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Festung Europa in der Offensive |
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Zu Problemen
der FluchthelferInnen an den EU-Außengrenzen ein Interview mit eineR
InhaberIn eines Reisebüros für Flüchtlinge in Deutschland
In den
siebziger Jahren gab es Urteile des Bundesgerichtshofes, die
Fluchthilfe an der deutsch-deutschen Grenze für rechtmäßig
erklärten. Auch Honorare von bis zu 40.000 Westmark beanstandeten
die Richter nicht. Das Europäische Parlament diskutiert 25 Jahre
später Mindeststrafen, die FluchthelferInnen in allen EU-Staaten
angedroht werden müssen. Halten Sie diesen Meinungswandel für
sinnvoll?
Nein, gar nicht. Die Probleme meiner Kunden sind ähnlich wie die
vieler DDR-Bürger. Da gibt es die einen, die sich politisch engagieren
und in ihrer alten Heimat Repressionen erleiden. Andere wiederum erhoffen
sich berechtigterweise ein besseres Leben im Westen.
Den Opfern der ökonomischen Globalisierung geht es heute viel schlechter
als den deutsch-deutschen Wirtschaftsflüchtlingen von damals. In
der DDR wurden Fliehende im Herkunftsland an die Stasi verpfiffen. Heute
muss man sich vor allem um die ordnungsliebenden Bürger in der BRD
als Zielland sorgen.
Ein Großteil der fehlgeschlagenen Versuche, die Grenze zu überschreiten,
geht auf das Konto von organisierten ehrenamtlichen Bürgerwehren
und zufälligen Beobachtungen
von Denunzianten. Viele Deutsche im Grenzgebiet haben die Hotline des
Bundesgrenzschutzes in ihr Handy eingespeichert und melden verdächtige
Personen. Unter den Zonis, die heute den BGS informieren, sind manche
noch aus den alten Kadern, die schon damals Republikflüchtige meldeten.
Schleuser
sind in der Öffentlichkeit etwa so gut angesehen wie Zuhälter
und Rinderzüchter. Verdienen Sie denn auch so gut an der Grenze?
Was würde ich bezahlen, um von Ihnen Unterstützung bei der Flucht
zu bekommen?
Das kommt auf die Transportstrecke an. Es ist natürlich billiger,
nur von Tschechien aus in die EU befördert zu werden. Für die
früher an der deutsch-deutschen Grenze üblichen 40.000 DM würde
ich eine ganze Großfamilie von Sri Lanka nach Deutschland bringen.
Trotzdem,
wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, notleidenden Menschen
noch Geld abzunehmen?
Für die Finanzierung der Grenzüberschreitungen gibt es zur Zeit
keine andere Möglichkeit, als auf Gebühren der Flüchtlinge
zurückzugreifen. Die humanitären Organisationen halten sich
mit Zuschüssen für Fluchthilfe sehr zurück. Sie investieren
ganz im Sinne der EU in erbärmliche Lager, in denen Flüchtlinge
hunderte Kilometer vor den EU-Grenzen abgefangen werden sollen.
Wenn Sie mir moralische Vorwürfe machen wollen, weil ich für
meine Transportdienstleistung ein Entgelt verlange, dann kann ich nur
sagen: Mit welchem Recht tut genau dasselbe die Bahn, eine Fluggesellschaft
oder ein Taxifahrer? Dort werden Notleidende auch nicht kostenlos transportiert.
Und gerade bei Lufthansa oder anderen Großunternehmen könnte
man sich das aufgrund der zahlungskräftigen Business-Class-Kunden
noch am ehesten
leisten.
In Brüssel
wird derzeit diskutiert, ob bei der Strafandrohung zwischen erwerbsmäßiger
und ehrenamtlicher Fluchthilfe unterschieden werden soll. Wird das Auswirkungen
auf die Branche haben?
Die Diskussion über verschiedene Möglichkeiten der Grenzüberschreitung
ist ein kleiner Schritt nach vorne. Die konfrontative Forderung nach einer
Subventionierung unserer Branche hat hier einiges verändert. Früher
hat man keineswegs von Erwerbstätigkeit gesprochen. Ausbeutung war
da noch eine der
harmloseren Bezeichnungen dafür, dass man sich die Dienstleistung
bezahlen lässt. Die diskutierte Unterteilung finde ich aber problematisch.
Ehrenamtliche Fluchthelfer, die in anderen Jobs ihren Lebensunterhalt
verdienen, gibt es nicht viele. Gleichzeitig ist der Bedarf nach Schleuser-Dienstleistungen
enorm groß.
Zusätzlich werden die Grenzen immer aufwendiger gegen Flüchtlinge
abgeschottet. Deswegen reicht die ehrenamtliche Hilfe nicht aus - man
braucht auch bezahlte Personen und Gruppen. Die können wegen ihrer
Auslastung keiner anderen Erwerbstätigkeit
nachgehen. Wenn das Europaparlament die Legalisierung der ehrenamtlichen
Fluchthilfe beschließt, dann ist das natürlich gut.
Gerade weil viele AntirassistInnen heute denken, sie würden höllisch
bestraft, wenn sie bei der Organisation einer illegalen Grenzüberschreitung
erwischt werden. Ich stelle es mir nur schwierig vor, das in der Praxis
umzusetzen.
Warum?
Auch ehrenamtliche Schleuserinnen und Schleuser müssen irgendwie
ihre Auslagen finanzieren. Nur der geringste Teil des Honorars ist für
meinen Lebensunterhalt, auch Transportmittel, Schmiergelder und die Kosten
der Strafverfolgung müssen refinanziert werden. Dafür gibt es
nicht immer eine Quittung. Oft werden meine Kunden von mir auch neu eingekleidet,
um sie als
Geschäftsleute über die Grenze zu fahren. Das alles ist nicht
billig.
Also wäre
eine Subvention der Schleuserbanden durchaus sinnvoll?
Ja. Wenn man sich nicht dafür entscheiden kann, die Grenzen für
Menschen zu öffnen, wäre das sinnvoll. Auch wenn das natürlich
ziemlich kontraproduktiv wäre: die Grenzen mit diesen Subventionen
durchlässiger zu machen und gleichzeitig die Abschottung der Festung
EU gegen Flüchtlinge voranzutreiben.
Die Identität
des Gesprächspartners/ der Gesprächspartnerin ist der Redaktion
nicht bekannt. Das mag gegen journalistisches Ethos verstossen, erklärt
sich in diesem Fall jedoch wegen des durch die Strafverfolgungsbehörden
immer weiter ausgehebelten
journalistischen Zeugnisverweigerungsrechtes. Die Herausgeberin kann aus
ähnlichen Gründen auch keine FluchthelferInnen vermitteln.
BGH-Entscheidung
zur Rechtswirksamkeit von Fluchthelferverträgen (III ZR 164/75,
aus: BGHZ 69, 295-302)
Leitsatz:
1. Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, dem anderen Vertragsteil
für die sog. Ausschleusung eines Einwohners der Deutschen Demokratischen
Republik ein Entgelt zu zahlen (Fluchthelfervertrag), verstößt
weder gegen ein gesetzliches Verbot (BGB § 134) noch ohne weiteres
gegen die guten
Sitten (BGB § 138 Abs. 1).
2. Ein Deutscher, der aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland oder
nach Berlin (West) übersiedelt, verstößt nicht gegen die
in der BRD geltenden Gesetze und Wertvorstellungen, sondern macht von
seiner ihm durch das GG gewährleisteten Freizügigkeit Gebrauch.
Er handelt nicht sittenwidrig. Für den, der ihm beim Verlassen der
DDR und bei der Einreise in die BRD oder nach Berlin (West) hilft, kann
im Grundsatz nichts anderes
gelten. Die Gewährung von Fluchthilfe verstößt daher als
solche nicht gegen die guten Sitten, ebensowenig die Verpflichtung zu
solcher Hilfe.
3. Der entgeltliche Fluchthilfevertrag verstößt weder gegen
BGB § 134 noch gegen BGB § 138 Abs. 1.
4. Der Vergütungsanspruch des Fluchthelfers ist einklagbar.
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