Khalil ist seit letzten Dienstag in Europa
09.07.2001
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Khalil ist seit letzten Dienstag hier. Er zeigt auf den kleinen Berg, der am Ende des langen Sandstrandes bis ans Wasser reicht. 1000 Dollar hat die Überfahrt gekostet. Er erzählt von der Angst, die er bei den zehn Meter hohen Wellen in dem kleinen Holzboot hate, in das sich 50 Menschen gezwängt hatten. Er hatte mitgeholfen, den Motor mit an Bord zu bringen, hat einen falschen Schritt gemacht und fiel noch vor Beginn der Überfahrt ins Wasser. Die ganze Strecke über das Meer also in nassen Kleidern. Jetzt lacht er. Gut zwei Stunden habe es gedauert, bis sie endlich in Tarifa ankamen und sich in den Wäldern versteckten, bis der Tag anbrach.

Der 23-jährige aus Casablanca ist ein guter Fußballspieler. Er hofft, einen Club im Norden, bei Barcelona zu finden und dann Papiere zu bekommen. Wenn es nicht klappt, will er zu seinen Brüdern nach Turin. Ihm ist wie vielen anderen in diesen Tagen von dem informellen Unterstützungsnetzwerk in Tarifa und Umgebung geholfen worden. Das erste, worum die Leute, die wir finden, bitten, sei, zuhause bei der Mutter anrufen zu dürfen, um zu sagen: Ja, ich habe es geschafft, ich bin in Europa, ich bin gesund, mir geht es gut. Nieves organisiert seit elf Jahren so etwas wie die Erstaufnahme von Einwanderern, die nicht in den Fängen der Guardia Civil landen. Sie werden angerufen, organisieren einen Transport, kümmern sich um Verletzte, kämpfen gegen Rückschiebungen, überlegen die Weiterreise oder Legalisierung. Was sie macht, sei eine Selbstverständlichkeit, sagt Nieves. Dazu müsse man gar nicht nachdenken, das seien doch ganz natürliche Gesten, eine Frage der Menschlichkeit. Sie ist stolz darauf, dass in Tarifa kein Mensch die Guardia Civil rufe, wenn ein Flüchtling im Garten sitzt oder an der Tür klingelt. Die Leute wissen, dass sie bei uns anrufen können. Während wir uns unterhalten, klingelt drei Mal das Telefon, rasch werden Abholungen und Transporte organisiert. Vor der Polizei habe sie keine Angst. Sie wird nur wütend, wenn wie neulich wieder ein Artikel in der Zeitung erscheint, auf dem sie mit einem illegalen Grenzgänger abgebildet ist, und dieser dann zwei Tage später verhaftet und abgeschoben wird. Die Medien, sagt sie, seien nur an Horrorgeschichten interessiert. Sie selbst habe gesehen, wie ein Fotograf einmal den nackten Leichnam eines jungen Mädchens fotografiert habe. Begonnen habe für sie alles, als sie 1989 am Strand vor ihrem Haus den toten Körper eines Flüchtlings gefunden habe. Damals hätten die meisten Menschen in Tarifa noch gedacht, die Afrikaner kämen mit den Pateras, weil sie kein Geld für die Fähre hätten. Nieves zählt die Toten, die allein an der spanischen Küste angespült werden: Über zweitausend Menschen seien in den letzten elf Jahren bei der Überfahrt umgekommen. Ihr Hass und Widerwillen gegen die Militarisierung der Meereenge, die Abschottung der Grenze kommt aus tiefstem Herzen, trotzdem bemüht sie sich um immer neue und immer vernünftigere Gründe: Algeciras sei 22 Kilometer von Tarifa entfernt, Tanger nur 15. Da sei doch klar, wer ihr näher stehe. Was hier passiert, ist ein Krieg, und was Nieves bewegt, kann sie in einem Satz zusammenfassen: Wenn sie morgens aufsteht und von ihrer Dachterasse aufs Meer blickt, kann sie sich nicht sagen: Was für ein schöner Tag! Sie muss sofort denken: Heute werden wieder Menschen sterben. Mit dem Camp will sie besser nichts zu tun haben. Die AktivistInnen würden nur die Polizei anlocken und provozieren. Was die Menschen hier vor Ort leisten, geschehe besser diskret und ohne großes Aufhebens. Aus ihren Worten spricht Stolz, aber auch eine gewisse Resignation. Denn natürlich sind es nicht viele, denen sie helfen können. Vielleicht ein paar Hundert pro Jahr. Es hat einen gewissen Aufwand bedeutet, den Termin bei Nieves zu bekommen. Wir sprechen zu fünft mit ihr und ihrem Freund: Videoaufnahmen von zwei Medienaktivistinnen aus "Laboratorio", einem berühmten besetzten Haus im Zentrum von Madrid, ein Kölner, der Tonaufnahmen macht, und ein Fotograf. Als abends dann die Tür hinter uns zufällt, sind wir alle zutoiefst beeindruckt. Wir hatten viel über dieses Netzwerk gehört, mit einer solchen Entschlossenheit, wie sie Nieves an den Tag legt, hat niemand rechnen können.

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schiesst: Was machen wir eigentlich hier? Was wir tun können, ist doch völlig nutzlos - verglichen mit dem, was Menschen wie Nieves hier leisten. Die Videofilmerin aus Madrid korrigiert mich: Nein, es geht genau darum, solche Menschen zu treffen, sich untereinander zu vernetzen, diese Erfahrungen, die wir eben gemacht haben, weiterzugeben, andere Menschen zu ermutigen. Ich erzähle von den Camps an der deutsch-polnischen Grenze, von Unterstützungsarbeit in Deutschland und den Problemen damit, dass Dinge, die hier in Tarifa offenbar selbstverständlich sind, dort undenkbar wären. Trotzdem war es auch an der EU-Ostgrenze so, dassimmer wieder Menschen schüchtern ins Camp kamen, und davon berichtet haben, wie sie Flüchtlingen geholfen hätten. Sie seien nur verunsichert, weil sie nicht wüssten, ob das nun richtig gewesen sei. Tagsüber hatte ich das erste Mal seit zwei Jahren wieder eine Kamera in der Hand. Es ging um Kontrastmaterial: Wasser, Sand, Wind. Später dann auf der Suche nach dem gewöhnlichsten Bild der Welt. Wie die Sonne untergeht über der Straße von Gibraltar, die letzten Strahlen sich im Wasser brechen, wie eine rote Kugel hinter dem schwarzen Berg verschwindet. Der Stelle, an der Khalil, den sie jetzt Claudio nennen, das erste Mal das europäische Festland betreten hat.


Nähere Infos zum Grenzcamp in Spanien unter

www.sindominio.net/ninguna/
(Seite der OrganisatorInnen des Grenzcamps, im Aufbau)

http://www.bordercamp.de.vu/
(Infos zum Camp, Karten, Hintergrundinfos zu spanischer, deutscher und europäischer Flüchtlingspolitik)

www.noborder.org

 

   
 

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