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Brief an die Außenministerin
Dr. Klaus Neundlinger

Sehr geehrte Frau Bundesministerin!

Ich darf zunächst einen Satz zitieren, den ich auf der Homepage des Außenministeriums gefunden habe: "Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte ist mir stets ein persönliches Anliegen gewesen und ich werde mich dafür sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene aktiv einsetzen." Damit beschreiben Sie einen der programmatischen Schwerpunkte Ihrer Arbeit als Ministerin. Ich war deshalb äußerst befremdet über die Aussagen, die Sie gestern in einer Pressekonferenz anlässlich des Arbeitsbesuchs Ihres italienischen Amtskollegen Ruggiero getätigt haben. In Bezug auf die inhaftierten Mitglieder der Volxtheater-Karawane meinten Sie – ich zitiere aus Ihrer hauseigenen Presseaussendung – Folgendes: "Ich habe mir bezüglich der Inhaftierten auch Informationen des Innenministeriums vorlegen lassen. Nach Angaben des Bundesministerium für Inneres sind einige der Verhafteten in Österreich bereits durch Störung der öffentlichen Ordnung und Hausbesetzungen aufgefallen und einschlägig vorgemerkt. Überdies sind einige auch der gewaltbereiten Szene zuzuordnen. Nochmals - es handelt sich dabei nur um einige, der 17 inhaftierten. Nur diese dürfen sich nicht wundern, daß sie von der Polizei festgenommen werden, sei es in Italien oder sonstwo". Darüber hinaus bekundeten Sie "vollstes Vertrauen" in die italienische Justiz.

Dazu möchte ich anmerken: Bei Ihren Aussagen handelt es sich meiner Meinung nach um eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Die Tatsache, dass Sie sich "Unterlagen aus dem Innenministerium" (!) über die Inhaftierten vorlegen haben lassen, grenzt an - sagen wir es einmal vorsichtig - überwachungsstaatliche Methoden. Was haben Unterlagen, die die österreichische Polizei über einen Menschen anlegt, damit zu tun, dass dieser in einem anderen Land unter offensichtlich zweifelhaften Umständen und Anschuldigungen festgenommen wird? Was wollten Sie mit diesem Vorgehen feststellen? Wollten Sie sich ein Bild darüber machen, für wen Sie sich da einsetzen sollten? Auch dies stellt eine Missachtung der Grundrechte für die Betroffenen dar, denn diese müssen ohne Ansehen der Person gelten. Die deutschen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele und Angelika Buntenbach haben gestern ebenfalls eine Pressekonferenz gegeben, nachdem sie mehrere Tage in Italien verbracht hatten, um sich über die Situation vor Ort ein Bild zu machen. Ich zitiere aus der Presseaussendung der Grünen Bundestagsfraktion: "Die bisherigen Aussagen von Betroffenen weisen auf ein unglaubliches Vorgehen der italienischen Sicherheitskräfte bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua hin. Auch wenn es bei den Demonstrationen zu Straftaten gekommen ist, können diese nicht Reaktionen wie den Überfall auf die Diaz-Schule rechtfertigen. Nach den übereinstimmenden Angaben aller Betroffenen und zahlreicher Augenzeugen haben die Angegriffenen keinen Widerstand geleistet. Sie sind dennoch so stark geschlagen und getreten worden, dass viele von ihnen schwerste Verletzungen davongetragen haben. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat den Prozess der Haftprüfungen der in Genua inhaftierten Globalisierungsgegner beschleunigt. Am Mittwochabend sind etliche Gefangene aus dem Gefängnis in Pavia entlassen worden. Der Haftrichter hat keine ausreichenden Hinweise auf Straftaten feststellen können. Die entlassenen Deutschen sind dennoch nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern sofort über die Grenze abgeschoben worden. Obwohl ihnen nichts vorzuwerfen ist, werden ihre Freiheitsrechte beschnitten. Wir kritisieren dieses Verhalten des italienischen Innenministeriums. Das verträgt sich nicht mit der europäischen Freizügigkeit."

Wie der Abgeordnete Ströbele bei der Pressekonferenz betonte, weisen die Aussagen der Inhaftierten und derer, die aufgrund des Grades ihrer Verletzungen im Krankenhaus waren, größte Übereinstimmung auf. Darüber hinaus stimmen sie ebenfalls mit den Aussagen eines Polizisten, der in der Nähe von Genua in der Kaserne von Bolzaneto seinen Dienst leistet, überein. Dieser Polizist, der der zweitgrößten italienischen Tageszeitung "La Repubblica" ein Interview gegeben hat, erzählte von systematischen Folterungen im Anschluss an die brutale Stürmung der Diaz-Schule und des unabhängigen Pressezentrums. In den letzten Tagen sind immer wieder Dokumente aufgetaucht, die nahelegen, dass die Polizei Kontakte zum so genannten "Schwarzen Block" hatte (Zeugenaussagen, Videos und Fotos, teilweise gesendet im Programm RAI 3). International ist das italienische Innenministerium unter großen Druck geraten. Wie die Mission der beiden deutschen Bundestagsabgeordneten beweist, ist es sehr wohl möglich, durch diplomatisches Vorgehen und eine intensive Verhandlungstätigkeit die Entlassung der Gefangenen zu erwirken. Meiner Meinung nach deutet dies auf die Haltlosigkeit der erhobenen Beschuldigungen in einem Großteil der Fälle hin.

Anstatt ähnliche Schritte einzuleiten haben Sie, Frau Ministerin, sich Akten über die Verhafteten aus dem österreichischen Innenministerium kommen lassen. Man wird den Eindruck nicht los, der Mangel an Engagement verdanke sich dem Umstand, dass es sich bei den Gefangenen aufgrund ihres Einsatzes im Zusammenhang mit einer Kritik der europäischen Migrationspolitik, des strukturellen sowie des offenen Rassismus auch um GegnerInnen jener Bundesregierung handelt, der Sie selbst angehören. Ich brauche wohl nicht hinzufügen, welch einen Eindruck dies in Bezug auf Ihre Amtsführung hinterlässt. Ich fordere Sie daher dringend auf, entweder dem deutschen Beispiel zu folgen und eine Gruppe von Abgeordneten zu entsenden, oder die Konsequenzen aus dem durch Ihr Verhalten entstandenen Bild zu ziehen und zurückzutreten.

Dr. Klaus Neundlinger