Was ist "Politik" im politischen Antirassismus?
von Ljubomir Bratic
Ich verstehe unter Politik jene Form des Denkens, die nicht primär danach
fragt, was gleich und ungleich ist, die nicht die Frage nach den Gründen
von Gleichheit und Ungleichheit stellt, sondern die danach fragt, was uns den
Zugang zur Gleichheit ermöglicht (uns als politische Subjekte), jene Form
des Denkens, die Bedingungen und Grenzen des Zugangs der politische Subjekte
zur Gleichheit zu bestimmen versucht.
Es ist jene Suche, Praxis und Erfahrung, durch die das Subjekt an der Gemeinschaft
die notwendigen Veränderungen vollzieht, um Zugang zur Gleichheit zu erlangen.
Dieses Ensemble von Suchverfahren, Praktiken und Erfahrungen stellen den Preis
dar, den das politische Subjekt für den Zugang zur Gleichheit zu zahlen
hat.
Politik setzt voraus, dass die Gleichheit dem politischen Subjekt nie selbstverständlich
gegeben ist und wird. Sie setzt weiters voraus, dass das politische Subjekt
als solches nie berechtigt ist einen Zugang zur Gleichheit zu haben. Und sie
setzt voraus, dass die Gleichheit nicht durch eine einfache Angleichung der
Interessen erreicht wird, die durch die Umverteilung der Güter oder Meinungen
zu erreichen ist. Politik setzt voraus, dass sich das Subjekt verändert,
wandelt und in gewissen Maßen und bis zu einem gewissen Punkt ein Anderes
wird, um in unseren Gesellschaften ein Anrecht auf Anerkennung als vernünftige
Wesen zu erkämpfen (aber auch zu erhalten).
Die Gleichheit blitzt nur in solchen Momente auf, in denen die Subjekte zu politischen
Subjekten werden und statt Konsens Dissens aufzurufen fähig wird. Das ist
glaube ich die einfachste und grundlegendste Ebene, auf der wir von Politik
reden können.
Daraus folgt, dass es keine Gleichheit ohne eine Verwandlung des Subjektes geben
kann. Die Umwandlung des Subjektes in ein politisches vollzieht sich in unterschiedlichen
Formen. Diese Umwandlung muss die Form einer Bewegung annehmen, die das Subjekt
aus seinem aktuellen Status und seinen aktuellen Bedingungen herauslöst.
Diese Bewegung kann zwei Formen annehmen: Entweder Bewegung des Subjektes selbst,
eine aktive Schaltung im politischen Kampf, gewissermaßen eine Hervorbringung
des politischen Kampfes oder die Bewegung, durch die das Prinzip der Gleichheit
zum Subjekt kommt und es herausfordert politisch zu werden. Entweder Aktivität
oder Aktivierung.
Die wichtigste Voraussetzung dieser Formen scheint eine Art Arbeit zu sein,
eine Arbeit an der eigenen Stellung als Individuum und als Gruppe innerhalb
der Gemeinschaft. Durch die Permanenz dieser Tätigkeit formt sich, handelt
und löst sich auf das was politisches Subjekt genannt wird.
Als letzte Voraussetzung der Politik möchte ich noch erwähnen, dass
der Zugang zur Gleichheit – sobald die Normalität der Indifferenz,
diese Kruste am Kessel der Macht zerkratzt wurde – eigene Wirkungen hervorbringt.
Diese Wirkungen stellen sich als Folge des zurückgelegten Wegs, aber sie
sind auch etwas mehr als das, sie sind in gewisser Weise eine Neudefinierung
von Teilnahme an der Gleichheit, Teilnahme des eines neuen politischen Subjekts
an der, vielen Anderen schon zugänglichen, Struktur der Verwaltung (die
wieder andere politische Subjekte hervorbringt, die den gleichen Weg gehen,
nur halt ein wenig anders, ihrer soziopolitischen Situation angepasst).
Für den politischen Antirassismus ist die Gleichheit nicht einfach das,
was dem politischen Subjekt gegeben wird, um es für seinen Weg der Emanzipation
zu bekehren. Die Gleichheit, das Bestreben danach verwandelt sich wundersamer
Weise bei ihrer Erreichung in eine Verwaltung der An-Teile und auch in einen
Unverständnis der anderen möglichen und wirklichen Rationalitäten
der Anteillosen. Sie verflüchtigt sich. Kurz, in dem Prinzip der Gleichheit
als Leitfaden für politischen Antirassismus liegt etwas, das die Vollendung
des politischen Subjektes vollbringt, indem neue Anteillose ihre Ansprüche
auf die Anteile der Gemeinschaft anmelden und erkämpfen. Es gibt aber niemanden,
der/die die Vollendung der Geschichte erblicken kann. Dabei ist die Frage, wie
ich zur Gleichheit komme eng verflochten mit derjenige der meiner eigenen Transformation
als Subjekt. Es gibt kein Äußeres ohne ein Inneres und umgekehrt
können wir das auch behaupten. Die Frage ist nur, was uns den Zugang zur
Gleichheit erschwert oder erleichtert. Hier sind wir an dem Punkt angekommen,
wo wir von Instrumenten des politischen Antirassismus reden können. Alle
diese Instrumente betreffen nicht nur das Individuum in seiner konkreten Existenz,
sondern auch die Struktur des Subjektes als solches. Das (Self-)Empowerment
ist so eine Technik genau so wie Konfliktinszenierungen oder Normalität
begreifen. Wir reden hier von einer Art des Tuns, die sich bis an die Grenzen
des Subjekts ausdehnt und Politik aufruft, Politik als Dissens in einer Welt
des Konsenses, Meinung und Telenovela.