PublixTheatreCaravan   Bordercamp
Forchtenstein, Austria
August 10-16, 1998


Bericht aus Tatblatt +102 (14/98)
(sorry, only available in German)


Grenzen Überschreiten!
Ein Bericht über das Camp gegen die Festung Europa

Das Grenzcamp in Forchtenstein im Burgenland sollte ein kleiner Beitrag dazu sein, den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus zu thematisieren. Diskussionen, Aktionen, Vorträge, Workshops und kulturelles Begleitprogramm waren vorbereitet worden, um m–glicherweise massiveren und wirksameren Widerstand gegen das staatliche Vorgehen auf die Beine zu stellen. An die 200 Leute sind dem Aufruf autonomer Gruppen gefolgt, und haben in der Woche vom 10. bis 16. August die Auşengrenze der Europäischen Union angegriffen!


Die burgenländische Grenze nach Ungarn ist seit bereits acht Jahren Schauplatz menschenverachtender Vorgangsweisen des österreichischen Bundesheeres in braver Erfüllung des Schengener Abkommens. Fast ausschlieşlich Grundwehrdiener sind es, die dazu angehalten sind, mit scharfer Munition auf diejenigen zu zielen, die von Hunger und Not getrieben den Versuch wagen, die Insel des Wohlstandes zu erreichen.

Grösstenteils jüngere Autonome und sonstige Linke, hauptsächlich aus Wien, Graz, Linz und Wels, aus Vorarlberg und anderen Bundesländer - teils aber auch aus Deutschland, Italien und Frankreich - sind es, die eine Woche lang die EU-Aussengrenze zwischen Loipersdorf und Klingenbach unsicher machen wollen. Manche kommen auch nur für einen oder mehrere Tage, um sich mit bereits bestehenden Migrantlnnen-Selbstorganisationen und Unterstützerlnnen und Antirassismusgruppen zu vernetzen und eventuell auch neue zu bilden.

Bereits am Montag, dem Anreisetag, treffen etwa 50 Leute ein. Der Dienstag beginnt mit einem Workshop zum Thema Chaowali - trotz höchst unterschiedlicher Positionen bleibt die Diskussion halbwegs im Rahmen. Es sind jetzt etwa 80 Leute im Camp. Nach einem Vortrag von Hannes Hofbauer über die Peripherisierung Osteuropas gibt es das erste grosse Gesamtplenum, in dem Aktionsvorschläge unterbreitet werden. Da diese nicht besonders ausgefeilt sind und den meisten Leuten die Situation vor Ort nicht ganz klar ist, wird beschlossen, am nächsten Tag einen Lokalaugenschein an der Grenze in Loipersdorf vorzunehmen.




Die erste Aktion

Die erste Aktion verläuft daher eher spontan, verfehlt in dem kleinen Ort Loipersbach, welcher direkt an der Grenze liegt, aber sicherlich keinesfalls ihre Wirkung. Treffpunkt der Shuttledienste vom Camp ist beim Freibad in Loipersbach, wo bereits ein Gendermarieauto die Grenzcamperinnen empfängt, die sich blitzschnell zur unangemeldeten Demonstration formieren. Ein ungewohntes, buntes Bild bietet sich der Ortsbevölkerung: Transparente werden ausgerolltund, Flugblätter an die Badegäste verteilt, die nicht unbedingt alle mit den politischen Forderungen der etwa 40 AktivistInnen übereinstimmen. Offensichtlich hat die Gendarmerie schon den Aufbruch aus dem Camp beobachtet, denn Verstärkung trifft schnell ein. Bis zum Bach, der teilweise auf ungarischem Gebietverlaufen soll, sind es nur wenige Minuten. Dort warten ungefähr 10 Soldaten auf das Eintreffen der GrenzcamperInnen, die zuerst etwas planlos herumstehen und Soldaten und Gendarmen verbal zu provozieren versuchen. Die Grundwehrdiener haben anscheinend Sprechverbot, nur der Kommandant äussert sich. Ob dies eine Aufforderung zur Befehlsverweigerung sei, fragt er streng, als AktivistInnen den Soldaten vorschlagen, doch eine Flasche Wein beim Dienst aufzumachen und einfach wegzusehen, falls Flüchtlinge vorbeikämen. Dann wird damit begonnen, im Bach eine symbolische Staumauer zu errichten, die die Grenze wegschwemmen soll. Rostiger Stacheldraht - der alte eiserne Vorhang - wird dabei im Bach entdeckt. Nach etwa 15 Minuten versucht die Gendarmerie einzuschreiten, indem sie Personalien wegen illegalem Grenzübertritt aufnehmen will. Dies ist auch für OsterreicherInnen strafbar. Nach kurzen Protesten wird beschlossen, sich zurückzuziehen, keine der Aktivistinnen muss sich ausweisen. Bei der Rückfahrt nach Forchtenstein gibt es dann doch noch eine Ordnungsstrafe von 300 öS, weil zuviele Leute im Kleinbus mitfahren.




Die grüne Grenze

Die grüne Grenze im Wald, abseits von Orten und Menschen, ist am Donnerstag Ziel der Grenzcamperinnen. Zwei Gruppen zu 10 und 15 Leuten wollen am Nachmittagversuchen, an verschiedenen Stellen über die Grenze zu kommen. Mit den Soldaten soll diesmal freundschaftlich und solidarisch kommuniziert werden - zu offensichtlich war am Vortag zu erkennen, dass die etwa 18- oder 19jährigen Burschen mit wenig Begeisterung ihren Dienst versehen. Die meisten wirkten eher offen und interessiert an den Anliegen der EU-Gegnerlnnen - dies soll heute ausgenützt werden, um politische Inhalte zu vermitteln, anstatt mit Provokationen vor den Kopf zu stossen.

Doch die 10er-Gruppe spaziert über zwei Stunden zwischen Rohrbach und Loipersbach direkt an der grünen Grenze herum, ohne auf Grenzschutztruppen zu treffen. Auffällig ist, dass der gesamte Wald auf österreichischer Seite völlig von Unterholz gesäubert wurde. Wo auf ungarischer Seite ein Dickicht verschiedsenster Büsche und Gewächse vegetiert, steht auf österreichischem Gebiet alle 50 Meter ein Grenzschutzhochstand zwischen nackten Baumstämmen.

Die 15er-Gruppe versucht bei Siegendorf auf einem Forstweg an die Grenze zu kommen. Nach ungefähr einem Kilometer werden sechs Leute von einer Gendarmeriestreife aufgehalten und die Personalien aufgenommen. Der Rest der Gruppe verzieht sich in den Wald und wird nicht kontrolliert. Nach einer Stunde gibt die Gruppe die Suche nach der Grenze auf. Der richtige Forstweg wurde nicht gefunden.


Strassentheater in Mattersburg

Strassentheater in Mattersburg ist der Höhepunkt des Freitags, nachdem mittags schon Workshops und Rollenspiele mit einer Vertreterin der Asylkoordination stattgefunden haben. Diesmal wird der Ablauf der Aktion genau abgesprochen und gut vorbereitet. Am Hauptplatz von Mattersburg, dem grössten Ort in der Gegend, lassen sich zwei Frauen, ein junger Mann und ein Baby nieder. Sie tragen bunte, zerschlissene Kleider, spielen Gitarre und singen jüdische Lieder; die jüngere der Frauen geht mit dem Baby im Tragtuch herum, um Geld zu sammeln. Sie sind Strassentheaterdarstellerinnen; ebenso die Bundesheertruppe, die jetzt den Platz quert und mit Megaphon lautstark eine Personenkontrolle ankündigt. Die Theatersoldaten nehmen die offensichtlichen Nicht-österreicherlnnen mitsamt dem Baby fest und verlangen Arierausweise von PassantInnen. Die Bevölkerung reagiert eher ablehnend, einige Leute lassen sich auf Diskussionen mit den Aktivistinnen ein. Von einigen jungen Menschen gibt es positive Rückmeldungen.




Kundgebung am Grenzübergang Klingenbach

Auch am Samstag, um 13.00 Uhr, bei der antirassistischen Kundgebung am Grenzübergang Klingenbach wird Strassentheater eingesetzt. Etwa 100 Menschen sind gekommen, um die im Stau stehenden Wochenendtouristinnen mit Flugblättem auf den Grund der langen Grenzwartezeiten aufmerksam zu machen. Transparente sind gut lesbar plaziert. Oie im Schrittempo Vorbeifahrenden müssen an zwei zugedeckten Toten vorbei (zwei Paar Schuhe und eine Plane genügen zur täuschend echten OarstelIung), neben denen auf einem Schild zu lesen steht: "Bei der illegalen Einreise ums Leben gekommen". Einige Meter weiter wird ein Soldat gefoltert; er hat einen Flüchtling übersehen. Seine Kollegen schleppen derweil eine ärmlich aussehende Frau mit einem kleinen Kind brutal die Strasse entlang. Einer derSoldaten reiBt sich immer wieder die Uniform vom Leib, rennt davon und schreit: "Ich mach nicht mehr mit bei dieser ScheiBe! Ich will nicht mehr!" Oie Gendarmerie macht fast keinen StreB. Einige Male entstehen groteske Situationen, als sich echtes Grenzpersonal mit TheatergrenzschützerInnen vermischen: Echte stellen sich lässig neben den "Leichen" auf, von wo sie vorher Unechte verwiesenhaben, deren Aufgabe es war, stolz neben den Leichen zu stehen. Sie sind somit in das Schauspiel voll integriert und die Unechten sind frei um an anderer Stelle einem vermeinlichen Flüchtling nachzujagen. Insgesamt war diese Geisterbahn für die Vorbeifahrenden sicher ein beeindruckendes Schauspiel; die Flugblätter wurden von fast allen Autoinsasen angenommen. Die Kundgebung dauerte bis 16.00 Uhr.




Durchschwimmung des Stausees

Da es sehr heiss war, entschlossen sich danach noch einige Camperinnen, eine Durchschwimmung des Stausees in Forchtenstein, unweit des Grenzcamps, vorzunehmen. Nach dem Vorbild der bereits 1995 in Wien vorgenommenen "Donaukanaldurchschwimmung", sprangen etwa zehn teils nackte Leute mit Kleiderbündel auf dem Kopf ins Wasser und riefen nach Asyl. Ihre Schreie wurden über das Wasser getragen, sodass es von allen Ufern aus gut zu hören war. Auf der anderen Seite angelangt wurden sie von Uniformierten in Empfang genommen, niedergeprügelt und in ein imaginäres Schubgefängnis gesteckt. In anschliessenden Diskussionen mit dem Publikum zeigte sich teils Verständnis für die politischen Anliegen der AktivistInnen, insgesamt hielten die ortsansässigen Leute andere Ansätze als Grenzen dicht machen für utopisch. Ein Mann schimpfte über die "Sexbelästigung", bevor er abzog.


Plenum und nächtlicher Grenzspaziergang

Abends gibt es das grosse Abschlussplenum - einer der wichtigsten Beschlüsse ist es, eine Kampagne zur Entkriminalisierungvon Fluchthilfe in Angriff zu nehmen. Danach findet noch ein nächtlicher Grenzspaziergang statt. Neun Leute gehen etwa eine Stunde lang die grüne Grenze ab, wo am Donnerstag kein Soldat zu sehen war. Auch diesmal treffen die Camperinnen auf keine Kontrolle. Als sie jedoch zu den Autos zurückkommen, besucht sie ein Bundesheerjeep. Nach Angaben der Grenzschützer, welche die nächtlichen SpaziergängerInnen sofort auf ihre vollständige Anzahl überprüfen, waren sie schon lange vorher per Nachtsichtgerät entdeckt worden. Kurze moralische Apelle an die Soldaten erfolgen, danach dürfen die Camperinnen ohne Personalienaufnahme fahren. Ein Gendarmerieautofolgt ihnen noch bis Rohrbach.




Grenzen überschreiten

Grenzen überschreiten wollten aber am Sonntag, dem Abreisetag, doch noch einige. Mehrere Gruppen zu je drei Leuten versuchen, von ungarischer Seite kommend, die Grenze der Festung Europa illegal zu überschreiten. Über die Grenze selbst zu kommen, stellt sich als einfach heraus, doch das Hinterland ist gut überwacht. Das Ergebnis der Recherche ist deprimierend: nur einem Drittel der Gruppen gelingt es, ohne Kontrolle bis Rohrbach zu kommen, die anderen werden von Soldaten überprüft, aber unbehelligt weitergelassen.




Gesprächskultur und Nazi-Paranoia

Störend wurde von einem Grossteil der zahlreich anwesenden Frauen und einigen Männern die Gesprächskultur am Gesamtplenum empfunden. Einmal mehr setzten sich die Lauteren und Schnelleren durch, was die konstruktive Zusammenarbeit, vor allem die Planung von künftigen Strategien und Aktivitäten, erheblich behinderte. So zogen sich Wiener Szenewickel, beginnend mit einer agressiven Chaovali-Diskussion bereits am Montag Abend beim Lagerfeuer, wie ein rotes Band durch die ganze Woche. Schon am Dienstag Abend war zu bemerken, dass eher Grüppchenbildung bei den Zelten, als Gemeinsamkeit beim Lagerfeuer stattfand - vor allem die Auswärtigen zogen es angesichts der massiven, teils persönlich werdenden Streitereien vor, sich zurückzuziehen. Es drängt sich die Frage auf, wie sinnvoll es ist, spezielle Konflikte der Wiener Gruppen in ein internationales Treffen, welches vor allem der Vernetzung sowie Aktivitäten vor Ort dienen soll, hineinzutragen. Ebenso diente ein 60 km weiter in Mönchhof geplantes Konzert für rechtsextreme Jugendliche aus ganz Europa, weIches jedoch polizeilich untersagt wurde und nicht stattfand, mehrmals dazu, das Zusammengehörigkeitsgefühl im Camp mittels Nazi-Paranoia zu bestärken. Einige exponierten sich beinahe allabendlich durch Angstmache vor Faschoangriffen auf das Camp und trieben die Diskussion in Richtung militante Verteidigung.

Nach den massiv vorhandenen internen Schwierigkeiten mutete das krampfhafte Heraufbeschwören eines äusseren Feindes geradezu lächerlich an; leider finden sich allzu kampfbereite Macker aber schnell zusammen und bedrohen mit ihren Vorstellungen von "Sicherheit" so manchen ruhigen Nachtschlaf. Grotesker Höhepunkt der breiten Suche nach dem Angreifer: als zwei etwa 20 jährige Forchtensteiner auf ein Bier ins Camp kommen, werden sie mehrfach als "Spitzel" identifiziert und scharf gebeten, zu gehen - dies obwohl zuvor bereits mehrere Camperinnen Kontakt zu den jungen Männem, die traurig und resigniert sind, aufgenommen haben.




Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Camp, welches als eine der zahlreichen Aktivitäten gegen den österreichischen EU-Vorsitz zu betrachten ist, einen kleinen, aber wichtigen Beitrag im Kampf gegen den staatlichen und alltäglichen Rassismus darstellt. Die Organisation des Camps war sicher keineswegs perfekt, wobei den Vorbereiterinnen grösstes Lob ausgesprochen werden muss, da sie, obwohl wenige, doch den Rahmen für die ganze Woche geschaffen haben. Die Selbstorganisation der Volxküche funktionierte nach Anlaufschwierigkeiten und das abendliche Kulturprogramm, bestehend aus Kinoki-Stummfilmen, einer Volxthater-Lesung und dem Lafnitzdelta Blues Duo, fand trotz technischer Probleme stets statt. Kritisch angemerkt werden muss, dass im Vorfeld keine genauere Recherche und Aktionsplanung stattgefunden hat, den Teilnehmerlnnen des Camps aber nicht klar mitgeteilt wurde, dass Eigeninitiative gefragt sei. Dadurch kam es erst am dritten Tage zu einer Aktivität ausserhalb des Camps, was sehr schade ist. Es hätten weit mehr Orte in der Gegend aufgesucht werden können. öffentlichkeitsarbeit in der ansässigen Bevölkerung kam zu kurz, was sicher auch an der fehlenden, technischen Infrastruktur (kein Kopierer, Fax, etc.) lag. Dass an den Aktionen meist nicht einmal die Hälfte der im Camp anwesenden Leute teiInahm, ist ein anderes Kapitel. Zu einer exakten Durchplanung ist wohl auch noch Motivationsarbeit von Nöten.

Das Ziel des Camps, nämlich durch Provokation die Sichtbarmachung des militärischen Apparates zu erreichen, konnte jedenfalls bei Weitem nicht erreicht werden. Gendarmerie wie Bundesheer verfolgten bewusst eine deeskalative Strategie - zwar gab es 12-Stunden-Dienste und ständige Bereitschaft ohne Freizeit für die Soldaten - an der Grenze selbst zeigten sie aber eher auffällige Unterpräsenz. Die praktisch nicht erfolgte Pressearbeit zu den vom Camp ausgehenden Aktionen tat das ihrige. Ein nächstes Camp zeichnet sich ab; reichlich gesammelte Erfahrungen werden vielleicht dazu beitragen, nächsten Sommer mehr Medienpräsenz zu erreichen. Für die, die dort waren, war's auf jeden Fall äusserst lehrreich.