Dieser
Text entstand im Herbst 1999 im Rahmen einer Kampagne zur "Sofortigen
Abschaffung der Schubhaft". Er wurde seither mehrmals upgedatet. Die
Version vom April 2001 findet sich hier.
Anlässlich des europaweiten Aktionstages
für die Legalisierung aller Sans Papiers und für die Schließung aller Abschiebezentren
am 31. Jänner 2004 wurde er neu überarbeitet.
=> Faltblatt "Schubhaft
abschaffen!" als pdf-download.
siehe
auch: Tipps um Abschiebungen zu verhindern.
|
|
Schubhaft abschaffen!
Schubhaft ist eine Freiheitsberaubung, die ausschließlich
"Fremden" zuteil werden kann. Sie stellt keine Strafhaft oder
richterlich verordnete Haft dar, sondern wird ohne Haftprüfung von
der Verwaltungsbehörde ausgesprochen, um angeblich nötige Abschiebungen
routinemäßig und ohne Probleme durchführen zu können.
In Schubhaftgefängnissen, die sich meist in sogenannten Polizeianhaltezentren
(PAZ) befinden, können Asylsuchende und MigrantInnen bis zu sechs
Monate eingesperrt werden. Von Jänner bis November 2003 wurden 10.166
Menschen in Schubhaft gefangen gehalten.
Schubhäftlinge
werden oft gar nicht oder in keiner ihnen verständlichen Sprache
über den Grund und die Dauer der Schubhaft informiert, rechtliche
Beratung bzw. Vertretung gibt es nicht oder kaum. Daran ändert auch
die Schubhaftbetreuung im Auftrag des Inneministeriums (BMI) nichts (siehe
weiter unten). Gerechtfertigt wird Schubhaft damit, dass Betroffene daran
gehindert werden sollen, sich ihrer Abschiebung zu entziehen und diese
fremdenpolizeilich vorbereiten zu können. Trotzdem werden viele Menschen
in Schubhaft genommen, obwohl ihre Abschiebung nicht möglich ist.
Durch die Ausweglosigkeit der Situation sind Selbstmordversuche, Selbstverstümmelungen
oder Hungerstreiks für viele die einzige Chance, der Schubhaft zu
entkommen oder auf die Brisanz der eigenen Situation aufmerksam zu machen.
Vor allem bei akut drohender Abschiebung ist Hungerstreik die einzige
Möglichkeit. Während früher rund 2 Wochen Hungerstreik
für die Entlassung ausreichten, sind seit ein paar Jahren durchschnittlich
3 Wochen, was zeigt, dass es den Behörden nicht gerade um die Gesundheit
der Häftlinge geht, wenn Hungerstreiks vermieden werden sollen. Willkür
ist bei der Erlassung von Aufenthaltsverboten an der Tagesordnung, Gründe
wie "illegalisierte Einreise", "illegalisierter Aufenthalt",
"Verstoß gegen das Meldegesetz" oder ein Verstoß
gegen die Strafgesetzordnung sind ausreichend. Bis Ende 2003 sind insgesamt
84.962 Aufenthaltsverbote, davon allein 34.560 wegen "Mittellosigkeit"
und 17.715 wegen "Gefahr für die öffentliche Sicherheit"
aufrecht.
Verschäfte Praxis im Asylverfahren
Da es kaum mehr Möglichkeiten zur legalen Einreise gibt, nutzen immer
mehr Menschen das Recht um Asyl anzusuchen, um einen vorläufigen
Aufenthaltsstatus zu erlangen. Asyl wird nur in den seltensten Fällen
zuerkannt, Fluchtgründe werden von staatlicher Seite nicht anerkannt,
Menschen als "Wirtschaftsflüchtlinge" denunziert. AsylwerberInnen
sind vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, erhalten aber auch keine staatliche
Unterstützung.
Im Jahr 2003 ist die Zahl der Asylanträge gegenüber dem Vorjahr
deutlich zurückgegangen. Trotzdem begründet das Innenministerium
eine Verschärfung des Asylgesetzes damit, dass Fluchtbewegungen in
den gesamten EU-Raum stark zugenommen hätten. Die aktuell veröffentlichten
Zahlen widersprechen dem. Der Rückgang bei Asylanträgen kann
nicht darauf zurückgeführt werden, dass es weniger Fluchtgründe
auf der Welt gibt, sondern liegt wohl eher an der restriktiveren Abschottung
an den Grenzen der Europäischen Union (EU), die sich immer weiter
nach Osten verschieben.
Die mit 1. Mai 2004 in Kraft tretenden Asylgesetznovelle 2003 ist Teil
der EU-ropäischen Harmonisierung- und Abschottungspolitik auf nationaler
Ebene. Die Praxis, dass immer mehr Menschen nicht in das reguläre
Asylverfahren aufgenommen werden, wird sich dadurch aller Voraussicht
nach verstärken.
Ein Antrag auf Asyl ist denn nur mehr in den noch zu errichtenden Erstaufnahmestellen
(EAST) möglich. Dort sollen laut BMI innerhalb von 48, längstens
jedoch 72 Stunden "unzulässige und offensichtlich unbegründete
Anträge schnell gefiltert" werden.
Leute, die nicht in den EAST einen Antrag stellen, sind von Sicherheitsorganen
zu durchsuchen und dort vorzuführen. Das Ziel der ersten Einvernahme
ist eine offensichtlich möglichst schnelle Ausweisung. Wird ein Antrag
auf Zugang zum Asylverfahren abgelehnt, besteht trotz der Möglichkeit,
Einspruch zu erheben, keine weitere Aufenthaltsberechtigung.
Während des Zulassungsverfahrens sind AsylwerberInnen in der Erstaufnahmestelle
oder einer angelagerten Betreuungseinrichtung unterzubringen und zu versorgen.
Bei "unbegründetem Verlassen" der EAST droht Schubhaft.
Die Grenze ist überall
An der österreichischen EU-Außengrenze wurden von Jän-Nov
2003 20.856 Zurückweisungen ausgesprochen und den Menschen damit
die Möglichkeit verwehrt, einzureisen. Die Anzahl der an den Grenzen
aufgegriffenen Personen, die heimlich nach Österreich eingereist
sind, ist zurückgegangen, was wohl mit den verschärften Kontrollen
an den künftigen EU-Außengrenzen zu tun hat, wo deutlich mehr
Aufgriffe als im Vorjahr verzeichnet wurden. Mit der kommenden EU-Erweiterung
ist Österreich nur noch EU-Mitgliedsstaaten und den "sicheren
Drittstaaten" Schweiz und Liechtenstein umgeben. Dann können
Flüchtlinge auf dem Landweg nicht mehr offiziell einreisen.
In den letzten Jahren starben tausende Menschen beim Versuch, die militärisch
gesicherten Mauern der Festung Europa zu überwinden. Die Verantwortung
dafür tragen auch Menschen, die mit der herrschenden Praxis von Grenzsicherung,
Schubhaft und Abschiebungen einverstanden sind.
Durch den weiteren Ausbau der Polizeikontrollen im Inneren und verstärkte
internationale Zusammenarbeit werden neue Grenzen aufgebaut, deren Örtlichkeit
nicht mehr vorherzusehen ist. Die Grenze ist überall - in der Schubhaft
wird sie am deutlichsten sichtbar.
Für Menschen, die nicht über österreichische Papiere verfügen,
stellt Schubhaft eine ständige Bedrohung dar. Durch staatliche Gesetze
und den rassistischen Konsens der Mehrheitsbevölkerung Österreichs
leben viele MigrantInnen in unmenschlichen und extrem ausbeuterischen
Arbeits- oder Wohnverhältnissen. Der Verlust eines Arbeitsplatzes
kann dazu führen, dass Schubhaft verhängt wird. Ein Aufenthaltsstatus
über Familienzusammenführung und/oder den "Schutz der Ehe"
bedeutet Abhängigkeit vom/von der EhepartnerIn. Lässt frau sich
scheiden, kann das zu Schubhaft und Ausweisung führen.
"Wir sind hier, weil ihr dort seid"
Die Bewegung der papierlosen Menschen in Frankreich, die "Sans Papiers"
haben diesen Satz geprägt. Sie weisen darauf hin, dass gerade durch
die Politik Europas und anderer Supermächte Migrationsgründe
international forciert und Vertreibungen von Menschen aufgrund wirtschaftlicher
Interessen in Kauf genommen werden. Oft ist die Entscheidung zu Flucht
bzw. Migration eine Reaktion auf europäische "Interessenwahrnehmung"
im Ausland. Doch nur wenige Menschen können weiter als in die benachbarte
Region fliehen, insbesonders Frauen.
Erreichen MigrantInnen Schengenland, treffen sie auf militärisch
gesicherte Grenzen, werden illegalisiert, zu einer "Gefahr für
die öffentliche Sicherheit" erklärt, in Schubhaft gesperrt
und oft deportiert. Im medialen und politischen Diskurs wird von Wirtschaftsflüchtlingen
geredet, die nichts andere im Sinn hätten, als auf Kosten der Mehrheitsbevölkerung
zu leben. Gleichzeitig ist es aber gerade die Wirtschaft, die von den
zahlreichen billigen und oft entrechteten Arbeitskräften profitiert.
Und es sind Angehörige der Mehrheitsbevölkerung, die von den
billigen Arbeitskräften - z.B. beim Putzen der Wohnung - und den
billigen Waren aus anderen Teilen der Welt profitieren.
Fliehen Frauen, weil sie aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt und
aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, z.B. durch die Verweigerung
des Rechts auf Bildung, werden sie wieder zurück geschickt. Asylrechtliche
sind ihre Gründe nicht "relevant". Frauenspezifische Fluchtgründe
wie Vergewaltigung werden oft selbst dann nicht anerkannt, wenn Vergewaltigung
als gezielte Waffe in Kriegen eingesetzt wird. Oft werden Frauen durch
staatliche Institutionen gezielt verfolgt, um Druck auf politische Oppositionelle
auszuüben. In gängigen Argumentationen bei Ablehnungen im Asylverfahren
heißt es, die Vergewaltigung richte sich nicht gegen die Frauen
als Person, sondern gegen deren Ehemann oder Vater.
Aber auch für Menschen, die keinen Schutz vor Verfolgung suchen,
muss es möglich sein, sich hier niederzulassen. Es muss das Recht
jedes Menschen sein, sich einen Ort zum Leben zu suchen, ohne Behinderungen
durch reglementierende Institutionen wie den Staat. Dieser will bestimmen,
in welchem Ausmaß, mit welcher Begründung und unter welchen
Bedingungen Menschen hier leben.
Kriminalisierung
Der Abschiebekonsens in der österreichischen Mehrheitsbevölkerung
setzt "illegal" mit "kriminell" gleich. Massenmedien
und Aussagen von PolitikerInnen stellen diese Verbindung immer wieder
her und bestärken dadurch den rassistischen Konsens der Mehrheitsbevölkerung.
Nach vorherrschender Meinung handelt es sich bei Schubhäftlingen
um "Kriminelle", wie z.B. als Dealer stigmatisierte AfrikanerInnen.
Diese Kriminalisierung führt zu steigenden Zahlen von Häftlingen.
Immer mehr Menschen ohne EU-Pass befinden sich in U-Haft. Um diese zu
verhängen, reichen Verdachtsmomente, wie der Aufenthalt in einer
U-Bahnstation. Nicht selten werden die Inhaftierten nach einem Freispruch
oder dem Absitzen einer mehrjährigen Haftstrafe direkt in Schubhaft
überstellt und abgeschoben. Ein Beispiel für die rassistische
Rechtssprechung ist ein Urteil des Unabhängiger Verwaltungssenat
(UVS) Linz vom Jänner 2004: Bei Menschen schwarzer Hautfarbe handle
es sich um "Personen, die auf den ersten Blick - also rein äußerlich
und oberflächlich betrachtet - als Drogendealer in Betracht kommen
könnten", so die Urteilsbegründung.
"Echte ÖsterreicherInnen" sollen sich laut "ihrer"
Regierung und "ihrer" Medien in "ihrem" Staat sicher
fühlen. Ein Hoch auf "ihre" innere Sicherheit! Mit Denunziationen
und rassistischem Handeln wird jedeR zur TäterIn. Populistisch werden
Konstrukte wie nigerianische "Drogenringe" oder die "Rumänenbanden"
verkauft und von den echten und anständigen ÖsterreicherInnen
gierig aufgenommen.
Abschiebung ist Folter - Abschiebung ist Mord
Der Fall von Marcus Omofuma hat gezeigt, dass Mord in der Struktur dieses
Staates und seiner Praktiken liegt. In der Diskussion darf es nicht darum
gehen, ob sein Tod nach herrschender Justiz als Mord klassifiziert wird,
sondern dass Mord eine politische Kategorie ist. Durch Gesetze und durchgeführte
Praxis werden Morde jederzeit in Kauf genommen.
Die drei Fremdenpolizisten, die Marcus Omofuma umbrachten, wurden zwar
vor dem Landesgericht Korneuburg wegen fahrlässiger Tötung unter
besonders gefährlichen Verhältnissen schuldig gesprochen. Das
Strafmaß von acht Monaten bedingt auf drei Jahre hat keinerlei Konsequenzen
für die Angeklagten zur Folge und erscheint wie ein Freispruch. Die
Anwendung von Zwangsgewalt bei Deportationen wurde für rechtens erklärt,
eine grundsätzliche Änderungen der Abschiebepraxis nicht in
Erwägung gezogen. Gleichzeitig wurde Marcus Omofuma für (mit)schuldig
erklärt, weil er Widerstand leistete und bis zuletzt um sein Leben
kämpfte.
Die Zustände verbessern?
Mord liegt auch dann in der Struktur, wenn Gesetze "verbessert"
und Zustände "humaner" werden. In der Schubhaft zeigt sich
dies besonders drastisch. Durch soziale Betreuung in Schubhaft ist neben
einer Verbesserung der Situation von Gefangenen vor allem eine Erleichterung
für die abschiebende Behörde eingetreten. In Verträgen
zwischen dem Innenministerium und NGO's, die vom BMI bezahlte Schubhaftbetreuung
durchführen, ist vertraglich festgelegt, dass BetreuerInnen keine
Rechtsmittel einbringen dürfen. So genannte "präventive
Maßnahmen" dienen vor allem dazu, Konfliktpotentiale zu minimieren
und den Inhaftierten die Vorzüge einer Deportation schmackhaft zu
machen (Rückkehrberatung). Angemerkt muss jedenfalls werden, dass
zahlreiche Personen und Organisationen - auch ohne Verträge mit dem
BMI - Leute in Schubhaft unterstützen und sich nicht vorschreiben
lassen, wie weit ihre Unterstützung gehen darf.
Wenn Leute vor allem sozialbearbeitet werden, damit sie keinen Widerstand
leisten oder auf einen Hungerstreik verzichten, wird jeder Widerstand
im Keim erstickt. Gleichzeitig werden jene Stimmen immer seltener, die
für eine radikale Veränderung der herrschenden rassistischen
Ordnung eintreten. Vielen fällt es leichter, für karitative
Zwecke zu spenden, als sich aktiv gegen rassistische Handlungen zu stellen.
Viele Forderungen wie die Abschaffung der Schubhaft kommen nicht mehr
in den Sinn oder erscheinen mit der alltäglichen (sozialen) Arbeit
unvereinbar. Werden sie jedoch nicht gestellt, wird das System von Schubhaft
und Deportationen legitimiert. Der herrschenden Politik greift dies unterstützend
unter die Arme.
Alle Menschen sollen gleiche politische und soziale Rechte haben -
unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, sozialem Status und
Geschlecht. Differenzierende Instrumente wie Schubhaft und Abschiebung,
rassistische Gesetze und Praxen, können nicht verbessert sondern
nur verhindert und abgeschafft werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen
rassistisch ausgegrenzt werden und andere davon profitieren. Rassismus
liegt ihnen existenziell zu Grunde. Abschiebungen unmöglich zu machen
und MigrantInnen aktiv zu unterstützen, ist praktische Solidarität
und ziviler Ungehorsam gegen institutionalisierte Rassismen. Wir rufen
dazu auf, Flüchtlinge und MigrantInnen bei der Ein- und Weiterreise
zu unterstützen.
Für Legalisierung. Gegen Schubhaft und Abschiebungen
Gegen Rassismus und Ausgrenzung
Gegen die herrschende Ordnung
Wir rufen dazu auf, Flüchtlinge und MigrantInnen bei der Ein- und
Weiterreise zu unterstützen
FÜR EINE WELT OHNE RASSISMEN UND SEXISMEN
|
|