der tendenziell Diskriminierten
eingeengt.
Was also bedeutet Diskriminierung? Es ist nicht leicht, den Diskriminierungsbegriff
eindeutig zu verwenden, weil er gleichsam mehrstufig ist - immer eine Machtasymmetrie
und eine darauf basierende schlechterstellende Handlung erfordert, und weil
er im Hinblick auf seinen Umfang - als Oberbegriff und als konkrete Tatbestandsbeschreibung
- in sich differenziert werden muss.
--- einfache Ungleichbehandlung oder Diskriminierung (Differenzierung anhand
des Vorliegens einer ausgeprägten Machtasymmetrie)
Diskriminierung bedeutet ganz allgemein effektive Schlechterstellung. Eine Schlechterstellung
kann nur dann effektiv sein, wenn die betroffene Person nicht leicht ausweichen
oder sich gegen die Diskriminierung wehren kann. Diskriminierung setzt also
immer ein ungleiches Machtverhältnis voraus. Wenn keine ausgeprägte
Machtasymmetrie gegeben ist, kann zwar eine Schlechterstellung stattfinden,
aber sie wird nicht effektiv im Sinne einer nachhaltigen Wirkung, weil die betroffene
Person sich leicht wehren oder Alternativen finden kann. Es ist daher zentral
für den Diskriminierungsbegriff, dass mensch sich immer vorher überlegt,
welche Machtasymmetrie steckt dahinter bzw. auf welcher Machtasymmetrie fußt
die Diskriminierung.
Wir haben herausgearbeitet, dass eine Diskriminierung nur dann vorliegt, wenn
es eine ausgeprägte Machtasymmetrie gibt. Dadurch unterscheidet sich Diskriminierung
von der einfachen Ungleichbehandlung. Das Beispiel, dass uns in Antidiskriminierungs-Workshops
immer wieder entgegenschlägt, ist: „...ähhh, ich - MehrheitsangehörigeR
- gehe in eine türkische Bäckerei und werde dort nicht bedient“
Und das sei so diskriminierend. Dem halten wir dann entgegen, „Na ja,
moment´a´mal, eine solche schlechte Behandlung ist zwar unangenehm,
aber wo ist die Machtasymmetrie, die da eine so wesentliche Rolle spielt? Du
kannst in andere Bäckereien gehen, du hast viele andere Möglichkeiten,
dich mit Backwaren zu versorgen. Du wirst also in diesem Fall vielleicht schlechter
behandelt als andere Kundschaft, aber du wirst nicht effektiv schlechter gestellt,
solange du in andere Bäckereien oder Supermärkte ausweichen kannst.
Es liegt keine effektive Schlechterstellung deiner Person vor, wenn einmal in
einer Bäckerei jemand grantig ist oder wenn sie dich dort nicht mögen;
solange du viele andere Möglichkeiten hast, dich zu versorgen. Deine Macht
als KonsumentIn besteht darin, woanders einkaufen zu gehen und Dein Geld jemand
anders zu geben. Eine ausgeprägte Machtasymmetrie liegt in einem solchen
Fall nur dann vor, wenn du in den nächsten Ort fahren musst, um Backwaren
zu besorgen, weil die einzige Bäckerei im Ort ausgerechnet dir die Bedienung
verweigert.
In unserem Alltag passiert es ständig, dass wir einander ungleich behandeln.
Das ist gar nichts Ungewöhnliches, es trifft auf alle ökonomischen
Beziehungen zu: Ich gehe in die eine Bäckerei und gehe nicht oder seltener
in die anderen Bäckereien. Ich kooperiere mit meinem Team und nicht so
viel mit anderen Leuten, die von einer Kooperation mit mir möglicherweise
auch sehr profitieren würden. In jeder Bevorzugung des/der einen liegt
eine Benachteiligung für alle anderen, die auch Geld verdienen, Kompetenzen
erwerben, Kontakte knüpfen, Werbeeffekte erzielen, etc. wollen. Jede Auswahlentscheidung
schafft auch eine Ungleichbehandlung. Aber darin liegt noch keine Diskriminierung
der Nichtausgewählten gegenüber den Bevorzugten, solange kein ungleiches
Machtverhältnis zugrunde liegt. Allein im asymmetrischen Machtverhältnis
liegt der Unterschied zwischen Diskriminierung und einfacher (unvermeidbarer)
Ungleichbehandlung. Wenn der Fall so liegt, dass eine Person auf eine Bäckerei
angewiesen ist, weil sie z.B. die einzige Nahversorgerin darstellt, dann kann
von einer Diskriminierung ausgegangen werden, wenn eine Person nicht bedient
wird. Wenn weisse heterosexuelle nichtbehinderte Männer, die besser mit
ökonomischen Ressourcen ausgestattet sind, somit als Gruppe privilegiert
und in einem Machtverhältnis anderen Gruppen überlegen sind, vorzugsweise
ausschließlich untereinander kooperieren und sich nur untereinander die
besseren Posten zuschanzen, dann reproduziert das die gesellschaftliche Diskriminierungsordnung.
Einfache Ungleichbehandlungen sind je nach zugrundeliegenden Machtasymmetrien
diskriminierend oder nicht diskriminierend.
--- Übergriff und Ungleichbehandlung (Differenzierung anhand der diskriminierenden
Handlung):
Bei der Verwendung des Diskriminierungsbegriffs muss unterschieden werden: Sprechen
wir von Diskriminierung als Überbegriff, unter dem alle möglichen
Formen von Ausgrenzung, Schlechterstellung, Anfeindung, Übergriffen, Mobbing,
Viktimisierung, etc. verstanden werden. Oder sprechen wir von Diskriminierung
im engeren Sinne als konkreter (unmittelbar vergleichbarer) Ungleichbehandlung,
die sich von anderen Formen der effektiven Schlechterstellung unterscheidet.
Diese beiden Ebenen sollten um der Klarheit willen nicht vermischt werden.
Daher haben wir im Verhältnis zur Ungleichbehandlung in Absatz 2 den Begriff
„Übergriffe“ eingeführt, wo wir versucht haben, jene potentiell
diskriminierenden Handlungen zu erfassen, die nicht im engeren Sinne eine unterschiedliche
Behandlung von Personen darstellen. Bei den Übergriffen in Absatz 2 sind
alle „offensiven Handlungen“ angeführt, das können Belästigungen
sein, Verletzung der Integrität, Einschüchterung, Bedrohung, Anfeindungen,
Beleidigung, Entwürdigung, Erniedrigung, Bevormundung und Abwertung.
Dem gegenüber steht Absatz 3, die „Ungleichbehandlung“ im engeren
Sinn. Diese ist dann gegeben, wenn in einer Situation, wo mensch an sich glauben
sollte, dass kein Grund für eine Unterscheidung gegeben ist, dennoch Personen
anders behandelt werden. Beispiel: Ein Mann und eine Frau arbeiten im selben
Team. Sie erbringen dieselbe Arbeitsleistung, wie üblich, aber sie verdient
schlechter als er. Das ist ein ganz banales Beispiel für eine Ungleichbehandlung.
Bei der Ungleichbehandlung gibt es die Möglichkeit, dass jemand ungleich
behandelt wird, weil er oder sie bestimmte – eben selbstbestimmte –
Bedürfnisse artikuliert hat. Beispiel: Eine Person will nur Teilzeit arbeiten,
um mehr Zeit für die Kinder oder mehr Freizeit zu haben. Dieser Fall ist
zu unterscheiden von jenem, wo eine Person nur Teilzeitjobs angeboten bekommt,
obwohl sie gerne mehr Geld verdienen und daher lieber Vollzeit arbeiten würde.
Die andere Ausnahme wäre, wenn eine Maßnahme zur Besserstellung von
Personen erfolgt, die in einer systematisch diskriminierten Position sind. Beispiel:
Besondere Frauenförderpläne im Betrieb, die darauf abzielen, dass
Frauen in höhere Positionen kommen, sind nicht diskriminierend. Die besondere
Förderung von Frauen bewirkt eine Ungleichbehandlung von Männern.
Die Frauen werden durch solche Maßnahmen bessergestellt, aber das ist
gut so, weil diese Ungleichbehandlung in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive
wieder der Gleichbehandlung dient. Bevorzugungen von Personen aus diskriminierten
Gruppen sind nicht diskriminierend sondern antidiskriminatorische Maßnahmen
(sog. positive Diskriminierungen).
Wohlgemerkt: Sowohl Übergriffe als auch Ungleichbehandlungen sind nur dann
diskriminierend, wenn ihnen eine Machtasymmetrie zugrundeliegt. Wenn eine Frau
einem Mann auf der Straße nachpfeift und ihn somit sexuell belästigt,
liegt darin keine Diskriminierung, solange die Belästigung nicht zu einem
effektiven Nachteil für den Mann führt. In diesem Sinne ist auch der
jeweilige Nachsatz in den Absätzen 2 und 3 zu verstehen, wonach Diskriminierung
nur vorliegt, „...wenn sie entlang einer gesellschaftlich systematischen
Asymmetrie oder in einer Mobbingsituation oder aus einer hierarchisch übergeordneten
Situation heraus“ erfolgt.
--- Unterscheidung von Diskriminierungen anhand der zugrundeliegenden Machtasymmetrien:
Diskriminierungen (Oberbegriff) können abseits der Handlungsebene (Übergriff
oder Ungleichbehandlung) auch noch anders differenziert werden, nämlich
auf Basis der zugrundeliegenden Machtasymmetrie: Im Betrieb gibt es 3 wesentliche
Arten der Machtasymmetrie, auf denen Diskriminierungen basieren können:
1.) gesellschaftlich systematische Machtasymmetrien, d.h. ungleiche Relationen
zwischen Gruppen in der Gesellschaft;
2.) hierarchisch übergeordnete Position: Eine Person, die formell ChefIn
ist, kann ihre Untergebenen üblicherweise leicht effektiv schlechter stellen,
er/sie ist üblicherweise tatsächlich in einer besonderen Machtposition
gegenüber den formell Untergebenen;
3.) faktische gruppendynamische Überlegenheit, wenn sich eine Gruppe im
Betrieb aufgrund gruppendynamischer Prozesse gegen Einzelne zusammenschließt
und dadurch mächtiger wird als jene (ausgeschlossenen) Einzelnen.
Ad 1.) Gesellschaftlich systematische Diskriminierung
Historisch haben sich ungleiche Machtrelationen zwischen Gruppen in der Gesellschaft
herausgebildet. Männer sind in unserer Gesellschaft gegenüber Frauen
vielfach bessergestellt und haben mehr Durchsetzungsmöglichkeiten. Genauso
Nichtbehinderte gegenüber Behinderten, Mehrheitsangehörige gegenüber
MigrantInnen, Weisse gegenüber Schwarzen, StaatsbürgerInnen gegenüber
NichtstaatsbürgerInnen, ChristInnen iwS gegenüber anderen religiösen
Gruppen, Heterosexuelle gegenüber Homosexuellen, Gesunde gegenüber
Kranken, Erwachsene gegenüber Kindern, Junge gegenüber Alten, Reiche
gegenüber Armen, etc.. Jede Person ist in diesen ungleichen gesellschaftlichen
Machtrelationen eingebunden. Je nach Position ist sie mehr oder weniger privilegiert
bzw. unterprivilegiert. Auf Basis der gesellschaftlichen Position kann eine
Person diskriminierend gegenüber Personen oder Gruppen handeln, die von
ihrer (Macht)Position aus betrachtet unterprivilegiert sind.
Die allermeisten diskriminierenden Handlungen basieren auf den gesellschaftlich
systematischen Machtasymmetrien. Diese werden einfach im Rahmen der Normalität
reproduziert. Meistens werden die diskriminierenden Handlungen, die die Machtasymmetrien
zementieren und verstärken, gar nicht als solche wahrgenommen. Es ist jedoch
für eine korrekte Verwendung des Diskriminierungsbegriffes von zentraler
Bedeutung, diese Hauptachsen der Ungleichheit in der Gesellschaft mitzubedenken.
Wenn das nämlich nicht geschieht, kann der Diskriminierungsbegriff zum
Erhalt von Privilegien missbraucht werden.
Es ist schon 5 oder 6 Jahre her - da war ein Kollege aus den Niederlanden in
Wien, der ein Koordinator von Anti-Diskriminierungsbüros war. Er hat uns
- als Publikum - gefragt, „... na, was glaubt ihr, wer ist denn unser
Hauptklientel? Wer nimmt unsere Dienste als Antidiskriminierungsbüro so
in Anspruch? Antwort: 70 % der Leute, die zu den Antidiskriminierungsbüros
kommen, sind weiße, heterosexuelle, nichtbehinderte Männer, die sozial
bessergestellt sind, das Rechts- und Gerichtssystem kennen und die den besseren
Zugang zum Recht generell und auch zu den Antidiskriminierungsstellen haben,
und diesen Zugang ausnutzen, um ihre Ungleichbehandlungen zu bekämpfen,
weil irgendeine andere Person im Betrieb oder sonstwo bevorzugt wird. Auf diese
Art und Weise werden Institutionen der Antidiskriminierung ausgenützt,
gleichsam pervertiert, um Gleichstellungsmaßnahmen und positive Diskriminierung
zu verhindern. Wenn der Diskriminierungsbegriff nicht klar gefasst wird, kann
mensch in diesem Fall leicht in Argumentationsnotstand geraten und zu dem Schluss
kommen, dass jegliche Ungleichbehandlung verboten sei bzw. auch positive (auf
gesellschaftlichen Ausgleich gerichtete) Ungleichbehandlung verboten sei, womit
sich das gesamte Antidiskriminierungsrecht ad absurdum führt. Weisse, männliche,
heterosexuelle, nichtbehinderte, der Mehrheit angehörende Personen können,
außer sie sind schwer krank, süchtig, arm oder alt, nur im Rahmen
der besonderen Machtasymmetrien (Mobbing oder hierarchischer Überordnung)
diskriminiert werden.
Was in Verbindung mit gesellschaftlich systematischen Diskriminierungen auch
immer wieder in Gesetzestexten vorkommt, ist die verfehlte Formulierung „Diskriminierung
aufgrund der Rasse“... „aufgrund des Geschlechts“, etc.. Damit
wird nahegelegt, dass die „Gründe“ der Diskriminierung in den
Personen selbst, einer ihnen eigenen „Rasse“, ihrem„Geschlecht“,
usw. liegen. Die „Rasse“ sei also einerseits der Grund der Diskriminierung,
andererseits wird dieser Grund den betreffenden Personen quasi in ihren Körper
eingeschrieben, unveränderbar naturalisiert. Abgesehen davon, dass es so
etwas wie „Rasse“ nach neueren gentechnischen Erkenntnissen in biologischer
Hinsicht gar nicht gibt, ist es auch komplett falsch, anzunehmen, dass das (gesellschaftlich
zugeschriebene) Merkmal, an dem die Diskriminierung anknüpft, der Grund
für die Diskriminierung sei. Dieser verfehlte Sprachgebrauch in Normtexten
ist bedenklich und sollte korrigiert werden. Diese Korrektur ist allerdings
nicht ganz einfach und hat uns lange Diskussionen gekostet. Letztendlich sind
wir dann aber doch zu einer Formulierung gekommen, die sich nicht allzuweit
von den gängigen Texten entfernt und daher allgemein verständlich
sein sollte, ohne den normalen Unsinn zu wiederholen:
„Gesellschaftlich systematische Diskriminierung liegt vor, wenn eine effektive
Schlechterstellung auf Basis gesellschaftlicher Machtasymmetrien zwischen Bevölkerungsgruppen
bewirkt wird ...“ - und jetzt kommt die entscheidende Formulierung - „
... die als unterschiedlich definiert werden nach Hautfarbe, (vermeintlicher)
ethnischer Herkunft, Nationalität, sexueller Orientierung,“ etc..
Durch die Wendung „... die als unterschiedlich definiert werden nach ...
“ haben wir das Element der gesellschaftlich bestimmten Fremddefinition
der unterlegenen Gruppe eingesetzt statt des üblichen (falschen) „...
auf Grund ... “
„Warum vermeintlicher? ethnischer Herkunft“ kam die Frage aus dem
Publikum. „Vermeintlicher“ deshalb, weil ethnische Herkunft oft
gar nicht mehr festzustellen ist bzw. nichts mit den Selbstdefinitionen der
betroffenen Personen zu tun hat. Was ist die ethnische Herkunft einer Person,
deren Mutter sich ethnisch als Holländerin und deren Vater sich ethnisch
als Tutsi bezeichnen würde? Versuche der ethnischen Zuschreibung werden
gerade bei Angehörigen der zweiten MigrantInnengeneration leicht absurd.
Es sind Zuschreibungen, die in einem globalisierten Kontext oft gar nicht mehr
passen, deswegen haben wir „vermeintlicher“ in Klammer zur ethnischen
Herkunft hinzugefügt, damit die ethnische Zuschreibung etwas relativiert
wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Zusammenhang mit den gesellschaftlich systematischen
Diskriminierungen steht im Absatz 4 unten, nämlich, dass es auch eine Diskriminierung
oder eine gesellschaftlich systematische Diskriminierung darstellt, wenn einfach
die ihr zugrundeliegende Machtasymmetrie reproduziert wird. Und das wird sie
laufend! Ein Kritikpunkt an unserer eigenen Arbeitsteilung im TrainerInnenteam
ist, dass ich als Mann ganz entlang der üblichen männlichen Rolle
für den Theorie-Input zuständig bin - sowas wird laufend und ganz
selbstverständlich reproduziert. Das wäre ein Punkt, wo wir sagen
müssten, das muss fortan unterlassen, nicht mehr reproduziert, geändert
werden. Aber es ist schwierig, aus den normalen Rollen und der damit einhergehenden
Arbeitsteilung und Zementierung des Bestehenden auszubrechen, weil die Normalität
auch dafür sorgt, dass alles reibungsloser läuft.
Um der normalen Reproduktion von Diskriminierungen entgegenzuwirken, müsste
z.B. unsere gesamte Infrastruktur an die verschiedenen Behinderungen angepasst
werden. Alle Gebäude müssten mit breiteren Fahrstühlen ausgestattet
werden, alle Schilder müssten in Braille-Schrift übersetzt werden,
etc.. Die Widerstände gegen ein solches Unterfangen sind enorm. Selbst
dort, wo das entsprechende Bewusstsein um die Diskriminierung besteht, wie zum
Beispiel bei meiner arbeitgebenden Organisation, der Initiative Minderheiten,
erscheint es aus ökonomischen Gründen unmöglich, auf einen Schlag
zu beschließen, jetzt bauen wir einen breiteren Aufzug ein, um das Büro
der Initiative Minderheiten rollstuhlbefahrbar zu machen. Die Initiative Minderheiten
ist zwar auch von BehindertenvertreterInnen beschickt, hat aber ein Büro,
das für Rollstühle nicht zugänglich ist. Und das seit vielen
vielen Jahren! Grund dafür ist, weil´s dort billig ist, weil Ausfälle
und Verspätungen von Subventionszahlungen in einem billigen Büro besser
überstanden werden können. Aber dadurch ergibt sich eine dauernde
Fortschreibung eines sehr diskriminierenden Zustandes. Die Initiative Minderheiten
schafft es aufgrund der ökonomischen Unsicherheit nicht, sich von diesem
Büro zu lösen. Es muss also angesichts allgegenwärtiger und übermächtiger
Diskriminierungsstrukturen immer eine Abwägung vorgenommen werden: Wo können
wir die gesellschaftlich systematischen Diskriminierungen aufheben und wo riskieren
wir in dieser Konstellation auch unsere eigene Existenz?
Die Aufhebung der gesellschaftlich systematischen Diskriminierungen ist kein
einfaches Unterfangen, selbst wenn das entsprechende Bewusstsein gegeben ist.
Es braucht viel Kreativität und vielleicht auch mal den Mut des Vorstandes
zu sagen: „Nein, das kann so nicht weitergehen, wir wechseln das Büro!“
Ad 2.) Diskriminierung auf Basis formaler Hierarchie
Der/ die Vorgesetzte kann effektiv schlechter stellen, er/ sie ist in einer
formalen Machtposition, die eine effektive Gegenwehr oder ein Ausweichen erschwert.
Das Machtverhältnis ist ungleich, daher ist diskriminierendes Handeln in
der Hierarchie leicht möglich.
Eine effektive Schlechterstellung durch Vorgesetzte bzw. Arbeitgebende liegt
dann vor, wenn einzelne Untergebene bzw. Arbeitnehmende im Vergleich zu formell
gleichgestellten KollegInnen faktisch signifikant schlechter behandelt werden,
z.B. indem ohne besondere Begründung immer nur ihnen Extraarbeit oder schwerere
Arbeit aufgetragen wird, oder sie mit einem deutlichen Mangel an Wertschätzung
behandelt werden, etc.. Die Diskriminierungsvermutung ergibt sich also aus dem
direkten Vergleich mit der Behandlung von KollegInnen. Aus der formalen Hierarchie
ergibt sich im Normalfall die Möglichkeit für Vorgesetzte bzw. Arbeitgebende,
ihr diskriminierendes Verhalten gegenüber einzelnen Untergebenen bzw. Arbeitnehmenden
durchzusetzen, fortzusetzen und durch zusätzliche Sanktionen abzusichern.
Die Schlechterstellung im Rahmen der formalen Hierarchie kann auch die Form
von Mobbing annehmen, dh. feindselige schikanöse Behandlung durch Vorgesetzte
entweder allein (Bossing) oder gemeinsam mit anderen Untergebenen.
Klassisches Beispiel: Sexuelle Belästigung durch den Chef ist diskriminierend,
weil auf einer Machtasymmetrie beruhend, in der sich die betroffene Frau schlecht
wehren kann. Umgekehrt, wenn eine Sekretärin ihrem Chef auf den Hintern
greift, ist das unter ansonsten normalen Umständen zwar eine sexuelle Belästigung
aber keine Diskriminierung. Auch wenn die Sekretärin ihrem Kollegen, der
ihr nicht übergeordnet ist, auf den Hinter greift, ist das auch keine Diskriminierung.
Die Männer können die sexuelle Belästigung relativ leicht unterbinden.
Solche Belästigungen durch Frauen stellen ein ungewöhnliches Verhalten
dar, das von der sozialen Umgebung tendenziell sanktioniert wird. Ganz anders
wird sexuelle Belästigung, die von Männern ausgeht, weitgehend geduldet.
Frauen, die sich dagegen wehren, werden noch zusätzlich viktimisiert, indem
sie als überempfindlich oder prüde oder sonstwas verspottet werden,
ohne dass das belästigende Verhalten aufhört.
Beispiel: Wenn der Chef immer dem X aufträgt, am Freitag abend länger
dazubleiben und das Magazin aufzuräumen, obwohl X auch wie alle anderen
KollegInnen am Freitag lieber früher heimgehen würde, dann liegt darin
eine diskriminerende Ungleichbehandlung auf Basis der hierarchischen Stellung
des Chefs.
Ad 3.) Mobbing
Wenn eine Machtasymmetrie daraus entsteht, dass sich eine Gruppe (zumeist im
Betrieb, auf derselben formalen Hierarchieebene) zusammenschließt und
Einzelne ausgrenzt, ist die Basis für Mobbingverhalten gelegt. Auf dieser
Basis können den Outsidern die Kompetenzen abgesprochen, die Zuständigkeiten
entzogen, demütigende Arbeitsinhalte zugeschanzt werden, es kann ihnen
die Kooperation verweigert werden, ja selbst von der Kommunikation können
sie ausgeschlossen werden, etc.. Auch hier bekommt die Ungleichbehandlung oder
der Übergriff eine systematische Komponente. Die diskriminierende Handlung
wiederholt sich ständig. Mobbing liegt definitionsgemäß vor,
wenn sich die schikanös feindselige Behandlung über mehrere Monate
hinzieht.
Die gemobbte Person befindet sich gegenüber der Gruppe in einer eindeutig
unterlegenen Position und kann in aller Regel nicht ohne fremde Hilfe dem Mobbing
ein Ende bereiten (außer durch Rückzug). Die betroffene Person kann
in aller Regel nur ausweichen, indem sie den Arbeitsplatz aufgibt, und damit
große ökonomische Nachteile in Kauf nimmt. Vereinzelte Beleidigungen
oder Angriffe gelten nicht als Mobbing. Es handelt sich auch nicht um Mobbing,
wenn zwei etwa gleich starke Parteien in Konflikt geraten. Mobbingaktivitäten
müssen systematisch und nicht zufällig erfolgen und die Machtstrukturen
müssen ungünstig für die gemobbte Person sein, sodass sie sich
nur schlecht zur Wehr setzen kann.
--- mittelbare Diskriminierung
Unmittelbare Diskriminierungen durch Übergriffe oder Ungleichbehandlungen
sind relativ leicht als solche zu erkennen, sobald die dahinterliegende Machtasymmetrie
aufgedeckt ist. Schwieriger ist das Erkennen von Diskriminierungen, wenn scheinbar
neutrale Regelungen gesetzt werden, deren Effekte dazu führen, dass Personen
oder Gruppen einen Nachteil davontragen. Beispiel: Allgemeine Motorradhelmpflicht:
Klingt sinnvoll für alle, aber männliche Sikhs, die aus religiösen
Gründen einen Turban tragen müssen, können keinen Helm tragen,
werden also durch eine allgemeine Helmpflicht am Motorradfahren gehindert.
--- Viktimisierung
Eine besondere Form der Diskriminierung stellt die sogenannte Viktimisierung
dar. Diese kann sowohl Diskriminierungsopfer als auch ZeugInnen der Diskriminierung
treffen. Viktimisierung bedeutet, dass aufgrund des Aufzeigens von Diskriminierung
einer Person nochmal zusätzlich diskriminiert wird. Beispiel: X wird Opfer
einer sexuellen Belästigung und zeigt diese bei den Vorgesetzten an mit
der Konsquenz, dass ihr von den Vorgesetzten nicht etwa geholfen wird, sondern
sie im Gegenteil von den anderen MitarbeiterInnen fortan als Verräterin
und Querulantin gemobbt wird.
--- Verschränkung der Diskriminierungsformen
Die vorgenommene Differenzierung des Diskriminierungsbegriffs soll helfen, die
Realität der Diskriminierung zu begreifen. Allerdings ist dazu zu sagen,
dass in der Realität Diskriminierungen oft sehr "undifferenziert"
auftreten. In der Praxis kommt es oft zur Verschränkung und gegenseitigen
Verstärkung mehrerer Diskriminierungsformen und -mechanismen bzw. zu Mehrfachdiskriminierungen,
z.B. rassistisches Mobbing, sexistische Belästigung durch Vorgesetzte,
Mobbing kombiniert mit Diskriminierung durch Vorgesetzte, rassistischer Sexismus,
etc.. Es kann also durchaus sein, dass in konkreten Diskriminierungsfällen
mehrere der angesprochenen Elemente von Diskriminierung erkennbar werden. Konstant
bleibt einzig die Zweistufigkeit (Machtasymmetrie und darauf aufbauende diskriminierende
Handlung).
--- Verwendbarkeit dieses Diskriminierungsbegriffes
Der hier verwendete zweistufige Diskriminieungsbegriff ist zwar analytisch umfassend
und einigermaßen präzise, eignet sich allerdings nicht besonders
gut für ein Beweisverfahen vor Gericht, weil eine Machtasymmetrie nicht
an einem bestimmten Ereignis festzumachen und daher u.U. schwer glaubhaft zu
machen ist. (Betriebsintern geht das sicher leichter als vor Gericht, weil den
AkteurInnen im Betrieb die Verhältnisse eher bekannt sind). Es ist daher
zu betonen, dass es beim innerbetrieblichen Verfahren, auf das die antidiskriminatorische
Betriebsvereinbarung abstellt, nicht um einen Diskriminierungsbeweis geht, mit
dem alles steht und fällt. Egal, ob die Störung des Betriebsklimas
als Diskriminierung definiert werden kann oder nicht, es geht letztlich darum,
das respektvolle Betriebsklima wieder herzustellen. Darauf, und nicht auf die
Feststellung von Schuld oder Unschuld, ist das Anti-Diskriminierungs-Verfahren
gerichtet. Darin unterscheidet sich das Verfahren in der antidiskriminatorischen
Betriebsvereinbarung wesentlich vom Gerichtsverfahren. In der Betriebsvereinbarung
wird sehr großer Wert auf die Definition von Diskriminierung gelegt, weil
es im Sinne einer antidiskriminatorischen Organisationsentwicklung um die Sichtbarmachung
der Asymmetrien geht, welche die Voraussetzung für Diskriminierungen bilden.
Das Curriculum wurde entwickelt und erprobt im Rahmen der PEREGRINA OPEN UP Entwicklungspartnerschaft 2002-2005 .