Wer sich Notizen macht, wird "ausgewiesen"
30.06.2001 23:55
Herr K. ist ein in Wien lebender österreichischer Staatsbürger.
Als
regelmäßiger Teilnehmer an der Donnerstagsdemonstration lag
es für ihn nahe, an der Anti-WEF-Kundgebung teilzunehmen. Für
die www.ballhausplatz.at wollte er
darüber hinaus Augenzeugenberichte liefern. Ein potenzieller Demonstrant
mit
Kugelschreiber und Notitzblock wurde allerdings von der Polizei am Mirabellplatz
nicht toleriert: Allein aufgrund der Tatsache, daß Herr K. Texte
von Plakaten
und die Zahl der anwesenden Polizisten notierte, führte zu seiner
Überprüfung
und "Ausweisung" aus Salzburg. Seine Aufzeichungen wurden beschlagnahmt.
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Herr K. (45) ist völlig unbescholten, dennoch für die Polizei
kein
unbeschriebenes Blatt. Der Grund: Er nimmt regelmäßig an der
Donnerstagsdemonstration
teil. Als einzelner besorgter Bürger. Und fällt niemals auch
nur im mindesten
durch aggressive oder illegale Handlungen auf. Bewegt sich nie außerhalb
des
legalen Rahmens. Führt sogar manchmal lange Unterhaltungen mit Vertretern
der Exekutive. Weil er ja nicht gegen die Polizei demonstriert und am
Standpunkt Andersdenkender interessiert ist.
Ein polizeibekannt Gemäßigter also. Wie ihn sich die Exekutive
wünscht.
Offiziell, nach außen. In den Medien. Demonstrationen ja, aber friedlich.
Friedliche Bürger müssen geschützt werden. Friedliche Politiker
müssen geschützt
werden. In Stockholm wurde zwar geschossen, aber auch nur, um friedliche
Demonstranten vor den Chaoten zu schützen. Weswegen in Salzburg ebendiese
Chaoten
verhindert werden sollen. Aber - offiziell - um Gottes Willen nicht friedliche
Kundgebungsteilnehmer. Die Guten. Solche wie Herrn K.
Herr K. ist kein Funktionär einer Gruppe oder Partei. Er ist kein
Student,
sondern ein Mann mittleren Alters und nimmt in Jeans und T-Shirt an Protesten
auf der Straße teil. Mit Ausdauer. Das finden manche Vertreter der
Exekutive
schwer einzuordnen. Ist ungewöhnlich. Fällt aus der Norm. Wenn
so einer, wie
Herr K., auch noch interessiert bzw. gut informiert ist, empfindet das
so
mancher Polizist als ärgerlich. Aus der Norm fallen und zusätzlich
besseres
Wissen bei Bedarf kundtun, ist manchen zuviel des Angriffs auf die amtliche
Autorität. Sozusagen eine Art der Beamtenbeleidigung, die leider
nicht geahndet
werden kann, weil nicht Zu-Gesicht-Stehen kein strafbarer Tatbestand ist.
Aber
es reicht, um polizeibekannt zu werden.
Herr K. ist also in Salzburg schon wieder dabei. Schon am Freitag, den
29.Juni 2001. Diesmal mit Papier und Kugelschreiber. Geht durch die Stadt.
Notiert
sich, was ihm auffällt und begegnet. Zum Beispiel Zeitpunkt, Ort
und Anzahl,
wenn er PolizistInnen sieht. Oder Zeitpunkt, Ort, Anzahl wenn er
WEF-GegnerInnen trifft, wie im Volksgarten beim Straßenfest. er
schreibt den den Text
des Plakats ab, welches zur offiziellen, angemeldeten und genehmigten
Demonstration aufruft. Herr K. kann nämlich akribisch sein. Er informiert
sich auch
beim Bürgerservice der Stadt Salzburg, um herauszufinden, wo die
gesperrten
Zonen sein werden und führt einen Plan darüber mit sich, den
man ihm dort
gegeben hatte. Er holt sich auch ein Programm der am Samstag, 01.Juli
geplante
Gegenveranstaltung.
Am Mirabellplatz befindet sich das Kongresszentrum, in dem die WEV Tagung
stattfindet. Dort befindet sich Herr K. um ca. 17:15 Uhr. Da der WEF-Kongeß
noch nicht begonnen hat und zu dieser Zeit auch keine Kundgebung stattfindet,
ist der Mirabellplatz frei zugänglich. Herr K. und notiert sich wieviele
Polizisten dort postiert sind sowie die Uhrzeit. Ein Polizist nähert
und fragt, was
Herr K. so schreibe. Bereitwillig zeigt Herr K. dem Polizisten seinen
Zettel. "Aha, sehr interessant", meint der Polizist sinngemäß,
"so und so viel
Polizisten um diese Uhrzeit". Und fordert Herrn K. auf, zwecks Ausweisleistung
mitzukommen. Herr K. folgt dem Polizisten in ein provisorisches Wachzimmer.
Er
legt seinen Ausweis vor. Mehrere andere Polizisten sehen zu. Der Polizist
fragt, was Herr.K. in seinem Plastiksack habe. Herr K. möchte die
Sachen einzeln
herausnehmen. Der Polizist verlangt, daß der Sack auf einmal ausgeleert
werde.
Große Aufmerksamkeit erregt ein kopierter Plan von Salzburg, wo
die
Sperrzone eingezeichnet ist. Herr.K., so meinen die Polizisten, hätte
also schon
seine Pläne. Der Hinweis von Herr.K., daß es sich um einen
Plan aus der Zeitung
"Salzburger Volkszeitung" handle, welchen das Bürgerservice
für Herrn K. Plan
kopiert habe, wird ignoriert. Warum er in Salzburg sei, wird Herr K. gefragt.
Herr K. erklärt, er sei am Vortag einer Ladung des Salzburger Gerichts
nach
gekommen. Als Zeuge in einer Zivirechtsangelegenheit. Ob er die die Ladung
bei sich habe. Herr K. verneint. Aber das könne von der Polizei doch
sicherlich
nachgeprüft werden? Der Polizist nimmt K´s Erklärung nicht
schriftlich auf.
Außerdem führt Herr K. einen weiteren kopierten Plan der Stadt
Salzburg mit
sich. Ein Polizist analysiert, dieser stamme aus dem Internet. Herr K.
sagt,
er wisse nur, daß er diesen zweiten Plan vom Infopoint in der
Elisabethstrasse erhalten habe. Im Text des Aufrufs für die Kundgebung
am Sonntag sind unter
anderem Micrsoft, Coca-Cola und McDonald´s angeführt sind.
Gegen deren
Praktiken sich die Kundgebung nach Meinung der Aufrufenden richten soll.
Die
Plakate hängen öffentlich überall in der Stadt. Ein Polizist
liest die Namen der
Konzerne in K´s Notizen. Er meint, dies seien bereits die ausgesuchten
Ziele
von Herrn K.. Herr K. erklärt, wie die "Ziele" in seine
Notizen kommen. Er
habe das ganze Plakat abgeschrieben. Das seien die Namen, die auf diesem
Plakat
aufscheinen. Dies könne sicherlich doch auch nachgeprüft werden.
Ein Polizist schreibt auf den Block von Herr K. - unter dessen Notizen
- K´s
Personalien und entfernt sich zwecks Personenüberprüfung via
Ekis. Während
K. wartet, gehen Polizisten ein und aus. Einige sagen, den kennen wir,
das ist
ein Donnerstagsdemonstrant. Ein anderer fragt, "Was ist mit dem?".
Und
erhält zu Antwort: "Das ist ein Spion". Nach zwanzig Minuten
kommt ein Polizist
herein und fragt Herr K., ob er am Donnerstag demonstrieren gehe. Herr
K.
bejaht. Manchmal nehme er an der Donnerstagsdemonstration teil. Der Polizist
fragt: "Was machen Sie dort?" Herr K.: "Das sage ich nicht".
Der Polizist: "Das
finden wir heraus". Donnerstagsdemonstrant mit Plan aus dem Internet
und
Notitzen über Polizisten. Die Recherche über den gefährlichen
Fang läuft offenbar
auf Hochtouren.
Nach weiteren zwanzig Minuten kommt der Polizist zurück, der die
Abfrage
gemacht hat. Herr K. wird nun mit einer Sofortbildkamera fotografiert.
Von vorne
und seitlich. Der Hintergrund bildet eine weiße Wand. Ein Polizist
beginnt,
ein Formular auszufüllen. Herr K. muß nochmals seinen Ausweis
abgeben und
wird wiederum nach Adresse, Beruf, Wohnort etc. gefragt. Die Frage, ob
Herr K.
freiwillig mitgekommen sei, wird im Formular mit "Ja" angekreuzt.
Die Frage ob
Herrn K. eine Straftat vorgeworfen wird, mit Nein. Auf die Frage im
Formular, ob Herrn K. etwas abgenommen worden sei, will der Polizist ebenfalls
"Nein"
ankreuzen. Herrn K. weist darauf hin, daß ihm ein Blatt mit Notizen
abgenommen worden ist. Das bekomme er nicht mehr zurück. Ein weiterer
Polizist fragt
Herrn K., welchen Beruf er habe. Herrn K. antwortet dem Polizisten, er
habe
all diese Frage einem Kollegen beantwortet. Dieser habe die Antworten
in ein
Formular eingetragen. Dort könne man nachlesen.
Eine Foto wird wiederholt. Eines war beim ersten Versuch offenbar unscharf
geworden. Danach wird am Boden mit Kreide eine Markierung gezogen. Damit
in
Hinkunft klar ist, wo der fotografierende Polizist zu stehen hat. Für
weitere
Fälle. Herrn K. wird gesagt, daß er die Stadt Salzburg zu verlassen
habe.
Herrn K. solle - so der Polizist - nach Wien fahren und die nächste
Donnerstagsdemo vorbereiten. Auf Nachfrage von Herrn K.- ob die Ausweisung
für Stadt
Salzburg oder Land Salzburg gelte - meint der Polizist "ganz Salzburg".
Herrn K.
fragt, wie lange er Zeit habe. Schließlich müsse er unter anderem
sein Gepäck
holen. Der Polizist meint, Herrn K. habe zwei Stunden Zeit. und setzt
hinzu:
"Sollten Sie dann noch hier sein, verbringen Sie die Nacht bei uns".
Die
Frage für wie lange diese "Salzburg-Sperre" dauere antwortet
der Polizist "bis
nach den Feiertagen im Herbst" Herrn K. wird noch bestätigt,
daß er dies auch
alles schriftlich bekäme. Herrn K. muß nichts unterschreiben
und bekommt auch
keinen Durchschlag. Dann kann er gehen. Es ist 18:15 Uhr.
Um 19:35 Uhr ist Herrn K. am Bahnhof, kauft eine Fahrkarte nach Wien.
Der
Zug geht um 20:05 Uhr und kommt von München.
Herrn K. geht auf den Bahnhofsvorplatz und in den Bahnhof und macht weitere
Notizen. Drei vorübergehende Polizisten meinen: "Jetzt schreibt
er schon
wieder." Im Bahnhof und außerhalb des Bahnhofes gehen immer
wieder Gruppen von
Polizisten und achten auf Verdächtiges, zum Beispiel auf auf Schreibende.
Um
ca. 20.15 Uhr, mit leichter Verspätung, kommt der Zug aus München.
Eine ganze
Reihe von PolizistInnen nehmen am Bahnsteig Aufstellung betrachten die
Aussteigenden - aus München, Deutschland und sontogen gefährlich
Orten. Der Zug
verläßt Salzburg um 20:20 Uhr.
"Don´t hate the Media, become the Media", steht auf indymedia
zu lesen. Und:
Jeder könne sich als Journalist betätigen, Beobachtungen im
Internet
veröffentlichen. Heerschaaren von Amateurbereichterstattern weltweit
nutzen dieses
Angebot. In Salzburg reichten persönliche Notizen - insbesonders
über die
Polizei - gepaart mit Stadtplänen aus Tageszeitungen, um in Verdacht
zu geraten.
Friedliche Demonstranten sind erwünscht, müssen erwünscht
sein, hieß es
offiziell. Von wegen Verfassung und Versammlungsfreiheit. Und weil man
sich nicht
aussuchen kann, wogegen demonstriert wird, wie sogar der Innenminister
dieser
Regierung kundtat.
Offenbar soll der einzelne politisch bewegte Staatsbürger aber auf
Demonstrationen nicht zu oft gesehen werden. Und nichts notieren. Weil
er nicht
irgendwann einmal verhaftet und fotografiert werden will. Als "Spion",
ganz so, als
hätten wir Krieg. Und Militärgesetzgebung. Tatsächlich
wird in Salzburg zur
Stunde perlustriert, was das Zeug hält.Das heißt: Es wird durchsucht,
wer
immer in Salzburg ankommt und auch nur im mindesten wie ein Demonstrant
aussieht. Einem Journalisten mit Presseausweis wurde ähnlich wie
Herrn K. die
Entfernung aus Salzburg befohlen. Er hatte sich keine Notizen, sondern
Fotos
gemacht. Von Polizisten. Der Ausnahmezustand braucht nicht ausgerufen
zu werden. Er
kann mitten in Europa punktuell etabliert werden. Wenigstens bei kleineren
Protesten.
Die Erlebnisse des Herrn K. in Salzburg können als Provinzposse
gelesen
werden. Wenn sich die Provinzpossen häufen, wie das derzeit der Fall
zu sein
scheint, denkt man eher an eine schöne neue Welt Marke Fahrenheit
451. In der
Spazierengehen schon genügend Abweichung von der Norm war. Ob das
die Freiheit, ist die wir meinen?