Wir sind hier weil ihr dort wart´s!


Die Ausstellung „Gastarbajteri“ und der migrantische Widerstand


Welches Terrain betreten wir, wenn wir von migrantischem Widerstand reden? Welche Art von Kämpfen führen MigrantInnen? Und wer ist ihr Hauptgegner?


von Ljubomir Bratic*


*) Ljubomir Bratic ist Philosoph, Leiter des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen (BUM) und Herausgeber des Buches Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa (St. Pölten 2002).


Die Kontextualisierung der Ausstellung „Gastarbajteri“ steht uns allen erst noch bevor. Im Folgenden liefere ich, als jemand, der in die Ausstellung involviert war und ist, . nur ein paar Skizzen, wie die Teile dieser Ausstellung aus meiner Position heraus zu verstehen und wie sie mit den Begriffen „MigrantInnen“, „Nationalstaat“ und „Widerstand“ in Verbindung zu bringen sind.
Die größere Geschichte, in der die Ausstellung „Gastarbajteri“ eingebettet ist, ist die des Nationalstaates. Die SozialwissenschafterInnen und HistorikerInnen, die zu den primären Gruppen gehören, an die sich die Ausstellung wendet, sollen aus ihr lernen, dass nicht die MigrantInnen und der Prozess der Migration per se ein Forschungsobjekt sein sollen, sondern die Gebilde des Nationalstaates. Dieser Nationalstaat hat wie überall auf der Welt die Migrationsfrage aufgeworfen. Migration ist ein konstitutiver Bestandteil des Staates. Will man Klarheit über die Problematik bekommen, muß man den Staat und seine Methoden, seine institutionellen Normierungs- und Normalisierungstechniken untersuchen.


Obwohl in den Ausstellungsunterlagen die Rede von einer Gegen-Erzählung ist, geht es nicht darum, eine zweite Geschichte zu entwerfen, die möglicherweise neben der ersten existieren sollte, sondern um eine Neubewertung und Neukonzeptionierung des Bestehenden. Erstens, indem die Annahmen, auf denen eine nationalstaatliche Geschichtsschreibung beruhen, hinterfragt werden und zweitens, indem bestimmte, bisher nur verdeckte Ereignisse ihre geschichtsträchtige Bedeutung zuerkannt bekommen. Diese Herangehensweise stellt die Auffassung von Homogenität der österreichischen Nation ebenso in Frage wie auch die Annahme der Kontinuität der Geschichte. Wobei hier unter „Kontinuität der Geschichte“ nicht die Kontinuität von rassistischen Maßnahmen zu verstehen ist, sondern die Linearität des offiziellen Geschichtsdiskurses, in dem nur diejenigen vorkommen, die in diesen Gesellschaften auch etwas zu sagen haben, also über beträchtlich mehr Macht als die anderen verfügen. „Die jeweils Herrschenden sind eben die Erben aller, die je gesiegt haben." Es handelt sich um die Geschichte dieser Sieger. Diese Art der Kontinuität, die sich unter anderem darin äußert, dass die Migration nirgendwo in den Schulbüchern vorkommt, widerspricht die Ausstellung.


Das wichtigste dabei ist, trotz des leicht in die Irre führenden Titels der Ausstellung, zu begreifen, dass diese nicht über „MigrantInnen“ und „ÖsterreicherInnen“ spricht, sondern versucht, einen Teil des permanent präsenten, aber nie direkt angesprochenen, umfassenden Diskurses des Nationalstaates zu verändern. Die begrifflichen und geopolitischen Grenzen, die den Nationalstaat namens Österreich definieren, definieren auch die MigrantInnen, die zur gleichen Zeit und mittels desselben Prozesses hervorgebracht werden. Insofern gib es keine Möglichkeit, diese Phänomene getrennt voneinander zu untersuchen. An diese Fragen knüpfen die „Stationen“ der Ausstellung mit ihrem Konzept der AutorInnenschaft. Wer dies übersieht, hat die Ausstellung „Gastarbajteri“ nicht verstanden.


Da die Stationen Hauptteil der Ausstellung sind, ist sie durch die Möglichkeit des Hinzufügens oder Weglassens beliebig veränderbar. Sie kann verkleinert, aber auch in einem noch größeren Kontext gestellt werden. Vorstellbar wäre zum Beispiel., um die Transformationen des Rassismus zu zeigen, die Geschichte der Migration innerhalb der Donaumonarchie oder auch diejenige der ZwangsarbeiterInnen in der NS-Zeit miteinzubeziehen. Die Ausstellung ist ein Sammelsurium von Einstellungen und antirassistischen Fokussierungen. Diese sind sowohl thematisch als auch raumzeitlich erweiterbar. Das macht diese Ausstellung zu einer Möglichkeit, deren Verwirklichung erst im Kopf der BetrachterInnen stattfindet. Dort, wo es Nicht-Abgeschlossenes zu sehen gibt, besteht die Notwendigkeit, selber Abschlüsse zu tätigen.


Position und Opposition
Ich denke migrantischen Widerstand als eine Art Kristallisationspunkt, der ermöglicht, dass die Machverhältnisse klarer vorgeführt werden. Aus dieser Belichtung des Tatsächlichen werden dann weitere Ansatzpunkte, Verfahrensweisen und Positionen herausgebildet. Insofern interessiert mich hier weniger die Ebene der allgemeingültigen Theorie, sondern vielmehr jene der partikularen Praxis. Um herauszufinden, was der Nationalstaat als vernünftig versteht, analysieren wir das Feld, das diese Form von Staat als einen Fremdkörper (nicht dazugehörend obwohl teilnehmend) betrachtet. Es geht darum, die Normalität begreiflich zu machen. Es geht darum, „bislang unbegriffene oder unbenannte Realitäten durch Reflexionsarbeit, Schaffung entsprechenden Wissensobjekte und deren Einführung in Diskurse aus dem Bereich der Unbegriffenen, der Normalen herauszuholen und sie zum Gegenstand bewussten politischen Handelns zu machen.“ Dadurch, dass wir MigrantInnen untersuchen, was im Feld der Migration vor sich geht – zum Beispiel als Illegalisierung, Kriminalisierung, Pathologisierung, Viktimisierung, Psychologisierung und Moralisierung - begreifen wir gleichzeitig, was oder wer diesen Techniken nicht oder auf eine andere Art und Weise unterworfen wird als das bei den MigrantInnen der Fall ist. Dadurch, dass wir uns im Bereich der Machttechnik und -strategie befinden, erkennen wir, dass es eine Menge von AkteurInnen gibt. Wir sind weit davon entfernt von irgendjemanden, der nur „TäterIn“ oder nur „betroffen“ ist, zu reden. Viele AkteurInnen (auch wir) tragen mit ihren Handlungen dazu bei, dass die sogenannte „Ausländergesetzgebung“ sich in einem ständigen Transformationsprozess befindet. Wir sind in einem Feld, in dem die Gesetze der Aktion und Reaktion und diejenigen der Regelung und Verweigerung herrschen. Insofern kann man von einer Position und einer Opposition zu reden. Die Opposition ist nicht deswegen oppositionell, weil sie dauernd reagieren muss, sondern weil ihre Rolle diejenige der Instanz des Widerstands gegenüber den Machtverhältnissen ist, und ihre Funktion darin besteht, zu versuchen, auf die Auflösung dieser Verhältnisse hinzuarbeiten. Wahrlich eine andere Vision von dem, was wir heute innerhalb des österreichischen Staates als Opposition parteipolitisch oder medial serviert bekommen. Der migrantische Widerstand. ist eine Opposition zu der Macht des Nationalstaates. Die Oppositionen in unseren Gesellschaften bestehen aus verschiedenen Arten von Kämpfen. Foucault unterscheidet drei Typen von Kämpfen. Erstens die Kämpfe gegen die Formen der ethnischen, sozialen und religiösen Herrschaft, die er Kampf gegen die Subjektivierung nennt. Zweitens die Kämpfe gegen die Ausbeutung, „die das Individuum von dem trennen, was es produziert“. Diese nennt er Kämpfe gegen Formen der Subjektivität. Und als dritter Typus der Kämpfe erwähnt Foucault diejenigen gegen Unterwerfung.


Grob können wir unter Kämpfen gegen die soziale Herrschaft den Widerstand gegen die andauernden Versuche der sozialen Reglementierung der MigrantInnen (Assimilation, Integration, Diversitätspolitik usw.) verstehen. Hier wären auch die verschiedenen Formen von Selbstorganisation der MigrantInnen zu erwähnen. Unter Kämpfen gegen die ökonomische Ausbeutung lassen sich die konkreten Formen des Widerstands am Arbeitsplatz subsumieren. Dazu sind die wilden Streiks zu zählen, aber auch andere Formen der Vergrößerung der Machtpotenziale innerhalb des Arbeitssystems selber, wie zum Beispiel Bildung von ethnischen und verwandtschaftlichen Netzwerken oder andauernde Forderungen nach Anerkennung kultureller Eigenarten innerhalb des Unternehmens. Unter Kämpfen gegen die Formen der Subjektivierung sind alle die sozialen Kämpfe zu verstehen, die darauf zielen, die zugeschriebene Opferrolle aufzubrechen und zu versuchen, ein autonomes soziales Feld zu strukturieren.


Diese drei Formen sind nicht getrennt zu betrachten. Sie überlagern sich und sind voneinander abhängig. Es geht darum, aus den Verhältnissen auszubrechen und die Selbstverständlichkeit eines AkteurInnendaseins zu erlangen. Und es geht darum, den Widerspruch zwischen der offiziell proklamierten „Demokratie“ und ihren tatsächlichen Ausschließungen und Grausamkeiten andauernd vorzuführen.


Die Arbeitsplätze waren die allerersten Verbleibstätten der MigrantInnen und insofern auch die ersten Orte der Artikulation von widerständischen Praktiken. An dieser Stelle seien der Streik der jugoslawischen MigrantInnen 1965 im Iso-Span-Werk in Obertrum (Salzburg) und der Streik der jugoslawischen MigrantInnen bei einer Baufirma in Admont 1966 erwähnt. In beiden Fällen wurden Lohnerhöhungen gefordert. Die Niederschlagung der Streiks zog die Ausweisung vieler Streikender nach sich. Die „Fremdarbeiter“, die „unangenehm auffielen“, wurden damals (wie großteils auch heute) kurzerhand abgeschoben. Damals wie heute fehlte den MigrantInnen eine Interessensvertretung. Das hat dazu geführt, dass die Regeln, die diese Interessensvertretungen für die Gesellschaft insgesamt vorgeben, zwar gültig sind, aber dass sie gleichzeitig - angesichts des metökenähnlichen Status der MigrantInnen - nie die vollständige gesamtgesellschaftliche Gültigkeit für sich beanspruchen können. Sie können von 10 Prozent der Gesellschaft nicht legitimiert werden, wenn diese überhaupt kein Wahlrecht und kein Partizipationsrecht besitzen. Wenn die Möglichkeit der Partizipation nicht gegeben ist, kann auch nicht von Allgemeingültigkeit gesprochen werden. Insofern können die MigrantInnen nur die Rolle der potenziellen RegelbrecherInnen einnehmen. Einerseits stabilisiert das den Repressionsapparat des Staates, weil er immer und überall auf die Gefahr der Subversion hindeuten kann. Tatsächlich erleben wir seit den 1960er Jahren eine sukzessive Zunahme an Akzeptanz für die Kontroll- und Überwachungstechniken. Zweitens reagieren die MigrantInnen – trotz dieser Kontrollen, deren Hauptziel es ist, die Prekärität des Aufenthalts zu festigen – mit diversen Verwurzelungsstrategien. Der Erfolg davon lässt sich daran messen, dass seit den 1970er Jahren, seit in ganz Europa ein „Ausländerstopp“ proklamiert wurde, die Zahl der MigrantInnen gestiegen ist. Der Spruch „Wir sind hier weil ihr dort wart's“ ist nur eine der Parolen, die diese gesellschaftliche Gruppe als die ihre bezeichnet, und die auch einen Einblick in die Motive, Ziele und Ursachen der Migration gewährt.


Ich möchte kein neues revolutionäres Subjekt konstituieren. Mir geht es um die Frage nach der Form der Handlungen der Menschen, die nie so unfrei sein können um sich gegen die ihnen zugefügte Gewalt nicht zu wehren. Ich will zeigen, dass die MigrantInnen, genauso wie die Frauen oder behinderten Menschen sich immer zu Wehr gesetzt haben. Es geht darum, die Verschwiegenheit zu durchbrechen und den Bereich der Politik so zu erweitern, dass die Sprache der bisher als sprachlos Geltenden darunter ihren Platz finden kann. Die Taktiken und Strategien, die MigrantInnen dabei anwenden, sind - je nachdem in welchen soziopolitischen Kontext sie eingesetzt werden – verschieden, aber sie sind immer gegen einen Hauptgegner gerichtet: den Nationalstaat und seine kaltschnäuzigen Institutionen.