von ANAR – Austrian Network Against Racism
Die Verteilung von besseren und schlechteren Funktionen und Positionen in dem Beziehungsgeflecht namens Gesellschaft vollzieht sich tendenziell analog zu den bestehenden hegemonialen Strukturen. Personen aus gesellschaftlich diskriminierten Gruppen (Frauen, Behinderte, MigrantInnen und Flüchtlinge samt Folgegenerationen, Angehörige von nationalen Minderheiten, Ärmere Schichten, Menschen mit bestimmter Religionszugehörigkeit oder sexueller Neigung, aufgrund von Krankheit Stigmatisierte, u.a.) werden "normalerweise" bei den Vergaben von Ausbildungsplätzen, Jobs, Repräsentationsfunktionen, usw. gegenüber Angehörigen von bevorzugten Gruppen schlechtergestellt, was ihren Status als diskriminierte Gruppen konsolidiert bzw. sie erst zu diskriminierten Gruppen macht. Diese Reproduktion von diskriminierenden Strukturen vollzieht sich anhand einer Vielzahl von Filterungsmechanismen und Weichenstellungen, denen das Individuum bereits ab frühester Jugend unterworfen ist (Artikulationsfähigkeit der ersten Bezugspersonen, insbesondere der Eltern, Wohnviertel als Sozialisationsumfeld, Anpassungsfähigkeit an institutionelle Normen (Noten!), usw.). Diese entscheiden über Aufstieg oder "Sitzenbleiben" bzw. Lenkung auf den minderwertigen Bildungsweg, Posten, etc mit seinen wiederum beschränkteren Aufstiegsmöglichkeiten.
Zum Ausbruch aus diesen strukturellen Gegebenheiten wurden u.a. Quotenregelungen
als Instrument des Strebens nach gesellschaftlicher Gleichstellung verwendet.
Quotenregelung bedeutet Reservierung von Plätzen anhand einer simplen arithmetischen
Festschreibung (Quote = Prozentsatz) für Personen aus diskriminierten Gruppen
(v.a. bezogen auf Arbeits- und Ausbildungsplätze). Das erfordert die vorgängige
Definition der diskriminierten Gruppe, die im speziellen Fall bevorzugt werden
soll, was in Hinblick auf den gewünschten Ausbruch aus der Diskriminierung
(die je nach Form mhr oder weniger auf Fremddefinition basiert) eigentlich kontraproduktiv
ist. Denn damit wird vorweg genau wieder die rassistische, sexistische, behindernde,
usw. Gruppenkonstruktion vollzogen. Dieser Umstand sowie die vielfältigen
Überlagerungen, Überschneidungen und Verschiebungen zwischen den einzelnen
mehr oder weniger relevanten Schlechterstellungsmerkmalen sowie die laufenden
historischen Veränderungen in den Benachteiligungsstrukturen liefern gute
Argumente gegen die generelle Anwendung von Quotenregelungen.
In speziell vordefinierten Bereichen kann eine Quotenregelung jedoch ein sehr
starkes Durchsetzungsinstrument in Richtung Gleichheit sein. Insbesondere bei
engeren arithmetisch vorherbestimmten Vergabeentscheidungen kann eine Quotenregelung
mehr Vor- als Nachteile entfalten. Wenn z.B. vorgegeben ist, daß ein Gremium
2 Personen entsenden soll, dann ist in Anknüpfung an diese eindeutige Vorgabe
auch die Bindung an eine Quotenregelung möglich, die da lauten könnte:
von den 2 Personen mindestens eine weiblich und mindestens eine rassistisch
diskriminiert. (Zu diesem Schema haben wir uns bei der Besetzung der Koordinierungsstelle
unseres antirassistischen Netzwerks entschieden. Die Vordefinition des Netzwerkes
als antirassistisch samt Festlegung einer kleineren Personenzahl liefern ausreichende
Eindeutigkeit als Basis für die Quotenregelung).
Bei nicht einigermaßen eindeutig bestimmbaren Rahmenbedingungen, wie z.B.
bei der zukünftigen Personalentwicklung einer Organisation, geht auch eine
ihrer Natur nach starre Quotenregelung tendenziell "ins Blaue", wodurch
umgehend in verstärktem Maße ihre Nachteile zum Tragen kommen. Daher
wurde das flexiblere Instrument der equality targets erfunden. Wie der Name
schon sagt, geht es hier um Zielsetzungen in Richtung Gleichstellung, die sich
eine Organisation in ihrer Gesamtheit oder in Teilbereichen, ausgehend von ihrem
jeweiligen Status Quo, auferlegt. Equality targets werden von den Verantwortlichen
für Personal-, Ausbildungs- und Delegationsentscheidungen anhand von Prognosen
und Arbeitsplänen festgelegt und sind bei je nach den Entwicklungen der
tatsächlichen Umstände flexibel adaptierbar.
Eine Organisation, die sich auf equality targets verpflichtet, muß sich
zunächst einer Selbstbetrachtung unterziehen: Es geht um die Sichtung des
Status Quo und um die Entwicklung von antidiskriminatorischen Strategien im
eigenen Bereich. In welchen Bereichen der Organisation arbeitet z.B. bereits
eine große Anzahl von MigrantInnen, sodaß eine weitere "Aufstockung"
in diesem Bereich vielleicht sogar kontraproduktive Effekte ("Ghettoabteilung")
mit sich bringen könnte? Hier könnte es z.B. zum equality target werden,
diese Abteilung im Gesamtgefüge der Organisation durch Übertragung
von leitenden oder koordinierenden Aufgaben aufzuwerten, oder durch Rotationsmodelle
den Wechsel von einzelnen Personen in andere Bereiche zu fördern, die bisher
an Diskriminierungsstrukturen gemessen einseitig besetzt sind. Selbstverständlich
ist auch der verstärkte Aufstieg von Personen aus diskriminierten Gruppen
in den eigenen Hierarchien ein equality target.
Sobald neue finanzielle Möglichkeiten für antirassistische Arbeit
in Aussicht stehen, etwa bei Stellung eines Förderungsansuchens oder bei
Durchführung von Fundraisingevents, sollten auch schon equality targets
für den Fall der Realisierung der entsprechenden Einnahmen formuliert sein.
Equality targets scheren nicht alle Organisationen über einen Kamm, sondern
sind je nach Besonderheit der Organisation zu formulieren. Selbstverständlich
wird z.B. von kirchlichen Organisationen nicht verlangt, dass sie Menschen anderer
Konfession anstellen, wenn sie sich gegenteilige Regeln gegeben haben. Es gibt
jedoch kaum einen Bereich, in dem sich nicht wenigstens für kleine Schritte
in Richtung Gleichstellung Möglichkeiten bieten. Nicht zuletzt halten die
equality targets zur Infragestellung der eigenen Regeln und deren eventueller
Neuinterpretation an.
Equality targets sind stets angelehnt an - und geraten solchermaßen nie
in Widerspruch zu - den allgemeinen Zielen der Organisation. Oberste Priorität
jeder Organisation mit antidiskriminatorischem Selbstverständnis sollte
es sein, dass sie ihre Arbeit gut erfüllen kann. Daher sind unter Umständen
auch im Laufe mehrerer Vergabeentscheidungen besser qualifizierte Nichtdiskriminierte
zu bevorzugen, solange das Selbstverständnis und die Reputation der Organisation
dadurch nicht leiden. Aus einer wahrnehmbaren Kette von nicht-antidiskriminatorischen
Entscheidungen in Diskrepanz zum Selbstverständnis entspringt ein besonderer
Rechtfertigungsbedarf, der Hinweise auf strukturelle Diskriminierungen und weitere
antidiskriminatorische Arbeitsfelder (z.B. im selbstorganisierten Ausbildungsbereich)
liefern kann. Wenn ein schlichter Mangel an Personen mit den erforderlichen
Qualifikationen zu konstatieren ist (z.B. von MigrantInnen im juristischen Bereich,
wo auch die "zweite Generation" offenbar nur sehr zögerlich hineinwächst),
dann könnte es sich eine Organisation mit antidiskriminatorischem Selbstverständnis
zur Aufgabe machen, sich diesbezügliche Förderungsstrategien zu überlegen
bzw. auf solche hinzuwirken.
Auch wenn keine neuen Jobs oder Gelder zu vergeben sind, so kann doch jede antidiskriminatorische
Organisation bei ihren Repräsentationsentscheidungen darauf achten, Diskriminierte
positionell zu bevorzugen, meistens gleichbedeutend mit: in den Vordergrund
zu lassen (z.B. bei Interviews, externen Verhandlungen, Podiumsdiskussionen
oder bei der Entsendung zu überregionalen Treffen).
Equality targets können sich auch auf externe Vergabeentscheidungen erstrecken.
So kann z.B. der Kopierauftrag für den nächsten Jahresbericht bewusst
an eine Firma vergeben werden, die von einer behinderten Person betrieben wird
oder die sich selbst ebenfalls equality targets gesetzt hat.
Equality targets können auch in der Schaffung neuer Kooperationszusammenhänge
innerhalb und außerhalb der Organisation bestehen. Durch Kooperationszusammenhänge
werden Ressourcen alloziert und im Ernstfall heranziebar. Wenn Nicht-Diskriminierte
mit Diskriminierten oder Diskriminierte untereinander Kooperationen eingehen,
gewähren sie sich dadurch wechselseitig Zugang zu vormals unerschlossenen
Ressourcen und erhöhen damit wechselseitig das Machtpotential bei der Durchsetzung
gegenüber Dritten.
Das allerwichtigste strategische Ziel der Einführung von equality targets
speziell bei antirassistischen NGOs ist die proaktive Öffnung eines Jobmarktes
insbesondere für die "zweite Generation", die dadurch verstärkt
auch in die ehrenamtliche Mitarbeit in den NGOs hineingezogen werden soll. Dadurch
sollen die Verbindungen der NGOs zu jener Gesellschaftsschicht, die aufgrund
ihres unmittelbaren Lebensinteresses die Basis für eine antirassistische
Politk bildet, eine neue Qualität bekommen und die Entwicklung der Organisationen
in dieser Richtung vorangetrieben werden. Die Organisationen sind aufgefordert,
very good practice öffentlich kundzutun und auffällige Probleme bei
Treffen zu melden.
Was bedeuten equality targets für Organisationen mit antidiskriminatorischem
Selbstverständnis, in denen die Jobs vorwiegend an die nicht behinderten,
nicht rassistisch, sexistisch oder anderweitig diskriminierten Personen bereits
vergeben sind: Diejenigen, die gesellschaftlich gesehen tendenziell in den besseren
Positionen sitzen, könnten gegenüber equality targets ein gewisses
Unbehagen entwickeln. Überall dort, in Abteilungen oder auf Hierarchieebenen,
wo Nicht-Diskriminierte in Gruppen bezüglich Position und Funktion einigermaßen
gleichberechtigt mit gesellschaftlich systematisch Diskriminierten zusammenarbeiten,
wird sich durch die Einführung der equality targets nicht viel ändern.
Nur bezüglich der Aufstiegschancen wird die Luft dünner. Equality
targets verlangen nicht von den Nicht-Diskriminierten, dass sie ihren Job aufgeben
und sich selbst abschaffen, sondern dass sie mehr neue gute Plätze für
andere schaffen. Sie bedeuten aber auch den Ausstieg aus der hegemonialen Hängematte
und die Hinterfragung der diversen Privilegien. Und sie bedeuten im Ernstfall
des Personalabbaus eventuell sogar eine Benachteiligung. Wobei hiezu natürlich
sofort zu bemerken ist, dass Nicht-Diskriminierte in den allermeisten Fällen
leichter als Diskriminierte woanders wieder einen existenzsichernden Posten
finden.
Sich equality targets zu setzen, bewirkt einen umfassenden Organisationsentwicklungsprozess
in Richtung Gleichstellung, d.h. Ausgleich von gesellschaftlich systematischen
Diskriminierungen im Rahmen der eigenen Ressourcenvergaben. Equality targets
versuchen mit den sich durchkreuzenden Diskriminierungsformen flexibel umzugehen
und sind nicht auf eine spezifische Diskriminierungsform beschränkt, wie
z.B. gender mainstreaming. Equality targets umfassen gender mainstreaming genauso
wie spezifische Maßnahmen zugunsten anderer diskriminierter Gruppen. Dadurch
ergeben sich wesentlich mehr Möglichkeiten für aktive Gleichstellungsschritte
in einer Organisation. Z.B. wird bei einer Jobvergabe die Auswahl an kompetenten
Personen größer, wenn nicht nur Personen aus einer diskriminierten
Gruppe (z.B. MigrantInnen) sondern auch von anderen diskriminierten Gruppen
(z.B. Behinderte) in Frage kommen.
Mit der Einführung von equality targets werden interne und organisationsübergreifende
Diskurse eröffnet, die eventuell auch zu kreativen Lösungen führen.
Es wird aber nicht nur der bewusstere Umgang mit den oft gar nicht ganz so geringen
eigenen Möglichkeiten des antidiskriminatorischen Wirkens verfolgt. Equality
targets sollen auch Signalwirkung in Richtung Gesamtgesellschaft entfalten und
die Legitimität antidiskriminatorischer Forderungen gegenüber anderen
NGOs, Unternehmen und staatlichen Stellen bezüglich ihrer Personal- und
sonstigen Vergabeentscheidungen erhöhen.