Visionen der Arbeitsmarktregulation

(Intputtext zur Podiumsdiskussion am Freitag, 17. Dezember 2004 im AK Bildungszentrum, 1040 Wien, Theresianumgasse 16-18)

Der folgende Text wurde als Input für eine Podiumsdiskussion zum Thema "Visionen der Arbeitsmarktregulation" von MitarbeiterInnen mehrerer EQUAL-Entwicklungspartnerschaften erarbeitet. Er wendet sich insbesondere an die strategischen Partnerorganisationen im Rahmen von EQUAL. In den vergangenen 2 Jahren haben AK, ÖGB, AMS, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung in der einen oder anderen Form unsere innovativen Pilot-Module begleitet. Nun stellt sich die Frage, was mit jenen erprobten Musterprojekten geschehen soll, die sich als good practice herauskristalisiert haben. Außerdem stellt sich die Frage, wie jene Barrieren, auf die wir im Zuge unserer Arbeit gestoßen sind, abgebaut werden können, was eine noch effektivere Umsetzung unserer Ziele ermöglichen würde. Es wurde sehr viel Geld für unsere Experimente ausgegeben. Nun stehen wir an dem Punkt, wo Nachhaltigkeit zu gewährleisten wäre, indem die Experimente in den Regelbetrieb übergeführt bzw. verschiedene Barrieren aus dem Weg geräumt werden. Wir stehen an dem Punkt, wo die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der ersten EQUAL-Runde einen Rahmen braucht, in dem Weiterentwicklung zu leisten wäre, die so in der zweiten EQUAL-Runde nicht vorgesehen ist. Gerade die strategischen Partnerorganisationen sind an diesem Punkt gefordert, wenn EQUAL einen Sinn haben soll.


Soziale Bewegungen und NGOs haben in der heutigen Situation die Rolle, Wissen über das Armut und Ungleichheit produzierende Wirtschaftssystem aufzubauen und zu verbreiten. Um nicht zu sozialen Beruhigungsmitteln zu werden, müssen die NGOs das System delegitimieren und Gegenmacht aufbauen. So können sie Allianzen zwischen unzufriedenen Drehpunktpersonen in verschiedensten sozialen Positionen organisieren. Sie haben die Aufgabe, Alternativen zu entwerfen und diese im eigenen Einflussbereich zu implementieren, damit sie erprobt werden und Schule machen können.


Bei der Umsetzung der innovativen und experimentellen EQUAL-Module gab es Erfolge und Misserfolge. Die Misserfolge lagen u.a. daran, dass alle Entwicklungspartnerschaften auch an strukturelle Grenzen gestoßen sind. Die EPen haben im Vorfeld dieser Veranstaltung Unterschiede und Gemeinsamkeiten festgestellt und sich überlegt, wie Migration und die Zukunft der Arbeitsgesellschaft aussehen könnte. In diesem Sinne wollen wir – aus einer antidiskriminatorischen Perspektive - einerseits über Visionen, andererseits aber auch über die konkreten Vorschläge diskutieren, die als good practice aus unserer Arbeit resultieren.


(Wirtschaftssystem)
In unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist das Prinzip des survival of the fittest allgemein verinnerlicht. Dieses Prinzip wird im Rahmen einer wirtschaftlichen Situation, in der seit Jahren kein echtes Wachstum mehr existiert, zum Motor der Armutsproduktion. Die Schere zwischen arm und reich geht auch in Österreich weiter auf. In diesem System sind die Wirtschaftstreibenden selbst gefangen. Sie müssen weiter systemkonform agieren, Kosten, Löhne und Sozialausgaben drücken, weil sie sonst der Konkurrenz unterliegen und von dieser geschluckt werden. Die Nationalstaaten inkl. der politischen Interessenvertretungen büßen aufgrund der Transnationalisierung der Wirtschaft zunehmend ihre Möglichkeiten der Wirtschaftslenkung ein. Aus Mangel an Mitteln und politischem Willen können sie ihre Rolle der Systemstabilisierung und des Krisenausgleichs via Transferzahlungen immer weniger wahrnehmen. Stattdessen folgen sie der gemeinsamen Entscheidung, (Standort)Konkurrenz als prioritäre wirtschaftliche Leitlinie umzusetzen.


(formeller/informeller Arbeitsmarkt)
Die 3 EQUAL-Entwicklungspartnerschaften, welche die heutige Veranstaltung konzipiert haben, sind allesamt mit dem Thema Migration (bzw. dem Spezialfall Asyl) befasst. Die strukturellen Diskriminierungen in diesem Bereich führen zu einer Zweiteilung in einen offiziellen und einen inoffiziellen Arbeitsmarkt. Alle Menschen, die offiziell nicht arbeiten dürfen, aber arbeiten müssen, um sich selbst zu erhalten, werden in den inoffiziellen Arbeitsmarkt gedrängt, in dem keinerlei Sozialstandards und keinerlei Gesundheitsstandards gewährleistet sind und aus welchem dem Staat keine Steuern zufließen. Insbesondere MigrantInnen und Frauen arbeiten ungemeldet am inoffiziellen Arbeitsmarkt unter extrem prekären und ausbeutungssteigernden Bedingungen. Das geht einher mit Flexibilisierung und Prekarisierung im offiziellen Arbeitsmarkt.


(Flucht Migration Kontrollgesellschaft)
Im Vergleich zu anderen Regionen ist die EU ein Luxus-Ort. Insbesondere in Österreich ignoriert die Politik das Faktum der Einwanderung. Der Strom der Menschen, die vor Armut, Ausbeutung und bewaffneten Konflikten anderswo u.a. in die EU flüchten, reisst nicht ab, obwohl es in den wirtschaftliches Zentren selbst vielerorts kein effektives Wachstum mehr gibt. Das rigide Grenzregime und die damit einhergehende Verpolizeilichung der Gesellschaft erzeugen Leid bei den Menschen, die in die Mühle der polizeilichen Behandlung geraten. Insgesamt erweist sich die betriebene Grenzbefestigung im Inneren allerdings als sinnlose Sisyphus-Arbeit. Die offiziellen Einwanderungsstatistiken sind immer weniger aussagefähig. Die Zunahme allein der sichtbaren Minderheiten im öffentlichen Raum in den letzten Jahren spricht dagegen eine deutliche Sprache. Solange Waren und Dienstleistungen frei verkehren können, solange Regionen vom Tourismus leben, solange ist davon auszugehen, dass auch Menschen Grenzen überschreiten. Der formelle Arbeitsmarkt bleibt hingegen - wie bereits angesprochen - protektionistisch geschlossen, was zu einem Ausweichen der Menschen in den inoffiziellen Arbeitsmarkt und in der Folge zu einer Polarisierung der EinkommensbezieherInnen führt. Auch von der Flexibilisierung und Prekarisierung am offiziellen Arbeitsmarkt sind Migrantinnen stärker betroffen. Die Mittelschichten, die im Rahmen der Zweiteilung des Arbeitsmarktes zum jetzigen Zeitpunkt noch privilegiert sind, spüren die Gefahr des sozialen Abstiegs. Dementsprechend sind sie bereit, eine Kontrolle und verinnerlichte Disziplinierung der Gesellschaft (permanente Video-Überwachung, Grenzkontrolle, Schleierfahndung, Fingerabdrücke) in Kauf zu nehmen bzw. verlangen als WählerInnen sogar nach solchen.


(Gefahr für Demokratie)
Damit wird unser demokratisches politisches System von 3 Seiten ausgehöhlt. Erstens haben die demokratisch legitimierten nationalstaatlichen Organe immer weniger Regelungskompetenz aufgrund der Transnationalisierung insb. der Ökonomie. Zweitens wächst durch Migration jener Anteil der Bevölkerung, der von der gesellschaftlichen Partizipation (Wahlrechte, Arbeitsrechte, usw.) ausgeschlossen ist. In Österreich betrifft das allein auf Basis der inadäquaten offiziellen Zahlen 10 % der dauerhaft niedergelassenen Bevölkerung. Und drittens wächst die allgemeine Bereitschaft, unter dem Titel Sicherheit polizeistaatliche Methoden zu verbreiten bzw. sich diesen zu unterwerfen oder sie gar zu fordern.


(Arbeitsgesellschaft)
Wir leben in einer der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht. Arbeitslos zu sein bedeutet oftmals ein psychosoziales Desaster für die betroffene Person. Ein neues Lebensbild, eine neue Sinnstiftung, die jenseits der ausschließlichen Identitätsbildung und -findung via Erwerbsarbeit angesiedelt ist, wird nicht mal gedanklich zugelassen. Stattdessen prolongieren wir nach wie vor das Paradoxon des 'Arbeit -schaffens'. Es gibt keine Mentalität dazu, die Lebenszeit mit sinnvolleren Tätigkeiten - wie Bildung, soziales Engagement, Politik und Kultur also Gemeinsinn - zu füllen. Mit dieser Art der Freiheit vom Arbeitszwang kann kaum jemand etwas Positives anfangen; wohl auch deshalb, weil wir Freiheit (zur Gestaltung von Zeit) mit Freiheit zum Konsum verwechseln. Ein totalisierender Arbeitsbegriff - verbunden mit dem Überleben an sich - ist an ein ökonomisches System gebunden, das scheinbar keine Alternativen zulässt. Politik als Gestaltungsmacht ist hier gefragt. Auch EU-Programme könnten mit der sogenannten Arbeitslosigkeit anders umgehen, als nur an ihrer Abschaffung zu arbeiten.


(Wirtschaftssystem und EQUAL)
Viele Menschen auch in Entscheidungspositionen sind mit unserem ökonomischen System sehr unzufrieden. Eine Reform im Sinne einer Rückkehr zu den nationalstaatlich verwalteten Nationalökonomien ist jedoch unmöglich. Es braucht neue transnationale Lösungen und Regelungen, wie ein global gewordenes Wirtschaftssystem so reguliert werden kann, dass es einer steigenden Anzahl von Menschen die Grundlage für ein gelungenes Leben bietet. Gemessen an der Vision von EQUAL, Gleichstellung am Arbeitsmarkt zu fördern, herrschen derzeit kontraproduktive Strukturen (insbesondere Fremden-, Niederlassungs- und Ausländerbeschäftigungsrecht) vor. Dementsprechend beschränkt ist die Reichweite der EQUAL-Vorhaben, bzw. werden diese von den Strukturen konterkariert. Wenn sich an den strukturellen Voraussetzungen nichts ändert, wird auch die Arbeit in EQUAL zur Sisyphus-Arbeit ohne Chance auf breitere Nachhaltigkeit.


(Lösungsvorschläge/ Visionen)
Um tatsächlich gesellschaftliche Gleichstellung auf breiter Basis Wirklichkeit werden zu lassen, müsste ein alternatives Wirtschaftssystem geschaffen werden, das ev. auf einem Grundeinkommen für alle bzw. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufbaut. Bezüglich Migration müsste ein tatsächlich freier Personenverkehr geschaffen werden, das bedeutet Öffnung des formellen Arbeitsmarktes, Recht auf Migration sowie gleiche Rechte für alle mit dauerhaftem Aufenthalt. In einer Übergangszeit müsste es regelmäßige Legalisierungsaktionen geben, damit der Zugang zu Bildungsangeboten auch für diejenigen gewährleistet werden kann, die tatsächlich (im einstweilen noch informellen Arbeitsmarkt) ökonomisch Fuß gefasst haben. Die Investitionen, die jetzt in Richtung Sicherheitsstaat gehen, müssten in Richtung Ausbildung von MigrantInnen und AsylwerberInnen umgewidmet werden.


(Überleitung)
Im Rahmen von EQUAL wurde v.a. die Entwicklung von alternativen Modellprojekten gefördert, die mit gezielten Strategien eventuell auch unter den derzeitigen Bedingungen bestimmte Erfolge in Richtung Gleichstellung erzielen können.


(Berufsberatung, Berufsorientierung)
In unseren Projekten war individuelle Berufsberatung ein zentraler Punkt. Dabei wurde klar, dass Beratung in Bezug auf den Arbeitsmarkt äußerst vielschichtig sein muss. Wie es im Rahmen von Berufsorientierungsmaßnahmen idealerweise sein soll, ging es auch in unseren Projekten nicht nur darum mitzuteilen, was möglich ist und was nicht, sondern vielmehr darum, gemeinsam mit den MigrantInnen oder AsylwerberInnen herauszufinden, was diese bereits an Qualifikationen mitgebracht haben und in Zukunft machen wollen. In vielen Fällen musste erst in muttersprachlicher Beratung das Selbstvertrauen gestärkt werden, damit eine berufliche Perspektive erarbeitet werden konnte. Es wurden Kompetenzprofile und Bildungsfahrpläne erstellt, die ProjektteilnehmerInnen wurden ermutigt, an weiterführenden Kursen teilzunehmen, Bildungsabschlüsse nachzuholen, Volontariate zu absolvieren, oder sich auf offene Stellen zu bewerben. Die TeilnehmerInnen wurden damit ermächtigt, selbst ihre berufliche Laufbahn in Österreich in die Hand zu nehmen. Eine Entwicklungspartnerschaft hat beispielsweise aus den Erfahrungen ein Beratungshandbuch erstellt, das sie auch anderen Einrichtungen zur Verfügung stellen wird. Schließlich ist damit auch die Notwendigkeit von Schulungsmaßnahmen für BeraterInnen, sowie auch andere Berufsgruppen (BeamtInnen), die im Rahmen ihrer Arbeit MigrantInnen und AsylwerberInnen beraten, gegeben. Es muss auch für die Zukunft (d.h. nach Ablauf dieser beispielhaften Projekte) gesichert sein, dass Bildungs- und Berufsberatung für alle MigrantInnen und AsylwerberInnen finanziert wird, die sowohl psycho-soziale als auch rechtliche Belange berücksichtigt, und am besten muttersprachlich durchgeführt wird.
Das Weiterführen von mit Erhebungen verkoppelten Beratungsdienstleistungen im Regelbetrieb könnte dazu beitragen,
-- die großen Informationsdefizite insbesondere bei den älteren MigrantInnen zu beheben,
-- in akuten Situationen gleich vermitteln zu können und so eine mögliche Verschlechterung zu verhindern,
-- in der Bevölkerung bekannte Informationen und Kontaktmöglichkeiten besser zu verbreiten,
-- den Beratungsbedarf besser zu erheben, um so Entwicklungen verfolgen und rechtzeitig auf Defizite reagieren zu können.
Teilweise wurde neben herkömmlichen Inhalten der Berufsorientierung auch der Schwerpunkt politische Orientierung für arbeitssuchende Migrantinnen bei der Konzeptionalisierung eines Curriculums berücksichtigt, um den Migrantinnen eine kritische Auseinandersetzung mit Entwicklungen im Bereich Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dadurch wird eine differenzierte Position als arbeitssuchende Migrantin gefördert, d.h. die Aufforderungen nach Anpassung und Aktivierung werden kritisch hinterfragt und Strategien zur Veränderung von herrschenden diskriminierenden Strukturen werden gemeinsam mit den beteiligten Migrantinnen entwickelt.


(Bildung)
Die KursteilnehmerInnen artikulieren die Nachfrage nach mehr sowohl didaktisch als auch ökonomisch betrachtet geschlechts- und migrantInnensensiblen Bildungsangeboten. Bei der Auswahl der Bildungsmaßnahmen ist möglichst individuell auf die unterschiedlichen Vorkenntnisse und Bedürfnisse einzugehen. Ausbildung dient in erster Linie der individuellen Existenzsicherung. Allerdings ist es von zentraler Bedeutung, dass darüber hinausgehend eine Ermutigung zur Teilnahme am politischen Geschehen in die Bildungsmaßnahmen einfließt. Die Förderung der Selbstorganisation sollte in den Bildungsmaßnahmen aktiv betrieben werden. Es soll zum Aufbau von Interessensgemeinschaften angeregt werden, um nicht auf der individualisierenden Ebene stecken zu bleiben. Es sollen daher im Rahmen von Bildungsmaßnahmen Informationen über Möglichkeiten der politischen Mitgestaltung vermittelt werden, mit dem Ziel, dass sich MigrantInnen ermächtigen können, ihre Forderungen zu artikulieren und durchzusetzen bzw. eigene Räume selbstbestimmt zu gestalten.
Gerade MigrantInnen wissen oft gar nicht, was ihre Rechte sind, was politisch möglich ist und was auch abseits der nicht gewährten Wahlrechte möglich wäre. Dafür muss Raum während der Bildungsmaßnahmen und danach geschaffen werden. Wir wünschen uns daher die Finanzierung von adäquaten Bildungsmaßnahmen wie sie im Rahmen von EQUAL erprobt worden sind bzw. die Finanzierung einer Umgestaltung der bestehenden Maßnahmen. Bildung soll möglichst modular und flexibel aufgebaut werden. Das Thema Interkulturalität – im Sinne von interkultureller Öffnung und Gleichstellung in Betrieben und Institutionen - in der bestehenden Gesellschaft soll ebenso wie die Möglichkeiten der Mitgestaltung querschnittsartig in allen Bereichen behandelt werden.
Bestehende, mitgebrachte Bildungsabschlüsse sind eine wertvolle Ressource und daher soll ein Nachholen von Inhalten für das Erreichen hiesiger Standards und/ oder Anerkennungs- bzw. Nostrifizierungsverfahren erleichtert werden. Hier wäre eine einheitlichere, transparente und entbürokratisierte Vorgehensweise gefordert, z.B. über die Definierung von Standards und die Beiziehung von staatlich anerkannten ExpertInnen aus den Herkunftsländern. Firmen müssen dazu motiviert werden, mitgebrachte Bildungsabschlüsse und Kompetenzen für entsprechende Stellenbeschreibungen anzuerkennen. Die neueste Diskriminierung, nach der laut Universitätsgesetz seit 01.01.2004 die Führung mitgebrachter (außerhalb von EU, EU-Beitrittskandidatenländern, EWR und Schweiz verliehener) akademischer Titel auf offiziellen Dokumenten und Urkunden nicht mehr gestattet wird, bedeutet de facto die Institutionalisierung der Delegitimation des kulturellen und beruflichen Kapitals vieler MigrantInnen und ist deshalb rückgängig zu machen.


(Selbstorganisation)
Von zentraler Relevanz für den Erfolg der EQUAL-Arbeit waren nicht zuletzt die ersten Ansätze der Kooperation mit Selbstsorganisationen von diskriminierten Gruppen bzw. deren Formierung aus dem Projektzusammenhang heraus. Selbstorganisationen sorgen für eine effektivere Multiplikation des erarbeiteten Wissens. Sie sorgen auch für einen Abbau von Bevormundung und Paternalismen in der sozialen Arbeit.


(Organisationsentwicklung / Rechtsentwicklung)
Im Rahmen von EQUAL waren in vielen Organisationen neue Stellen zu vergeben. Im Sinne von antidiskriminatorischer Wirksamkeit und Nachhaltigkeit wird es auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein, diese Arbeitsplätze in Projekten, die MigrantInnen und AsylwerberInnen zugute kommen sollen, mit MigrantInnen und AsylwerberInnen zu besetzen. Darüber hinaus wurde eine antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung entwickelt, die durch innovative Ansätze auch auf die Rechtsentwicklung im Antidiskriminierungsbereich Einfluss nehmen soll. Ansätze wie jener der informellen Nostrifikationen sollten von allen an EQUAL beteiligten Organisation aufgegriffen werden.


(wissenschaftliche Studien)
Es gibt so gut wie keine von MigrantInnen auf breiter Basis gemachten wissenschaftlich verarbeiteten Aussagen. Aufgrund methodologischer Unzulänglichkeiten in der Migrationsforschung sind Daten oft vom Bias des Außenblicks gefärbt. Zudem erklären sich Lücken in der Datenerfassung wohl so, dass MigrantInnen anscheinend nicht als soziale, kulturelle und politische AkteurInnen wahrgenommen werden – was jedoch zur Folge hat, dass vorhandene Erhebungen nur ein unvollständiges einseitiges Bild zeigen können. Eine Verkoppelung von Befragungs- und Beratungstätigkeit in Form von Hausbesuchen hat sich insbesondere zum Erreichen älterer Menschen sehr bewährt. MigrantInnen können hier als ForscherInnen und ExpertInnen mit muttersprachlicher Kompetenz zum Einsatz kommen. Gleichzeitig kann hiermit dem diagnostizierten Mangel an empirischen Dokumentationen und Studien bzgl. der Perspektiven dieser Bevölkerungsgruppen entgegengewirkt werden.


(Selbstevaluierung)
Methodische und grundsätzliche Bedenken sprechen auch gegen den Einsatz von Fremdevaluierungen in der Arbeit gegen Diskriminierungen. Stattdessen soll eine antidiskriminatorisch konzipierte Selbstevaluierung, die den laufenden Projektprozess unterstützt, Vorrang haben vor einer externen Fremdevaluierung, die zusammenfassend am Ende Erfolg oder Misserfolg feststellt. Wenn schon Fremdevaluierung, dann soll diese der Selbstevaluierung zuarbeiten und deren Prozess unterstützen.


(Öffentlichkeitsarbeit)
Ebenfalls sehr positiv ausgewirkt hat sich die Finanzierung von begleitender ebenso wie grundsätzlicher und auch eigenständiger Öffentlichkeitsarbeit gegen Rassismus im Rahmen von EQUAL.


(Conclusio)
Abgesehen von diesen Detailforderungen, die auf eine Verbesserung der Projektpraxis bzw. auf eine Übernahme in den Regelbetrieb von Institutionen abzielen, fordern wir eine gesetzliche und de facto Gleichstellung aller Menschen, die in Österreich und der EU leben, speziell in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Wir stellen somit das Ausländerbeschäftigungsgesetz grundsätzlich in Frage. Insbesondere der im Ausländerbeschäftigungsgesetz fixierte Grundsatz, nach dem österreichischen StaatsbürgerInnen grundsätzlich Vorrang am Arbeitsmarkt einzuräumen sei, ist im Sinne von Antidiskriminierungs-Bekenntnissen im NAP 2003 sowie im Sinne des EQUAL–Grundsatzes der Chancengleichheit zu streichen. Wir fordern eine echte (!) Öffnung des formellen Arbeitsmarktes auch für AsylwerberInnen samt einer eigenständigen Niederlassungsmöglichkeit auch für Angehörige im Familiennachzug. Im Bereich Asyl muss der Durchführungserlass zum EU Erweiterungs-Anpassungsgesetz zurückgenommen werden!* Politische EntscheidungsträgerInnen sind aufgefordert, für die Nachhaltigkeit der Ergebnisse von EQUAL zu sorgen. Das geht wohl nur, wenn es auch eine Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen gibt. In diesem Sinne hoffen wir auf eine kreativ-kontroversielle Diskussion.

An diesem Text mitgearbeitet haben insbesondere
Andreas Görg (Initiative Minderheiten)
Barbara Götsch (Diakonie - Flüchtlingsdienst)
Birge Krondorfer (Frauenhetz)
Rubia Salgado (MAIZ)
u.v.a.
Besonderer Dank für feedback und kritische Anmerkungen geht an
Eveline Wollner
Cécile Huber (Universität Graz)
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* Die Öffnung des Arbeitsmarktes wurde ja theoretisch mit dem EU Erweiterungs-Anpassungsgesetz, seit 1. Mai 2004, rechtlich möglich gemacht. Das Gesetz sieht nämlich für § 19 AsylwerberInnen die Möglichkeit der unselbständigen Erwerbstätigkeit nach 3 Monaten Aufenthalt in Österreich vor. De facto ist es aber so, dass das durch einen Durchführungserlass des BMWA, und die Praxis des AMS, verhindert wird. Die Beschäftigung von AsylwerberInnen ist nach wie vor nur mit Beschäftigungsbewilligung, und höchstens im Rahmen von Kontingenten (gemäß §5 AuslBG im Bereich Saisonarbeit und Erntehilfe) möglich. Das ist aus unserer Sicht unmenschlich, nicht gesetzeskonform und unwirtschaftlich!