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Cyberpunk - Ein Interview mit der VolxtheaterKarawane

- das theater durchbricht immer öfter das traditionelle konzepte mit den mitteln der kunst die realitaet und das tatsaechliche leben der menschen zu verdecken. dabei handelt es sich oft um politische aktionen. wie ist das mit euren aktionen und performances?

PTC: fuer diese frage ist es wichtig, dass unser zugang zum theater sich immer auf das reale leben der menschen bezieht. unser theater findet auch nicht in einem traditionellem, im 19. jahrhundert erbauten gebaeude statt, wo die menschen hinkommen koennen um ein theater zu sehen. Checkpointdas volxtheater hat auch keine fixen rollen. unsere idee zum volxtheater war theater als einen work-in-progress prozess zu betreiben das im spannungsfeld der politik stattfindet. es ist kombiniert mit strassentheater und performances, unabhaengiger medienarbeit, dokumentation, information und diskussionen ueber migration und globalisierung und unserer forderung nach bewegungsfreiheit fuer alle. in dieser form ist das volxtheater ein radikales politisches, kuenstlerisches und mediales projekt und ein prozess eines sozialen aktionstheaters, einer form eines kulturellen diskurses, an dem nicht nur so genannte "kuenstlerInnen" teilnehmen koennen. ein anderer teil ist das prinzip der selbstorganisation. damit ist der umgang mit der eigenen infrastruktur gemeint, und die organisierung von schlafplaetzen und kueche. um auf fixe rollen verzichten zu koennen ist es aber noetig das die vorhandenen aufgaben innerhalb der gruppe routieren koennen. hier stossen wir an grenzen, es funktioniert nicht immer so, wie wir uns das vorstellen.

- wann und wodurch wurde das volxtheater gegruendet?

PTC:
das erste volxtheater entstand bereits bereits 1994. es wurde in einem autonomen projekt, dem EKH (Ernst Kirchweger Haus) in Wien gegruendet. das EKH wurde 1990 besetzt, mittlerweile gibt es aber bereits vertraege und das projekt ist legal. dort entstanden die ersten ideen von menschen die im EKH wohnten, (anarchistInnen, fluechtlinge, kurdInnen ...) ein politisches theater in ihren eigenen raeumen zu betreiben. die "Drei Groschen Oper" von Brecht wurde inszeniert und es wurde daran gearbeitet eine andere form von organisation zu finden, als in "normalen" theaterhaeusern: ohne regiseur, ohne einer hierarchischen institution und offen, so dass jedeR die/der an einem derartigen prozess interessiert ist, daran teilnehmen kann. von beginn an war es wichtig, theater als eine form von kulturellen und politischen protest zu sehen, und natuerlich auch eine menge spass daran zu haben.

Megafon mit dem theater hast du die moeglichkeit zu themen wie asyl, kapitalismus und globalisierung radikal-demokratische forderungen zu stellen. denken, arbeiten und artikulieren wie es eben gerade in oesterreich immer ein problem darstellte, auch bevor die rechts/rechtsextreme regierungskoalition an die macht kam. unsere strategie hat sich im laufe der zeit veraendert, und wir sind aus den eigenen theaterraeumen im EKH rausgegangen um im oeffentlichen raum auftreten zu koennen. auf die strasse zu gehen heisst fuer uns, provokationen und irritationen zu setzen und die strukturen von hierarchien und gewalt in frage zu stellen. die volxtheaterkarawane war bereits der dritte versuch eine kulturelle-politische tour im oeffentlichen raum zu machen.
die erste tour war von EKH und Volxtheater im Mai 2000 organisiert (einige monate nachdem die rechts/rechtsextreme regierung an die macht kam) und fuehrte uns durch die groesseren staedte in oesterreich, wo wir den oeffentlichen raum besetzten und uns auf den strassen niederliessen mit dem slogan "Anarchie und Ananas statt Österreich. wir machten strassentheater, volxkuechen, live-radio etc.

das zweite projekt war die "kulturkarawane gegen rechts" die im oktober 2000 durch kaernten fuehrte, das suedliche bundesland in österreich mit haider als landeshauptmann. wir fuhren langsam, mit traktoren durch kleine doerfer mit musik und aufrufen in deutscher und slowenischer sprache mit der zentralen forderung: "to step across the border - fuer ein offenes kaernten", was im land von haider schon eine ziemliche provokation darstellt.


im fruehjahr 2001 entstand dann die idee der VolxTheaterKarawane, als wir uns dafuer entschieden eine internationale karawane durch europa zu starten. zur gleichen zeit fand das grosse treffen von "peoples global acion" in mailand statt. dadurch entstand die idee, die verschiedenen widerstands-aktionen die europaweit im sommer 2001 geplant waren zu verbinden und mit der karawane zu den verschiedenen politischen und kulturellen events zu reisen als ein symbol fuer den diskurs über migration und globalisierung. jedes dieser sozialen treffen ist fuer uns ein ort und eine möglichkeit um an offenen diskussionen zum thema "recht auf bewegungsfreiheit" und dem aufruf "NOBORDER" teilzunehmen. die volxtheaterkarawane sah sich selbst von beginn an als eine mobile info-kampagne zu diesen problemen und als eine experimentielle form der direkten intervention in den öffentlichen raum. wir wollten eine kombination aus direkter aktion, nomadischem reisen, austausch von erfahrungen, dokumentationen und medienarbeit und party schaffen. wir entschieden uns die volxtheaterkarawane gemeinsam mit der plattform "für eine welt ohne rassismus" (www.no-racism.net) zu entwickeln. die plattform ist auch teil des europaweiten noborder-netzwerks (www.noborder.org) und wir wollten mit politischen gruppen an den orten die wir besuchten zusammenarbeiten.

für die gesamte medienarbeit gab es eine gute zusammenarbeit mit indymedia. einige indy-aktivistInnen reisten auch mit der karawane mit. wir wussten ja auch, dass das "staatstheater" unsere aktivitaeten beobachten wuerde und wir organisierten alles so offen, dass es fuer alle menschen möglich war an den prozessen teilzunehmen. auf diesem weg organisierten wir in offenen plenas geld, busse, autos, materialen fuer die volxkueche, soundsysteme, kostueme, requisiten etc. und kulturelle aktivistInnen von verschiedenen staedten und laendern fuer die europa-weite noborder kampange.


- Victor Turner, ein theoretiker der mit der "schechner performing gruppe" arbeitete schrieb, dass es durch performance moeglich sei, einen symbolischen konflikt zu kreieren, mit kulturellen symbolen zu spielen, diese symbole zu zerstoeren und neu zu schaffen. das ist ein weg der transformation von vertrautem zu neuen ideen und denkanstoessen durch direkte aktionen. habt ihr das gefuehl, dass euch das in den performances der volxtheaterkarawane gelungen ist?

PTC:
die representation von theater und fiktion findet in der gesellschaft permanent statt. all diese ordentlich schlechten schauspieler auf dem politischen bankett die nach mehr macht streben, spielen die könige und zeigen die "rechte gewalt" (was in ihrer auffassung von theater sicher nicht mit brutaler gewalt in verbindung steht ... ) was ist die wahrheit ueber die macht der könige und ihrer strategie der ausbeutung?


Wir wollen jedenfalls die Signaturen und Codes der Könige mit unseren "Alien-Nation" - Symbolen konfrontieren. Es gibt keine "Wahrheit", weder in der politischen Realität noch in den Medien. Als sogenannte SchauspielerInnen haben wir die Möglichkeit, unsere Körper und unsere Sprache radikal einzusetzen: "Zerstört die Hochkultur! Schafft Eure eigenen Signien, Zeichen und Symbole!" Wir greifen also Symbole auf, spielen mit ihnen und gelangen dadurch zum politischen Kern. Alles Theater? Alles Politik! Wir geniessen es, ein Theater der Signien, Zeichen und Symbole zu spielen; ein Theater mit einer radikalen, politischen Botschaft: "No border, no nation, no one is illegal!"

Wir denken, dass dies die grossen Themen dieses Jahrhunderts sind. Aber auch der Gruppenprozess selbst ist bereits ein politisches Projekt, dass strukturelle Hierachien zu vermeiden sucht. Es gibt bei uns keine "FührerInnen". Dies bedeutet natürlich permanente Konflikte, die es in Dialoge umzuwandeln gilt. Diese können manchmal sehr hart sein. Auf der anderen Seite machen wir uns natürlich auch keine Illusion darüber, dass wir alle Produkte einer hierachischen Gesellschaft sind und damit diese Strukturen in uns tragen. Doch gerade gegen diese Strukturen "in uns" kämpfen wir an.


- Könnt ihr uns ein Beispiel für eure Performances geben, damit wir uns genauer vorstellen können, wie eure Aktionen aussehen?

PTC:
Materialien, die in unserem Theaterprozesses zum Einsatz kommen umfassen unter anderem eine Volxküche, Info-Material, Bücher, Computer, ein Soundsystem, Transparente, orange Overals und Helme (mit unserem Logo), SoldatInnenuniformen mit blauen UNO-Helmen, Unmengen an Reifenschläuchen, andere Kostüme oder Jonglier-Austrüstungen. Was wir davon bei den Aufführungen konkret verwenden, hängt vor allem von der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Ort ab, aber auch von der Anzahl an Personen, die daran mitwirken. Am 7. Juli, dem europäischen Noborder-Aktionstag, zum Beispiel, inszenierten wir an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien einen dritten Kontrollpunkt im Niemandsland zwischen den jeweiligen Grenzstationen. Dort verteilten wir an Reisende "Noborder-Pässe" und forderten die Menschen auf, diese statt ihren regulären Reisepässen bei den Grenzkontrollen vorzuweisen.

- Welche Performances habt ihr bei den Demonstrationen in Genua aufgefuehrt?

PTC:
Auf der österreichischen Indymedia-Webpage findet sich folgender Bericht: http://www.austria.indymedia.org/front.php3?article_id=1410&group=webcast
Es ist der Abend des 19.Juli 2001, derzeit nimmt die VolxTheaterKarawane an der Demonstration für die Rechte von MigrantInnen in Genua teil, der ersten in einer Reihe von Demonstrationen anlässlich des G8-Gipfels. Erste Schätzungen sprechen von 20.000 bis 50.000 TeilnehmerInnen während in den nächsten Tagen bis zu 150.000 Menschen in Genua erwartet werden. Das Zentrum der Stadt wurde von der Polizei abgeriegelt und mit 5m hohen, einbetonierten Zäunen umgeben. Hubschrauber kreisen unaufhörlich über der Stadt. Doch die italienischen Behörden versuchen bereits an den Grenzen die DemonstrantInnen an der Einreise zu hindern - auch ein Bus der VolxTheaterKarawane wurde abgewiesen, da sich drei Personen auf einer dubiosen Liste befinden. Die betroffenen Personen bekamen von den GrenzbeamtInnen ein Dokument ausgehändigt, dem zufolge über sie ein Einreiseverbot für 20 Tage verhängt wurde. Die rechtliche Grundlage dieser Liste ist hingegen äusserst fragwürdig, deren Entstehung scheint vor allem auf Spekulationen der österreichischen Behörden zurückzugreifen. So hat uns ein italienischer Polizist bereits im Zuge einer der beinahe täglich stattfindenden Kontrollen erklärt, dass österreichischen Behörden die Vermutung geäussert hätten, dass die Karawane Waffen nach Genua schmugglen könnte um Terroranschläge zu verüben. Selbstverständlich brachten die zahlreichen Kontrollen keinerlei derartige Gegenstände zutage - nichtsdestotrotz wurden alle aufblasbaren Gegenstände wie "Springbälle" oder Reifenschläuche "sicherheitshalber" einmal zertört.

Allen Widerlichkeiten zum Trotz starteten gestern, am 18. Juli, die Aktionen der Karawane. Am frühen Abend machte sich eine Gruppe von rund einem Dutzend "KriegerInnen" auf, um sich - ausgerüstet mit orangen Overalls, Spritzpistolen, Transparenten und Flugblättern - zum Konvergenzzentrum durchzukämpfen, wo an diesem Abend ein Konzert von Manu Chao stattfinden sollte. Nicht nur, dass sich die AktivistInnen ihren Weg durch zahlreiche JounalistInnen schlagen mussten und die Security-guards des Genoa Social Forum mit sanfter Theatergewalt davon überzeugt werden mussten, dass der Eintrittspreis von 10.000 Lire nicht bezahlt wird; vor allem war es unbedingt nötig, die gesamte Zeit vor, während und nach dem Konzert Theater zu spielen. Vor der Aktion hatte die Gruppe einen Anwalt konsultiert, um eine Lösung für die orangen Helme zu finden, die nach italienischem Recht als Waffen eingestuft werden - egal ob es sich dabei um handelsübliche Baustellenausrüstung handelt oder nicht, egal ob diese am Kopf getragen werden oder in der Hand. Nur im Rahmen einer Strassentheater-Aufführung, so der Anwalt, sei der Einsatz von Helmen erlaubt - jedoch nicht einmal am Weg zur oder von der Theateraktion.

Für die Demonstration am 19 Juli waren schon in den Tagen davor eine Reihe von Vehikeln, Kostümen und Musikinstrumenten gebastelt worden - grösstenteile aus Abfall und Gegenständen, die auf den Strassen und auf Müllhalden gefunden worden waren. Das grosse Salsa-Theater beinhaltete unter anderem die Arche-Genoa, sinkende Schiffe und Alien-Nation-UFOs, gesteuert von PiratInnen und anderen, die gemeinsam für die Rechte von MigrantInnen demonstrierten.

Wenige Tage nach der Demonstration war es mit der Bewegungsfreiheit der DemonstrantInnen selbst allerdings vorbei - in Polizeistaats-Manier hiess es dann: "Ihr seid keine Schauspieler, ihr seit Akteure der Gewalt! Ihr seid kriminell. Ihr habt Genua zerstört!" Unsere Antwort: "Wir sind nicht gefährlich sondern gefährdet. Wenn, dann sind wir politisch-kritische, gefährliche KünstlerInnen."

- In vielen Fällen ist Theater Aktion, und oft ist auch Aktion Politik; könnt ihr die Bedeutung eures Slogans "No border, no nation" etwas näher erläutern?

PTC:
Wie bereits eingangs erwähnt, begab sich die VolxTheaterKarawane als Bestandteil des Noborder-Netzwerkes auf Tour. Das Netzwerk als Reaktion auf das Treffen der Regierungschefs der Europäischen Union im Oktober 1999 in Tampere, Finland gegründet. Verschiedene Gruppen demonstrierten damals unter dem Slogan "Mehr Kontrolle, mehr Diskriminierung, mehr Abschiebungen!" gegen die Vorbereitung der "Amsterdamer Verträge", deren Inkrafttreten einen weiteren Schritt in Richtung der Festung Europa darstellte. Die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" ist seit Dezember 2000 Teil dieses Netzwerkes und die Karawane wurde im Rahmen der Plattform organisiert.

Alle Mitglieder des Noborder-Netzwerkes haben die Forderung nach einer Öffnung der Grenzen auf ihrer Agenda und auch für die Karawane war diese Forderung zentral. Angesichts der Situation von Tausenden Flüchtlingen in Europa ist es für uns klar, offen Grenzen, aber auch "open minds" zu fordern. "No border" bedeutet auch, eigene Grenzen zu überschreiten. Als Theatergruppe gegen Rassismus zu intervenieren bringt natürlich viele Probleme mit sich - wir müssen über unsere eigenen Rassismen reflektieren und über die Symbole, die wir verwenden nachdenken. Der Slogan "No border" steht dabei als Symbol für Bewegungsfreiheit. Wenn man sich jedoch mit Grenzen beschäftigt, bedingt dies automatisch auch die Auseinandersetzung mit dem Konzept von Nationen - diese benötigen und bedingen Grenzen, Nationalismus und chauvenistische Politik. Wenn man Grenzen in Frage stellt, muss dies auch Nationalstaaten miteinschliessen. Our nation is aliennation.


- Was wird die nächste Aufführung der VolxTheaterKarawane sein?
Derzeit arbeiten wir an Strassentheater-Aktionen für den Aktionstag gegen Krieg und Kaptialismus am 29.September sowie dem Noborder-Aktionstag am 13. Oktober. Ausserdem wird es in naher Zukunft ein Theaterstück geben, dass sich im Prinzip mit den Ereignissen und Erfahrungen des Sommers auseinandersetzt. Die Karawane zieht weiter...


Weitere Infotmationen über die Folgen von Genua sind auf den Webseiten von
no-racism.net, Indymedia Italy, Indymedia Austria und Noborder Network.