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Abschiebung bleibt Mord!
Antirassistische Initiativen und MigrantInenngruppen beteiligen sich in
Berlin am Bundesweiten Aktionstag gegen Abschiebung und Abschiebehaft am
30.8.2003
12:00 bis
13:30 Uhr Breitscheidplatz: Antirassistischer Parcours, interaktive Installation
"step into my shoes" und antirassistisches Radio
13:30 Uhr Breitscheidplatz: Kundgebung gegen Abschiebung und Abschiebehaft
20:30 Uhr Abschiebeknast Grünau: Dokumentarfilm zum Hungerstreik
im Abschiebeknast und solidarische Grußbotschaften an die Gefangenen
(und leckeres Essen)
Abschiebehaft Berlin-Köpenick, Grünauer Straße 140, Anfahrt:
S-Bahn bis Grünau und dann Tram 68 bis Rosenweg oder S-Bahn bis Spindlersfeld,
dann ca. 15 Minuten laufen.
Zuwanderung,
Arbeitsmigration und Zuflucht in die Bundesrepublik Deutschland gibt es
seit ihrem Bestehen. Als wiedererstarkende kapitalistische Wirtschaft
bildete die BRD nach dem 2. Weltkrieg ein Ziel der weltweiten Migration
in Richtung Europa, das billige Arbeitskräfte benötigte. Im
Rahmen des sog. »Wirtschaftswunders« wurden bis zum Anwerbestopp
1973 aufgrund der ersten Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg, der ersten
Ölkrise mit dem Ölboykott der OPEC-Staaten, mehr als 2,6 Millionen
GastarbeiterInnen angeworben, die jedoch – anders als von den PolitikerInnen
geplant – im Land blieben und ihre Familien nach holten. Das Asylrecht
spielte bis zu dieser Zeit keine Rolle, so dass die Innenministerkonferenz
noch am 26.8.1966 beschließen konnte, Flüchtlingen unabhängig
von ihren asylrelevanten Gründen einen gesicherten Aufenthalt zu
gewähren.
Dies änderte
sich jedoch in den 70er Jahren mit einer zunehmend bürgerkriegs-
und verfolgungsbedingten Flucht in großem Ausmaß nach Europa
und in die BRD. Ursachen waren vor allem die Militärputsche in Chile
und der Türkei, der Umsturz in Pakistan, der Krieg im Libanon, die
Besetzung und der Krieg in Afghanistan, der Bürgerkrieg in Sri Lanka,
der Sturz des Schah-Regimes und die folgende Chomeini-Diktatur im Iran.
1966 wurden 4379, 1979 bereits 51.493 Asylanträge gestellt, 1980
waren es schon 107.811, wobei in den folgenden Jahren die Zahlen großen
Schwankungen unterlagen (1983: 19.737, 1986: 99.650).
Mit dem Zusammenbruch
des realsozialistischen Blockes kam es zu einer vor allem durch die westlichen
Länder forcierten Reethnisierung der dortigen Staaten. Die Bundesrepublik
nahm derzeit über eine halbe Millionen Menschen aus dem ehemaligen
Jugoslawien auf, etwa 2/3 aller AsylbewerberInnen, die zwischen 1989 und
1994 in der BRD einen Antrag gestellt haben, kamen aus den ehemaligen
realsozialistischen Ländern Süd- und Osteuropas. Das massive
Ansteigen der AsylbewerberInnenzahlen (auf 438.191 im Jahre 1992) ist
in erster Linie den (geschürten) ethnischen Kriegen und dem Zerfallserscheinungen
nach dem Zusammenbruch 1989 geschuldet, doch hat die Höhe der AsylbewerberInnenzahlen
noch einem anderen Grund. In erster Linie kamen Bürgerkriegsflüchtlinge
in die BRD, denen eigentlich ein vom Asylverfahren unabhängiger Aufenthalt
nach dem Ausländergesetz (AuslG, § 32) zu gewähren gewesen
wäre. Dieser wurde den Flüchtlingen jedoch in der Regeln verweigert
und sie wurden von der Ausländeradministration geradezu »ins
Asyl gedrängt«. Die AsylbewerberInnenzahlen wurden so von der
Politik bewusst manipuliert und in die Höhe getrieben, um sie innenpolitisch
zur Anheizung ausländerfeindlicher Stimmungen und Pogrome zu instrumentalisieren.
– Fast jede Woche brannte in dieser Zeit ein Heim und Bilder ausländerfeindlicher
Ausschreitungen gingen im die Welt. Innenpolitisch legitimierte dies die
Zustimmung der SPD zum »Asylkompromiss«, also zur Verabschiedung
des Asylbewerberleistungsgesetz, der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
am 1.7.1993 und der damit verbundenen Abschottung der EU-Außengrenzen
(Schengener Abkommen). Durch die Instrumentalisierung des gesellschaftlichen
Rassismus wurden so ökonomische Interessen durchgesetzt, denn die
gesetzlichen Verschärfungen verringerten natürlich nicht die
Flüchtlingszahlen. Sie drängten immer mehr Menschen in die Illegalität,
so dass den Bedürfnissen der Ökonomie nach flexiblen, ausbeutbaren
ArbeiterInnen ohne Rechte entsprochen wurde. Diese Politik der Regulation
und Akzeptanz von ArbeiterInnen ohne Papiere setzt sich heute auf der
EU Ebene fort.
Trotz der
»hohen« Asylantragszahlen ist die Auslegung politischer Verfolgung
in der BRD besonders restriktiv und die Anerkennungsquoten gehören
europaweit traditionell zu den niedrigsten. Lag die Anerkennungsquote
Mitte der 80er bei durchschnittlich 10 - 15 %, so ist seit dem ein kontinuierlicher
Rückgang zu verzeichnen, der 2002 mit 1,83 % (2379 Menschen) nach
Art. 16a des Grundgesetzes einen historischen Tiefstand erreichte. Zusätzlich
bekamen noch 3,17 % (4.130 Menschen) das sog. »kleine Asyl«,
welches jedoch keinen unbefristeten Aufenthalt beinhaltet. Trotzdem dürfen
rechtliche nicht alle Menschen, die nicht als (politische) Flüchtlinge
anerkannt werden, wieder abgeschoben werden. Dies ergibt sich aus der
Diskrepanz zwischen der Anerkennung internationaler Konventionen wie der
»Genfer Flüchtlingskonvention« oder der »Europäischen
Menschenrechtskonvention« und der Nichtanerkennung geschlechtsspezifischer
oder nichtstaatlicher Verfolgung durch marodierende »Warlords«
im Asylrecht.
Seit Jahren
wird die militärisch hochgerüstete EU-Außengrenze im Rahmen
der Osterweiterung in Richtung der ärmeren osteuropäischen Transformationsländer
verschoben, es werden vorverlagerte Migrationskorridore zum Abfangen und
Regulieren der Migrationsströme installiert, an südlichen Mittelmeergrenzen
machen hochgerüstete Einheiten Jagd auf die ankommenden Flüchtlingsboote.
Ziel der Barrieren ist nicht die komplette Abschottung der EU, denn billige
illegalisierte ArbeiterInnen werden in den Bereichen Landwirtschaft, Baugewerbe
und bestimmten Dienstleistungsbereichen – Haushalt, Putzgewerbe,
Prostitution – weiter dringend benötigt. Es findet nur eine
stärkere Regulation und Selektion der ankommenden Menschen statt,
der Preis einer Überwindung der Grenzbarrieren wird immer höher,
draußen bleiben die Armen und politisch Verfolgten. So fordert das
europäische Grenzregime jedes Jahr mehrere 10.000 Tote an seinen
Außengrenzen.
Die BRD schob
zwischen 1990 und 1998 nach Angaben der Bundesregierung rund 290.000 AusländerInnen
ab und jedes Jahr werden es mehr, allein im Jahr 2001 waren es 43.950
Ab- bzw. Rückschiebungen. Zur Zeit diskutieren die EU-Innenminister
die Abschiebung von über 100.000 afghanischen Flüchtlingen da
das Land ja nun befriedet sei. Eine Vorreiterrolle übernahm hier
wieder einmal die BRD, am 21.6.2003 wurde der erste Flüchtling seit
23 Jahren auf Anordnung des Rechtspopulisten Schill nach Afghanistan abgeschoben.
Wie so häufig in der Geschichte der BRD wird Rassismus innenpolitisch
instrumentalisiert um auf der einen Seite rassistischen Strukturen der
Gesellschaft für die eigene Politik einzusetzen und auf der anderen
Seite ökonomischen Interessen umzusetzen. Denn die Ausländergesetzgebung
bietet den institutionellen Rahmen zur Segregation billiger Arbeitskräfte.
So wird der hiesige Arbeitsmarkt »ethnisch unterschichtet«,
die dreckigen und schweren Arbeiten werden vermehrt von »Sans Papiers«
verrichtet, die Profiteure sind in erster Linie die deutsche Wirtschaft
und diejenigen, die noch einen regulären Job besitzen und durch die
Ethnisierung die Chance auf einen besseren Arbeitsplatz bekommen. In Zeiten
allgemeiner Umstrukturierung und Sozialabbaus fungiert Rassismus dann
als ideologische Kittfunktion und Begründungsmuster, die Schuld an
den Kürzungen bekommen die MigrantInnen in die Schuhe geschoben und
verdecken deren doppelte Benachteiligung. Eine zentrale Stelle spielen
hier die »neu« errichteten »Ausreisezentren«,
da diese Lager in erster Linie Menschen in die »Illegalität«
treiben und dies aus offizieller Sicht als Erfolg, als »unkontrollierte
Ausreise« verbucht wird.
Zum
Hintergrund des 30.08.
Am
30. August vor 20 Jahren: Der Tod von Kemal Altun
Am 30.8.1983 starb Kemal Altun, 23-jähriger Asylbewerber aus der
Türkei, durch einen Sprung aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts
in Westberlin, wo eine Klage des Bundesbeauftragten gegen seine Anerkennung
als politischer Flüchtling verhandelt werden sollte.
Ein Jahr zuvor hatte sich das BKA bei der türkischen Regierung erkundigt,
ob die Auslieferung gewünscht sei. Der junge Türke gehörte
zur demokratischen Opposition. Die türkische Regierung ließ
sich von der Bundesrepublik nicht zweimal bitten und forderte seine Überstellung
in die Türkei.
Das in Gang gesetzte Auslieferungsverfahren führte in der Öffentlichkeit
zu einer Welle der Solidarität mit Kemal Altun. Während des
politischen Tauziehens um seine Person saß der junge Asylbewerber
in Auslieferungshaft, 13 Monate lang, 23 Stunden täglich allein in
der Zelle. Dem Druck und der Angst vor seiner Abschiebung hielt Altun
am Ende nicht mehr stand.
30.
August 1994: Der Tod von Kola Bankole durch die brutale Abschiebepraxis
Der Nigerianer Kola Bankole erstickte am 30.8.1994 in der Lufthansa-Maschine,
mit der er abgeschoben werden sollte, an einem Knebel, der ihm vom Bundesgrenzschutz
in den Mund gedrückt wurde. Zuvor war er mit Klebeband und Klettbändern
an Händen und Füßen gefesselt, mit Skisocken und einem
Rolladengurt geknebelt und mit gespritzten Psychopharmaka "ruhig
gestellt" worden. Gegen die vier BGS-Beamten fand kein Prozess statt,
das Verfahren wurde eingestellt.
Rachid
Sbaai stirbt in der Arrestzelle des Bürener Abschiebeknastes am 30.
August 1999
Rachid Sbaai wurde am 30.8.1999 in die Arrestzelle der JVA Büren,
des größten deutschen Abschiebeknasts, gebracht, wo er gegen
11 Uhr die Matratze seiner Einzelzelle in Brand gesetzt haben soll. Ein
Mitgefangener, der sich eine Arrestzelle weiter befand, hörte, wie
Sbaai auf Arabisch schrie, dass er gerettet werden müsse, weil es
brennen würde, und drückte sofort den Alarmknopf, der sich in
jeder Zelle befindet. Allerdings musste er 15 Minuten lang den Todeskampf
von Rachid Sbaai mit anhören, bis die Schreie verstummten. Danach
kamen mehrere Beamte und Mitarbeiter der Firma Kötter. Sie zogen
Sbaai aus der Zelle und versuchten, ihn wieder zu beleben. Als der Anstaltsarzt
eintraf, konnte dieser nur noch den Tod durch Rauchvergiftung feststellen.
Die Anstalt bestreitet bis heute, dass auch Sbaai den Alarmknopf ausgelöst
hat, obwohl der Alarm registriert wurde. Der Mitgefangene wurde sofort
in ein anderes Hafthaus verlegt, der Polizei wurde die Existenz dieses
Zeugen nicht mitgeteilt. Das Verfahren ist in der Zwischenzeit eingestellt.
30.
August 2000: Der Tod Altankhou Dagwasoundels bei der Flucht aus der Abschiebehaft
In der Nacht zum 30.8.2000 stürzte der 28-jährige Mongole Altankou
Dagwasoundel beim Versuch, aus der Abschiebehaft in Berlin-Köpenick
zu fliehen, in den Tod. Dagwasoundel befand sich seit etwa vier Wochen
im Berliner Abschiebeknast, als er am Abend des 29. August ins Krankenhaus
Köpenick eingeliefert wurde. Dort wurde er in einem Zimmer im sechsten
Stock untergebracht und von zwei Beamten bewacht. Dagwasoundel versuchte,
sich mit verknotetem Bettzeug aus dem Fenster in das darunter liegende
Stockwerk abzuseilen und stürzte in die Tiefe.
Die geschilderten Todesfälle im Zusammenhang mit Abschiebungen und
Abschiebehaft sind Beispiele dafür, zu welchen verzweifelten Schritten
die Opfer der Abschiebemaschinerie getrieben werden. Allein in Berlin
sind seit 1993 bereits acht Todesfälle in Zusammenhang mit der Furcht
vor Abschiebung oder Abschiebehaft dokumentiert. Zu Beginn des Jahres
2003 kam es zu einer beispiellosen Welle von Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen
der Menschen im Abschiebeknast Berlin-Köpenick, die ihre Freilassung
erreichen wollten.
Die Namen
Kemal Altun, Kola Bankole, Rachid Sbaai und Altankhou Dagwasoundel stehen
für unzählige weniger bekannte Flüchtlinge, die ihrer Abschiebung
nicht überlebten oder zu verzweifelten Schritten getrieben wurden
und werden. Aus Anlass dieser Jahrestage wurde der 30.08.03 als Aktionstag
der bundesweiten Vernetzung der Abschiebehaftgruppen gewählt, an
dem wir uns in Berlin mit folgenden Aktionen beteiligen möchten:
Um 12:00
Uhr eröffnen wir auf dem Breitscheidplatz den antirassistischen Parcours
der JungdemokratInnen/Junge Linke (Brandenburg) und eine interaktive Installation
"step into my shoes" der Kunstgruppe Gottlieb. Parallel verbreitet
ein "antirassistisches Radio" Informationen gegen Abschiebehaft
und Abschiebungen. Im Anschluss findet gegen 13:30 Uhr ebenfalls auf dem
Breitscheidplatz eine Kundgebung gegen Abschiebung und Abschiebehaft statt.
Ab 20:30
Uhr zeigen wir direkt vor dem Abschiebeknast Grünau unter freiem
Himmel einen Dokumentarfilm zum Hungerstreik im Abschiebeknast im Februar
2003 und übermitteln den Gefangenen unsere solidarischen und lautstarken
Grüße. Außerdem gibt es leckeres Essen. (Anfahrt zur
Abschiebehaft Berlin-Köpenick, Grünauer Straße 140: S-Bahn
bis Grünau + Tram 68 bis Rosenweg oder S-Bahn bis Spindlersfeld,
dann ca. 15 Minuten laufen).
Nieder mit
den Knästen! Keine Lager in der BRD!
Für
das Recht auf Migration weltweit und gegen ein Europa des Kapitals und
der Selektion von Menschen nach Verwertungsbedingungen!
Es rufen
auf: Antirassistische Initiative (ARI), Flüchtlingsinitiative Brandenburg,
Gruppe »Frauen im Exil«, Initiative gegen Abschiebehaft, Initiative
gegen das Chipkartensystem, Komitee zur Unterstützung der politischen
Gefangenen im Iran (Berlin), Naturfreundejugend Berlin
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