Antirassismus in Österreich


Hans Pühretmayer und Andreas Görg


(Auszug aus unveröffentlichtem Forschungsbericht "Strategische Potentiale gegen Rassismen" für das damalige BMWV, folgende Textteile ursprünglich aus 1999)


Das folgende Kapitel ist einer Verortung von Antirassismus in Österreich im Kontext der historischen Entwicklungen insbesondere seit Mitte der 80er Jahre gewidmet.


Entwicklung einer kritischen Zivilgesellschaft
Rassismus spielt in den Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft und bei der Organisierung von breiter Zustimmung eine wichtige Rolle. Die rassistische Konstruktion im Österreich der Gegenwart resultiert aus verschiedenen historischen Strömungen, die sich teilweise überschneiden: Antisemitismus; nationalstaatlich begründete Diskriminierung bestimmter autochthoner Minderheiten (z.B. SlowenInnen und KroatInnen insbesondere in Burgenland/Steiermark/Kärnten); Rassismus gegen Roma und Sinti; 'klassischer' Rassismus gegen Personen mit dunkler Hautfarbe als Resultat der europäischen Kolonialgeschichte und des SklavInnenhandels; Antislawismus; Antiislamismus sowie einem Rassismus gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen aus 'ärmeren' bzw. 'südlichen' Ländern (von Jugoslawien über die Türkei bis Asien und Lateinamerika).


In Österreich zeigt sich die starke Präsenz antisemitischer und rassistischer Diskurse und Einstellungen immer wieder an markanten Ereignissen der jüngeren österreichischen Geschichte; vom Waldheim-Wahlkampf bis zu den Reaktionen der breiten Mehrheit auf die Tötung des Nigerianers Marcus Omofuma im Rahmen einer Abschiebung im Mai 1999. Im Vergleich zu einigen anderen westeuropäischen Gesellschaften erscheint die kritische österreichische Zivilgesellschaft im Verhältnis zu den gegenläufigen gesellschaftlichen Kräften ziemlich schwach entwickelt. Das liegt u.a. an der nichtvorhandenen Tradition eines erfolgreichen Widerstandes gegen autoritäre Herrschaft in Österreich und damit dem Fehlen einer aufmüpfigen politischen Kultur, in der ein subversives Gedächtnis, eine Erinnerung an die Herausforderbarkeit und Anfechtbarkeit von Herrschaftsverhältnissen bestünde. Verstärkend auf diese Tendenzen wirkte sich aus, dass sich kein liberales Bürgertum ausgebildet hat und die Organisationen der Arbeiterbewegung über die Form der Sozialpartnerschaft sehr eng in die Entscheidungszentren des Nationalstaats eingebunden wurden. Von der Gegenreformation über den Metternichschen Polizei- und Spitzelstaat bis zum Austrofaschismus und zum Nationalsozialismus existiert im Gegenteil in der Geschichte dieses Landes eine Kette von Perioden, in denen kritische Diskurse und Politiken erfolgreich systematisch unterdrückt und die kritisch Denkenden verfolgt, vertrieben oder getötet wurden. Offenbar konnte sich auch in der Zweiten Republik selbst im Anschluss an den Aufbruch der 68er-Generation noch keine Strömung herausbilden, die es an Einfluss mit einem unkritischen bis reaktionären Mainstream aufnehmen könnte.


Die Zivilgesellschaft ist in hegemonial strukturierten Gesellschaften nicht nur für die Absicherung von Machtverhältnissen von zentraler Bedeutung. Sie ist auch der Ort, an dem emanzipatorische, d.h. auch antirassistische, Politik produziert werden kann. Die Chancen für demokratisch-menschenrechtliche Veränderung sind wesentlich von der Entwicklung der solidarischen bzw. kritischen Elemente in einer Zivilgesellschaft abhängig. Innerhalb der österreichischen Zivilgesellschaft stellt Antirassismus ein Randthema dar. Ein "... Bewusstsein, dass es sowas wie eine antirassistische Zivilgesellschaft geben soll, und dass sowas geschaffen werden soll, und dass man daran auch arbeitet, gibt’s eigentlich nicht" (Interview Asylkoordination 1998). Anlässlich der jüngsten Novelle zum Staatsbürgerschaftsrecht stellte z.B. Rainer Bauböck fest: "Ein Grund (für die 'blamablen' Ergebnisse dieser Novelle) ist das Fehlen einer öffentlichen Debatte über eine angemessene Form österreichischer Identität, die in der Staatsbürgerschaft ihren rechtlichen Ausdruck findet. ... Es fehlt ein auf allgemeine Grundrechte gestütztes Selbstverständnis, von dem ausgehend Antworten auf die Herausforderungen unseres Zeitalters der Migration gefunden werden könnten. So kommt es, dass Einbürgerung als Belohnung für Anpassung verstanden wird statt als Weg zu demokratischer Gleichberechtigung." (BAUBÖCK 1998, 6) Nach Auskunft mehrerer interviewter Gruppen ist es "irrsinnig schwer, für antirassistische Themen in Österreich Öffentlichkeit zu finden". Typisch sei etwa die Zeitschrift 'profil': Obwohl es noch eines der niveauvolleren Magazine sei, sei es auf "totale Einzelfallberichterstattung, tragische Schicksale, etc. fixiert" (Interview Antirassismus-Hotline). Und Fragen, welche die politischen Bedingungen von MigrantInnen in der Arbeitswelt betreffen, wie etwa das fehlende passive Betriebsratswahlrecht, werden sowohl in den Printmedien als auch in Hörfunk und TV maximal als 'Fußnoten' erwähnt (Interview "Sesam öffne dich!").


Für (genauer gesagt: gegen) wirksame antirassistische Politik scheint derzeit in Österreich ein Teufelskreis zu existieren: Die fehlende kritisch-aktive Zivilgesellschaft erzwingt technokratische, entdemokratisierende Politikformen (geschlossene, hierarchisch geordnete Gremien, hoher Zentralisierungsgrad bei den relevanten Interessengruppen, Interventionismus, Lobbying, Absprachen hinter verschlossenen Türen, usw.). Diese erzeugen bzw. begünstigen erst recht keine demokratisch agile Zivilgesellschaft. Das Fehlen eines öffentlichen Rückhalts und Antriebs fördert Interventionismus und Lobbying als vorherrschende, weil scheinbar einzig mögliche, Aktionsformen der antirassistischen Gruppen, was wiederum technokratische Politikformen begünstigt, usw. Der aktuelle neoliberale Versuch, alle Formen von Öffentlichkeit den politikfeindlichen (vgl. ARENDT 1993, 234-252) Kriterien von Markt und Marketing zu unterwerfen, verstärkt diesen Teufelskreis.


Schwäche des Antirassismus
Die verschiedenen Strömungen des Antirassismus entwickeln sich in einer Zeit, in der in Österreich ein Voranschreiten der Restriktionen in der "Ausländerpolitik" sowie die qualitative und quantitative graduelle Verstärkung von rassistischen Äußerungen im Alltag festgestellt werden kann. Mit dem Niederlage des liberalen kleinkoalitionären Flügels der FPÖ unter Norbert Steger und der Wahl Jörg Haiders zum Parteiobmann im Jahre 1986 wurde ein Oppositionskurs eingeleitet, der die "Ausländerproblematik" zu einem hauptsächlichen Wahlkampfthema macht. Durch das "Wahlwerbemonopol" in Sachen Rassismus kann die FPÖ die meisten Aktionen der rechten Hand des Staates (Bourdieu) als Erfolg darstellen und politisch verbuchen. Unter dem Eindruck des Falls des eisernen Vorhangs, der Befestigung der EU im Rahmen des Schengener Abkommens und fortlaufender Wahlerfolge der FPÖ hat die damalige großkoalitionäre SPÖVP-Regierung in den 90er Jahren einen Kurs der Migrationsabschreckung eingeschlagen. Die rechte Hand des Staates agiert über Änderung von (Fremden)Gesetzen, welche den gesamten staatlichen Durchsetzungsapparat disponieren und sich durch Formulierung entsprechender Pflichten und (eingeschränkter) Rechte direkt gegen die rassistisch Diskriminierten richten. Seit Anfang der 90er Jahre wurden alle Gesetze, die sich speziell an MigrantInnen wenden, generell zu deren Lasten verschärft - abgesehen von manchen Zurücknahmen und Verbesserungen im Detail. Ebenso verschärft haben sich die mediale Rhetorik und das Alltagsklima gegenüber "AusländerInnen". Zu beobachten ist ein weitverbreitetes Selbstverständlich-Werden abwertend-hasserfüllter Äußerungen über "Ausländer". Zugleich konnten in diesem Zeitraum die institutionellen Diskriminierungen weitgehend als einem Sachzwang folgend dargestellt bzw. der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion entzogen werden.


Das völlige Fehlen eines maßgeblichen antirassistischen Gegenpols ist das, was den Rassismus hierzulande von jenem in den meisten anderen europäischen Ländern am schärfsten unterscheidet und die besondere Qualität des rassistischen Konsenses ausmacht. Es bestehen im Gegensatz zu anderen Staaten keine Einbruchstellen in den hegemonialen Block (etwa in Form von antirassistisch aktiven Gewerkschaften). Daraus resultiert die prekäre Lage des Antirassismus in Österreich, der seit Beginn seiner neueren Entwicklung im Laufe des letzten Jahrzehnts von ständigen Rückschlägen gekennzeichnet ist. Lichtermeer und EU-Jahr gegen Rassismus samt Ausweitung von antirassistischen (Bildungs)Projekten (JOHN 1998, 12f) haben keine wesentlichen Änderungen im Migrations- und Diskriminierungsregime bewirkt.
Allerdings ist Rassismus auch aufgrund der Brandanschläge in Deutschland und der Briefbombenanschläge in Österreich zu einem Problem geworden, dem subventionsgebende Stellen mehr Aufmerksamkeit schenken. Von der linken und auch der rechten Hand des Staates werden Betreuungs-, Bildungs- und Wissenschaftsinitiativen in kleinere Organisationen ausgelagert. Der pädagogisch halbierte Antirassismus findet seine reale Ausformung in der staatlichen Förderungsvergabe.

Arendt, Hannah 1993: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München/Zürich: Piper (Orig. 1951)
Bauböck, Rainer 1988: Kein zweites soziales Netz für ausländische Arbeiterfamilien, in: Karl Althaler/ Sabine Stadler (Hg.): Risse im Netz. Wien.
John, Gerald 1998: Lang her, das Lichtermeer. in: Falter 1-3/98, 12f