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Falter-Interview: "Vielleicht würde ich heute das eine oder andere Wort nicht mehr sagen, aber handeln würde ich genau so"
[2004-03-01]

Benita Ferrero-Waldner nimmt in einem Falter-Interview zu ihrem Verhalten im Sommer 2001 Stellung. Die Fragen stellen Gerald John und Nina
Weissensteiner.

Rudolf Kirchschläger war immer wieder da. Von seinem Domizil im 17. Bezirk spazierte der Altbundespräsident mit seiner Frau Herma gerne zur Hernalser Hauptstraße, um sich in der Konditorei Clement einen Kaffee oder ein Stück Torte zu genehmigen. Ein Rahmen, den auch Benita Ferrero-Waldner angemessen findet, um dem Falter ein Interview zu geben. Außerdem musste die 55-jährige Außenministerin und Präsidentschaftskandidatin ohnehin in die Gegend. Nach dem Gespräch und einer Cremeschnitte eilte sie zum nächsten Wahlkampftermin - dem
Seniorennachmittag der ÖVP Hernals.


Falter: Frau Außenministerin, stellen Sie sich vor, Sie sind Präsidentin, und Jörg Haider will sich von Ihnen als Vizekanzler angeloben lassen. Werden Sie dabei lächeln?

Benita Ferrero-Waldner: Wenn er demokratisch legitimiert ist, werde ich
sicher freundlich sein. Denn ich will Freundlichkeit in die Hofburg bringen.

Haider als Vizekanzler ist aber kein erfreulicher Gedanke: Er pflegt einen schlampigen Umgang mit der NS-Vergangenheit und hat Saddam Hussein mehrmals besucht. So jemanden würden Sie akzeptieren?

Das ist eine hypothetische Frage. Mir geht es nicht um die Person Jörg
Haider, sondern allgemein ums Amtsverständnis. Jener Kandidat, der aus den Wahlen als Stärkster hervorgeht, hat Anspruch, eine Regierung zu bilden. Wenn dieser keine Mehrheit schafft, kommen andere zum Zug, die ein Programm vorlegen und eine Mehrheit im Parlament zusammenbringen. Der Bundespräsident hat dann die Angelobung vorzunehmen. So ist die Realität.

Die Verfassung gibt Ihnen aber auch das Recht, Kandidaten abzulehnen. Würden Sie Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas, die Präsident Klestil im Jahr 2000 von der Ministerliste strich, angeloben?

Es ist klar, dass ich mir die Personen nach dem Vier-Augen-Prinzip genau
ansehen werde. Aber wenn Sie unbedingt alles an bestimmten Persönlichkeiten aufhängen wollen, sage ich: Thomas Prinzhorn schätze ich.

Klestil verweigerte Prinzhorn die Angelobung, weil er behauptete, Asylwerber würden gratis Medikamente bekommen, "um die Fruchtbarkeit zu steigern". Was müsste ein Politiker bei Ihnen anstellen, dass Sie moralische Bedenken
hätten?

Es geht um die Demokratie. Die Menschen haben zu bestimmen, wer
Bundeskanzler werden soll.

Wir wählen aber den Nationalrat und nicht die Regierung.

Das weiß ich schon. Aber trotzdem: Ich lehne es ab, hier theoretisch zu
spintisieren.

Wenn wir Sie wählen sollen, wollen wir aber vorher wissen, was uns erwartet.

Sie haben doch gesehen, was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Ich bin sehr korrekt, aber gleichzeitig großzügig. Ich habe mich immer für Österreich und meine Landsleute eingesetzt. Das wollen die Menschen, und das können sie auch in Zukunft von mir erwarten.

Im Wahlkampf verkaufen Sie sich auch als "Krisenmanagerin". Als
Außenministerin haben Sie sich aber schon bei Minikrisen Pannen geleistet. Etwa als Sie unbescholtene Mitglieder der Volxtheater-Karawane, die beim G8-Gipfel in Genua verhaftet worden waren, als "polizeilich einschlägig vorgemerkt" vernaderten.

Drehen Sie bitte nicht die Tatsachen um! Ich habe versucht, diese Menschen
aus dem Gefängnis herauszuholen, und das ist mir schließlich auch gelungen, obwohl es gar nicht einfach war. In meiner temperamentvollen Art habe ich lediglich eine Information, die ich intern halten hätte können, nach außen gegeben. Im Innenministerium vorgemerkt waren diese Personen aber wirklich.

Das ist man schon dann, wenn man von irgendjemandem angezeigt wird - ob zu Recht oder zu Unrecht. Straftäter ist man deswegen noch lange nicht.

Vielleicht würde ich heute das eine oder andere Wort nicht mehr sagen, aber
handeln würde ich genau so. Und wenn Sie von Krisen sprechen: Ich habe eineder größten außenpolitischen Krisen in der Geschichte Österreichs bestens bewältigt. Das ist es, was zählt, und nichts anderes.

Sie sprechen die Sanktionen aus dem Jahr 2000 an. Die haben die EU-14 aufgehoben, nachdem sie gesehen haben, dass sie kontraproduktiv sind.

Aber nur deshalb, weil ich persönlich dagegen aufgetreten bin. Schmälern Sie nicht, was nicht zu schmälern ist! Mit den völlig ungerechtfertigten
Sanktionen haben die EU-14 den Eindruck erweckt, bei Österreich handle es sich um ein fremdenfeindliches, neonazistisches Land. Täglich habe ich in bis zu dreißig Interviews mit Medien aus Europa, den USA und sogar Australien gegen diese Meinung angekämpft. Meinen Außenminister-Kollegen in der EU habe ich die Situation in Telefonverhandlungen erklärt. Und in ganz Europa habe ich mit den Friends of Austria Besuche absolviert, um die Stimmung umzudrehen.

Zum Beispiel bei Maggie Thatcher, einer entschiedenen EU-Gegnerin. Haben Sie damit nicht eher zur Eskalation beigetragen?

Überhaupt nicht. Thatcher hat immer klar ausgesprochen, dass die EU-14
gegenüber Österreich undemokratisch gehandelt haben. Außerdem war sie eine hervorragende Ministerpräsidentin.

Da sind wir anderer Meinung. Auch die Vetokeule haben Sie während der Sanktionen geschwungen.

Ich habe das nie getan.

Sie haben gedroht, dass sich die Reform der EU-Institutionen wegen des Drucks der österreichischen Bevölkerung verzögern könnte. Das läuft aufs selbe hinaus.

Das ist wirklich eine falsche Interpretation. "Verzögern" hat nichts mit
einem Veto zu tun. Dass man einen gewissen Druck aufbaut, ist in einer
Verhandlung selbstverständlich. Für wen habe ich denn gekämpft? Für Sie natürlich! Und langsam, langsam konnte ich erreichen, dass umgedacht wurde. Viele Österreicher haben nicht geglaubt, dass das möglich ist. Aber mir ist es gelungen, und das lasse ich mir nicht wegnehmen. Letztlich hat Europa erkannt, was Österreich ist: Nämlich ein demokratisches Land, wo auf demokratische Weise eine Regierung gebildet wurde ...

... mit einem fragwürdigen Partner ...

... mit einer rechtspopulistischen Partei, das habe ich auch nicht
verschwiegen. Aber mit einer Partei, die immer im demokratischen Spektrum lag ...

... aber ein sehr problematisches Verhältnis zur Vergangenheit hat.

Haider hat sich entschuldigt.

Und danach in Wien einen antisemitischen Wahlkampf geführt.

Das ist wirklich Geschichte. Ganz Europa erkennt uns heute als demokratisch legitimierte Regierung an. Es gibt sogar Spekulationen, dass Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Präsident der EU-Kommission werden könnte. Allein die Tatsache, dass er genannt wird, halte ich für sehr ehrenhaft.

Auch nach einem Besuch bei US-Außenminister Colin Powell sind Sie ins Fettnäpfchen getappt. Sie haben verkündet, das State Department prüfe, Expräsident Kurt Waldheim von der Watchlist zu streichen. Das hat Powell erzürnt dementiert.

Zuallererst halte ich es für richtig, dass eine Außenministerin Österreicher
in jeder Lebenslage verteidigt. Das Missverständnis in Washington
resultierte aus einer ungenauen Übersetzung des Wortes "examine". Die Haltung der amerikanischen Regierung bedaure ich sehr. Selbstverständlich will ich, dass Waldheim von der Watchlist gestrichen wird.

Stichwort Außenpolitik: Die Regierungen Österreichs und Italiens sind eng befreundet. Was finden Sie so toll an Ministerpräsident Silvio Berlusconi?

Als Außenministerin eines Landes will ich freundschaftliche Beziehungen zu
einem Mitgliedsstaat der EU pflegen. Noch dazu, wenn es um Südtirol geht, für das wir die Schutzfunktion haben. Auf die werde ich weiterhin pochen, da
können Sie sicher sein.

Es gibt einen Unterschied zwischen "freundschaftlichen" Floskeln und
überschwänglichem Lob. Sie haben Berlusconi zu seinem Wahlsieg mit den Worten "er ist einer, der keinen Zweifel über Europa aufkommen lässt" gratuliert.

Er hat auch keinen Zweifel über Europa aufkommen lassen. Die italienische
Regierung hat sich sehr bemüht, bei der Arbeit an der europäischen Verfassung voranzukommen.

Berlusconi diffamiert regelmäßig Staatsanwälte und Richter, entzieht sich mit einschlägigen Gesetzen der Justiz und ist Premier und Medienmagnat in Personalunion. Ist so jemand ein Vorbild für Europa?

Drehen Sie mir doch das Wort nicht im Mund um! Von Vorbild habe ich kein
Wort gesagt. Natürlich weiß ich von den Bewegungen in Italien. Aber auch dort gibt's Richter und Rechtsanwälte - die wissen sich schon zu wehren. Ich werde mich sicher nicht in die Innenpolitik anderer Länder einmischen. Das war noch nie gut, das haben die Sanktionen bewiesen.

Eine zentrale Frage der europäischen Einigung ist die Außen- und
Sicherheitspolitik. Sie fahren dabei einen Schlingerkurs: Erst haben Sie sich für die NATO ausgesprochen, dann für eine Beistandspflicht. Andererseits halten Sie an der Neutralität fest. Was wollen Sie denn wirklich?

Das ist überhaupt kein Schlingerkurs. In der Außenpolitik müssen wir
dynamische Entwicklungen mitmachen. Ich habe in meinem Buch, "Kurs setzen in einer veränderten Welt", das Sie vielleicht auch einmal lesen könnten ...

Haben wir.

Wunderbar, das freut mich! - Darin habe ich geschrieben, dass ich
grundsätzlich für die NATO offen war. Mittlerweile gibt es aber eine neue Option: Die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Da wir an dieser mitarbeiten, ist kein NATO-Beitritt mehr nötig. Nur war der Vorschlag der Franzosen, Deutschen und Briten zur Beistandspflicht zu hart formuliert und nicht mit unserer Neutralität verträglich.

Das haben Sie anfangs aber behauptet.

Ich habe gesagt, das würde eine Modifikation der Neutralität bedeuten.

Selbst das bestreiten Völkerrechtler. Sie sagen: Das wäre das Ende der Neutralität.

Nein, das bestreiten sie keineswegs. Wir haben ausgezeichnete
Völkerrechtler.

Auch ihr Parteifreund EU-Kommissar Franz Fischler sagt, ...

Franz Fischler ist kein Völkerrechtler!

... bei der Neutralität sei Österreich ein "Meister der Lebenslügen".

Das ist seine Aussage. Wir haben uns in der EU nun auf einen vorläufigen
Kompromiss geeinigt: Wer angegriffen wird, kann um Hilfestellung bitten, aber wir können dann aus Rücksicht auf unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik entscheiden, ob und in welcher Form wir Hilfe leisten.

Dann wäre die Neutralität obsolet.

Keineswegs! Wir könnten ja zum Beispiel nur humanitäre Hilfe leisten.

Das ist ja jetzt schon erlaubt.

Alles andere wäre eben eine konkrete Entscheidung im konkreten Moment.

Zurück zur Hofburg: Was hat Rechnungshofpräsident Franz Fiedler dazu getrieben, sich als Kandidat gegen Sie ins Spiel zu bringen?

Ich glaube nicht, dass Franz Fiedler gegen mich als ÖVP-Kandidatin
angetreten wäre.

Angeblich bekam Fiedler auch aus den Reihen der ÖVP Zuspruch. Hat sich da in der Partei ein Grant gegen die eigene Regierungs- mannschaft aufgestaut, die Einwände ja gerne arrogant vom Tisch wischt?

Mir sind Fiedlers Beweggründe absolut egal. Ich war überhaupt nicht
aufgeregt. Wer gewinnt, gewinnt zum Schluss.

Wenn alles bestens stünde, warum hat die ÖVP gerade zwei Wahlen verhaut?

Wissen Sie, die Landtagswahlen sind von den jeweiligen Landespolitikern zu
schlagen. Die Entscheidung hängt von den Personen ab.

Umfragen zeigen das Gegenteil: Die Themen Steuerreform, Pensionen und Arbeitslosigkeit haben eine große Rolle gespielt.

Gerade in Salzburg hat Gabi Burgstaller eher im persönlichen Umgang
gepunktet. Darauf kommt es auch bei der Präsidentenwahl an. Und ich glaube schon, dass das sehr viele Österreicher und Österreicherinnen sehr positiv sehen, - bisher bin ich die einzige Frau, die antritt, und ich bringe sehr viel Kompetenz und Erfahrung mit.

Sie versprechen, Bürgertage abzuhalten und "ein offenes Herz für alle Österreicher" zu haben. Was, wenn eines Tages ein schwules Pärchen zu Ihnen kommt, mit dem Wunsch, vorm Standesamt zu heiraten? Was sagen Sie denen?

Ich bin eine tolerante Frau, ich bin absolut gegen jede Diskriminierung.
Aber gleichzeitig glaube ich, dass die Ehe eine besondere, schutzbedürftige
Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ist.

Das ist aber Diskriminierung, wenn homosexuelle Paare nicht dieselben Rechte haben wie heterosexuelle.

Auch die Europäische Menschenrechtskonvention sieht ein besonderes
Schutzbedürfnis für die Ehe vor, die letztendlich auch auf die Sozialisierung der Kinder ausgerichtet ist.

Wovor genau müssen Kinder geschützt werden?

Die Kinder sollen geschützt werden, in einem Umfeld, das durch die
Lebensgemeinschaft der Ehe besonders unterstrichen wird.

Sie glauben, Mann und Mann beziehungsweise Frau und Frau können ein Kind nicht so gut aufziehen?

Also jedenfalls nicht in derselben Form.

Warum?

Das ist eben das Besondere einer Ehe: Das ist Mann und Frau, und die Kinder brauchen nun einmal den Vater und die Mutter. Dann haben sie den besten Schutz. Das sehen auch alle Psychologen so.

Es gibt sehr viele Hetero-Ehen, die zerrüttet sind.

Gehen wir vom Normalfall aus. Aber ich sage noch einmal: Das heißt aber
überhaupt nicht, dass ich nicht volle Toleranz übe.

Die Schwulen-&- Lesben-Community wird das anders einschätzen.

Ich kann Ihnen nur das sagen: Ich habe in keiner Weise vor, irgendjemanden
zu diskriminieren.

Werden Sie eigentlich Außenministerin bleiben, falls Sie nicht
Bundespräsidentin werden sollten?

Ich glaube, dass ich gewinne, daher stellt sich für mich diese Frage nicht.

Dann vielleicht eine andere: Sie schreiben in Ihrem Buch ausführlich über Ihre Lieblingsfarben punkto Kleidung. Zu welcher tendieren Sie bei der Angelobung - Schwarz, Weiß oder Türkis?

Ich trage sicher Schwarz. Das ist ein feierlicher Anlass, und man weiß auch,
dass ich im Theater oder im Konzert meistens Schwarz trage. Aber diese Frage hätten Sie einem Mann nicht gestellt.

Doch. Wir haben zum Beispiel auch schon SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer zu seiner roten Tasche und zu seiner neuen Frisur befragt.

Okay. Wissen Sie, ich liebe Farben und kaufe meine Kostüme nach Farben. Ich habe lange in Paris gelebt, dort ist das absolut selbstverständlich.

Was ist in Österreich anders?

Noja, wir sind da noch ein bisschen konservativ. Ich bin jedenfalls sehr
modisch und sehr modern.

Falter, 17.03.2004