Visionen der Arbeitsmarktregulation
(Intputtext zur Podiumsdiskussion am Freitag, 17. Dezember 2004 im AK Bildungszentrum, 1040 Wien, Theresianumgasse 16-18)
Der folgende Text wurde als Input für eine Podiumsdiskussion zum Thema "Visionen der Arbeitsmarktregulation" von MitarbeiterInnen mehrerer EQUAL-Entwicklungspartnerschaften erarbeitet. Er wendet sich insbesondere an die strategischen Partnerorganisationen im Rahmen von EQUAL. In den vergangenen 2 Jahren haben AK, ÖGB, AMS, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung in der einen oder anderen Form unsere innovativen Pilot-Module begleitet. Nun stellt sich die Frage, was mit jenen erprobten Musterprojekten geschehen soll, die sich als good practice herauskristalisiert haben. Außerdem stellt sich die Frage, wie jene Barrieren, auf die wir im Zuge unserer Arbeit gestoßen sind, abgebaut werden können, was eine noch effektivere Umsetzung unserer Ziele ermöglichen würde. Es wurde sehr viel Geld für unsere Experimente ausgegeben. Nun stehen wir an dem Punkt, wo Nachhaltigkeit zu gewährleisten wäre, indem die Experimente in den Regelbetrieb übergeführt bzw. verschiedene Barrieren aus dem Weg geräumt werden. Wir stehen an dem Punkt, wo die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der ersten EQUAL-Runde einen Rahmen braucht, in dem Weiterentwicklung zu leisten wäre, die so in der zweiten EQUAL-Runde nicht vorgesehen ist. Gerade die strategischen Partnerorganisationen sind an diesem Punkt gefordert, wenn EQUAL einen Sinn haben soll.
Soziale Bewegungen und NGOs haben in der heutigen Situation die Rolle, Wissen
über das Armut und Ungleichheit produzierende Wirtschaftssystem aufzubauen
und zu verbreiten. Um nicht zu sozialen Beruhigungsmitteln zu werden, müssen
die NGOs das System delegitimieren und Gegenmacht aufbauen. So können sie
Allianzen zwischen unzufriedenen Drehpunktpersonen in verschiedensten sozialen
Positionen organisieren. Sie haben die Aufgabe, Alternativen zu entwerfen und
diese im eigenen Einflussbereich zu implementieren, damit sie erprobt werden
und Schule machen können.
Bei der Umsetzung der innovativen und experimentellen EQUAL-Module gab es Erfolge
und Misserfolge. Die Misserfolge lagen u.a. daran, dass alle Entwicklungspartnerschaften
auch an strukturelle Grenzen gestoßen sind. Die EPen haben im Vorfeld
dieser Veranstaltung Unterschiede und Gemeinsamkeiten festgestellt und sich
überlegt, wie Migration und die Zukunft der Arbeitsgesellschaft aussehen
könnte. In diesem Sinne wollen wir – aus einer antidiskriminatorischen
Perspektive - einerseits über Visionen, andererseits aber auch über
die konkreten Vorschläge diskutieren, die als good practice aus unserer
Arbeit resultieren.
(Wirtschaftssystem)
In unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist das Prinzip des survival
of the fittest allgemein verinnerlicht. Dieses Prinzip wird im Rahmen einer
wirtschaftlichen Situation, in der seit Jahren kein echtes Wachstum mehr existiert,
zum Motor der Armutsproduktion. Die Schere zwischen arm und reich geht auch
in Österreich weiter auf. In diesem System sind die Wirtschaftstreibenden
selbst gefangen. Sie müssen weiter systemkonform agieren, Kosten, Löhne
und Sozialausgaben drücken, weil sie sonst der Konkurrenz unterliegen und
von dieser geschluckt werden. Die Nationalstaaten inkl. der politischen Interessenvertretungen
büßen aufgrund der Transnationalisierung der Wirtschaft zunehmend
ihre Möglichkeiten der Wirtschaftslenkung ein. Aus Mangel an Mitteln und
politischem Willen können sie ihre Rolle der Systemstabilisierung und des
Krisenausgleichs via Transferzahlungen immer weniger wahrnehmen. Stattdessen
folgen sie der gemeinsamen Entscheidung, (Standort)Konkurrenz als prioritäre
wirtschaftliche Leitlinie umzusetzen.
(formeller/informeller Arbeitsmarkt)
Die 3 EQUAL-Entwicklungspartnerschaften, welche die heutige Veranstaltung konzipiert
haben, sind allesamt mit dem Thema Migration (bzw. dem Spezialfall Asyl) befasst.
Die strukturellen Diskriminierungen in diesem Bereich führen zu einer Zweiteilung
in einen offiziellen und einen inoffiziellen Arbeitsmarkt. Alle Menschen, die
offiziell nicht arbeiten dürfen, aber arbeiten müssen, um sich selbst
zu erhalten, werden in den inoffiziellen Arbeitsmarkt gedrängt, in dem
keinerlei Sozialstandards und keinerlei Gesundheitsstandards gewährleistet
sind und aus welchem dem Staat keine Steuern zufließen. Insbesondere MigrantInnen
und Frauen arbeiten ungemeldet am inoffiziellen Arbeitsmarkt unter extrem prekären
und ausbeutungssteigernden Bedingungen. Das geht einher mit Flexibilisierung
und Prekarisierung im offiziellen Arbeitsmarkt.
(Flucht Migration Kontrollgesellschaft)
Im Vergleich zu anderen Regionen ist die EU ein Luxus-Ort. Insbesondere in Österreich
ignoriert die Politik das Faktum der Einwanderung. Der Strom der Menschen, die
vor Armut, Ausbeutung und bewaffneten Konflikten anderswo u.a. in die EU flüchten,
reisst nicht ab, obwohl es in den wirtschaftliches Zentren selbst vielerorts
kein effektives Wachstum mehr gibt. Das rigide Grenzregime und die damit einhergehende
Verpolizeilichung der Gesellschaft erzeugen Leid bei den Menschen, die in die
Mühle der polizeilichen Behandlung geraten. Insgesamt erweist sich die
betriebene Grenzbefestigung im Inneren allerdings als sinnlose Sisyphus-Arbeit.
Die offiziellen Einwanderungsstatistiken sind immer weniger aussagefähig.
Die Zunahme allein der sichtbaren Minderheiten im öffentlichen Raum in
den letzten Jahren spricht dagegen eine deutliche Sprache. Solange Waren und
Dienstleistungen frei verkehren können, solange Regionen vom Tourismus
leben, solange ist davon auszugehen, dass auch Menschen Grenzen überschreiten.
Der formelle Arbeitsmarkt bleibt hingegen - wie bereits angesprochen - protektionistisch
geschlossen, was zu einem Ausweichen der Menschen in den inoffiziellen Arbeitsmarkt
und in der Folge zu einer Polarisierung der EinkommensbezieherInnen führt.
Auch von der Flexibilisierung und Prekarisierung am offiziellen Arbeitsmarkt
sind Migrantinnen stärker betroffen. Die Mittelschichten, die im Rahmen
der Zweiteilung des Arbeitsmarktes zum jetzigen Zeitpunkt noch privilegiert
sind, spüren die Gefahr des sozialen Abstiegs. Dementsprechend sind sie
bereit, eine Kontrolle und verinnerlichte Disziplinierung der Gesellschaft (permanente
Video-Überwachung, Grenzkontrolle, Schleierfahndung, Fingerabdrücke)
in Kauf zu nehmen bzw. verlangen als WählerInnen sogar nach solchen.
(Gefahr für Demokratie)
Damit wird unser demokratisches politisches System von 3 Seiten ausgehöhlt.
Erstens haben die demokratisch legitimierten nationalstaatlichen Organe immer
weniger Regelungskompetenz aufgrund der Transnationalisierung insb. der Ökonomie.
Zweitens wächst durch Migration jener Anteil der Bevölkerung, der
von der gesellschaftlichen Partizipation (Wahlrechte, Arbeitsrechte, usw.) ausgeschlossen
ist. In Österreich betrifft das allein auf Basis der inadäquaten offiziellen
Zahlen 10 % der dauerhaft niedergelassenen Bevölkerung. Und drittens wächst
die allgemeine Bereitschaft, unter dem Titel Sicherheit polizeistaatliche Methoden
zu verbreiten bzw. sich diesen zu unterwerfen oder sie gar zu fordern.
(Arbeitsgesellschaft)
Wir leben in einer der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht. Arbeitslos
zu sein bedeutet oftmals ein psychosoziales Desaster für die betroffene
Person. Ein neues Lebensbild, eine neue Sinnstiftung, die jenseits der ausschließlichen
Identitätsbildung und -findung via Erwerbsarbeit angesiedelt ist, wird
nicht mal gedanklich zugelassen. Stattdessen prolongieren wir nach wie vor das
Paradoxon des 'Arbeit -schaffens'. Es gibt keine Mentalität dazu, die Lebenszeit
mit sinnvolleren Tätigkeiten - wie Bildung, soziales Engagement, Politik
und Kultur also Gemeinsinn - zu füllen. Mit dieser Art der Freiheit vom
Arbeitszwang kann kaum jemand etwas Positives anfangen; wohl auch deshalb, weil
wir Freiheit (zur Gestaltung von Zeit) mit Freiheit zum Konsum verwechseln.
Ein totalisierender Arbeitsbegriff - verbunden mit dem Überleben an sich
- ist an ein ökonomisches System gebunden, das scheinbar keine Alternativen
zulässt. Politik als Gestaltungsmacht ist hier gefragt. Auch EU-Programme
könnten mit der sogenannten Arbeitslosigkeit anders umgehen, als nur an
ihrer Abschaffung zu arbeiten.
(Wirtschaftssystem und EQUAL)
Viele Menschen auch in Entscheidungspositionen sind mit unserem ökonomischen
System sehr unzufrieden. Eine Reform im Sinne einer Rückkehr zu den nationalstaatlich
verwalteten Nationalökonomien ist jedoch unmöglich. Es braucht neue
transnationale Lösungen und Regelungen, wie ein global gewordenes Wirtschaftssystem
so reguliert werden kann, dass es einer steigenden Anzahl von Menschen die Grundlage
für ein gelungenes Leben bietet. Gemessen an der Vision von EQUAL, Gleichstellung
am Arbeitsmarkt zu fördern, herrschen derzeit kontraproduktive Strukturen
(insbesondere Fremden-, Niederlassungs- und Ausländerbeschäftigungsrecht)
vor. Dementsprechend beschränkt ist die Reichweite der EQUAL-Vorhaben,
bzw. werden diese von den Strukturen konterkariert. Wenn sich an den strukturellen
Voraussetzungen nichts ändert, wird auch die Arbeit in EQUAL zur Sisyphus-Arbeit
ohne Chance auf breitere Nachhaltigkeit.
(Lösungsvorschläge/ Visionen)
Um tatsächlich gesellschaftliche Gleichstellung auf breiter Basis Wirklichkeit
werden zu lassen, müsste ein alternatives Wirtschaftssystem geschaffen
werden, das ev. auf einem Grundeinkommen für alle bzw. Arbeitszeitverkürzung
bei vollem Lohnausgleich aufbaut. Bezüglich Migration müsste ein tatsächlich
freier Personenverkehr geschaffen werden, das bedeutet Öffnung des formellen
Arbeitsmarktes, Recht auf Migration sowie gleiche Rechte für alle mit dauerhaftem
Aufenthalt. In einer Übergangszeit müsste es regelmäßige
Legalisierungsaktionen geben, damit der Zugang zu Bildungsangeboten auch für
diejenigen gewährleistet werden kann, die tatsächlich (im einstweilen
noch informellen Arbeitsmarkt) ökonomisch Fuß gefasst haben. Die
Investitionen, die jetzt in Richtung Sicherheitsstaat gehen, müssten in
Richtung Ausbildung von MigrantInnen und AsylwerberInnen umgewidmet werden.
(Überleitung)
Im Rahmen von EQUAL wurde v.a. die Entwicklung von alternativen Modellprojekten
gefördert, die mit gezielten Strategien eventuell auch unter den derzeitigen
Bedingungen bestimmte Erfolge in Richtung Gleichstellung erzielen können.
(Berufsberatung, Berufsorientierung)
In unseren Projekten war individuelle Berufsberatung ein zentraler Punkt. Dabei
wurde klar, dass Beratung in Bezug auf den Arbeitsmarkt äußerst vielschichtig
sein muss. Wie es im Rahmen von Berufsorientierungsmaßnahmen idealerweise
sein soll, ging es auch in unseren Projekten nicht nur darum mitzuteilen, was
möglich ist und was nicht, sondern vielmehr darum, gemeinsam mit den MigrantInnen
oder AsylwerberInnen herauszufinden, was diese bereits an Qualifikationen mitgebracht
haben und in Zukunft machen wollen. In vielen Fällen musste erst in muttersprachlicher
Beratung das Selbstvertrauen gestärkt werden, damit eine berufliche Perspektive
erarbeitet werden konnte. Es wurden Kompetenzprofile und Bildungsfahrpläne
erstellt, die ProjektteilnehmerInnen wurden ermutigt, an weiterführenden
Kursen teilzunehmen, Bildungsabschlüsse nachzuholen, Volontariate zu absolvieren,
oder sich auf offene Stellen zu bewerben. Die TeilnehmerInnen wurden damit ermächtigt,
selbst ihre berufliche Laufbahn in Österreich in die Hand zu nehmen. Eine
Entwicklungspartnerschaft hat beispielsweise aus den Erfahrungen ein Beratungshandbuch
erstellt, das sie auch anderen Einrichtungen zur Verfügung stellen wird.
Schließlich ist damit auch die Notwendigkeit von Schulungsmaßnahmen
für BeraterInnen, sowie auch andere Berufsgruppen (BeamtInnen), die im
Rahmen ihrer Arbeit MigrantInnen und AsylwerberInnen beraten, gegeben. Es muss
auch für die Zukunft (d.h. nach Ablauf dieser beispielhaften Projekte)
gesichert sein, dass Bildungs- und Berufsberatung für alle MigrantInnen
und AsylwerberInnen finanziert wird, die sowohl psycho-soziale als auch rechtliche
Belange berücksichtigt, und am besten muttersprachlich durchgeführt
wird.
Das Weiterführen von mit Erhebungen verkoppelten Beratungsdienstleistungen
im Regelbetrieb könnte dazu beitragen,
-- die großen Informationsdefizite insbesondere bei den älteren MigrantInnen
zu beheben,
-- in akuten Situationen gleich vermitteln zu können und so eine mögliche
Verschlechterung zu verhindern,
-- in der Bevölkerung bekannte Informationen und Kontaktmöglichkeiten
besser zu verbreiten,
-- den Beratungsbedarf besser zu erheben, um so Entwicklungen verfolgen und
rechtzeitig auf Defizite reagieren zu können.
Teilweise wurde neben herkömmlichen Inhalten der Berufsorientierung auch
der Schwerpunkt politische Orientierung für arbeitssuchende Migrantinnen
bei der Konzeptionalisierung eines Curriculums berücksichtigt, um den Migrantinnen
eine kritische Auseinandersetzung mit Entwicklungen im Bereich Arbeitsmarkt
zu ermöglichen. Dadurch wird eine differenzierte Position als arbeitssuchende
Migrantin gefördert, d.h. die Aufforderungen nach Anpassung und Aktivierung
werden kritisch hinterfragt und Strategien zur Veränderung von herrschenden
diskriminierenden Strukturen werden gemeinsam mit den beteiligten Migrantinnen
entwickelt.
(Bildung)
Die KursteilnehmerInnen artikulieren die Nachfrage nach mehr sowohl didaktisch
als auch ökonomisch betrachtet geschlechts- und migrantInnensensiblen Bildungsangeboten.
Bei der Auswahl der Bildungsmaßnahmen ist möglichst individuell auf
die unterschiedlichen Vorkenntnisse und Bedürfnisse einzugehen. Ausbildung
dient in erster Linie der individuellen Existenzsicherung. Allerdings ist es
von zentraler Bedeutung, dass darüber hinausgehend eine Ermutigung zur
Teilnahme am politischen Geschehen in die Bildungsmaßnahmen einfließt.
Die Förderung der Selbstorganisation sollte in den Bildungsmaßnahmen
aktiv betrieben werden. Es soll zum Aufbau von Interessensgemeinschaften angeregt
werden, um nicht auf der individualisierenden Ebene stecken zu bleiben. Es sollen
daher im Rahmen von Bildungsmaßnahmen Informationen über Möglichkeiten
der politischen Mitgestaltung vermittelt werden, mit dem Ziel, dass sich MigrantInnen
ermächtigen können, ihre Forderungen zu artikulieren und durchzusetzen
bzw. eigene Räume selbstbestimmt zu gestalten.
Gerade MigrantInnen wissen oft gar nicht, was ihre Rechte sind, was politisch
möglich ist und was auch abseits der nicht gewährten Wahlrechte möglich
wäre. Dafür muss Raum während der Bildungsmaßnahmen und
danach geschaffen werden. Wir wünschen uns daher die Finanzierung von adäquaten
Bildungsmaßnahmen wie sie im Rahmen von EQUAL erprobt worden sind bzw.
die Finanzierung einer Umgestaltung der bestehenden Maßnahmen. Bildung
soll möglichst modular und flexibel aufgebaut werden. Das Thema Interkulturalität
– im Sinne von interkultureller Öffnung und Gleichstellung in Betrieben
und Institutionen - in der bestehenden Gesellschaft soll ebenso wie die Möglichkeiten
der Mitgestaltung querschnittsartig in allen Bereichen behandelt werden.
Bestehende, mitgebrachte Bildungsabschlüsse sind eine wertvolle Ressource
und daher soll ein Nachholen von Inhalten für das Erreichen hiesiger Standards
und/ oder Anerkennungs- bzw. Nostrifizierungsverfahren erleichtert werden. Hier
wäre eine einheitlichere, transparente und entbürokratisierte Vorgehensweise
gefordert, z.B. über die Definierung von Standards und die Beiziehung von
staatlich anerkannten ExpertInnen aus den Herkunftsländern. Firmen müssen
dazu motiviert werden, mitgebrachte Bildungsabschlüsse und Kompetenzen
für entsprechende Stellenbeschreibungen anzuerkennen. Die neueste Diskriminierung,
nach der laut Universitätsgesetz seit 01.01.2004 die Führung mitgebrachter
(außerhalb von EU, EU-Beitrittskandidatenländern, EWR und Schweiz
verliehener) akademischer Titel auf offiziellen Dokumenten und Urkunden nicht
mehr gestattet wird, bedeutet de facto die Institutionalisierung der Delegitimation
des kulturellen und beruflichen Kapitals vieler MigrantInnen und ist deshalb
rückgängig zu machen.
(Selbstorganisation)
Von zentraler Relevanz für den Erfolg der EQUAL-Arbeit waren nicht zuletzt
die ersten Ansätze der Kooperation mit Selbstsorganisationen von diskriminierten
Gruppen bzw. deren Formierung aus dem Projektzusammenhang heraus. Selbstorganisationen
sorgen für eine effektivere Multiplikation des erarbeiteten Wissens. Sie
sorgen auch für einen Abbau von Bevormundung und Paternalismen in der sozialen
Arbeit.
(Organisationsentwicklung / Rechtsentwicklung)
Im Rahmen von EQUAL waren in vielen Organisationen neue Stellen zu vergeben.
Im Sinne von antidiskriminatorischer Wirksamkeit und Nachhaltigkeit wird es
auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein, diese Arbeitsplätze in Projekten,
die MigrantInnen und AsylwerberInnen zugute kommen sollen, mit MigrantInnen
und AsylwerberInnen zu besetzen. Darüber hinaus wurde eine antidiskriminatorische
Betriebsvereinbarung entwickelt, die durch innovative Ansätze auch auf
die Rechtsentwicklung im Antidiskriminierungsbereich Einfluss nehmen soll. Ansätze
wie jener der informellen Nostrifikationen sollten von allen an EQUAL beteiligten
Organisation aufgegriffen werden.
(wissenschaftliche Studien)
Es gibt so gut wie keine von MigrantInnen auf breiter Basis gemachten wissenschaftlich
verarbeiteten Aussagen. Aufgrund methodologischer Unzulänglichkeiten in
der Migrationsforschung sind Daten oft vom Bias des Außenblicks gefärbt.
Zudem erklären sich Lücken in der Datenerfassung wohl so, dass MigrantInnen
anscheinend nicht als soziale, kulturelle und politische AkteurInnen wahrgenommen
werden – was jedoch zur Folge hat, dass vorhandene Erhebungen nur ein
unvollständiges einseitiges Bild zeigen können. Eine Verkoppelung
von Befragungs- und Beratungstätigkeit in Form von Hausbesuchen hat sich
insbesondere zum Erreichen älterer Menschen sehr bewährt. MigrantInnen
können hier als ForscherInnen und ExpertInnen mit muttersprachlicher Kompetenz
zum Einsatz kommen. Gleichzeitig kann hiermit dem diagnostizierten Mangel an
empirischen Dokumentationen und Studien bzgl. der Perspektiven dieser Bevölkerungsgruppen
entgegengewirkt werden.
(Selbstevaluierung)
Methodische und grundsätzliche Bedenken sprechen auch gegen den Einsatz
von Fremdevaluierungen in der Arbeit gegen Diskriminierungen. Stattdessen soll
eine antidiskriminatorisch konzipierte Selbstevaluierung, die den laufenden
Projektprozess unterstützt, Vorrang haben vor einer externen Fremdevaluierung,
die zusammenfassend am Ende Erfolg oder Misserfolg feststellt. Wenn schon Fremdevaluierung,
dann soll diese der Selbstevaluierung zuarbeiten und deren Prozess unterstützen.
(Öffentlichkeitsarbeit)
Ebenfalls sehr positiv ausgewirkt hat sich die Finanzierung von begleitender
ebenso wie grundsätzlicher und auch eigenständiger Öffentlichkeitsarbeit
gegen Rassismus im Rahmen von EQUAL.
(Conclusio)
Abgesehen von diesen Detailforderungen, die auf eine Verbesserung der Projektpraxis
bzw. auf eine Übernahme in den Regelbetrieb von Institutionen abzielen,
fordern wir eine gesetzliche und de facto Gleichstellung aller Menschen, die
in Österreich und der EU leben, speziell in Bezug auf den Arbeitsmarkt.
Wir stellen somit das Ausländerbeschäftigungsgesetz grundsätzlich
in Frage. Insbesondere der im Ausländerbeschäftigungsgesetz fixierte
Grundsatz, nach dem österreichischen StaatsbürgerInnen grundsätzlich
Vorrang am Arbeitsmarkt einzuräumen sei, ist im Sinne von Antidiskriminierungs-Bekenntnissen
im NAP 2003 sowie im Sinne des EQUAL–Grundsatzes der Chancengleichheit
zu streichen. Wir fordern eine echte (!) Öffnung des formellen Arbeitsmarktes
auch für AsylwerberInnen samt einer eigenständigen Niederlassungsmöglichkeit
auch für Angehörige im Familiennachzug. Im Bereich Asyl muss der Durchführungserlass
zum EU Erweiterungs-Anpassungsgesetz zurückgenommen werden!* Politische
EntscheidungsträgerInnen sind aufgefordert, für die Nachhaltigkeit
der Ergebnisse von EQUAL zu sorgen. Das geht wohl nur, wenn es auch eine Bereitschaft
zu strukturellen Veränderungen gibt. In diesem Sinne hoffen wir auf eine
kreativ-kontroversielle Diskussion.
An diesem Text mitgearbeitet haben insbesondere
Andreas Görg (Initiative Minderheiten)
Barbara Götsch (Diakonie - Flüchtlingsdienst)
Birge Krondorfer (Frauenhetz)
Rubia Salgado (MAIZ)
u.v.a.
Besonderer Dank für feedback und kritische Anmerkungen geht an
Eveline Wollner
Cécile Huber (Universität Graz)
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* Die Öffnung des Arbeitsmarktes wurde ja theoretisch mit dem EU Erweiterungs-Anpassungsgesetz,
seit 1. Mai 2004, rechtlich möglich gemacht. Das Gesetz sieht nämlich
für § 19 AsylwerberInnen die Möglichkeit der unselbständigen
Erwerbstätigkeit nach 3 Monaten Aufenthalt in Österreich vor. De facto
ist es aber so, dass das durch einen Durchführungserlass des BMWA, und
die Praxis des AMS, verhindert wird. Die Beschäftigung von AsylwerberInnen
ist nach wie vor nur mit Beschäftigungsbewilligung, und höchstens
im Rahmen von Kontingenten (gemäß §5 AuslBG im Bereich Saisonarbeit
und Erntehilfe) möglich. Das ist aus unserer Sicht unmenschlich, nicht
gesetzeskonform und unwirtschaftlich!