Campaigning against racism
von Araba Evelyn Johnston Arthur und Andreas Görg (Wien)
(aus Kurswechsel 1/2000)
Bevor wir uns auf die Ebene der Analyse der konkreten Kampagnen gegen Rassismus
begeben, soll in aller gebotenen Kürze die Ausgangslage für ein solches
Unterfangen im österreichischen Kontext Betrachtung finden:
Der jeweilige sozial-historische Kontext der verschiedenen Staaten ist Grundlage
für die Entwicklung von charakteristischen Rassismen und ihren Erscheinungsformen
(vgl. Balibar 1992, 11). "Whites only" bedeutet in den österreichischen
Kontext übersetzt: "nur für Inländer", und findet sich
in inserierten Stellen- und Wohnungsausschreibungen wieder. Mit dem Hinweis
"nur für ..." sind die Inserierenden überzeugt, politisch
Schwarze Menschen d.h. rassistisch Diskriminierte sicher von sich abgeschottet
zu wissen, da die sozial-psychologische Bedeutung von "InländerIn"
einen politisch weißen d.h. einen ganz im Sinne der Freiheitlichen "echten
Österreicher" impliziert. Schwarze ÖsterreicherInnen "disqualifizieren"
sich allein durch ihre Hautfarbe, Religion, (vermeintliche) Herkunft - sie sind
keine ÖsterreicherInnen sondern lediglich AusländerInnen mit österreichischem
Pass; also ein Widerspruch in sich! Die sozial-psychologische Wahrnehmung und
Stigmatisierung verschmilzt in der Konstruktion des "Fremden" mit
der des "Ausländers", die sich als absolute Realität über
den juristischen Status "Staatsbürger" hinwegsetzt, ihn schlichtweg
aberkennt. Rassismus verläuft nicht entlang der Staatsbürgerschaftsgrenze,
sondern inferiorisiert und diskriminiert Menschen, deren Hautfarbe nicht weiß
ist, deren (vermeintliche) Herkunft nicht westlich europäisch ist und deren
Religion nicht christlich ist aufgrund ebendieser unveräußerlichen
Merkmale.
Die rassistische Realität setzt sich über den juristischen Status
von politisch Schwarzen ÖsterreicherInnen hinweg und spiegelt sich mitunter
auch in der Thematisierung von Rassismus im Rahmen der Begriffe "Ausländer-
bzw. Fremdenfeindlichkeit" wider. In diesem Diskurs bzw. dieser Diskussion
werden rassistische Realitäten und Diskriminierungsmuster nicht nur verschleiert,
sondern mehrnoch unbewusst sprachlich zementiert. Im Begriff der Fremdenfeindlichkeit
wird die rassistische sozial-psychologische Konstruktion des Fremden unhinterfragt
übernommen und weiter transportiert. Er geht von einer natürlichen,
dem Menschen innewohnenden Angst vor dem Unbekannten aus. Doch die Fremden sind
weder fremd noch fußt die Angst vor ihnen im Unbekannten. Man/frau weiß,
wer sie sind und glaubt auch über sie zu wissen. Dieses Wissen dient dem
kulturell überlieferten Entfremdungsmechanismus als Motor, nährt damit
einen systematischen Stigmatisierungsprozess. Das Ergebnis der so erzeugten,
mitunter auch sozialpsychologisch verankerten, bekannten Bilder wird als natürliche
Gegebenheit d.h. als eine nebulose Angst vor dem unbekannten Fremden präsentiert
und somit aus dem poltischen Zusammenhang von Rassismus ausgeklammert. Eine
tiefgreifende Analyse der Genesis von rassistischer Unterdrückung und Ausschließung
von bestimmten Menschengruppen kann in diesem fast biologistischen Zugang keinen
Platz finden.
In Österreich wurden die Weichen für Diskurs und Diskussion über
Rassismus im Mainstream erst in den auslaufenden 90er Jahren gestellt. Noch
Anfang dieses Jahrzehnts wurde der Rassismusbegriff im Mainstream kaum verwendet.
Doch die zunehmende Gängigkeit des Begriffs und die Ablöse der Begriffe
"Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit" allein sind noch keine
Garantie für die Rezeption der dahinterstehenden konzeptionellen Unterschiede.
Eine weitere Komponente der Ausgangslage ist die Diskrepanz zwischen der politischen
Selbstdarstellung Österreichs einerseits und der demographischen Realität
andererseits. Obwohl laut einer Studie des IHS (1997, 4) "der Prozentatz
der im Ausland geborenen Einwanderungsbevölkerung in vielen europäischen
Staaten - wie Frankreich, Deutschland, Luxenburg, Belgien, Schweden, Schweiz
oder Österreich - jenen der klassischen, erklärten Einwanderungsländer
wie die Vereinigten Staaten überschritten" hat, will sich Österreich
genausowenig wie Deutschland (vgl. Leggewie 1993, 3) als Einwanderungsland verstanden
wissen. Die Folge dieser Vogelstraußpolitik ist die soziale und politische
Verleugnung der Existenz von MigrantInnenminderheiten, mit all den damit verbundenen
destruktiven Konsequenzen, die sich in der Migrations- und Integrationspolitik
mitunter auch durch das Nicht-Vorhandensein von umfassenden gesetzlichen Bestimmungen
(etwa rund um einen rechtlichen ImmigrantInnenstatus) verankert sieht. "Außerhalb
der Kategorie Asylwerber, Flüchtling, "Gast"-Arbeiter, Student
oder Tourist gibt es für den Aufenthalt eines Ausländers in Österreich
keine rechtliche Basis." (Viehböck/Bratic 1994, 25).
Rassismus funktioniert vielschichtig auf mehreren Ebenen, die untrennbar miteinander
verbunden sind und einander beeinflussen. Sie lassen sich in folgende Bereiche
einteilen (vgl. Dominelli u.a. 1995, 3f): in sozio-kulturellen, individuellen
und institutionellen Rassimus. Will man/frau Rassismus wirksam bekämpfen,
muss diese Multidimensionalität miteinbezogen werden. Eine eindimensionale
Herangehenssweise verbleibt hier an der Oberfläche. Dies wird folgendermaßen
deutlich: werden seitens einer Institution Missstände eingestanden - hier
bieten sich Stellungnahmen aus dem Innenministerium in seiner Verantwortlichkeit
bezüglich der Exekutive in der Causa Omofuma als anschauliches Beispiel
an - werden sie einzelnen "weißen" Schafen zugeschrieben, ohne
aber dabei das ganze System zu untersuchen. D.h. konkret, dass in diesen Erklärungsmustern
primär nur die Ebene des individuellen Rassismus zum Tragen kommt, während
die Ebene des sozio-kulturellen und institutionellen Rassismus - wohl um tiefgreifenden
politischen Auseinandersetzungen auszuweichen - ignoriert wird.
Die Ausgangslage für campaigning against racism in Österreich kann
dahingehend zusammengefasst werden, dass der Bewusstseinsprozess der bloßen
Realisierung von Rassismus im allgemeinen und von seinen institutionalisierten
Formen im speziellen in Österreich erst am Anfang steht.
Antirassistisches Campaigning in Österreich
Analog zu der für Deutschland von Hess/Linder (1997) getroffenen Differenzierung
zwischen den verschiedenen Richtungen des Antirassismus gehen wir für die
Situation in Österreich davon aus, dass es 4 voneinander unterscheidbare
Hauptrichtungen innerhalb einer im Aufbruchstadium befindlichen antirassistischen
Bewegung gibt. Diese werden getragen von Selbstorganisationen der rassistisch
Diskriminierten, linken Gruppen, bürgerlich-liberalen Gruppen und feministischen
Gruppen. In diesen 4 Bereichen spielt das Thema Antirassismus in unterschiedlicher
Form eine zentrale Rolle. Aus den jeweiligen Szenen heraus dringen eventuell
antirassistische Diskurse in einen Interdiskurs ein. Die Richtungen des Antirassismus
sind u.a. an ihren politischen Ausdrucks- und Kommunikationsformen zu unterscheiden.
Der Begriff "campaigning" wird vielfach eher breit im Sinne einer
fokussierten Anstrengung gefasst (vgl. z.B. die Publikation des European Network
Against Racism (1999) zum Thema "Campaigning against racism ...",
die sich nur auf den Prozess der juristischen Umsetzung von Antidiskriminierungsparagraphen
in EU-Verträgen beschränkt). In diesem Artikel wollen wir den Begriff
"campaigning" eher begrenzt auf den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit
verwenden. Den Prozess des Herantragens von Diskursen an neue soziale Zusammenhänge,
deren Eindringen, deren Übernahme und Weiterverbreitung in diesen Zusammenhängen
und darüberhinaus, sowie die Herstellung von neuen sozialen Zusammenhängen
durch neue diskursive Verknüpfungen bezeichnen wir mit dem Begriff der
Diskursproliferation. Die kollektive Anstrengung zur Proliferation eines bestimmten
Diskurses im Rahmen eines bestimmten Zeithorizonts mit Fokussierung auf ein
politisches Anliegen bezeichnen wir als political campaigning.
Im Gegensatz zur Politikform des Lobbying, die unmittelbar auf die gezielte
Beeinflussung von EntscheidungsträgerInnen im Hinblick auf konkret anstehende
Gremial- oder Einzelentscheidungen gerichtet ist, wendet sich political campaigning
an eine größere Öffentlichkeit oder an bestimmte Zielgruppen,
um solchermaßen indirekten Einfluss auf EntscheidungsträgerInnen
und zivilgesellschaftliche Aushandlungsprozesse auszuüben. Die versuchte
Zusammenführung und Fokussierung der kommunikativen Akte mehrerer politischer
AkteurInnen soll einerseits ein Heraustreten der jeweiligen Kampagnen aus dem
diffusen Hintergrundrauschen der Vielzahl der auf dem diskursiven Feld geführten
zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzungen bewirken und damit bzw. darüberhinaus
die Durchsetzung eigener Interessen und/oder die Behinderung der Durchsetzung
fremder Interessen befördern.
Für unseren Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Chancen der Diskursproliferation
ungleich verteilt und gesellschaftlich umkämpft sind. Die Campaigningfähigkeit
einer gesellschaftlichen Gruppe ist verknüpft mit Fragen des Zugangs zu
Ressourcen der Diskursproliferation (insbesondere zu Medien und zu symbolischem
Kapital), bzw. ihrer Fähigkeit, fehlende Ressourcen durch andere zu kompensieren
und andere Wege der Diskursproliferation zu entwickeln. Prinzipiell gilt: Je
schwächer eine gesellschaftliche Gruppe oder Bewegung, desto abhängiger
ist ihre Campaigningfähigkeit von äußeren Konjunkturen und nicht
selbstgesetzten diskursiven Ereignissen, an die das eigene Campaigning anknüpfen
kann.
Auf die erwähnten 4 Hauptströmungen des Antirassismus bezogen, aus
denen potentiell kollektive fokussierte Diskursproliferationen hervorgehen,
bedeutet das: Selbstorganisationen befinden sich in einer marginalisierten Position
und sind damit noch stärker als linke und feministische Gruppen eingeschränkt,
was den Zugang zu Mainstreammedien bzw. im Mainstream valentem symbolischem
Kapital betrifft. Die Zugänge zu jenen strategischen Orten, von denen ausgehend
bestimmte Diskurse in Richtung einer größeren Öffentlichkeit
effektiv und effizient verbreitet werden können, sind diesen 3 Strömungen/Gruppen
zumeist verwehrt. Einzig die bürgerlich-liberale Richtung des Antirassismus
unterliegt nicht von vornherein den Hürden des Heraustretens aus den subkulturellen
Zusammenhängen.
Unsere Auseinandersetzung mit campaigning gegen Rassismen gliedert sich in 2
Hauptabschnitte. Hauptsächlich aus Gründen des Platzes werden die
Campaigningformen der linken und feministischen antirassistischen Gruppen in
diesem Artikel allenfalls gestreift . Demgegenüber konzentrieren wir uns
hier auf die Gegenüberstellung des Campaigning, das von der mainstreamnäheren
bürgerlich-liberalen Strömung ausgeht im Gegensatz zu jenem, das die
Black communities in Wien (als Beispiel aus dem Bereich der Selbstorganisationen)
aus der marginalisierten Position heraus betreiben. Dabei sollen verschiedene
Kampagnen diskutiert werden, die 1999 insbesondere im Frühjahr und im Herbst
während und nach dem Nationalratswahlkampf stattgefunden haben.
Moralischer Antirassismus
Im Mainstream sind jene antirassistischen Artikulationen dominant, die von der
bürgerlich-liberalen Strömung produziert und in den Interdiskurs eingeschleust
werden. Innerhalb dieser Strömung ist wiederum jene Richtung dominant,
die mit der Form der moralischen Appelle an die herrschende Ideologie der Humanität
operiert. Im Gegensatz zu diesem "moralischen Antirassismus" steht
ein politischer Antirassismus, der an ein anderes Versatzstück der herrschenden
Ideologie, nämlich die Demokratie, appelliert.
Ein Beispiel für die Strömung des moralischen Antirassismus bietet
die gegen die Plakate der FPÖ im Nationalratswahlkampf 1999 gerichtete
"Es reicht!"-Kampagne des evangelischen Flüchtlingsdienstes,
wo es hieß:
"ES REICHT! Im Wahlkampf wird neuerlich versucht, in Österreich gegen
Ausländerinnen und Ausländer Stimmung zu machen. Die Plakatkampagne
der FPÖ suggeriert, dass unseren Kindern durch Überfremdung und Asylmissbrauch
Gefahr droht. Wir protestieren dagegen, dass alle Ausländerinnen und Ausländer
pauschal diskriminiert und kriminalisiert werden. Niemand verlangt Straffreiheit
für Drogenhändler. Niemand verlangt schrankenlose Zuwanderung. Aber
wir wehren uns dagegen, dass Ausländerhass salonfähig wird. Wir wissen
uns darin eines Sinnes mit jenen vielen Österreicherinnen und Österreichern,
die über die schleichende Vergiftung des Klimas in unserem Land besorgt
und empört sind. ES REICHT! Ich unterstütze diesen Protest: (...)"
(Kursive Hervorhebung von uns).
Im Vergleich mit anderen Initiativen hat diese Kampagne gemessen an den in den
Wochen vor der Nationalratswahl gesammelten fast 10.000 Unterschriften in der
österreichischen Bevölkerung den größten Anklang gefunden.
Mit einem Spendenaufruf verbunden, wurden die Unterstützungsunterschriften
zum Teil in großen Inseraten in Tageszeitungen veröffentlicht.
Die Formulierung von derartigen Aufruftexten ist nicht selten auch innerhalb
der durchführenden Organisation umstritten. Meist resultiert ein solcher
Text aus einem mehrtägigen Aushandlungsprozess, der von dem Bemühen
der InitiatorInnen um größtmögliche Breitenwirkung getragen
ist. Bemerkenswert an diesem Aufruftext ist das Lavieren zwischen den Widersprüchen.
Einerseits wird gegen die Kriminalisierung protestiert. Andererseits kommt es
zur Distanzierung von einer imaginierten Forderung nach "Straffreiheit
für Drogenhändler"; wobei alle AdressatInnen genau wissen, wer
mit "Drogenhändler" gemeint ist. Hier wird ein Slogan der freiheitlichen
Partei aufgegriffen, die im Wahlkampf "Keine Gnade für Drogenhändler!"
plakatiert hat. (Auch die ÖVP hat das Sujet 'Drogen' für ihre Wahlwerbeplakate
genutzt). Der Angriff auf diesen Slogan konterkarriert sich jedoch insofern,
als die selbstverständliche Verknüpfung von Drogengeschäft und
schwarzer Hautfarbe implizit mitvollzogen wird. Im selben Atemzug mit der Kritik
an der Kriminalisierung wird die Kriminalität eines offenbar nicht unbedeutenden
Teils derjenigen, die eigentlich nicht kriminalisiert werden sollen, angenommen.
Der Aufruftext bleibt damit dem Kriminalisierungsdiskurs verhaftet.
Der Satz "Niemand verlangt Straffreiheit für Drogenhändler"
ist jedoch nicht einfach als Verhaftetheit der AutorInnen in Mainstreamdiskursen
abzutun. Vielmehr ist dieser Satz für eine moralisch-antirassistische Position
essentiell, denn durch ihn wird zwischen den guten braven "AusländerInnen"
und den bösen Kriminellen die Grenze gezogen. Die moralische Herangehensweise
steht und fällt mit dem Gegensatz von gut und böse. Dementsprechend
müssen die rassistisch Diskriminierten als die armen und reinen Opfer inszeniert
werden. Damit steht moralischer Antirassismus in politischen Auseinandersetzungen
auf schwachen Beinen, sobald die Reinheit bzw. die Unschuld des Opfers angezweifelt
oder angegriffen wird. So lag der Erfolg der Operation Spring im Frühjahr
1999 zu einem großen Teil darin, dass bedeutende Teile der bürgerlich-liberalen
antirassistischen Strömung sich von den als DrogendealerInnen diffamierten
AktivistInnen der black community distanzierten.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung im vorhergehenden
Satz, die wahrscheinlich nicht bewusst gewählt wurde, sondern schlicht
einen sprachlichen Lapsus darstellt: Der Protest richtet sich wörtlich
nicht gegen Diskriminierung und Kriminalisierung an sich, sondern nur gegen
die pauschale Diskriminierung und Kriminalisierung, so als ob Diskriminierung
und Kriminalsierung in Einzelfällen unproblematisch wären. Diese Formulierung
ist sicherlich ungewollt, jedoch symptomatisch. Sie entspricht dem Hauptanliegen
des Textes, das sich nur gegen die Salonfähigkeit des Rassismus und die
schleichende Vergiftung des Klimas wendet, die allein der FPÖ zugeschrieben
werden.
Moralischer Antirassismus bescheidet sich damit, Rassismus als böse zu
denunzieren. Moralischer Antirassismus wird nur abwehrend gegen die "Auswüchse"
aktiv. Er geht nicht über den Status Quo hinaus. Sein impliztes Interesse
ist dessen Erhaltung. Die tiefe Verwurzelung von Rassismus in der herrschenden
Gesellschaftsordnung wird dabei entweder ignoriert oder geleugnet. Einem Streben
nach tiefgreifenden Veränderungen wird stellvertretend durch den Satz "Niemand
verlangt schrankenlose Zuwanderung" entgegengetreten. Damit wird die Abgrenzung
von den "Radikalen", von der linken antirassistischen Strömung
vollzogen, die offene Grenzen bzw. "Bleiberecht für alle" fordert.
Indem die linke Strömung als "Niemand" überhaupt negiert
und damit als ignorierbare Größe in den politischen Auseinandersetzungen
dargestellt wird, gewinnt die Abgrenzung an Schärfe. Im Zusammenhang mit
einem Streben nach Veränderung ist auch der Satz "Niemand verlangt
Straffreiheit für Drogenhändler" zu sehen: Er verwirft implizit
auch die Forderung nach einer anderen Drogenpolitik und nach einem anderen (möglichst
entkriminalisierenden) Umgang der Gesellschaft mit Drogen.
Der moralische Antirassismus bildet eine Position innerhalb der Auseinandersetzungen
im Mainstream bzw. zwischen Gruppen, die das hegemoniale Arrangement nicht unwesentlich
mitbestimmen. Die Interessen der demgegenüber marginalisierten rassistisch
Diskriminierten werden tendenziell nur berücksichtigt, soferne sie nicht
mit den eigenen Privilegien in Widerspruch geraten. Dementsprechend ist im Kampagnentext
auch keine Rede von irgendwelchen politischen Forderungen, welche die gesellschaftliche
Stellung der rassistisch Diskriminierten eventuell verbessern könnten.
Auf den Umstand, dass die rassistisch Diskriminierten in die Position kommen,
für sich selbst zu sprechen, wird kein besonderes Augenmerk gerichtet;
eher im Gegenteil zeichnen sich manche Kampagnen durch die Selbstdarstellung
der prominenten UnterzeichnerInnen aus (vgl. auch Baringhorst 1998). Es resultiert
eine paternalistische Entmündigung, die den rassistisch Diskriminierten
die eigene politische Handlungsfähigkeit abspricht. Tendenziell kommen
rassistisch Diskriminierte in den Artikulationen des moralischen Antirassismus
nur in der Rolle von Opfern bzw. Betroffenen vor.
Demokratischer Antirassismus
Diverse andere Kampagnen aus dem bürgerlich-liberalen Spektrum bewegen
sich zwischen moralischen und politischen antirassistischen Positionen.
Als Reaktion auf das Nationalratswahlergebnis wurde von der "demokratischen
Offensive" am 12. November 1999 eine Großdemonstration organisiert.
Im Gegensatz zur Kampagne des Evangelischen Flüchtlingsdienstes wird im
Aufruf unter dem Titel "Keine Koalition mit dem Rassismus!" nicht
nur die FPÖ angesprochen:
"Das politische Establishment darf nicht nur ängstlich um den eigenen
Machterhalt besorgt bleiben – zu lange schon ging man opportunistisch
auf Haiders Forderungen ein."
Das politische Establishment wird nicht ganz aus der Verantwortung entlassen.
Allerdings wird diesem Establishment auch die Verantwortung nicht direkt zugeschrieben.
Vielmehr besagt die Formulierung, über die im Kreis der InitiatorInnen
mehr als eine Woche lang diskutiert wurde, dass es wiederum "Haiders Forderungen"
waren, auf die "man" (unbestimmt) "opportunistisch einging".
Diese Formulierung vermeidet nicht nur die explizite Nennung der Regierungsparteien.
Indem die Regierung seinen Forderungen gegenüber opportunistisch sein kann,
wird Haider auch eine überlegene Machtposition zugeschrieben. Durch diese
implizite Verkehrung der Realität wird die Regierung noch zusätzlich
zum dargestellten Motiv des eigenen Machterhalts von der Verantwortung entlastet.
Diese Formulierung entspricht dem gängigen Diskurs, wonach die Regierungsparteien
in Sachen Rassismus gleichsam Getriebene sind. An deren rassistischen Artikulationen
und an den entsprechenden Struktursetzungen ist im Grunde genommen die FPÖ
schuld. Der Machterhalt wird mit dem Eingehen auf Haiders Forderungen verbunden.
In dieser Logik stünde im Gegensatz zur ängstlichen Machterhaltung
eine mutige/riskante Politik, die den eigenen Machterhalt aufs Spiel setzt.
Rassismus wird zum wahlentscheidenden Faktor stilisiert. Die Regierung gibt
daher dem allein bei der FPÖ lokalisierten Rassismus nach, um Schlimmeres
– nämlich deren projezierte Machtübernahme - zu verhindern.
Solchermaßen resultiert geradezu ein Rassismus mit besten Absichten, der
sich unangreifbar macht. Dominant bleiben die beiden Gleichsetzungen des moralischen
Antirassismus: "Rassismus ist böse!" und "Rassismus ist
Haider!"
Im Wahlkampf wurde von den selben Organisationen, die nach der Wahl die "demokratische
Offensive" maßgeblich initiierten, im Rahmen von Plakataktionen eine
dritte Gleichsetzung kommuniziert: Schlögl ist Haider. Der Innenminister
wird mit dem F-Parteiobmann gezeigt und gleichgesetzt oder in eine Reihe gestellt.
vgl. dazu die beiden Plakataktionen von SOS-Mitmensch im Wahlkampf 1.) mit den
Köpfen von Haider, Schlögl, Prinzhorn und Lugner sowie dem Slogan
"Würden Sie diesen Herren ein Flüchtlingskind anvertrauen?"
und 2.) (ohne Bild) mit dem Slogan
"Haider hetzt, Schlögl folgt, Klima schweigt, Schüssel zagt.
Und Sie? Für ein zivilisiertes Österreich!"
Diese dritte Gleichsetzung eröffnet die Möglichkeit einer graduellen
Verschiebung der Mainstreamdiskurse über Rassismus. Durch die Einbeziehung
des Innenministers in die Konnotationskette rücken die rassistischen Verhältnisse
und Politiken der Regierungsparteien bzw. der herrschenden Mitte der effektiven
Thematisierbarkeit in einer breiteren Öffentlichkeit einen Schritt näher.
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass sich die zentrale Konnotationskette
nach wie vor auf der Ebene der Personalisierung und Moralisierung bewegt.
Einen bemerkenswerten Zwischenschritt versucht in diesem Zusammenhang die Plakatbeilage
der Zeitschrift der Grünen Bildungswerkstatt Planet Nr. 13/99: Das Plakat
zeigt ein Photo von Haider und Schlögl bei einem Bierfest, mit dem Aufruf
"Organisieren wir Runde Tische im ganzen Land". Unter dem Motto: "Streiten
für die Zukunft der Demokratie!" sowie dem Hand-Logo der demokratischen
Offensive wird direkt unter dem Photo, das die obere Hälfte des Plakats
füllt, eine Reihe von Fragen gestellt:
"Wem nützt diese Politik?
Wem zu nützen gibt sie vor?
Wozu fordert sie auf?
Welche Praxis entspricht ihr?
Welche Politik hat sie zur Folge?"
Wenn wir die Botschaft(en) des Plakats näher betrachten, wird zunächst
deutlich, dass das Photo gegenüber dem Text eindeutig die dominante Stellung
einnimmt. Die Gleichsetzung von Haider und Schlögl ist die zentrale Aussage
des Plakats. Allerdings erscheinen Haider und Schlögl auf dem Photo nicht
als Symbole des Bösen. Es wird nicht nur ihr Gesicht ohne weiteren Bezug
zu irgendeiner Tätigkeit gezeigt und damit auf ein einfaches Signal reduziert.
Vielmehr zeigt das Photo eine real-life-Situation. Haider und Schlögl stehend
in Trachtenanzug mit blauer Schürze darüber; in ihren Händen
halten sie hölzerne Hämmer, die offenbar zum Anstechen eines Bierfasses
dienen. An ihrem Gesichtsausdruck ist ablesbar, dass die Beiden ihren Spass
haben. Dass auf dem Photo auch andere Personen zu sehen sind, verstärkt
noch die "Menschlichkeit" des Photos. Durch den Bruch mit der Symbolik
des Bösen kann die Lächerlichkeit der Szenerie in den Vordergrund
treten.
Diese Verschiebung weg vom Moralischen eröffnet auch die Verbindung zum
Text unterhalb des Photos, wo es um Demokratie und Politik geht. Es wird an
den Wert der Demokratie als Versatzstück der herrschenden Ideologie appelliert.
Die Symbolisierung dieses Werts in bildlicher Form kommt jedoch nicht vor, was
auf einen generellen Mangel bezüglich eines verbreiteten Symbols für
Demokratie hindeutet (etwa in Form einer Pallas Athene vor dem Parlament). Die
Konnotationskette in Richtung Demokratie ist aufgrund der Dominanz des Photos
nicht so deutlich ausgeprägt. Oder anders gesagt: Die Textbotschaft kann
mit der Intensität des Photos nicht konkurrieren. Sie wird von der bildlichen
Darstellung in den Hintergrund gedrängt, in der per se keine gängige,
unmittelbar aus der diskursiven Erfahrung einleuchtende Symbolisierung der Textinhalte
vorkommt. Dementsprechend erfordert es gleichsam ein zweites Hinschauen, um
sich mit dem Text zusätzlich auseinanderzusetzen und ihn mit dem Photo
zusammenzudenken.
Das Plakat bezieht sich nur an einer Stelle direkt auf Rassismus: Das Handlogo
der demokratischen Offensive ist samt dem Slogan "Keine Koalition mit dem
Rassismus" rechts unter dem Photo klein aber gut sichtbar plaziert. Das
Plakat rückt den Gedanken der Demokratie in den Vordergrund, ohne in diesem
Zusammenhang auf die Warnung vor dem Rassismus zu verzichten. Entsprechend dieser
Ausrichtung kommen auch auf diesem Plakat der grünen Bildungswerkstatt,
das in die Reihe der bürgerlich-liberalen antirassistischen Strömung
gestellt werden kann, die spezifischeren Interessen der rassistisch Diskriminierten
nach gesellschaftlicher Gleichstellung nicht vor.
Das community campaigning der Selbstorganisationen funktioniert demgegenüber
signifikant anders.
Antirassismus oder einfach eine elementare Frage des Überlebens in Würde?
"Wurden sie schon mal mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert, wenn
ja, wie reagieren sie darauf?" Diese Frage wird mir als Schwarzer Frau
von weißen ÖsterreicherInnen oft gestellt; sie erstaunt mich trotzdem
immer wieder, denn sie ist für mich gleichbedeutend mit der Frage: Wurden
sie schon mit Sauerstoff konfrontiert, und wenn ja, wie reagieren sie darauf?
Sich als Schwarzer Mensch in einer rassistischen Umwelt zu behaupten, heißt
nichts weiter, als sich sein/ihr Leben zu erkämpfen - zu atmen. Durch die
unmittelbare Konfrontation mit Rassismus, der die eigene Existenz bedroht, inferiosiert
bzw. ihre Berechtigung in Frage stellt, kommt es zu einer wie auch immer gearteten
aufgezwungenen Auseinandersetzung, in der jeder einzelne Schwarze Mensch gezwungen
ist, seine eigenen individuellen Überlebensstrategien bzw. Antworten zu
finden. Es sind vielschichtige Prozesse, die hier auf dem Weg der Selbstbehauptung
ablaufen. Diese können von Internalisierung von Rassismus über Assimilation
bis zu politischer Selbstorganisation, Entwicklung von Überlebenskulturen
und sozialpolitischen Identitäten reichen. Rassismus stellt sehr oft nicht
nur einen direkten, sondern mehrnoch einen subtilen allgegenwärtigen Stressfaktor
insbesondere für Schwarze Menschen afrikanischer Herkunft dar (Ayim 1997,
111). Rassistische Übergriffe seitens der Exekutive sind bisweilen hierzulande
schon an die Öffentlichkeit gedrungen und lassen sich nicht mehr vollends
vertuschen. Doch sie stehen im Kontext einer eigenen Geschichte und Entwicklung
und einer langen Reihe von komplexeren, nicht so plakativen rassistischen Diskriminierungsmechanismen.
Diese Realitäten sind bislang nicht in eine breite Öffentlichkeit
vorgedrungen, eignen sich die vielschichtigen Prozesse, die ihnen zugrunde liegen,
doch nicht für eine sensations- und quotenhungrige Medienlandschaft. Aus
dem Blickfeld der Mehrheitsbevölkerung gedrängt, werden diese Realitäten
auf diesem Weg ghettoisiert. Im Gegensatz dazu wird Rassismus mit all seinen
Facetten als allgegenwärtige Realität in den alltäglichen Schwarzen
Überlebenskampf integriert.
Kampf impliziert Widerstand. Widerstand gegen Rassismus zu leisten bedeutet,
hier in Würde zu über/leben. Gleichzeitig setzt dieser Kampf Bewusstsein
voraus. Ein Bewusstsein, das über die Ausgangslage der Schwarzen Realität
und Erfahrung hinausgeht - dennoch aus ihr wächst – und Rassismus
mitsamt seinen Unterdrückungsmechanismen als solchen erkennt und danach
strebt, diesem auf den Grund zu gehen, um ihn zu bekämpfen. Demnach wird
diese Schwarze Perspektive nicht von allen Schwarzen Menschen eingenommen, sondern
umschließt in seiner Definition folgende Position: (...) those who acknowledge
the presence of racism and consider it a political issue which must be tackled
for the liberation of black people (...). (Dominelli u.a.1995, 4)
Selfempowerment durch Community Campaigning
"It is a long hard slog, mostly unrewarding, campaigning against injustices
associated with the State, particulary where the police is concerned. Many people
especially the Black community, do not enter these struggles lightly. It is
not with enthusiasm that we are drawn to such encounters, but with grim determination.
What sense does it make to disrupt your life by campaigning unless some sense
of comfort in that life has been interupted by a serious injustice, whether
against you, someone close to you, someone like you or simply someone you identify
with?"... Roach Family Support Committee 1989, 10)
In dieser Stelle aus dem vor mehr als 10 Jahren in London veröffentlichten
Bericht des Roach Familiy Support Commitee wird das essentielle Moment des community
campaigning so treffend festgehalten, dass sie auch zu einer anderen Zeit, an
einem anderen Ort zutrifft. Für die Black community in Wien war der 19.
März 1999 ein Tag des Aufbruchs: Unter dem Slogan: "Stoppt den rassistischen
Polizeiterror" fand an diesem Tag eine Demonstration statt, die in diesem
Kontext den Grundstein für community campaigning legte. Es war dies das
erste Mal in der österreichischen Geschichte, dass Schwarze kollektiv politisch
auftraten und die Stimmen zum Protest gegen die Missachtung ihrer Rechte in
diesem Land erhoben. In noch nie dagewesenem Ausmaß wurden an diesem Tag
Schwarze Menschen auf breiter Ebene mobilisiert, auf die Straße zu gehen.
In dem vom African Community Network verfassten Demobericht heißt es dazu:
"Die Demonstation hat uns gezeigt, was für ein Potenzial wir als Community
haben, was wir auf die Beine stellen können, wenn wir zusammenarbeiten
und wie essentiell unsere eigene Mobilisierung für den Kampf für unsere
Rechte in diesem Land auch in Zukunft sein wird. Die sollte erst der BEGINN
unseres gemeinsamen Campaignings als community sein ...". Weiters wurde
hier auch folgendes festgehalten: "... eindrucksvoll war auch, wie die
Afrikanischen Organisationen ihre Mitglieder für die Demo motivieren konnten
(...) die große Beteiligung der communities zeigt, dass die ernste Lage
von vielen empfunden wird ..." (Agbogbe 1999)
Der Demonstration war eine Vernetzung der zahlreichen nationalen und panafrikanischen
Vereine in Form des Netzwerks der Afrikanischen Communities vorangegangen, die
eine sehr breite und intensive Informations- und Mobilisierungskampagne in der
community ermöglichte. Insgesamt 17 Afrikanische Vereine schlossen sich
damals zu einem Bündnis zusammen, um gemeinsam Forderungen zu formulieren,
die Mobilisierungsarbeit und den Demonstrationsablauf als community gemeinsam
zu koordinieren.
Dieser politische Zusammenschluss basierte auf der Erkenntnis über gemeinsame
Erfahrungen mit rassistischer Unterdrückung jenseits der nationalen, kulturellen
und 'ethnischen' Vielfalt, des sozialen Status, des Geschlechts, des Alters
und der Religionzugehörigkeit sowie der Notwendigkeit eines gemeinsamen
Kampfes gegen diese Unterdrückung. Auf diesem Weg wurde die Basis für
die Entwicklung von gemeinsamen, politischen Überlebensstrategien als community
gelegt. Selfempowerment passiert hier sowohl auf individueller bzw. community-Ebene
als auch auf politischer Ebene durch die so geschaffene Möglichkeit der
Formulierung von politischen Forderungen und durch den Prozess des gemeinsamen
campaigning.
Die gezielte Bewusstseinsarbeit nimmt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle
ein, müssen doch Menschen in der community davon überzeugt werden,
dass dieser Protest trotz der damit verbundenen zusätzlichen Risiken und
Diskriminierungen eine wirksame und wichtige Überlebensstrategie ist. So
war diese gemeinsame Arbeit auch im Mobilisierungsprozess für den 19. März
ausschlaggebend. Mitunter anhand von Flugblättern wurde nicht nur über
Forderungen informiert, sondern durch das vor Augen führen von einer Reihe
von rassistischen Misshandlungen von Schwarzen Menschen durch die österreichische
Exekutive bewusstgemacht, dass es bisher gleichzeitig für diese Menschenrechtsverletzungen
"keine Bestrafung gab". Ziel war es, den Menschen in der community
nicht nur bewusst zu machen, dass sie ein Recht haben, mit Respekt behandelt
zu werden, sondern sie mehrnoch davon zu überzeugen, dass sie selbst für
dieses Recht kämpfen müssen, um hier in Würde leben zu können.
Eine weitere wichtige Komponente des community campaignings ist auch die Bewusstseinsarbeit
in der Mehrheitsbevölkerung, d.h. das im politischen Sinne 'Sichtbarmachen'
der Realität der rassistischen Diskriminierung für eine breitere Öffentlichkeit
und damit gegen die Ghettoisierung bzw. Verdrängung dieser Missachtungen
anzukämpfen.
In der englischen Übersetzung des Flugblattes des Netzwerkes der Afrikanischen
Communities für den 19. März 1999 hieß es abschließend:
"WHO IS GOING TO BE NEXT?"
Am 1. Mai 1999 starb der 25jährige Nigerianer Marcus Omofuma in Gewahrsam
dreier Polizisten, die ihn bei seiner Abschiebung begleiteten. Sein Tod wurde
offiziell auf bulgarischen Hoheotsgebiet festgestellt, wobei der Obuktionsbericht
ergab, dass Marcus Omofuma qualvoll erstickt war. Die Polizisten hatten dem
jungen Mann an seinen Sessel geknebelt und seinen Mund und Teile seiner Nase
zugeklebt, um die übrigen Fluggäste vor Lärmbelästigung
und Gewaltbereitschaft in Form von 'Beißen' zu schützen. In weiterer
Folge hatte man Marcus Omofumas Todeskampf als agressives Verhalten intepretiert
und nicht darauf reagiert.
Der Tod Marcus Omofumas, die Umstände, unter denen er starb, die Reaktionen,
die auf seinen Tod folgten bzw. nicht folgten - die gesamte Causa steht nicht
allein im Vakum der Einzelverantwortlichkeit, sondern führt die Realität
von Rassismus in Österreich in seiner gesamten Multi-Dimensionalität
drastisch vor Augen. Sein Tod steht im Kontext einer langen Reihe von unaufgeklärt
gebliebenen Vorfällen, in denen Schwarze Menschen in Polizeigewahrsam verletzt
wurden oder gestorben sind. Im Bewusstsein um die politische Verantwortung des
Innenministeriums organisierte das Netzwerk der Afrikanischen Communities am
5. Mai nur wenige Tage nach Bekanntwerdung seines Todes eine Mahnwache vor dem
Innenministerium. Diese wurde auch von anderen MigrantInnenorganisation, östereichischen
NGOs aber auch von Einzelpersonen unterstützt. Mit Blumen und Kerzen wurde
getrauert und wurden gleichzeitig die politschen Verantwortlichen angeklagt.
Es wurde Gerechtigkeit für Marcus Omofuma und damit für alle rassistisch
Diskriminiierten eingefordert. Im Laufe der am 8. Mai organisierten Demonstration
der Plattform Für eine Welt ohne Rassismus, an der auch das NAC (Network
der African Communities) maßgeblich beteiligt war, wurde bekannt, dass
das Innenministerium auf die Tötung Omofumas lediglich mit der Versetzung
der drei Polizisten zu reagieren gedachte. Kritische Stimmen häuften sich
und der Innenminister gab bekannt, dass nochmals entschieden würde. Vor
dem Büro der für diesen Entschluss verantwortlichen Disziplinarkommision
hielt das NAC draußen eine Protestaktion ab. Der zugeklebte Mund wurde
zum realen Symbol, das auch untermauerte, was auf den Transparenten vor dem
Innenministerium wie auch vor dem Büro der Disziplinarkommision zu lesen
war: unter dem Bild von Marcus Omofuma stand: "Rassismus tötet."
Aus der Verknüpfung jedes einzelnen Übergriffes mit der Reaktionslosigkeit
des Staates, also aus dem zweifachen Unrecht resultiert die konkrete Anklage,
die durch diese Verbindung den institutionellen Rassismus unterstreicht. Die
Forderung nach einer unabhängigen Untersuchungskommision, die mit der genauen
Untersuchung von Polizeiübergriffen betraut werden sollte, zeigt, dass
es auch in diesem Kontext des Community campaigning nicht allein die unmittelbare
Polizeigewalt ist, welche Anlaß zum Ergreifen der politischen Initiative
ist. Vielmehr entfacht sich der Protest an immer wieder erlebten Folgelosigkeiten
der Übergriffe, am Aussetzen der staatlichen Ausgleichs- und Friedenssicherungsmechanismen.
Der Protest richtet sich direkt gegen bestimmte VerantwortungsträgerInnen
in Regierung und Verwaltung. Die Forderungen nach Untersuchungskommision und
Antidiskriminierungsgesetzen sind Forderungen nach einer institutionellen Absicherung,
nach Einbau von antirassistischen Gegengewichten in das staatliche Gefüge.
Die unmittelbare, konkrete Bedrohung des eigenen Lebens durch Rassismus im Schwarzen
Kontext des Antirassismus bzw. des political campaigning against rascism unterstreicht
ihre Essentialität und damit die Dimension, die ihr zugrundeliegt, nämlich
die Dimension des political campaigning for life.
Die Kommission entschied sich an diesem Tag für die Suspendierung der drei
Polizisten. Das Parlament entschied in einer Sondersitzung unter Anwesenheit
des NAC und zahlreicher anderen AktivistInnen auf den Gallerien, die sich zum
Zeichen ihres Protestes den Mund verklebten. Ein weisungsgebunder Menschenrechtsbeirat
wurde eingerichtet, der eine afrikanische NGO zu seinen Ersatzmitgliedern zählt.
Der Prozess läuft, aber das Medieninteresse ist mittlerweile verschwunden.
Im folgenden Abschnitt werden die konkreten Reaktionen auf das community campaigning
in diesem Zusammenhang mitsamt seinen Hintergründen genauer erläutert.
Die Instrumentalisierung von (neo)rassistischen Realitäten als Reaktion
auf community campaigning
Gerade im Zusammenhang des community campaigning, d.h. der politischen Selbstorganisation
von Menschen die unmittelbar rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind und
sich gegen "statemalpractice" bzw. institutionalisierten Rassismus
wenden, werden in den staatlichen bzw. politischen Reaktionen auf diese Proteste
institutionalisierte Diskriminierungsmuster nicht nur deutlich, sondern noch
zusätzlich auf dem Weg der Diskreditierung des Protests zementiert.
In Bezug auf Schwarze Menschen afrikanischer Herkunft dient die Drogenproblematik
als Deckmantel, hinter dem sich die Ethnisierung der Drogenkriminalität
bzw. die rassistische Verschmelzung des Bildes eines Drogendealers mit dem eines
Schwarzen Mannes verbirgt. So erstrahlen die systematische Kriminalisierung
und die schwerwiegende Missachtung der Menschenrechte bzw. des Gleichheitsgrundsatzes
in Bezug auf Schwarze ÖsterreicherInnen im Glanze des Feldzuges gegen die
" organisierte Kriminalität". Die Ende 1998 in den Medien stolz
präsentierte Sonderkommission "Jambo" , deren Aufgabe nach eigenen
Angaben die Kontrolle von "Schwarzafrikanern" zwecks Bekämpfung
der Drogenkriminalität ist, macht diese Verschmelzung und den unreflektiert-unbekümmerten
Umgang der Verantwortlichen mit Rassismus deutlich.
Der Schwarze Drogendealer ist hier das perfekte Feinbild dieser Zeit. Es bietet
einfache Antworten auf komplexe soziale Fragen. In ihm ist nicht nur die Bedrohung
der 'weißen' Jugend und die von Recht und Ordnung verankert; dieses Feindbild
übernimmt darüber hinaus die Funktion eines Sündenbocks für
die gesamte gesellschaftliche Problematik der Drogenabhängigkeit und hier
ganz besonders für jene der Jugend. Auf diesem Weg bewahrt es vor unliebsamen
tiefgreifenden Auseinandersetzungen mit sozialpolitischen Fragen.
Die österreichische explizite neorassistische Übersetzung des sogenannten
klassischen, kolonial geprägten Rassismus hat sich erst im Laufe der letzten
Jahre abgezeichnet und scheint bislang in der Nationalratswahlkampagne 1999
ihren Höhepunkt erreicht zu haben . Sie markiert eine Entwicklung in der
Schwarzen österreichischen Geschichte, die von einer Instrumentalisierung
von Feindbildern in Bezug auf Menschen afrikanischer Herkunft geprägt ist.
Diese Feindbilder verschaffen sich bis heute als soziale Konstruktionen der
Realität mit der Inbesitznahme der 'österreichischen' Sprache Eingang
in unser Alltagsbewusstsein. So sind z.B. die Angst vor dem schwarzen Mann und
der schwarzen Köchin Grundlage für Fangspiele im Kindergarten und
werden damit Teil der Sozialisation. Sie überliefern eine uralte Weltordnung,
die das Universum in Gut/weiß und Böse/schwarz einteilt und in Form
einer Fülle von Redewendungen als Assoziationen verankert werden. Bemerkenswert
ist, dass auf diese polarisierten Schwarz/Weiß-Werte und Moralvorstellungen
bereits im Mittelalter zurückgegriffen werden konnte, noch bevor es zu
nennenswerten Kontakten mit Menschen afrikanischer Herkunft kam (Martin 1993,
16).
Im Laufe der Entwicklung veränderten sich auch die Feindbilder. So wurde
das Bild des schwarzen Teufels im Zeitalter der Aufklärung entmystifiziert,
um der pseudowissenschaftlichen Konstruktion der Minderwertigen, Primitiven
und Häßlichen, dem "Neger" als Gegenstück zu Entwicklung,
Ästhetik und missing link zwischen Tier und Mensch Platz zu machen. Dieses
vorhandene Bild wurde später vom Nationalsozialismus herangezogen, um durch
die Gleichsetzung des "Negers" mit Juden, Roma und Sinti ihrer Minderwertigkeit
und Abweichung vom Bild des Herrenmenschen drastischen Ausdruck zu verleihen
(Opitz 1992, 54). Es waren auch primär diese sogenannten "klassischen"
Rassismen, die noch in den 80er Jahren vorherrschten. Mittlerweile hat der Schwarze
Mann den "Aufstieg" vom primitiven "Buschneger" zum modernen
Drogendealer geschafft.
Auf der Basis der Instrumentalisierung dieser neorassistischen Bilder und Realitäten
funktioniert die Diskreditierung des Schwarzen Protests, braucht sie sich doch
nur der in der Mehrheitsgesellschaft allgegenwärtigen Konstruktion des
Drogendealers zu bedienen, um das political campaigning der Schwarzen community
glaubhaft zu kriminalisieren.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Kriminalisierung des community campaigning
im Rahmen der bisher größten Polizeiaktion der zweiten Republik,
der sogenannten 'Operation Spring' zu sehen, bei der es kaum 4 Wochen nach dem
Tod von Marcus Omofuma und nur wenige Tage vor den EU-Wahlen zum ersten Einsatz
des umstrittenen 'Großen Lauschangriffs' kam.
Der nigerianische Dichter und Schriftsteller Charles Ofoedu, der vorallem im
Rahmen der Protestaktionen der Schwarzen community rund um den Tod von Marcus
Omofuma an vorderster Front stand, wurde im Zuge dieser 'Operation' in den frühen
Morgenstunden des 27. Mai 1999 verhaftet. Sowohl Reporter von Österreichs
meistgelesener Tageszeitung 'Die Kronen Zeitung' als auch ein Kamerateam des
ORF waren zur Stelle, um die Verhaftung (die zur Hauptnachrichtenzeit ausgestrahlt
wurde) zu filmen, bzw. um die LeserInnenschaft mit Photos zu versorgen. Medial
wurde der Schwarze Kampf gegen Rassismus als wichtiger Bestandteil der ebenso
schwarzen Drogenkriminalität dargestellt. Im Zuge der Operation Spring
I wurden insgesamt über hundert AfrikanerInnen verhaftet und in einem gemeinsamen
Akt unter Anklage gestellt (wodurch es für die AnwältInnen zu Komplikationen
und Verzögerungen bei der Akteneinsicht kam).
Charles Ofoedu wurde der Öffentlichkeit als Boss eines international operierenden
nigerianischen Drogenrings präsentiert. In einer Pressekonferenz verkündeten
Innenminister Schlögl und der damalige Sicherheitsdirektor Sika, dass selbst
andere europäische Länder von diesem mittels Lauschangriff so erfolgreichen
Schlag gegen die organisierte Kriminalität profitieren würden. Zusätzlich
wurden weitere Repressionen gegen Schwarze bekannt, die politisch aktiv waren,
wie etwa der Entzug von Taxikonsessionen und verstärkte Polizeikontrollen
im öffentlichen Raum.
Charles Ofoedu wurde nach drei Monaten Untersuchungshaft auf Antrag der Staatsanwaltschaft
entlassen und auf freien Fuß gesetzt. Seine Entlassung und die Einstellung
des Verfahrens bezüglich des Vorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen
Organisation wurde zwar medial rezipiert. Die Operation Spring I stand jedoch
nach wie vor für wirksame Bekämpfung der Drogenkriminalität,
was die ebenso medial gut aufbereitete Operation Spring II nur einige Tage vor
den Nationalratswahlen 1999 zeigte, die sich gegen junge Schwarze Männer
afrikanischer Herkunft in einem Jugendheim im 10. Wiener Gemeindebezirk richtete.
Im Gegensatz zu Operation Spring I konnte die zweite Operation der den Innenminister
stellenden SPÖ zu keinem Wahlsieg mehr verhelfen. Trotzdem gilt Innenminister
Schlögl bei der Mehrheitsbevölkerung als einer der beliebtesten Innenminister
der zweiten Republik. Im Jänner 2000 fand die Operation Spring mit einer
Großrazzia im Flüchtlingslager Traiskirchen ihren dritten Höhepunkt.
Intellektueller Rassismus
Es sind aber nicht nur die exekutiven Maßnahmen, die das political campaigning
der communities erschweren bzw. behindern. Aus dem strukturellen Machtgefälle
zwischen den rassistisch Diskriminierten und nicht Diskriminierten und im Speziellen
zwischen Selbstorganisationen und jenen etablierten NGOs, die über staatliche
Förderungen oder aufgrund ihrer Medienpräsenz über sonstige Finanzierungsquellen
verfügen, resultiert oft eine Praxis, die als "intellektueller Rassismus"
(Grace M. Latigo) bezeichnet werden kann. Intellektueller Rassismus ist grundlegend
geprägt von der Ansicht, dass Rassismus ein Phänomen ist, das sich
auf ModernisierungsverliererInnen und den Gemeindebau beschränken läßt.
Rassismus wird von den Bessergestellten den schlechtergestellten Schichten der
Gesellschaft zugewiesen. Rassismus repräsentiert hier v.a. Primitivität
und Unreflektiertheit. Die resultierende Bestärkung der eigenen Überlegenheit
und Reinheit verträgt sich gut mit der Position des moralischen Antirassismus.
Der intellektuelle Rassismus konstruiert sein böses Außen in Form
von geistig eher minderbemittelten Menschen, die mit rassistischen Beschimpfungen
ihre Umwelt belasten und tendenziell auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.
Etwaige eigene Rassismen und deren Verankerung in den verschiedensten gesellschaftlichen
Strukturen werden nicht nur nicht thematisiert. Sie existieren in der Logik
des intellektuellen Rassismus gar nicht. Diese Spielart des Rassismus kommt
in den spezifischen Ausschließungen und paternalistischen Abwertungen
von Schwarzen Menschen/rassistisch Diskriminierten im Arbeitsfeld Antirassismus
häufig zum Tragen. Indem die Rassismen von sich gewiesen werden und keinerlei
Selbstreflexion stattfindet, lassen sich die in der Zusammenarbeit auftauchenden
Rassismen auch nicht aufarbeiten, was immer wieder zu Spaltungen in den Arbeitsverhältnissen
führt.
Ein wesentlicher Teil der Probleme der Zusammenarbeit zwischen rassistisch Diskriminierten
und nicht Diskriminierten läßt sich in folgendem Satz fassen. Effektives
antirassistisches Handeln kann rassistisch sein! Warum ist das so: Einerseits,
weil Rassismus ein multidimensionales Phänomen ist und daher Handlungen
in der einen Dimension in einer anderen Dimension andere Wirkungen entfalten
können. Und andererseits, weil beim Kampf gegen fremde Rassismen oft die
eigenen Rassismen übersehen werden. Dies zeigt zum Einen die Entwicklung
der österreichischen NGO-Szene insbesondere im Beratungsbereich.
Bewusstsein über Multi-Dimensionalität von Rassismus bedeutet, das
Zusammenwirken von strukturellen, individuellen und kulturellen Faktoren zu
erkennen. Dementsprechend sind bei den antirassistischen Bemühungen immer
alle Dimensionen mitzubedenken, um nicht kontraproduktiv zu arbeiten. Wer fremde
Rassismen bekämpft, ist nicht davor gefeit, die eigenen Rassismen zu übersehen.
Für die Arbeit der zahlreichen in fast ausschließlich weißen
österreichischen Kontexten arbeitenden NGOs im Kampf gegen Rassismus ist
die diskursive Aufarbeitung der speziell österreichischen Rassismen im
Sinne einer tiefgreifenden Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen
Rassismen Basis für konstruktive antirassistische Arbeit. Auf diesem Weg
können so manche patronalisierende Stellvertreterpositionen und -diskurse
bzw. Victimisierungen als solche erkannt und entlarvt werden. Dem steht jedoch
die moralische Perzeption von Rassismus entgegen. Die Kultur des Gut-Seins verhindert
das Erkennen der eigenen Rassismen. Diese bilden eine schwere moralische Last.
Ein entsprechender Vorwurf ist dementsprechend eine Furchtbarkeit, die oft nur
schwer zu akzeptieren ist. Des eigenen Rassismus kann sich mensch bei Ertappung
nur schämen, jedoch nicht ohne in einen verzweifelten Rechtfertigungsreflex
auszubrechen. Solchermaßen wird Rassismus verdrängt, statt aufgearbeitet.
Um Rassismus ernstnehmen zu können, um ihn nicht von uns weisen zu müssen,
muss ein nicht moralisch belasteter Umgang mit Rassismus entwickelt werden.
Rassismus muss in diesem Sinne rehabilitiert werden (Bukasa), um ihn auch mit
Witz und Charme und in aller Freundschaft anstatt nur mit Verbissenheit und
Feindschaft bekämpfen oder gar nur aus der Distanz mit dem Finger zeigen
zu können.
Antirassismus ist nicht: etwas für andere tun. Schwarze Menschen haben
viel beizutragen. Eine antirassistische Arbeitspraxis verlangt ein egalitäres
profesionelles Arbeitverhältnis. Nicht umsonst war die Einführung
von equality targets bei NGOs, die für sich in Anspruch nehmen, Antirassismusarbeit
zu leisten, eine der zentralen Forderungen von Selbstorganisationen bei ihrem
Eintritt in das hauptsächlich von Beratungsstellen und Flüchtlingsbetreuungseinrichtungen
gegründete Austrian Network Against Racism (ANAR). Auch auf den Entscheidungsebenen
sollen die rassistisch Diskriminierten vertreten sein, um die gewachsenen Strukturen
der "Stellvertreterpolitik" aufzubrechen.
Politische Conclusio
Der vorliegende Artikel versteht sich nicht nur als Analyse sondern selbst auch
als Teil des political campaigning against racism. Dementsprechend sollen in
diesem letzen Abschnitt noch weiterführende Überlegungen zum Antirassismus
zum Ausdruck gebracht werden.
Wichtige Ziele für die antirassistische Arbeit sind die Berücksichtigung
der Schwarzen Perspektiven, das Erkennen ihrer Bedeutung, sowie die Integration
von Antirassismus in die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Bis dato führt
Antirassismus ein marginalisiertes Dasein. Antirassismus wird insbesondere in
Institutionen durchwegs nur in Randbereichen und aufgrund von Eigeninitiative
praktiziert; z.B. im Schulbereich: Antirassistische Projekte von engagierten
LehrerInnen stehen unbearbeiteten rassistischen Inhalten in den Schulbüchern
gegenüber. Antirassismus soll nicht als eigener isolierter Bereich verstanden
werden, sondern sich auch politisch u.a. im Sinne von konkreten Maßnahmen,
Regelungen und Gesetzgebung begreifen und in den mainstream und auch in staatliche
Institutionen eindringen d.h. integrieren.
Dazu kommt die Notwendigkeit der verstärkten inhaltlichen Thematisierung
von Rassismus. Das Wissen um die rassistischen Realitäten ist ghettoisiert
und in den Mainstream noch nicht über die Einzel-Opferdarstellungen hinaus
eingedrungen. Demgegenüber wäre es erforderlich, zur Auseinandersetzung
mit rassistischen Realitäten anzuhalten bzw. eine solche Auseinandersetzung
durch entsprechende Konfrontationen herbeizuführen.
Die bis dato existierenden NGOs sind politisch noch zu schwach, um diese Ziele
in ausreichendem Umfang zur verwirklichen. Dementsprechend muss Antirassismus
in strategischer Hinsicht den Aufbau eines politischen Subjekts verfolgen, das
die unmittelbaren Lebensinteressen der rassistisch Diskriminierten gegenüber
der Mehrheitsbevölkerung vertritt und damit zum politischen Gegengewicht
gegen die rassistischen Strömungen wird. Dieses politische Subjekt findet
seinen Nukleus in den politischen Selbstorganisationen der rassistisch Diskriminierten.
Solange mit Rassismus politisch nichts verloren werden kann, wird diese Karte
immer wieder gespielt werden, selbst wenn sie schon so abgenützt ist, dass
nichts mehr gewonnen werden kann (siehe Vergleich von Operation Spring I wenige
Tage vor den EU-Wahlen im Juni und Operation Spring II wenige Tage vor den Nationalratswahlen).
Der Aufbau dieses politischen Subjekts ist jedoch nicht allein Sache der rassistisch
Diskriminierten. Vielmehr handelt es sich hier um ein demokratiepolitisches
Anliegen. Zur Durchsetzung dieses Anliegens ist es notwendig, dass rassistisch
Diskriminierte und nicht Diskriminierte zusammenarbeiten, weil sonst wiederum
die nationalstaatliche Spaltungslogik greift. Rassismus ist zuallererst eine
Angelegenheit jener, die von den rassistischen Strukturen tendenziell mit Vorteilen
bedacht werden. Rassistische Privilegien sollen und müssen gegen Rassismus
benutzt werden.
Darüberhinaus ist jedoch auch an einem neuen gesellschaftlichen Modell
als ideologischer Gegenentwurf zur neoliberalen Nationaldemokratie zu arbeiten.
Wenn wir erkennen, dass Rassismus unserem nationalstaatlich gegliederten kapitalistischen
Weltsystem inhärent ist, dann brauchen wir eine Diskussion über die
Ausgestaltung einer radikalen Demokratie, in der Rechte für alle Menschen
gleichermaßen nicht nur formell verankert, sondern auch in den realen
Machtverhältnissen entsprechend abgesichert sind. Die menschliche Qualität
eines politischen Systems bemisst sich an den in der Systemarchitektur verankerten
Balancen. Eine solche reale Gewaltenteilung dürfte sich nicht mit einer
(in Österreich nur äußerst schwach ausgeprägten) Entgegensetzung
der drei montesquieuschen Staatsgewalten bescheiden. Vielmehr müßte
eine moderne Demokratie allen Gruppen in der Gesellschaft einen Anteil an der
Macht zuweisen und ihre eigenen Balancen auch dynamisch produzieren. Es muss
zumindest gewährleistet sein, dass keine Gruppe (so wie heutzutage die
Illegalisierten) aufgrund des Ausschlusses vom System dem Zwang vollkommen ausgeliefert
ist – und zwar bis in den Tod; siehe Marcus Omofuma. Die Konzeption einer
neuen Systemarchitektur müßte sich dementsprechend von der Konzeption
des Nationalstaates lösen bzw. diesen aushöhlen und obsolet machen.
Es müßte auf Migrationsfreiheit und umfassenden Menschenrechtsstandards
aufbauen, die im Rahmen eines integralen Menschenrechtskonzepts (Bukasa) die
Kataloge aus der Zeit des kalten Krieges hinter sich lassen und insbesondere
auch auf die ökonomische Grundsicherung aller Menschen abzielen. Im Rahmen
einer realen Gewaltenteilung müßte die Verletzung von integralen
Menschenrechten auch gravierende Nachteile für die VerletzerInnen nach
sich ziehen, statt sich nur defensiv an der Wiederherstellung eines menschenrechtlichen
Mindeststandards abzuarbeiten.
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