GEMMI INFO Nr.4 | Inhalt:


GEMMI | Verweigerung der Besuchserlaubnis | Nigeria & Shell | Lohndiebstahl ist kein Delikt | Bei den Prozessen | zurück

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Bekämpfen wir den staatlichen Rassismus!

Die Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und ImmigrantInnen gründete sich angesichts der Verschärfung der Fremdengesetze, der rassistischen Hetze in den bürgerlichen österreichischen Medien und dem Ausbau des staatlichen Repressionsapparats; sowie einer von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen und immer mehr tolerierten Verschlechterung der Lebensbedingungen hier lebender marginalisierter Gruppen durch Illegalisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung.

Durch die "Operation Spring" bei der über hundert Menschen inhaftiert wurden, wurde die seit Beginn dieses Jahres in der österreichischen Medien- und Politlandschaft verstärkt geführte Debatte über vermehrten Rassismus und Übergriffe seitens der Exekutive - erst recht nach dem Erstickungstod von Marcus Omofuma - unterdrückt. Unterstützt durch die öffentliche Meinung stehen Menschen dunkler Hautfarbe prinzipiell unter dem Verdacht, Drogenhändler und Kriminelle zu sein und werden dementsprechend behandelt. Schikanöse Perlustrierungen auf offener Straße und rassistische Beschimpfungen sind alltäglich. Mehr als jede andere Gruppe stehen Menschen dunkler Hautfarbe zur Zeit im Fokus von Ausgrenzung, Diskriminierung und Kriminalisierung.

Wir wollen weder direkt dem Staatsrassimus dienen, noch zur Aufrechterhaltung einer "demokratischen" Fassade des Rassismus beitragen. Unsere Arbeit wird von öffentlichen Stellen nicht unterstützt und nicht subventioniert. Wir sind daher auf Spenden angewiesen.

Wir lehnen die Verurteilung von Menschen aus rassistischen Motiven und zu politischen Zwecken vehement ab. Die GEMMI hat es sich zur Aufgabe gemacht, rassistische Praktiken der Polizei und Klassenjustiz bloßzustellen, darüber zu informieren und diese nach Möglichkeit zu bekämpfen. Wir machen auf den institutionalisierten Rassismus in Österreich aufmerksam und arbeiten gegen die fortschreitende Ausbreitung von Rassismus, Repression und deren Konsequenzen in Öffentlichkeit und Institutionen. Die GEMMI macht Verletzungen der Menschenrechte seitens der österreichischen Institutionen und Behörden öffentlich und bekämpft sie. Die GEMMI unterstützt Betroffene politisch, sozial und rechtlich.

Wir appellieren an alle gegen den zunehmenden Rassismus in Österreich zu protestieren - die Verantwortlichen für die Pogromstimmung in Österreich müssen verurteilt werden, damit ein wirksamer Druck auf öffentliche Stellen erzeugt werden kann. Fortschrittliche Kräfte und die communities müssen sich solidarisieren und verstärkt Widerstand gegen die rassistische Staatsgewalt leisten. Alle kritischen Menschen in Medien, Organisationen, Sozialarbeit, Bildungseinrichtungen, Politik sind aufgerufen klar Stellung zu beziehen und Aktionen zu setzen.

Die GEMMI besucht afrikanische Gefangene, versorgt sie mit dem Notwendigsten. Besuch zu bekommen bringt Abwechslung in den tristen Häf'nalltag. Ein Großteil der Inhaftierten war nicht lange genug in Österreich um sich ein soziales Umfeld aufzubauen. Afrikanische FreundInnen, die Gefangene der Operation Spring besuchen, sind sofort in Gefahr auch ein Teil des mafiösen Konstrukts zu werden.

Verweigerung der Besuchserlaubnis

Seit 16. November gibt es für Leute, die sich als GEMMI deklarieren, eine willkürliche Verweigerung der Besuchserlaubnis. Das wird mit der Mutmaßung begründet, die GEMMI würde einen passiven Widerstand im Gefängnis koordinieren. Laut Justiz ist passiver Widerstand die Weigerung, die Zelle oder einen anderen Haftraum zu verlassen oder nichts zu essen (fasten).

Passiver und aktiver Widerstand in Gefängnissen ist weltweit ein verbreitetes Mittel um gegen Haftbedingungen, Vorverurteilungen und Verurteilungen zu protestieren.

Deshalb fordern wir:

  • Sofortige Besuchserlaubnis!
  • Besucht! Nehmt Kontakt mit Inhaftierten auf! Schreibt Postkarten an Gefangene!
  • Schreibt Protestbriefe an den Richter
  • Dr. Seda oder an das Gerichtspräsidium.
  • Adresse: Landesgericht 1, Landesgerichtsstr. 11, 1080 Wien.
  • Rassismus geht uns alle an!
  • Schaut nicht weg! Greift ein!
  • Sagt Nein zu rassistischen Meldungen!

 

Im Frühjahr 1999 formierte sich Widerstand gegen polizeiliche Übergriffe auf Menschen dunkler Hautfarbe. Nach dem Tod von Ahmed F., dem Angriff auf Dr. C. und vielen ähnlichen Fällen, bei denen Menschen allein auf Grund ihrer dunklen Hautfarbe, beschimpft, attackiert, perlustriert und verhaftet wurden, fanden Demonstrationen statt, die von den african communities mitorganisiert wurden und sich explizit gegen rassistischen Polizeiterror richteten. Bei diesen Demonstrationen filmte die Polizei die VeranstalterInnen, wie z.B. bei der Demonstration am 19. März, zu der tausende Menschen kamen.

Am 1. Mai wurde Markus Omofuma bei seiner Abschiebung getötet. Die zuständigen Politiker - Schlögl und Co - übernahmen nicht die Verantwortung; so etwas könne bei Abschiebungen eben passieren. Die Abschiebepraktiken - Mundzukleben, Fesseln, Helme - waren den Verantwortlichen lange bekannt und wurden akzeptiert. Bürgerliche Medien applaudierten. Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit akzeptieren die Toten der rassistischen Staatsgewalt. Der Widerstand und der Protest der communities und fortschrittlicher Kräfte nahm zu. Kritik an Polizeipraktiken und Politik wuchs. Die Proteste sollten im Keim erstickt, jede Ausweitung von Solidarität sollte verhindert werden.

 

Stoppt den Lauschangriff!

Lauschangriff und Rasterfahndung müssen gerechtfertigt werden, vor allem, da sich die österreichische Bevölkerung mehrheitlich gegen Angriffe auf persönliche Freiheit und Datenschutz ausspricht. Angesichts der Proteste wurden Lauschangriffmethoden nur befristet genehmigt. Bis zum Auslaufen der Frist muss sich der Lauschangriff als effektiv erwiesen haben. Daß für diese Legitimierung ausgerechnet AfrikannerInnen herhalten müssen, zeigt den staatlichen Rassismus.

Genehmigung für einen Lauschangriff gibt es nur bei dem Verdacht auf Bildung einer kriminellen Organisation oder einem angedrohten Strafausmaß von über 10 Jahren. Das heißt, es muss einige Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation geben.

In Österreich werden die Ton- und Videoüberwachungsaufnahmen von der Sondereinheit für Observation, SEO erstellt und ausgewertet, die es seit 1998 gibt. Sie untersteht direkt der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit. 27 Personen arbeiten dort. Übersetzungen und Auswertungen der Aufnahmen erfolgen in einem separaten, abgeschirmten Raum. Anfänglich war das Material außer der SEO nur der Untersuchungsrichterin zugänglich.

In Februar und März 99 wurde drei Wochen lang gelauscht und gefilmt - genehmigt wurde erst im Nachhinein. Im April begann dann der viel zitierte Lauschangriff. Erfasst wurden dabei insgesamt 7.143 Personen, 1.454 Spitznamen, 6.507 Telefonnummern, und über 30 000 Telefongespräche. Vielleicht bist auch du dabei!

 

Lassen wir uns nicht bespitzeln!

Am 3.12.98 wurden 15 Menschen bei "Operation Herzblatt" und 12 Menschen bei "Operation Snoopy" am 27.1.99 verhaftet. Bei Operation "Spring 1" am 27.5.99 sind 104 Menschen verhaftet worden. Das diente dazu, die Wirksamkeit des Lauschangriff zu präsentieren. Bei der "Operation Spring 2", am 28.9.99 sind über 40 Menschen in der Zohmanngasse verhaftet worden. Der Großteil sind Menschen aus Afrika. Auffällig an den beiden Einsätzen ist die Wahl des Zeitpunkts. Die erste fand im Vorfeld der EU-Wahl, die zweite wenige Tage vor der Nationalratswahl statt. Da konnte die SPÖ noch einmal beweisen, wie sie FPÖ-Forderungen umsetzt.

Sippenhaftung fällt uns dazu ein!

Es genügt als AfrikanerIn in der Zohmanngasse gemeldet zu sein/gewesen zu sein, um in Verdacht zu geraten, einer kriminellen Organisation anzugehören oder mit Drogen zu dealen.

AfrikanerInnen, die zum Zeitpunkt des Überfalls in Schubhaft oder auch seit Monaten in Haft waren, werden wegen der Meldeadresse Zohmanngasse verdächtigt und kriminalisiert. Bei Straßenkontrollen ist diese Meldeadresse ein Haftgrund. Gleichzeitig können sich AfrikanerInnen aber auch nicht ummelden.

Das Konstrukt einer nigerianischen Drogenmafia rechtfertigt permanente Kontrollen und Festnahmen von Menschen mit dunkler Hautfarbe. Auch ihre Wohnungen können jederzeit durchsucht werden.

Die Polizei konstruiert, die öffentlichen Medien ziehen nach:

Kommst du aus einem afrikanischen Land, dann wirst du als DrogendealerIn abgestempelt.

Bist du mit AfrikannerInnen befreundet, gehst du sie besuchen und deine Telefonnummer steht in einem "afrikanischen" Telefonbuch, bist du in den Augen der Justiz DrogenkonsumentIn oder stellst dich für Drogengeldtransferleistungen zur Verfügung.

Bereits im September 99 wurden im 10. Bezirk als Vorermittlungen der "Operation Spring 2" Videoüberwachungen und darauf folgende Verhaftungen durchgeführt.

Zuerst werden ImmigrantInnen in isolierte Häuser abgedrängt, dann werden eben diese Häuser mitsamt InsassInnen kriminalisiert.

 

Nigeria und Shell

Nigeria ist ein an Bodenschätzen und Ressourcen reiches Land. 95% des Erdöls werden jedoch ausgeführt. In Nigeria ist Benzin an den Tankstellen nur mit Warteschlangen oder überteuert am Schwarzmarkt zu bekommen. Der Anbau von Kakao und Kautschuk führte zur Umstellung auf Monokulturen. Lebensmittel, Maschinen und alle technischen Geräte müssen eingeführt werden. Der Durchschnittsverdienst eines ungelernten Arbeiters beträgt zwischen 500 und 1000 Naira (= 500- 1000 ÖS). Die Arbeitslosigkeitsrate beträgt 50%, die Inflationsrate liegt bei 70% und die Auslandsverschuldung an den IWF ist gigantisch (über 32 Milliarden US$). Die Lebenserwartung liegt bei Frauen bei 52 Jahren und bei Männern bei 49. Während die Eliten weiter absahnen, kommt es immer wieder zu Hungerrevolten mit zahlreichen Toten. Shell plündert gemeinsam mit der einheimischen Elite die Bevölkerung aus. Die Verschmutzung der Gewässer durch die Ölindustrie macht Selbstversorgung für die ländliche Bevölkerung unmöglich. Shell hat seit 1958 (der Erschließung der Erdöls) aus Nigeria Öl im Wert von US$30 Billionen geraubt.

 

Der staatliche Rassismus ist ein Bestandteil der herrschenden kapitalistischen Ordnung

Nigeria ist nur ein Beispiel von vielen ausgebeuteten Ländern. Der dort produzierte Reichtum wird hier in den Metropolen verbraucht. Wen wundert's, dass die Menschen vor Armut flüchten und hier auf einen Arbeitsplatz hoffen.

Westliche Konzerne profitieren an der Ausbeutung der Arbeitskraft der Bevölkerung und der Ressourcen der Trikontländer. Fluchtgründe werden somit vom Kapital geschaffen. Im Rahmen der kapitalistischen Arbeitsteilung gibt es ein Interesse an Ungleicheit zur Realisierung von Profiten. Die Kluft zwischen reich und arm wächst ständig, Menschen ohne EU-Pass gelten als Menschen »zweiter Klasse«, da für sie andere Gesetze gelten. Der staatliche Rassismus ist ein Bestandteil der bürgerlichen Demokratie. Um das zu verschleiern braucht der Westen seine Konstrukte von "nigerianischen Drogenmafias" und "organisierter Kriminalität". Die Zeitungen schreiben täglich von Mafiaorganisationen, die die europäische Sicherheit gefährden. Auffällig dabei ist, daß daran ausschließlich Menschen aus Afrika, Asien oder den ehemaligen "sozialistischen" Ländern beteiligt sind. So ersetzt der Mafiavorwurf die Kategorie Rasse. Kategorien wie Rasse dienen zur Aufrechterhaltung der Unterdrückung und der Legitimierung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen Industrieländern und dem Rest der Welt. Menschen dunkler Hautfarbe werden als Sündenböcke gebraucht, um von den tatsächlichen Widersprüchen und Folgen der Ökonomie der multinationalen Konzerne, Banken und Versicherungen abzulenken.

Ab den 60er Jahren wurden billige ArbeitsmigrantInnen vor allem aus der Türkei und Jugoslawien angeworben, um den Sozialstaat Österreich aufzubauen. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die für die Wirtschaft bis heute gilt. Die österreichische Sozialpartnerschaft trägt ihren Teil dazu bei, ArbeitsmigrantInnen als Feindbild aufzubauen und nicht als KollegInnen. Statt unterschiedliche Bezahlung zu verhindern, definiert der ÖGB nichtösterreichische ArbeiterInnen als Konkurrenz. Bezeichnend ist es auch, dass keine ÖGB-Funktion von einer Person ohne österreichischen Pass besetzt ist. MigrantInnen, vorausgesetzt sie bekommen eine Arbeitsbewilligung, verdienen durchschnittlich ein Viertel weniger als gleichwertige österreichische ArbeiterInnen.

 

Der monatliche Diebstahl an deinem Lohn heißt nicht Eigentumsdelikt

Der monatliche Diebstahl an deinem Lohn heißt nicht Eigentumsdelikt, sondern gutes Management. Die Justiz schützt den Profit deines Chefs. Schütz dich selbst, organisiere dich. Die Aufgabe von Polizei und Justiz ist es, die bestehenden Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse zu schützen. Das sieht man auch daran, dass ein Großteil aller verfolgten Straftaten Eigentumsdelikte sind.

Österreichische PolitikerInnen brüsten sich mit der erfolgreichen Zerschlagung der ehemaligen "sozialistischen Länder". Die Konsequenz dieses Erfolges ist die Verarmung der dort lebenden Bevölkerung. Bei einer Arbeitslosigkeit von über 50% und Löhnen unter dem Existenzminimum bietet es sich an, ins reiche Nachbarland arbeiten zu gehen. Dort ist Arbeiten für diese Menschen aber verboten und es bleibt ihnen nur noch die Möglichkeit der Schwarzarbeit. Dagegen gibt es Razzien und Aufenthaltsverbote bis zu 10 Jahren. Da bleibt nicht mehr viel Handlungsspielraum. Die Justiz nennt sie "KriminaltouristInnen". Zur Abschreckung reagiert die österreichische Justiz mit überdurchschnittlich hohen Strafen. Automatisch ist jede/r Beschuldigte Teil einer Mafia.

Auch MigrantInnen, die schon lange in Österreich leben und arbeiten, sind nach einer Haft von länger als vier Monaten von Abschiebung bedroht - außer sie können einen besonders hohen «Integrationsgrad« nachweisen, z.B. eine Ehe mit einer/m ÖsterreicherIn.

Menschen mit dunkler Hautfarbe werden wegen ihrer Hautfarbe nicht als Arbeitskraft eingestellt. Für sie besteht nur minimal die Möglichkeit der Schwarzarbeit. In Arbeitsverhältnissen sind sie einem zusätzlichen Rassismus ausgesetzt. Putzarbeiten, Verteilungsarbeiten u.ä. Arbeiten reichen nicht zum Überleben.

Freiheit für alle Gefangenen der rassistischen Klassenjustiz!

 

Bei den Prozessen

Das Alter von minderjährigen AfrikanerInnen wird mit einem Handwurzelknochenröntgen angezweifelt. Die Aussagekraft dieses Testes ist fraglich und wissenschaftlich umstritten. Daß dem Resultat dieses umstrittenen Testes mehr Glaubwürdigkeit zugesprochen wird als einem afrikanischen Dokument spricht für sich.

Ein "unparteiischer" Richter sagte über einen Afrikaner: "Es ist halt so schwierig, über jemanden zu richten, der ohne Papiere, ohne Besitz und ohne Altersnachweis vor Gericht steht." Da der Richter auch den Besitz erwähnt, ist offensichtlich, daß das Gericht ein Gericht der Besitzenden ist.

Fehlen bei den aus diesen Ermittlungsverfahren konstruierten Anklagen die konkreten Beweise, so stellt das für das Gericht kein wirkliches Problem dar. Der Vorwurf lautet dann oft so: "Verkauf von nicht feststellbaren Mengen, an nicht feststellbare Leute, an einem nicht feststellbaren Ort."

GerichtsdolmetscherInnen geben sich als AssitentInnen der RichterInnen. Sie fragen nach, haken ein, geben Kommentare ab, sind auch darum bemüht die Angeklagten zu Geständnissen zu überreden. z.B."You will burn in hell, not we" (Originell ist dabei auch, daß der/die GerichtsdolmetscherIn sich die österreichischen Gefängnisse als Hölle vorstellt). Wäre es nicht eigentlich ihre Aufgabe einfach nur zu übersetzen, was das Hohe Gericht, bzw. der Beschuldigte sagt?

Die Aufgabe von AnwältInnen ist es, parteilich zu sein, die Beschuldigten und ihre Interessen zu vertreten. Dem/der BeobachterIn drängt sich das Gegenteil auf. Beweismaterialien werden nicht beantragt oder dem Antrag wird kein Nachdruck verliehen, Verfahrensmängel werden nicht gerügt. Das ist mit dem Verzicht auf Rechtsmittel verbunden, die später nicht mehr eingelöst werden können. Manche AnwältInnen verzichten sogar auf Haftprüfungsverhandlungen. Die Verhandlungen werden nicht vollständig übersetzt. Den Beschuldigten wird zu Geständnissen geraten, egal ob ein Tatbestand erwiesen ist oder nicht. Praxis ist, den Beschuldigten so wenig wie möglich zu Wort kommen zu lassen. So wird den Angeklagten ohne jede Besprechung und Zeit zum Überlegen nahe gelegt, daß Urteil anzunehmen. Durch die Urteile wird die Anklage der kriminellen Organisation gerechtfertigt.

Zugleich unterstellt die Staatsanwaltschaft den AnwältInnen: "Die Anwälte unterstützen die kriminelle Organisation, indem sie Informationen von außen an die Inhaftierten weitergeben."

Auch was Vorverurteilungen betrifft, ist die Staatsanwaltschaft nicht zurückhaltend: "Bei Afrikanern handelt es sich nicht um Asylwerber, die sich durch ein paar Kugeln ("Fachjargon" für im Mund aufbewahrte Kügelchen, die mit Heroin oder Kokain gefüllt sind) das Überleben sichern, sondern um Leute, die extra herkommen um Geld zu machen."

ZeugInnenaussagen werden aus Protokollen der Polizei und UntersuchungsrichterInnen verlesen. Es scheint, als sei das Gericht darum bemüht, das persönliche Auftreten von ZeugInnen im Gerichtssaal möglichst zu vermeiden. Ein Großteil der Identifizierungen von Beschuldigten begründet sich auf Fotos. Wie gut jemand auf Überwachungsfotos zu erkennen ist, ist zweifelhaft. ZeugInnen, die vorgeladen und anwesend sind, werden oft nicht angehört, obwohl der Beschuldigte den Tatbestand bestreitet.

Viele Aussagen beschuldigen eine Person unter ihrem Spitznamen. Mehrere Personen werden als TrägerIn von ein und demselben Spitznamen verurteilt. Gegenüberstellungen von ZeugInnen, die das klären könnten, gibt es kaum.

Ist der Angeklagte nicht bereit sich schuldig zu bekennen, taucht die Drohung auf, die Anklage auf organisiertes Verbrechen zu erweitern.

RichterIn, AnwältIn, StaatsanwältIn, ÜbersetzerIn wollen Schuldbekenntnisse hören egal, ob sie stimmen oder nicht!

Wenn wir uns das anschauen, stellt sich uns die Frage, ob hier Gericht, AnwältInnen, ÜbersetzerInnen zusammenarbeiten, um das Konstrukt "Nigerianische Mafia" um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Die österreichische Gerichtspraxis beweist wieder einmal: Die Polizei ermittelt und produziert unverrückbare Tatsachen. Das Gericht bestätigt diese juristisch. Die Beweislast liegt also bei den Angeklagten und nicht beim Gericht.

Freiheit für alle Gefangenen der Klassenjustiz!

 

Das wahre Gefängnis

 
Es sind nicht die Löcher im Dach
Und nicht die sirrenden Moskitos
In der feuchten elenden Zelle.
Es ist nicht das Rasseln des Schlüssels
Wenn der Wärter dich einschließt.
Es sind nicht die schäbigen Essensrationen
Ungenießbar für Mensch und Tier
Und es ist nicht die Unausgefülltheit des Tages
Der in die Leere der Nacht eintaucht
Das ist es nicht
Das ist es nicht
das ist es nicht.
Es sind die Lügen, die man seit einer Generation
In eure Ohren getrommelt hat
Es ist der Sicherheitsagent, der Amok läuft
Und gefühlslose, katastrophale Befehle ausführt
Für ein armseliges Mahl am Tag
Die Richterin, die in ihr Buch schreibt
Und ihre Strafen wider besseres Wissen verhängt
Der moralische Verfall
Die geistige Unfähigkeit
Was der Diktatur eine trügerische Legitimität verleiht
Die Feigheit, die in der Maske des Gehorsams
In unseren in den Schmutz gezogenen Seelen lauert
Die Angst macht unsere Hosen naß
Wir wagen nicht, unseren Urin abzuwaschen
Das ist es
Das ist es
Das ist es
Mein Freund, was unsere freie Welt
Zu einem trübseligen Gefängnis macht.

 

Ken Saro Wiwa
ein nigerianischer Dichter und Freiheitskämpfer, wurde 1995 erhängt

 


GEMMI
Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und ImmigrantInnen
Stiftgasse 8 A-1070 Wien Spendenkonto: PSK 77.694.016
e-mail: gemmi@t0.or.at

Für eine Welt ohne Rassismus
[www.no-racism.net]