Lufthansa stimmt nach tragischem Tod einer Strategieänderung bei Abschiebungen zu
22.02.2001
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FRANKFURT - Die Lufthansa AG hatte mehr als eine Sicherheitskrise nachdem ein Sudanesischer Passagier an Bord von Flug 558 im Mai 1999 starb. Die deutsche Presse verfolgte die Geschichte , wie Aamir Ageeb von Sicherheitsleuten erstickt wurde als er sich gegen seine Abschiebung zur Wehr setzte, weiter. Nach den Angaben einer Menschenrechtsgruppe waren die Arme und Beine von Mr. Ageeb an seinen Sitz gebunden und er trug einen Helm, um zu verhindern, dass er sich während er um sich schlug, verletzte. Sicherheitsleute drückten den Kopf des Mannes zwischen seine Knie, er war leblos als sie den Kopf wieder hoben. Mr. Ageeb war erstickt.

Zwei Wochen nach diesem schockierenden Vorfall traf sich das
Lufthansa-Management, um die Sache zu diskutieren. Während sie um den Sitzungstisch saßen, von dem sie die Lande- und Startbahnen des Flughafen Frankfurt überblicken konnten, informierte Nicolai von Ruckteschell, der Lufthansa-Generaldirektor, den obersten Lufthansa Manager Jürgen Weber, dass das deutsche Recht eine Gesetzeslücke aufweist, die dem Unternehmen erlaubt,
Abschiebungen abzulehnen - wenn ein abgelehnter Asylwerber körperlichen Widerstand leistet. Wenn ein Abzuschiebender glaubt, dass er in eine politische Situation abgeschoben wird, die für ihn den Tod bedeuten kann, hat er wenig zu verlieren wenn er sich gewaltsam wehrt.

"Wir fragten uns, warum tun wir das? Warum transportieren wir solche Menschen?" sagt Ruckteschell. Die Geschäftsführung sprach mit Sicherheitsexperten der Lufthansa, und Angestellte überlegten was es für andere Passagiere heisst, einen Menschen angebunden und verschnürt auf dem Sitz neben sich zu sehen. Rucketschell sagt es wurde plötzlich klar wurde, dass die Lufthansa die Gesetzeslücke nützen musste, um eine neue Unternehmens-Politik einzusetzen. Ohne viel weiterer Diskussion beschloss das Management, den Trensport von Abzuschiebenden, die sich wehren, einzustellen.

Folglich war ein tragischer Tod die Geburt einer neuen Unternehmenspolitik. "Es braucht üblicherweise einen Skandal, um Unternehmen dazu zu bringen, auf Qualitätsmanagement zu schauen", sagt Dirk Gilbert, Professor an der European Business School und Autor eines bald erscheinenden Buches über
Unternehmensethik.

Suche nach Asyl

Letztes Jahr suchten fast 80.000 Personen in Deutschland um Asyl an, einem Land mit einem der flüchtlingsfreundlichsten Gesetze der Welt. Deutschlands Nachkriegsverfassung legte den Grundstein: jeder, der politisch verfolgt wird hat das Recht um Asyl anzusuchen. Die meisten Asylsuchenden kommen aus dem Irak, aus der Türkei, Afghanistan und Osteuropa. Und fast 20 Prozent
erhalten schliesslich das Bleiberecht, sagt die Regierung. Ungefähr 10.000 wurden letztes Jahr mit der Lufthansa in ihre Länder zurückgeschickt. Für die Lufthansa Geschäftsführung war die Entscheidung für die Gesetzeslücke keine ethische. "Es war eine nüchterne Tatsachen-Entscheidung und es war eine schnelle seit das Management voll von seinem Recht informiert war" sagt
Rucketschell. Ein Sprecher fügt hinzu, " Es war eine klare
Geschäftsentscheidung. Wir wollen, dass unsere Passagiere sich sicher und gut fühlen wenn sie mit Lufthansa fliegen."

Seit dem Vorfall, konzentrierte sich Lufthansa auf seine rechtlichen
Verpflichtungen jeden Passagier mit gültigen Reisepapieren und einem Ticket zu befördern, auch wenn diese von der deutschen Regierung kamen. Asylsuchende, die aus Ländern kommen, die als sicher betrachtet werden, werden oft als Wirtschaftsflüchtlinge angesehen und mit dem nächsten Flug zurückgeschickt. Falls es Gründe gibt einem Asylsuchenden zu glauben, dass er von politischer Verfolgung bedroht ist, wird der Fall der Person
angehört. Wenn Asyl abgelehnt und die Entscheidung vom Gericht
aufrechterhalten wird, gibt die deutsche Regierung dem asylsuchenden eine bestimmte Frist um das Land mit dem Transportmittel seiner oder ihrer Wahl zu verlassen. Wenn der Asylsuchende nicht ausreist, schiebt die Regierung nach den Angaben eines Sprechers des deutschen Innenministeriums, die
Person, oft per Flugzeug, ab. Lufthansa ist stark involviert in diese Kette von Ereignissen da sie die meisten Direktflüge nach Deutschland anbietet. Wenn ein Flugzeug aus dem Sudan in der Schweiz vor dem Zielflughafen in Deutschland zwischenlandet, müsste der Asylsuchende in der Schweiz um Asyl ansuchen.

Asylpolitik

"Kein Mensch ist illegal", ein internationales Netzwerk von
antirassistischen Gruppen das zahlreiche Fluglinien und Regierungen wegen Abschiebungen und ihrer Asylpolitik angreift, ruft die Lufthansa dazu auf, den Transport von Abzuschiebenden aufzugeben. Es sagt, Lufthansa hätte nicht genug getan wenn sie jetzt nur diejenigen transportiert, die sich nicht wehrten. Zahlreiche Menschen, eingeschlossen Frauen und Kinder, sind
physisch nicht stark genug um sich zu wehren und es ist schwer zu
kontrollieren ob eine Person gezwungen wird, bemerkt die Gruppe. Tatsächlich berichtete kürzlich eine deutsche Zeitung, dass zwei abgelehnte Asylsuchende behaupteten, sie hätten Beruhigungsinjektionen bekommen um sich zu beruhigen
bevor sie in Flugzeuge gezwungen wurden die sie aus Deutschland bringen sollten - wenn es in diesem Fall auch kein Flug der Lufthansa war.

"Wir denken, dass Lufthansa aus ethischen und wirtschaftlichen Gründen keine Abschiebungen mehr durchführen sollte" sagt Gisela Seidler, die Sprecherin der Gruppe und Menschenrechts-Anwältin in München. Frau Seidler sagt, dass der Imageschaden für Lufthansa grösser ist als der Schaden durch weniger verkaufte Flüge, die durch Abschiebungen von Asylsuchenden entstehen.

Die Lufthansa argumentiert, dass sie diese Entscheidung nicht fällen kann, da das Unternehmen per Gesetz verpflichtet ist alle Passagiere mit Tickets, eingeschlossen Abzuschiebende, zu transportieren. Und ausserdem, sagt die Fluglinie, dass sie einen humaneren Weg für den Transport von Abzuschiebenden anbietet als sie in Frachtflugzeugen, Bussen oder Schiffen möglich wäre.

"Wir halten Lufthansa nicht für verantwortlich für die deutsche Asylpolitik, aber sie ist Teil der Kette," sagt Frau Seidler. Die Gruppe zielt auch auf KLM und andere europäische Fluglinien. Sabena, ein belgisches Unternehmen, stellte Abschiebungen ein nachdem eine Frau aus Nigeria erstickte. Polizisten drückten 1998 einen Polster während des Fluges auf ihr Gesicht, berichtet die Gruppe. Und Swissair verbot Abzuschiebende mit Fesseln zu
transportieren, nachdem ein Palästinenser bei einem Flug im Jahr 1999 starb.

Die Gruppe fordert Lufthansa auf, ihren Umgang mit Abzuschiebenden in einer schriftliche Verhaltsregel festzusetzen. Ein Sprecher des Unternehmens sagt, die Politik sei kristallklar und sie sei erst kürzlich in einem internen Rundbrief und auf der jährlichen Aktionärsversammlung veröffentlicht worden.. "Wir sehen nicht die Notwendigkeit das in Zement zu giessen. Es ist klar. Es kam aus dem Mund der Geschäftsführung," sagt er. Kein Mensch ist
illegal nahm ebensfalls an der Aktionärsversammlung teil, wo sie Flugblätter mit dem Lufthansa-Logo und dem Slogan "Deportation Class" verteilte. AktivistInnen banden sich an Sessel um zu demonstrieren, wie ihrer Meinung nach Abzuschiebende noch immer behandelt werden.

Suche nach dem Unternehmensgeist

Eine Anzahl von Faktoren kam zusammen um deutsche Unternehmen, Lufthansa eingeschlossen, zu veranlassen, mehr über Unternehmensethik nachzudenken. Die BASF AG zahlt eine Abfindung in einem Wirkstoff-Skandal, pharmazeutische
Firmen antworten auf unangenehme Fragen in bezug auf Genforschung, andere Unternehmen beginnen die Suche nach dem eigenen Unternehmensgeist. Der Aufschwung von multinationalen Nicht-Regierungs-Gruppen und deren Erfolge bei den Protesten gegen die Politik von Großunternehmen ist ein weiterer Faktor.

Ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die sich gegen Abschiebungen von gefährdeten Menschen ausgesprochen hat, nimmt ebenso am Treffen in Davos teil, wie Herr Weber von der Lufthansa. "Wir akzeptieren
das Recht von Regierungen Abschiebungen vorzunehmen, wir sagen aber, dass nur angemessene Zwang verwendet werden sollte. Wir können den Fluglinien nicht vorschreiben was sie tun, da der Kaptän des Flugzeuges die letzte Entscheidungsgewalt hat," sagt Matthew Pringle von Amnesty International, der für Osteuropa und die westlichen Commonwealth Länder zuständig ist.

Piloten haben die letzte Autorität zu sagen, wer an Bord kommen kann, da sie letztendlich für die Sicherheit der Passagiere verantwortlich gemacht werden können. Ein Sprecher der deutschen Piloten-Vereinigung lehnt es ab diese Angelegenheit zu kommentieren. "Wir stehen in dieser Sache zur Vorgangsweise
der Lufthansa und halten uns aus der Politik heraus," sagt er.

Schliesslich haben Einzelpersonen, oder Gruppen von Einzelpersonen, auch eine starke Stimme im Entscheidungsfindungsprozess des Unternehmens.
Aktivismus von Aktionären heisst, dass in Generalversammlungen heiss diskutiert werden kann wenn Gericht über die Unternehmenspolitik gehalten wird. Deutsche Unternehmen sehen sich Untersuchungen ihrer Unternehmenspraktiken gegenüber, nachdem einige Firmen in das Nazi-Regime verwickelt waren. Und alle Augen sind auf das Land gerichtet, wenn Reportagen über Rassismus erscheinen. Kein Mensch ist illegal hat die Frage
aufgeworten, ob Nicht-Weisse öfter von der deutschen Grenzpolizei
misshandelt werden als andere.

Kadiata Batobo, eine 31jähriger Kongolese der Informatik studierte, sagt, dass er von der Grenzpolizei geschlagen wurde, nachdem er sich gegen seine Abschiebung mit einem Lufthansa-Flugzeug wehrte. Er kam am 1. Jänner 1998 nach Deutschland und gab sich als Sohn eines nigerianischen Diplomaten aus. Er war im Kongo aus politischen Gründen im Gefängnis und flüchtete, nachdem ein anderer Gefängnisinsasse erschossen wurde, sagte er in französisch über einen Dolmetscher. Herr Batobo lebt in einem Asylantenheim in München. Die deutsche Regierung gibt Asylsuchenden einen Heimplatz während sie auf die Anhörung ihres Falles warten.

"Wir finden es absolut absurd, dass Menschen heutzutage abgeschoben werden, während sich die Regierungen laut über sinkende Arbeitskräftezahlen beklagen. In der heutigen globalisierten Welt, in der Kapital und Information frei fliessen, ist es absurd, dass sich Menschen nicht frei bewegen können," sagt Frau Seidler.

Eine Anzahl von Gruppen verhandelt in Deutschland über das Thema der Unternehmensethik, darunter das europäische Netzwerk für Geschäftsethik, das deutsche Netzwerk für Geschäftsethik, das Institut für Wirtschafts- und Sozialethik, Universitäten und Beratungseinrichtungen. Weiters trifft sich eine Gruppe von älteren Geschäftsleuten regelmässig in Baden-Baden um ethische Belange zu diskutieren.

Die landesweite Diskussion über Ethik hat unabsichtlich auch Herrn Baboto geholfen. Er hatte seinen legalen Status in Deutschland verloren und sollte in eine prekäre Situation in seiner Heimat gebracht werden. Indem er sich körperlich gegen seine Abschiebung wehrte und weil Lufthansa die neue Vorgansweise einführte könnte sein Leben gerettet worden sein.

Von Rhea Wessel Dow Jones Newswires

Wall Street Journal, 29. Jänner 2001

weitere Infos zu Lufthansa:

Aktion am Lufthansa Bildungszentrum

Kreativer Widerstand gegen Abschiebungen und die Lufthansa (deportation-class) auf der Expo...

Lufthansa AG will kritische Plakatkunst aus dem Internet verbannen.

Umstrittene Reise in der deportation.class

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