Ein Polizeikessel schützt sie vor
tausenden Gegendemonstranten. Die Gerichte hatten das Demoverbot aufgehoben
von GEREON ASMUTH
Das Brandenburger Tor ist eingekesselt. Auf der Ostseite stehen mehrere tausend
Demonstranten der "Berliner Initiative: Europa ohne Rassismus". Auch auf der
Westseite des Pariser Platzes protestieren lautstark mehrere hundert linke Demonstranten.
Mittendrin fordern etwa 500 Anhänger der rechtsextremen NPD "Solidarität mit
Österreich", geschützt von einem Polizeikordon aus Mannschaftwagen und
Wasserwerfern, der exakt den ehemaligen Verlauf der Mauer nachbildet.
Von den per Lautsprecher verstärkten Parolen der Neonazis ist nur
ein stakkatohaftes Schnarren zu verstehen. Nur das abschließende Absingen aller drei
Strophen der Nationalhymne bleibt hörbar. Der Rest geht in ständigen "Nazis
raus"-Rufen und Pfiffen unter. Vereinzelt fliegen Steine, Flaschen und Obst in
Richtung NPD-Kundgebung. Auch in die Gegenrichtung wird geworfen. Die Polizei spritzt mit
dem Wasserwerfer über ihre Barrikade auf die Pfeifenden. Uniformierte Greiftrupps
stürmen mehrfach in die Menge und nehmen einzelne Demonstranten fest.
Bis gestern, 16.45 Uhr zählt die Polizei 52 Festnahmen, darunter
42 Demonstranten der Linken, und zehn Rechte. Die Gesamtzahl werde sich aber, so eine
Polizeisprecherin vor Ort, wohl noch beträchtlich erhöhen. Auch nach Abschluss der
NPD-Kundgebung hat die Polizei nach eigenen Worten noch kein Konzept, wie sie die
Nationalen aus dem Kessel sicher herausholen solle. "Stalingrad", höhnen die
außerhalb des Kessels stehenden Gegendemonstranten und versprechen: "Wir kriegen
euch alle."
Gestern gegen 13 Uhr war der NPD-Aufzug am S-Bahnhof
Jannowitzbrücke gestartet. Das Verwaltungsgericht hatte am Freitagabend ein von der
Polizei verfügtes Demonstrationsverbot aufgehoben. Das Urteil war am Samstag vom
Oberverwaltungsgericht bestätigt worden. Allerdings war den Nationaldemokraten verboten
worden, Fahnen und Trommelnmitzuführen. Auch durften sie nicht in Marschformation durch
die Stadt ziehen. Dennoch konnten die überwiegend Kahlgeschorenen nicht wie ursprünglich
geplant durch Kreuzberg ziehen. Wegen massiver Proteste rund um den Moritzplatz verlegte
die Polizei kurzfristig die Marschroute über Leipziger und Wilhelmstraße zum
Brandenburger Tor.
Auf einer Zwischenkundgebung unmittelbar neben dem Gelände für
das geplante Holocaust-Mahnmal kritisierte der Hamburger Neonazi Christian Worch
genüsslich die "unglaublichen Auflagen der Gerichte". In Bezug auf die
Gegendemonstration meinte er feststellen zu müssen, dass "der politische Rassismus
von der so genannten Antifa ausgeht, die von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
angeführt wird". Die Polizei hatte den Kundgebungsplatz zuvor unter Androhung
einesWasserwerfereinsatzes von Gegendemonstranten geräumt.
Ende gut, alles gut? "Der GAU hat nicht stattgefunden",
bilanziert der grüne Fraktionschef Wolfgang Wieland am Nachmittag. Ins gleiche Horn blies
auch Innensenator Eckart Werthebach (CDU): "Es ist Schlimmeres verhütet
worden."
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DEMOAUFRUF
den Widerstand autonom und dezentral auf die Straße tragen!
- Am 12.3., den Jahrestag des Einmarsches der deutschen Wehrmacht 1938 in
Österreich, plant die NPD einen Aufmarsch unter dem Motto "Wir sind ein Volk -
Solidarität mit Österreich"in Berlin, an historischer Stätte, dem Brandenburger
Tor.
- Durch den Aufstieg der FPÖ in Österreich sieht sich die NPD, trotz inhaltlicher
Differenzen zum "nationalistischen/antisemitischen Kapitalismuskonzept" der
FPÖ, in ihrer Politik bestärkt.
- Die Verknüpfung der nationalen Kräfte von CSU bis NPD in Deutschland, sollte
uns endlich zum entschlossenen Handeln bewegen.
- Radikal und antifaschistisch dem braunen Mob entgegentreten!!!
- Voraussichtlich wird es eine, von Bullen gut bewachte, Demonstration von Parteien
und dem bürgerlichen Spektrum geben.
- Da wir jedoch wenig Sinn darin sehen, in einem wandelnden Bullenkessel zu laufen,
wollen wir selbstbestimmt und gezielt den Nazi-Aufmarsch verhindern.
-
- Beteiligt euch an dezentralen Aktionen !
- Bildet Banden!
- Bringt Radios mit!
- Faschisten, Sexisten und Rassisten aufs Maul!!!
- Wild und unberechenbar!!!
- (Aufruf von Clara Fall)
-
-
- Vorläufiger Sammelpunkt der NPD ist der S-Bkf Pankow-Heinersdorf am 12.3. um
11Uhr
- Da sich Demoroute und Treffpunkt ändern können, achtet auf weitere
Ankündigungen! Genauere Infos und den aktuellen Stand der Dinge erfahrt ihr bei der:
-
- Infoveranstaltung / VV: 11.3.00,20.00 Uhr in der SFE (Mehringhof)
- U-Bhf Mehringdamm, Gneisenaustr. 2A Berlin - Kreuzbergam
- Infotelefon: bis 11.3.00 030/42017285 am 12.3.00: 030/61074401 und 0177/3638242
- Termine: 12.März in Berlin: dezentrale Aktionen überall da wo die Nazis sind
und außerdem:
- 11:00 Uhr Bürgerfest mit Politik und Kultur am Pariser Platz [Aufruf]
- 12:00 Uhr Antifa Demonstration - Start am Rosa Luxemburg Platz [Aufruf]
- 13:00 Uhr dezentrale Aktionen in Kreuzberg [die Nazis wollen durch die
Oranienstraße marschieren]
- 18:00 Uhr Demonstration gegen NPD - Bundeszentrale in Köpenick Treffpunkt S-Bhf
Köpenick
-
- Am Sonntag, dem 12. 3. gibt es am Pariser Platz in Berlin die erste größere
Kundgebung seit der Regierungsübernahme in Österreich. Veranstalter ist die Initiative
für Europa ohne Rassismus.
- Und nun die schlechte Nachricht: Der Anlass für die Kundgebung ist ein von der
NPD geplanter Marsch durchs Brandenburger Tor anlässlich des Jahrestages des Anschlusses
Österreichs an Deutschland, den sie unter dem Motto "wir schliessen uns jetzt an
Österreich an" durchführen wollen.
-
- Update: Deutsche Polizei verbietet NPD-Aufmarsch in Berlin und dann doch
genehmigt (ZIB 3, 11.3.2000)
-
- Die Initiative "Europa ohne Rassismus" oder "Was in Berlin so
passiert"
- Seit der schwarzblauen Regierungsübernahme in Österreich Ende Januar war die
öffentliche und mediale Reaktion in Berlin bedenklich gering. Während in Wien
zigtausende auf die Strasse gingen und in anderen Grossstädten (Paris, Oslo,New York,
etc.) Solidaritätskundgebungen stattfanden, traf sich in Berlin vor der österreichischen
Botschaft ein eher zufällig zusammengewürfeltes Grüppchen von 14 Personen, um gegen die
neue Regierung zu protestieren.
- Gleichzeitig fand nur ein paar Stassen weiter ein Aufmarsch von mehreren Hundert
Neonazis statt, die durchs Brandenburger Tor (ein für Berliner Verhältnisse
symbolträchtiger Ort) marschierten, um zu schlechter Letzt gleich nebenan vor dem
Baugelände für das Holocaust-Mahnmal gegen dessen Errichtung zu demonstrieren. Diese
Demonstration war zwar zunächst von der Polizei verboten, später jedoch vom
Verfassungsgericht Berlin zugelassen worden. Das deutsche Demonstrationsrecht
unterscheidet sich nämlich vom österreichischen dahingehend, dass es hier beinahe
unmöglich ist, eine Demonstration zu verbieten (was andererseits auch wieder seine
Vorteile hat).
- Am 6.2. gab es dann allerdings eine Demonstration von ca. 500 Menschen vor dem
Hotel Intercontinental. Anlass diesmal war die Teilnahme Haiders an der Talkshow
"Talk in Berlin", die mangels journalistischer Vorbereitung zu einer reinen
FPÖ-Werbesendung verkam. An diesem Tag trafen sich unter Beteiligung von ORF und dem
Standard ca. 50 Kunst- und Kulturschaffende Österreicher in einem Berliner Lokal, um
über die neue Situation zu beraten, und die Möglichkeiten zu reagieren auszuloten.
(infolge dieses Treffens kam es später zur Gründung der Plattform get-to-resist.)
- Wer damals schon glaubte, eine aktionsfähige, zahlreiche Öffentlichkeit
mobilisiert zu haben, wurde in den nächsten Wochen eines Besseren belehrt. Die
samstäglichen Demonstrationen vor der österreichischen Botschaft, waren meist von einer
Handvoll Künstlern(mit einem Transparent: Haiders Austria Is Not My Austria) und einer
kleinen Gruppierung namens "Linksruck" (Transparente wie: Nazis Raus)
bevölkert.
- Genauso verlief die "grosse" Solidaritätskundgebung am 19. 2..
Zusätzlich zur geringen Beteiligung und der mangelhaften inhaltlichen Übereinstimmung
mit dem Linksruck mussten wir auf dem Weg vom Alexanderplatz zur österr. Botschaft auch
noch die Verständnislosigkeit der shoppierenden Passanten zur Kenntnis nehmen, als ob
Österreich auf der anderen Seite des Globus läge und das Problem der
Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung in Deutschland nicht existiere.
- Eine daraufhin erfolgte Befragung verschiedener Parteien ergab, dass entweder
ihre Spitzenkräfte zur Demonstration nach Wien gereist waren (PDS), oder sie schlichtweg
die Sache verschlafen hatten (die Grünen, SPD)
- Das daraus resultierende schlechte Gewissen und die Erkenntnise aus dem
Naziaufmarsch vom 29. 1. brachten dann endlich die Plattform "Berliner Initiative:
Europa ohne Rassismus" auf den Plan. Anlass dafür war ein neuerlicher
Demonstrationsantrag der NDP zum Jahrestag des "Anschlusses an Österreich" am
12. 3. als bewusste Provokation. So soll getestet werden, was sich die demokratische
Öffentlichkeit neben dem "Gedenken" an Horst Wessel (wurde verboten) und
Aufrufen zur Zerstörung des Holocaust-Mahnmales (wurde genehmigt, siehe oben) noch alles
gefallen lässt.
- Es ist die Regierungsbeteiligung der Partei Jörg Haiders in Österreich die den
Rechtsextremismus in Deutschland und in anderen Ländern ermuntert, wieder nach
"Anschluss" zu rufen. Diese Aktion soll die Solidarität mit der Regierung in
Wien, an der die rechtsgerichtete FPÖ beteiligt ist, zum Ausdruck bringen, unter dem
Motto: "Wir sind ein Volk"
- Mit einer Gegendemonstration will das breite Bündnis von der Berliner
Initiative: Europa ohne Rassismus (bestehend aus Mitgliedern der Grünen, PDS, SPD, FDP,
DGB, der jüdischen Gemeinde, protestantischen Kirchenverbänden, Schülergruppen,
get-to-resist, etc.) am Sonntad, 12. 3. den geplanten Aufmarsch von Rechtsextremisten am
Brandenburger Tor und am danebenliegenden Baugelände für das Holocaust-Mahnmal
verhindern.
- Die Veranstaltung auf dem Pariser Platz (Ostseite des Brandenburger Tores)
beginnt um 14h und ist als Kulturveranstaltung mit Redebeiträgen (u. a. Wolfgang Thierse,
Bundestagspräsident, Madelaine Petrovitsch, Elisabeth Orth, Schauspielerin am
Burgtheater,...), Musik (Kltezmer, Rap und Trommelgruppen) angelegt.
- Davor gibt es noch eine Demonstration, zu der die Antifaschistische Aktion Berlin
aufgerufen hat, die um 12h am Rosa Luxemburg Platz beginnt und sich gegen 14h bei der
Kundgebung auf dem Pariser Platz einfinden wird.
- Die Entscheidung über die Zulassung oder das Verbot der NPD-Demonstration kann
sich bis wenige Stunden vor dem geplanten Zeitpunkt am Sonntag nachmittag hinziehen.
Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) hatte im Februar angekündigt, alle
rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen zu wollen. So gesehen kann es aber auch zu der
Situation kommen, dass die Initiative: Europa ohne Rassismus einer beträchtlichen Zahl
von Neonazis gegenübersteht. Deshalb fordert die Initiative alle Bürgerinnen und Bürger
Berlins auf, durch ihr zahlreiches Erscheinen ein klares und unmissverständliches Zeichen
gegen Rassismus in Europa zu setzen.
-
- Mit solidarischen Grüssen aus Berlin
- get-to-resist am 9. März 2000