Das Projekt des politischen Antirassismus
(aus malmoe 1/2003)
Rassismusbegriff, Prinzip der Illegalisierung
50 v. Rosa. Nach dem Zerfall von Sovjetkarthago bildet sich unter der militärischen
Vorherrschaft der Vereinigten Staaten von Rom ein weltumspannendes Imperium
heraus. Die ganze Welt ist vom Imperium durchdrungen. Diesmal wirklich die ganze
Welt! Es gibt kein unbesetztes gallisches Dorf, kein Außen. Krieg ist
unser Erfahrunggshorizont. Sein multikulturelles PolizistInnengesicht lacht
uns entgegen. Der Sicherheitsdiskurs mobilisiert die Gesellschaft, die es zu
verteidigen gilt, Tag und Nacht um die neuen Themen herum. Nichtsdestotrotz
gibt es auch Kontinuitäten. Die neuen "Barbaren", die MigrantInnen
stellen wie eh und je das letzte große Feindbild des Imperiums dar. Besonders
hervorgehoben wird die unversöhnliche Feindschaft des Imperiums gegen die
medienwirksam konstruierbaren Stämme "islamischer Terror" und
"schwarze Drogenmafia". Prinzipiell sind jedoch alle ethnokulturell
stigmatisierbaren MigrantInnen "illegal", d.h. suspekt und in unsicherem
Rechtsstatus.
Nachdem das Imperium kein Außen mehr hat, sind die MigrantInnen im Inneren
des Imperiums. Dementsprechend verschiebt sich auch die Relevanz der Grenzen:
Elektronische Überwachung insbesondere der Verkehrswege gemeinsam mit der
Erfassung und Vernetzung der Personaldaten ermöglicht die polizeiliche
Durchsetzung verschiedener Sektoren und Zonen im Inneren des Imperiums, in denen
MigrantInnen sich nur mit speziellen Passierscheinen und Bewilligungen bewegen
können. Nationalstaatliche Grenzen werden nur mehr an den Rändern
der wirtschaftlich markierten Großzonen überwacht. Die staatlichen
Gewaltapparate richten sich innerhalb eines zur Normalität gewordenen Ausnahmezustands
zunehmend auf Patrouillen und Kontrollen im Inneren. Damit werden die MigrantInnen
ein/ausgesperrt, sowohl in den Zentren als auch in den ökonomisch marginalisierten
Gebieten.
Während die ökonomische Wohlstandsmaschine in den Zentren auf der
einen Seite MigrantInnen ansaugt, werden die aufgegriffenen Passierscheinlosen
auf der anderen Seite wieder in Schubhaft gesteckt und abgeschoben. Die staatlichen
Gewalt- und Bewilligungsapparate haben an diesem Systemwiderspruch ständig
Arbeit. Sie verschieben Menschen. Dabei verdrängt das Prinzip der Illegalisierung
jenes der Menschenrechte. Recht auf Leben, Körperliche Unversehrtheit,
Persönliche Freiheit, Folterverbot, Recht auf Familienzusammenführung
u.a. gelten nur subsidiär für jene, die jahrelange behördliche
Schikanen und Prozesse durchstehen und finanzieren können.
Der hegemoniale Konsens lautet "Integration vor Neuzuzug". Ganz eindeutig
ist die hegemoniale Linie gegenüber jenen MigrantInnen, die unter den Tatbestand
"Neuzuzug" subsumiert werden. EU-weit sind Tendenzen zur Forcierung
von Abschottung und Illegalisierung erkennbar. Für diejenigen MigrantInnen
hingegen, die aufgrund eines länger bewilligten Aufenthalts staatlicherseits
zur Zielgruppe für "Integration" gezählt werden, mischen
sich unter diesem Motto unternehmensfreundliche und bürokratieabbauende
Maßnahmen (z.B. teilweise Harmonisierung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis
ab 2003) mit neuen Schikanen ("Integrationsvertrag"), die in letzter
Konsequenz auch jahrelange Prozesse der Sesshaftwerdung in Frage stellen. Was
"Integration" bedeutet und wie weit Erleichterungen im Bewilligungswesen
gehen sollen, ist innerhalb der hegemonialen Interessenfraktionen umstritten.
Die Erlangung der Staatsbürgerschaft schützt nicht nur nicht vor rassistischer
Diskriminierung. Laut Vorstellungen von Rechtsaußen soll die an MigrantInnen
verliehene Staatsbürgerschaft selbst entziehbar sein. In dieser Logik steht
auch das scheinbar absurde aber weit verbreitete Konstrukt des "Ausländers
mit österreichischer Staatsbürgerschaft", das insbesondere in
der Diskussion rund um den Zugang zum kommunalen Wohnbau eine Rolle spielt.
"Integration" passiert immer nur auf der Basis der prinzipellen Illegalisierung
der MigrantInnen.
*
Geschichte des politischen Antirassismus, Allianzenbildung
Ende der 1990er Jahre begann sich das Projekt des politischen Antirassismus
im österreichischen Staat zu entfalten. Was in einigen politisierten migrantischen
und teilweise auch linken Gruppen in zersplitterter Form bereits präsent
war, vor allem der Gedanke, dem herrschenden Rassismus auf eine andere Art als
moralisierend und individualisierend entgegenzutreten, gewann durch die Umbrüche
in der Szene insbesondere in Folge der Auseinandersetzungen um die Tötung
von Marcus Omofuma an diskursiver Präsenz. Ab dem Moment wurde klar, dass
es neben den betreuenden und beratenden Einrichtungen, den NGOs und den politischen
Parteien auch andere organisierte Menschen gibt, die in ihren Vorstellungen
der Emanzipation und der Bekämpfung des Rassismus viel weiter als die etablierten
FürsprecherInnen gehen.
Im Jahr 2000 entwickelte sich der politische Antirassismus im Rahmen des "Widerstands"
gegen die autoritärliberale Regierung zu einem wesentlichen inhaltlichen
Kristallisationspunkt. Im Richtungsstreit innerhalb der Protestbewegung gewann
er insbesondere für Teile der Kulturszene an Bedeutung. Viele noch vor
kurzem geschlossene Kreisläufe wirken seit dieser Zeit für die AktivistInnen
der antirassistischen Szene nicht mehr so geschlossen und abweisend.
Richtungsweisend für die Bestrebungen zur Allianzenbildung waren die Bemühungen
der Wahlpartie im Vorfeld der Nationalratswahlen am 24.11.2002, einen gemeinsamen
Forderungskatalog verschiedener politischer Felder und dort tätiger politischer
Subjekte zustande zu bringen. Entstanden ist ein noch unvollständiger,
mit drei Punkten am Ende zur Weiterentwicklung rufender Katalog, in dem weit
über den politischen Antirassismus hinaus Ungleichheit angegriffen wird.
Dieser Katalog stellt eine fundamentale Kritik an den hegemonialen Strukturen
dar, obwohl er die Vielfalt der gegenwärtigen gesellschaftlich systematischen
Diskriminierungen nur ansatzweise widerspiegeln kann.
*
Ablösung des moralischen Antirassismus
Der politische Antirassismus war stets bestrebt, den moralischen Antirassismus
zu verdrängen. Während der 1990er Jahre hat der moralische Antirassismus
eine hegemoniale Stellung in der Antirassismusdiskussion eingenommen. Der moralische
Antirassismus zeichnet sich dadurch aus, dass er
1. rassistisch Diskriminierte zu machtlosen Opfern stilisiert und damit das
HelferInnenunwesen legitimiert,
2. Rassismus individualisiert, EinzeltäterInnen zuschreibt und somit die
strukturellen Wurzeln des Rassismus negiert, sich über rassistische Artikulationen
empört, ohne am Prinzip der Illegalisierung zu rütteln und
3. Rassismus psychologisiert, d.h. als Krankheit abtut, als Anomalie statt als
Normalität begreift. Rassismus wird irgendwelchen eigentlich bedauernswerten
Geschöpfen ("ModernisierungsverliererInnen") zugeschrieben, deren
"Ängste" dann wiederum "ernst zu nehmen" sind, woraus
eine TäterInnen-Opfer-Umkehr resultiert. Sozialwissenschaftlich äußert
sich dieser in der Wiederentdeckung der Armen und Arbeitenden als gefährliche
Klasse. Nur diesmal sind sie nicht ein Hort der Kriminalität und Verwahrlosung
sondern eine Brutstätte des Rassismus. Das Erkennen der "eigenen"
Rassismen wird überhaupt verunmöglicht.
Unter dem Deckmantel dieses "antirassistischen" Diskurses ist die
Umstrukturierung der rassistischen Gesetzgebung in den 90er Jahren entlang der
programmatischen Vorgaben des FPÖ-Volksbegehrens "Österreich
zuerst" von der rotschwarzen Koalition durchgeführt worden. Mit dem
rezenten Niedergang der Haider-FPÖ ist dem moralischen Antirassismus der
kongeniale Widerpart abhanden gekommen. Aus Mangel an öffentlichkeitswirksamen
Konflikten verliert dieser Diskurs an Bedeutung. Dies äußert sich
z.B. darin, dass sich einige Betreuungs-NGOs unlängst erfolglos zu einem
Konsortium zusammengeschlossen haben, um die deutsche Firma Homecare bei der
Rückkehrberatung für MigrantInnen mit "Humanität" zu
überbieten. Die einen wollen die Menschen innerhalb einer Woche zur Rückkehr
überreden, die anderen wollen es "humaner" innerhalb von fünf
Wochen machen.
Ähnliches beobachten wir derzeit bei der Zerschlagung des Menschenrechtsbeirates.
Der moralische Antirassismus kann seine Legitimationsaufgabe aufgrund der Verbreitung
der politisch antirassistischen Diskurse nicht mehr ausreichend wahrnehmen,
daher werden den entsprechenden "nur noch lästigen" Organisationen
die Gelder gestrichen. Wenn es eine schwarzrote Koalition gibt, könnte
dieser Zerschlagungsprozess zwar verlangsamt aber nicht bleibend aufgehalten
werden.
*
Kritik an BetreuungsNGOs und Parteien, equality targets
Staatlich geförderte Integrationsarbeit durch NGOs besteht v.a. in der
Aufbereitung der Bewilligungen für Aufenthalt und Arbeit sowie in basaler
Einschulung für den Arbeitsmarkt (insb. Sprachkurse). Kein Wunder, dass
in den NGOs im Antirassismusbereich noch immer vorwiegend nicht rassistisch
diskriminierte Personen in den leitenden Positionen zu finden sind und in den
Teams rassistisch Diskriminierte generell die Minderheit darstellen.
Die Thematisierung dieser Realität war der große Skandal im Rahmen
der Gründungsgeschichte des Austrian Network Against Racism (ANAR) im Jahr
1999. Mit der Forderung nach equality targets haben die Selbstorganisationen
der MigrantInnen einen Fuß in die Tür der NGOs gestellt. 4 Jahre
später ist dieses Thema noch immer ein heißes Eisen und eines der
treibenden Konfliktmomente des politischen Antirassismus. Unter equality targets
versteht ANAR die selbstgegebenen Zielsetzungen zur Umverteilung von Ressourcen,
Positionen, Funktionen und Legitimationen von den nicht-diskriminierten hin
zu gesellschaftlich systematisch diskriminierten Gruppen. Equality targets beziehen
sich auf die alltäglichen kleinen ebenso wie auf die seltenen großen
Verteilungsentscheidungen im eigenen Einflussbereich (vom Kopierauftrag bis
zur Jobvergabe). Die Legitimationsfrage, einmal gestellt, entwickelt ihre eigene
Dynamik. Zuletzt hat ein Aufruf von Femigra Diskussionen entfacht, der von nicht
rassistisch Diskriminierten verlangt hat, auf ihre Arbeitsplätze im Bereich
der sogenannten "Integrationspolitik" zugunsten der MigrantInnen zu
verzichten.
Wie sehr solche Aufrufe im innersten Kern Selbstverständnis und Selbstrechtfertigung
der moralischen AntirassistInnen treffen, zeigt auch die zunehmende Nötigung
der Parteien, während der vergangenen Nationalratswahlen, MigrantInnen
auf die KandidatInnenlisten aufzunehmen - selbstverständlich und bis auf
eine einzige Ausnahme an absolut unwählbarer Stelle. Noch während
der Wiener Wahlen 2001 war die Zulassung der MigrantInnen in der Politik, unter
anderem auch als KandidatInnen der Parteien, eine wichtige Forderung der Wiener
Wahl Partie. Jetzt aber, wo das System sich durch die Aufstellung von MigrantInnen
zu legitimieren sucht, jetzt gilt es, die alte Forderung nach equality targets
dahingehend zu präzisieren, dass es um tatsächliche Beteiligung und
nicht um symbolische Alibiaktionen geht. (Apropos Beteiligung ist anzumerken,
dass der politische Antirassismus nicht vom Glauben an den Marsch durch die
Institutionen geprägt ist).
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Mainstreammedien
Dass die Mainstreammedien immer noch relativ prominent über moralisch-antirassistische
Auseinandersetzungen berichten, passiert wohl großteils aufgrund von jahrelang
eingespielten Beziehungen. Dagegen passiert die Thematisierung politisch antirassistischer
Konflikte im Mainstream einstweilen nur punktuell - meist über prominente
KünstlerInnen, womit sich das StellvertreterInnenproblem verlagert. Dies
liegt zum Einen daran, dass die Mainstreammedien selbst als Teil des hegemonialen
Arrangements tendenziell davor zurückschrecken, Themen aufzugreifen, die
das Arrangement in Frage stellen. Zum Anderen besteht seitens der undurchsichtig
netzwerkartig verbundenen Gruppen, die das organisatorische Rückgrat des
politischen Antirassismus bilden, eine ausgeprägte Verweigerungshaltung
gegenüber den Anforderungen einer "mediengerechten", d.h. hierarchischen
Repräsentation. Es lässt sich niemand dauerhaft zum/zur SprecherIn
aufbauen bzw. würden die Gruppen eine solche Positionierung schnell unterbinden.
Und auch inhaltlich ist die Verständigung schwierig, gilt es doch, das
bisher nicht Hörbare hörbar zu machen (vgl. Jacques Rancière:
Gibt es eine politische Philosophie?).
Dennoch beruhte der Aufbruch des politischen Antirassismus 1999 nicht zuletzt
auf einer diskursiven Fokussierungsleistung, die freilich abseits der Mainstreammedien
vollzogen wurde. Die Zusammenführung der linken und politisierten migrantischen
Zusammenhänge wurde zu diesem Zeitpunkt durch die Verbreitung des internet
möglich. Alternative Kommunikationskanäle und Medien werden für
die Verbreitung des politischen Antirassismus auch weiterhin eine entscheidende
Rolle spielen. Ein wesentliches Credo des politischen Antirassismus ist es,
dass Gegenmacht nicht via Dialog mit den hegemonialen Kräften aufgebaut
wird, sondern sich nur im Rahmen eines relativ selbständigen empowerment-Prozesses
entwickeln kann.
Zum empowerment gehört auch, dass der politische Antirassismus beginnt,
seine Wurzeln über die 1990er Jahre hinaus zurückzuverfolgen und zu
dokumentieren, um den eigenen Platz in der Geschichte der politischen Kämpfe
einzunehmen. Das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BUM)
hat es fertiggebracht, dass diese Aufgabe von BMWA und Europäischer Kommission
im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL gefördert wird. In den kommenden
2 Jahren soll ein virtuelles antirassistisches Archiv aufgebaut werden.
Trotz solcher Projekte wird der politische Antirassismus noch auf absehbare
Zeit ein diskursives Projekt mit losen Enden bleiben. Die Forderung nach offenen
Grenzen muss weiter differenziert werden: Für wen und was sollen Grenzen
offen sein bzw. neu gesetzt werden. Welche Rolle dabei noch das Gebilde des
Staates in seiner klassischen oder in einer neuen Konzeption spielen kann, steht
zur Debatte. Fest steht nur soviel: Das Recht auf Ausswandereung muss umgekehrt
werden zu einem Recht auf Niederlassung immer und überall.
Ljubomir Bratic
und Andreas Görg
Büro für ungewöhnlichen Maßnahmen (BUM)
* Das BUM (benannt nach einer Idee von Christian Neugebauer) ist eine Organisationseinheit
der Initiative Minderheiten im Rahmen der Entwicklungspartnerschaft "open
up", die von Peregrina - Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum für
Immigrantinnen koordiniert und von BMWA und ESF gefördert wird.