von Ljubomir Bratic und Andreas Görg
Während der 1990er Jahre hat der moralische Antirassismus eine hegemoniale
Stellung in der Antirassismusdiskussion eingenommen. Der moralische Antirassismus
zeichnet sich dadurch aus, dass er
1. rassistisch Diskriminierte zu machtlosen Opfern stilisiert und damit das
HelferInnenunwesen legitimiert,
2. Rassismus individualisiert, EinzeltäterInnen zuschreibt und somit die
strukturellen Wurzeln des Rassismus negiert, sich über rassistische Artikulationen
empört, ohne am Prinzip der Illegalisierung zu rütteln und
3. Rassismus psychologisiert, d.h. als Krankheit abtut, als Anomalie statt als
Normalität begreift. Rassismus wird irgendwelchen eigentlich bedauernswerten
Geschöpfen ("ModernisierungsverliererInnen") zugeschrieben, deren
"Ängste" dann wiederum "ernst zu nehmen" sind, woraus
eine TäterInnen-Opfer-Umkehr resultiert. Sozialwissenschaftlich äußert
sich dieser in der Wiederentdeckung der Armen und Arbeitenden als gefährliche
Klasse. Nur diesmal sind sie nicht ein Hort der Kriminalität und Verwahrlosung
sondern eine Brutstätte des Rassismus. Das Erkennen der "eigenen"
Rassismen wird überhaupt verunmöglicht.
Unter dem Deckmantel dieses "antirassistischen" Diskurses ist die
Umstrukturierung der rassistischen Gesetzgebung in den 90er Jahren entlang der
programmatischen Vorgaben des FPÖ-Volksbegehrens "Österreich
zuerst" von der rotschwarzen Koalition durchgeführt worden. Mit dem
rezenten Niedergang der Haider-FPÖ ist dem moralischen Antirassismus der
kongeniale Widerpart abhanden gekommen. Aus Mangel an öffentlichkeitswirksamen
Konflikten verliert dieser Diskurs an Bedeutung.