Eine Gruppe von Lesben- und SchwulenaktivistInnen hat heute vormittag, 23. März 2000, die portugiesische Botschaft in der Wiener Innenstadt besetzt, um gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Österreich aufmerksam zu machen.
Die Besetzung der Portugiesischen
Botschaft in Wien durch zwei Lesben und zwei Schwule endete donnerstag mittag
nach zwei Stunden, nachdem ein Gespräch mit dem portugiesischen Botschafter
für 15 Uhr 30 vereinbart worden war. Dieses Gespräch fand dann auch statt, dauerte
40 Minuten, und der Botschafter sagte zu, die Anliegen der BesetzerInnen an
die portugiesische Regierung weiterzuleiten.
(Anmerkung: Es ging den BesetzerInnen natürlich in erster Linie um die Medienaufmerksamkeit.
Dank der Zusammenarbeit mit der portugiesischen Lesben- und Schwulenorganisation
Opus Gay haben die portugiesischen Medien sofort nach der Besetzung über die
Aktion berichtet.)
Infos auch im Internet: www.hosiwien.at
ERKLÄRUNG
Eine Gruppe von unbewaffneten
Lesben- und SchwulenaktivistInnen hat heute vormittag die portugiesische Botschaft
in Wien friedlich besetzt, um anläßlich des EU-Gipfels in Lissabon auf die massiven
Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Österreich aufmerksam zu machen
und der erst vor einer Woche (16. März 2000) vom Europa-Parlament verabschiedeten
Aufforderung an Österreich, § 209 StGB aufzuheben und alle wegen dieser Bestimmung
inhaftierten Personen unverzüglich freizulassen, Nachdruck zu verleihen.
Durch die Aufrechterhaltung des diskriminierenden Mindestalters für homosexuelle
Beziehungen unter Männern (es liegt bei 18 Jahren, während es für Heterosexuelle
und Lesben bei 14 Jahren liegt) verstößt Österreich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Ein derartiges unterschiedliches Mindestalter wurde von der Europäischen Menschenrechtskommission
1997 aufgrund einer britischen Beschwerde als Konventionsverletzung eingestuft.
1998 hat auch der UNO-Ausschuß für Menschenrechte Österreich zur Streichung
des § 209 StGB aufgefordert. Österreich hat nicht nur die Entscheidungen dieser
beiden internationalen Menschenrechtsorgane ignoriert, sondern auch entsprechende
Aufforderungen des Europäischen Parlaments. Insgesamt fünfmal hat das EP ausdrücklich
und namentlich an Österreich appelliert, diese menschenrechtswidrige Bestimmung
abzuschaffen, zweimal hat das EP Österreich aufgefordert, alle nach § 209 StGB
inhaftierten Personen unverzüglich zu begnadigen und freizulassen (eine detaillierte
Chronologie findet sich im Anhang).
Hier liegt also eine schwerwiegende und anhaltende Menschenrechtsverletzung
vor. Für diesen Fall sieht Artikel 7 EU-Vertrag die Suspendierung von bestimmten
Rechten des betreffenden Mitgliedsstaates vor.
In der Präambel zum ÖVP-FPÖ-Koalitionsabkommen bekennt sich die neue Regierung
zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs. Das
muß auch für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes gelten. Noch 1995 haben
ÖVP und FPÖ jedoch eine Wiedergutmachungsregelung für die wegen ihrer sexuellen
Orientierung Verfolgten im Opferfürsorgegesetz verhindert. Wir fürchten daher,
daß ohne Druck vom Ausland dieses Bekenntnis für die lesbischen und schwulen
Opfer des Nationalsozialismus folgenlos bleiben wird.
Die friedlichen BesetzerInnen fordern daher:
Eine öffentliche Zusicherung
von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel,
1. alle nach § 209 inhaftierten Personen innerhalb eines Monats aus den Gefängnissen
zu entlassen, alle gerichtsanhängigen Verfahren nach § 209 unverzüglich einzustellen
und § 209 bis Ende April 2000 im Parlament aufzuheben, und
2. noch vor der Sommerpause die Bestimmungen des Opferfürsorgegesetzes auf die
wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten Personen auszuweiten oder eine
eigene gleichwertige gesetzliche Regelung zu schaffen.
Die BotschaftsbesetzerInnen werden die Botschaftsräume erst dann freiwillig
verlassen, wenn Bundeskanzler Schüssel eine entsprechende öffentliche Erklärung
abgegeben hat.
Außerdem verlangen die
BesetzerInnen, mit dem derzeitigen EU-Ratspräsidenten, dem portugiesischen Premierminister
António Guterres in dieser Angelegenheit zu telefonieren, um ihn persönlich
über die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Österreich zu informieren
und ihn aufzufordern, sich aus diesem Grund im Europäischen Rat, der zur Zeit
in Lissabon tagt, für die Einleitung eines Verfahrens gegen Österreich nach
Artikel 7 EU-Vertrag einzusetzen.
Die 14 EU-Partner Österreichs haben erklärt, die Menschenrechtslage in Österreich
beobachten zu wollen und im Falle deren Verletzung aktiv zu werden. Durch die
Beibehaltung und fortwährende Anwendung des § 209 StGB liegt bereits eine schwerwiegende
und anhaltende Menschenrechtsverletzung vor, die die 14 Staaten nicht ignorieren
können, nur weil diese Homosexuelle betrifft. Die BesetzerInnen verlangen daher,
daß die EU-Staaten entsprechenden Druck auf Österreich ausüben, damit diese
massive Menschenrechtsverletzung durch Österreich raschest beendet wird. Allein
um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen müssen die 14 Staaten gegen diese massive
Menschenrechtsverletzung vorgehen.
1. Juni 1995:
Eine Novellierung des Opferfürsorgegesetzes zur Erweiterung des Begünstigten-kreises
auf wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte scheitert im Nationalrat an
ÖVP und FPÖ. Am selben Tag beschließt das Parlament die Gründung des "Nationalfonds
für die Opfer des Nationalsozialismus". Wegen ihrer sexuellen Orientierung
verfolgte Personen werden darin zwar berücksichtigt, allerdings begründet der
Fonds kein Recht auf Entschädigung, sondern kann bloß bedürftigen Opfern eine
einmalige Summe gewähren.
27. November 1996: ÖVP und FPÖ stimmen einen Gesetzesvorlage zur
Streichung des § 209 StGB, des diskriminierenden Mindestalters für schwule Männer,
nieder.
8. April 1997: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen
Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen
Union für das Jahr 1995 (Dokument A4-0112/97), dem ersten Jahr der Mitgliedschaft
Österreichs in der EU. In Ziffer 140 der Entschließung fordert das EP Österreich
auf, das unterschiedliche Mindestalter für schwule Beziehungen aufzuheben.
1. Juli 1997: In der Beschwerde # 25186/94 - Euan Sutherland gegen
das Vereinigte Königreich - stellt die Europäische Menschenrechtskommission
in Straßburg fest, daß keinerlei objektive und vernünftige Rechtfertigung für
die Beibehaltung eines höheren Mindestalters für homosexuelle als für heterosexuelle
Handlungen bestünde (Randnummer 66 der Entscheidung), und schließt, daß im vorliegenden
Fall eine Verletzung des Artikles 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention
in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention vorliege (Randnummer 67). - Gegner
einer Reform der ähnlichen österreichischen Bestimmung im § 209 bringen das
formale Argument vor, diese Entscheidung betreffe das österreichische Gesetz
nicht, da es sich um eine britische Beschwerde handelte, und daß sie vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte nicht bestätigt worden sei (die britische Regierung
akzeptierte die Entscheidung der Kommission und hat sie daher nicht vor den
Gerichtshof gebracht).
17. Februar 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen
Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen
Union für das Jahr 1996 (Dokument A4-0034/98). In Ziffer 69 der Entschließung
fordert das EP Österreich abermals auf, das unterschiedliche Mindestalter für
schwule Beziehungen aufzuheben.
17. Juli 1998: In voller Kenntnis der Entscheidung der Europäischen
Menschenrechtskommis-sion und der zwei EP-Entschließungen vom 8. April 1997
und 17. Februar 1998 stimmen ÖVP und FPÖ im Nationalrat eine weitere Gesetzesvorlage
zur Aufhebung des § 209 nieder.
17. September 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet eine
Entschließung zur Gleichberechtigung von Homosexuellen und Lesben in der Europäischen
Union (Dokument B4-0824 und 0852/98). "In der Erwägung, daß EU-Mitgliedsstaaten
wie Österreich aus Gründen der Glaubwürdigkeit gegenüber den Beitrittsstaaten,
wenn sie von ihnen die Achtung der Menschenrechte fordern, ihre eigenen diskriminierenden
Bestimmungen gegenüber Lesben und Schwulen aufheben müssen, insbesondere Bestimmungen
über das Mündigkeitsalter" (Erwägung C) und "im Bedauern darüber,
daß es das österreichische Parlament am 17. Juli 1998 abgelehnt hat, die Aufhebung
des Paragraphen 209, der ein höheres Mündigkeitsalter für homosexuelle Männer
vorsieht, zu beschließen, und damit bewußt sowohl den Beschluß im Fall Sutherland
als auch die vom Europäischen Parlament in seinen vorstehend erwähnten Entschließungen
vom 8. April 1997 und 17. Februar 1998 nachdrücklich an Österreich gerichteten
Anforderungen ignoriert hat" (Erwägung G), fordert das Europäische Parlament
in dieser Entschließung "die österreichische Regierung und das österreichische
Parlament auf, Paragraph 209 des Strafgesetzbuchs unverzüglich aufzuheben und
alle Personen, die aufgrund dieses Artikels Gefängnisstrafen verbüßen, unverzüglich
zu begnadigen und freizulassen" (Ziffer 1).
5. November 1998: Nach seiner Befassung mit dem dritten von Österreich
gemäß Artikel 40 des Internationalen Pakts über politische und bürgerliche
Rechte vorgelegten periodischen Bericht stellt der UNO-Ausschuß für Menschenrechte
in seinen abschließenden Bemerkungen fest, daß die bestehende Gesetzesbestimmung
über das sexuelle Mindestalter in Hinblick auf männliche Homosexuelle eine Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung darstelle. Der Ausschuß
verlangt die Änderung des Gesetzes zum Zwecke der Beseitigung solcher diskriminierender
Bestimmungen (Randnummer 13).
17. Dezember 1998: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen
Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen
Union für das Jahr 1997 (Dokument A4-0468/98). In Ziffer 53 der Entschließung
wiederholt das EP die Forderung an Österreich, § 209 aufzuheben.
16. März 2000: Das Europäische Parlament verabschiedet seinen
Bericht und seine Entschließung über die Achtung der Menschenrechte in der Europäischen
Union für die Jahre 1998-99 (Dokument A5-0050/2000). In Ziffer 60 der Entschließung
fordert das EP Österreich einmal mehr auf, § 209 aufzuheben und alle nach dieser
Bestimmung inhaftierten Personen freizulassen.
Liebe FreundInnen!
Wir "schulden" Euch noch Informationen über den Ausgang der Botschaftsaktion letzten Donnerstag. Wegen der großen Hektik letzter Woche kommen wir erst jetzt dazu. Sorry.
Liebe Grüße
Kurt Krickler
Die Besetzung der Portugiesischen Botschaft in Wien durch zwei Lesben und zwei Schwule endete donnerstag mittag nach zwei Stunden, nachdem ein Gespräch mit dem portugiesischen Botschafter für 15 Uhr 30 vereinbart worden war. Dieses Gespräch fand dann auch statt, dauerte 40 Minuten, und der Botschafter sagte zu, die Anliegen der BesetzerInnen an die portugiesische Regierung weiterzuleiten.
(Anmerkung: Es ging den BesetzerInnen natürlich in erster Linie um die Medienaufmerksamkeit. Dank der Zusammenarbeit mit der portugiesischen Lesben- und Schwulenorganisation Opus Gay haben die portugiesischen Medien sofort nach der Besetzung über die Aktion berichtet.)
Infos auch im Internet: www.hosiwien.at
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