IDENTITÄTEN,
HÖRT DIE
SIGNALE
Nachbetrachtungen zu einer Kampagne. Von Raj Patel und Friederike Habermann
Das
Wort »Patriarchat« ging in den Protesten gegen die WTO in
Seattle unter. Das gemeinsame Feindbild birgt die Versuchung, über
den kleinsten gemeinsamen Nenner nicht mehr hinaus zu denken. Doch sind
wirklich alle Ansätze, Kapitalismus und Patriarchat zusammenzudenken,
gescheitert? Oder kann die globale Ökonomie auch als Mechanismus
gesehen werden, Mann und Frau, Schwarz und Weiß immer wieder neu
zu reproduzieren?
Gap
heißt die in den USA derzeit hippeste Kleidungsmarke. Neben Gap
sind auch Banana Republic und Old Navy in, doch diese Handelsketten gehören
ebenfalls zu Gap. Gap produziert nicht selber, sondern arbeitet mit 1
200 Vertragspartnern weltweit. Eine ehemalige Arbeiterin berichtete im
Lesbenzentrum von Seattle von den Arbeitsbedingungen in diesen Subunternehmen,
zwei Tage vor den Protesten gegen die dritte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation
(WTO).
Schichten in diesen Subunternehmen auf der Insel Saipan dauern zwölf
Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und die Arbeiterinnen schlafen
in kleinen Baracken. Ähnlich sieht die Situation in Russland aus,
wo die Näherinnen 20 Pfennig pro Stunde verdienen. In Hongkong werden
Arbeiterinnen zu unbezahlten Überstunden gezwungen. In Honduras müssen
die Frauen negative Schwangerschaftstests vorweisen. In Indonesien, wo
der Tageslohn bei unter einem Dollar liegt, mussten im vergangenen September
835 Arbeiterinnen erfahren, dass entlassen wird, wer versucht, eine Gewerkschaft
aufzubauen.
Bleiben wir einen Augenblick bei den globalisierten Arbeits- und Lebensverhältnissen
in Honduras. 1998 lag dort das Grundgehalt für Näherinnen in
dem Wal-Mart-Subunternehmen Evergreen bei 43 Cents pro Stunde, das sind
drei Dollar 47 Cents pro Tag. Fahrtkosten zum Arbeitsplatz 37 Cents, ein
kleines Frühstück 89 Cents, ein bescheidenes warmes Essen (Reis,
Maisfladen und ein Stückchen Huhn) 1Dollar und 33 Cents. Die billigste
Miete für ein Zimmer in einer gefährlichen Gegend beträgt
350 Lempiras im Monat, das macht noch einmal 86 Cents pro Tag. Zusammen
ergibt damit die reine Reproduktion der Arbeitskraft im engsten Sinne
eine Summe, die bereits über dem Tageslohn liegt - ohne die Möglichkeit
für die Arbeiterin, irgendetwas (Essen z.B.) für ihre Familie
(ihre Kinder z.B.) zu kaufen. Und Kleidung ist ebenfalls noch nicht eingerechnet;
ganz zu schweigen davon, dass die Arbeiterinnen sich jene Kleidung kaufen
könnten, die sie 14 Stunden lang am Tag produzieren.
Parallelen zu Engels' Untersuchung zur Lage der arbeitenden Klasse in
England sind nicht zufällig. Doch Engels schloss seine Untersuchung
damals nicht mit einer Bemerkung, die der von der Gap-Arbeiterin entspricht:
»Wir wollen, dass ihr Druck macht auf Gap. Aber wir wollen nicht,
dass ihr Gap boykottiert. Die Arbeiterinnen brauchen ihren Job!«
Setzen wir wirklich wieder dabei an, dass Arbeiterinnen-Löhne nicht
als Zuverdienst gelten dürfen? Nicht, dass sich bei der Lohnangleichung
in den letzten hundert Jahren nicht Wesentliches getan hätte, aber
muss nicht gerade die Resistenz der Verhältnisse zu Zweifeln an der
Einfachheit dieser Forderung führen? Geht es um die gleiche Berechtigung
aller, genügend Geld für die Reproduktion der verkauften Arbeitskraft
zu erhalten?
Dringend muss dagegen angegangen werden, dass Frauen in den Maquiladoras
so verschlissen werden, dass sie mit 35 Jahren keine Anstellung mehr finden.
Doch besteht die Gefahr, im Einheitstaumel der Proteste gegen die WTO
in Seattle die weitergehenden Kritiken zu übertönen. Das gemeinsame
Feindbild WTO birgt die Versuchung, über den kleinsten gemeinsamen
Nenner nicht mehr hinaus zu denken. Das Wort »Patriarchat«
fiel jedenfalls auf keiner jener Frauenveranstaltungen.
*
Es ist wohl nicht zufällig, dass viele der in Seattle anwesenden
Feministinnen aus dem Trikont kommen. Unter Feministinnen des Nordens
ist Ökonomie ein unbeliebtes Thema. Ökonomie riecht nach Hauptwiderspruch.
Viel schicker ist es, Identität zu diskutieren. Hier besteht ein
eindeutiger Unterschied zu feministischen Bewegungen des Südens.
Doch sind denn wirklich alle Ansätze, Kapitalismus und Patriarchat
zusammenzudenken, gescheitert? Oder kann die globale Ökonomie auch
als Mechanismus gesehen werden, Mann und Frau, Schwarz und Weiß
immer wieder neu zu reproduzieren?
Auf die Frage: »Was ist die WTO?« gibt es viele Antworten.
Formal wurde die WTO 1995 ins Leben gerufen, als Ergebnis der Vereinbarung
von Marrakesch, mit der die Uruguray-Runde des Gatt (General Agreement
on Tariffs and Trade) abgeschlossen wurde. Damit ist sie das jüngste
Glied in der Dreieinigkeit mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds.
Die WTO ist eine kleine bürokratische Einrichtung mit Sitz in Genf,
rund 500 MitarbeiterInnen und einem recht bescheidenen Budget. Die Web-Site
der WTO beschreibt ihren Anspruch. Dort heißt es, die WTO sei »die
einzige internationale Organisation, welche sich mit den globalen Regeln
für den Handel zwischen den Nationen beschäftigt. Ihre Hauptfunktion
liegt darin sicherzustellen, dass der Handel so reibungslos, vorhersagbar
und frei fließt wie möglich.«
Dies ist aufschlussreicher, als die WTO vermutet. Der Begriff »sicherzustellen«
verrät uns, wie und warum die WTO eine so wichtige Institution im
späten Kapitalismus darstellt. Und es ist interessant, im Kontrast
zu der älteren Einrichtung der Weltbank zu sehen, wie sich die Disziplinierungsordnungen
im Kapitalismus verändert haben in den letzten 50 Jahren.
Die Weltbank wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges in Bretton Woods ins
Leben gerufen, um Europa nach dem Krieg »zu rekonstruieren und zu
entwickeln«. Das Interesse der USA war dabei eindeutig - die Abwehr
des Kommunismus stand weit oben auf der nationalen Tagesordnung. Nachdem
die riesigen Infrastrukturprojekte durch die Weltbank in Europa erfolgreich
ausgeführt und die nicht-sozialistischen europäischen Ökonomien
sicher auf den Weg gebracht waren (mit der großzügigen anti-kommunistischen
Hilfe des Marshall-Plans), lenkte die Weltbank ihre Aufmerksamkeit von
Europa weg hin zu den jungen unabhängig gewordenen Kolonialländern.
In den westlichen Industrieländern herrschte jahrzehntelang ein fordistisch
geprägtes Wohlfahrtsmodell vor, gekennzeichnet durch tayloristische
Massenproduktion und durch Massenkonsum, getragen von einem Klassenkompromiss
zwischen Kapital und Gewerkschaften. Dieser Klassenkompromiss beinhaltete
die Unterbezahlung bzw. Nicht-Entlohnung typischer Frauenerwerbsbereiche
bzw. typischer Frauentätigkeiten außerhalb der Lohnarbeit.
Zugleich basierte er auf Wirtschaftsstrukturen, die einen Reichtumstransfer
aus Ländern der Dritten Welt sicherstellten und damit einen erhöhten
Wohlstand innerhalb der Industrieländer. In den Ländern des
Trikont wurde das fordistische Modell zwar teilweise angestrebt, jedoch
nie als Gesellschaftsform verwirklicht.
Je mehr sich in den Industrieländern dieser Klassenkompromiss festigte,
um so mehr wurde er zu einer Schranke der Kapitalverwertung. Zugleich
führten starke Produktivitätserhöhungen zu der Überwindung
des tayloristischen Produktionsverhältnisses. Seit den siebziger
Jahren kommt es daher zu grundlegenden Umstrukturierungen der Wirtschaftspolitik,
gekennzeichnet durch Strategien der Deregulierung und Flexibilisierung
- in der Regel jedoch nur dort, wo die wirtschaftliche Vormachtstellung
der Industrieländer nicht gefährdet wird. Diese darum nicht
als liberal, sondern als neoliberal bezeichnete Wirtschaftspolitik findet
ihren stärksten Ausdruck in der WTO.
Mit
den neuen Verhältnissen seit den siebziger Jahren wurde eine neue
Institution benötigt - die so neu gar nicht ist. Mit der Schwächung
der Gewerkschaften und dem Primat des Kapitals ähnelte das ausgehende
20. Jahrhundert dem späten 19. Jahrhundert. Vergleichbar einem spätkolonialen
Regime ist die WTO die erste multilaterale neoliberale Institution, welche
die Souveränität besitzt, Gesetze zu erlassen und Recht zu sprechen
in Handelsstreitigkeiten zwischen Ländern des Nordens und des Südens.
Sie ist die Vergegenständlichung des Mythos, nach dem alle Länder
sich auf dem Weg der »Entwicklung« befinden - im letzten Jahrhundert
hieß es noch »Zivilisation«.
Das Axiom, dass offener Handel zu Wachstum, Entwicklung und Wohlstand
führt, ist die Grundlage, auf welcher die WTO angeblich beruht. Doch
selbst im letzten Unctad-Bericht zu Handel und Entwicklung wird dies verneint,
da die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes von einer Vielzahl anderer
Faktoren abhängig sei. Tatsächlich ist Freihandel weder eine
notwendige, geschweige denn eine hinreichende Bedingung für Wirtschaftswachstum.
Dies legt nahe, dass etwas anderes als die Sorge um den Abbau von Zöllen
hinter der WTO steht. Ein Vergleich mit den Kolonialstaaten des letzten
Jahrhunderts kann da durchaus hilfreich sein, um die multilateralen Institutionen
im Spätkapitalismus zu verstehen. Der britische Kolonialstaat sicherte
durch seine Kolonien nicht nur die Rohstoffe und Absatzmärkte für
seine Manufakturindustrie, sondern verband damit zugleich die Kontrolle
über das eigene Heimatland. Durch die Einführung spezieller
»zivilisierter« Formen der Kontrolle in den Kolonien war dem
Vereinten Königreich die Legitimierung dieser Formen auch in Großbritannien
möglich. So wurde das Imperium in Übersee für die Kontrolle
des Klassenkampfes zu Hause benutzt.
Das ist das aus heutiger europäischer Sicht so unangenehme Neue an
der WTO: Obwohl die Weltbank mit der drastischen Beschneidung von Sozialsystemen
im Süden - weit stärker als selbst Reagan oder Thatcher fähig
waren, solche durchzusetzen - jahrzehntelang Erfahrungen gesammelt hat,
bringt erst die WTO diese postfordistischen Verhältnisse den Menschen
im Norden nah. So ist sie die erste neoliberale Institution, die Regeln
für den Norden und den Süden zugleich aufstellt. Damit ist die
WTO die neue Manifestierung eines alten Trends.
Aktuelle Veränderungen für die ökonomische Stellung von
Frauen in Industrieländern, gekennzeichnet durch den Postfordismus,
drücken sich u.a. aus in einer Erosion des Familienlohnmodells, verbunden
mit einem Abbau der sozialen Sicherung und einer Zunahme von prekären
Arbeitsverhältnissen, in einer Reprivatisierung der Reproduktion
und nicht zuletzt in einer zunehmenden Polarisierung zwischen Frauen entlang
der Trennlinien Klasse und »ethnische« Zugehörigkeit.
Der Lebensentwurf der Nur-Hausfrau wird noch stärker zu einem Privileg.
Gleichzeitig eröffnen sich neue Erwerbschancen für Frauen in
einem Niedriglohnbereich in Form von Teilzeitarbeit, Heimarbeit etc. -
den neuesten Verpackungen der alten Leichtlohngruppen. Typische Frauenberufe
wie Masseurin, Friseurin oder Krankenschwester verteuern sich relativ
zu Tätigkeiten im produktiven Sektor, da sie als persönliche
Dienstleistungen kaum rationalisierbar sind. So fallen diese im fordistischen
Wohlfahrtsstaat in die Erwerbsarbeit integrierten, aber traditionell als
Frauenarbeit geltenden Bereiche wieder zurück in den privaten Reproduktionsbereich
oder werden im Niedriglohnsektor angesiedelt und dort meist von (farbigen)
Migrantinnen übernommen.
In ländlichen Gebieten des Trikont sind Frauen wie Männer häufig
einer Verschärfung ihrer Lebensbedingungen durch verstärkten
Konkurrenzdruck ausgesetzt, der durch die Marktöffnung ihrer Länder
(durch Importe und durch Direktinvestitionen von multinationalen Konzernen)
entsteht, gleichzeitig aber auch durch die sich oftmals verschlechternden
Umwelt- und damit Produktionsbedingungen - bis hin zu einer vollständigen
Vertreibung aus ihrer angestammten Umgebung. Oft ist ein Überleben
durch Subsistenzwirtschaft und geringe Markteinbindung nicht mehr möglich.
Von den daraus resultierenden Migrationsbewegungen sind Frauen anders
als Männer betroffen. Vielfach bleiben sie mit den Kindern zurück,
teilweise (zunächst) mit finanzieller Unterstützung durch den
emigrierten Ehemann. Mehr und mehr sind es aber auch die Frauen selbst,
welche emigrieren. Jobs als Dienstmädchen oder als Sexarbeiterinnen
sind häufig die einzigen Möglichkeiten zu überleben.
In Gebieten, in denen sich eine Maquiladora-Industrie angesiedelt hat,
bieten sich neue Erwerbschancen für junge ledige Frauen; dies kann
individuell eine größere Selbstbestimmung bedeuten. Doch sind
diese Erwerbsbereiche durch die traditionellen Merkmale typischer Frauenarbeitsplätze
wie niedriger Lohn, Arbeitsmonotonie, Verhinderung gewerkschaftlicher
Organisierung und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet.
Bei zunehmenden Qualifikationsanforderungen sinken die Reallöhne
weiter ab.
Trotz der Komplexität der Veränderungen wirken sich diese erneut
entlang der Trennungslinien Geschlecht und »Ethnie« insbesondere
hinsichtlich der Arbeits- und Einkommensverteilung unterschiedlich aus.
Dies bedeutet nicht, dass alle weißen Männer oder nur weiße
Männer Gewinner der Globalisierung sind. Tatsächlich kommt es
zu einer zunehmenden Überlagerung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen,
von Migration und rassistischer Diskriminierung, die bestehende Gesellschaftsfragmentierungen
aufheben, umschichten oder auch neu erzeugen. Die Frage bleibt jedoch,
warum diese aktuellen Transformationsprozesse für Menschen unterschiedlichen
Geschlechts und unterschiedlicher Hautfarben strukturell differenziert
verlaufen.
Dass es dafür innerhalb der bürgerlichen Wirtschaftstheorie
keine Erklärung gibt, verweist nicht nur auf die generelle Unzulänglichkeit
ihres Ansatzes. Sie blendet Geschlecht, »Ethnie« etc. nicht
einfach aus, sondern setzt den Idealtypus des nutzenmaximierenden weißen
Mannes mit dem economic man, dem Homo oeconomicus gleich, und nimmt diesen
als Ausgangspunkt aller Überlegungen. Dabei ging bereits Adam Smith
(1776) implizit davon aus, dass Frauen nicht zu rationalen Entscheidungen
fähig sind.
Vielfach haben in den letzten Jahren feministische Ökonominnen die
männliche Besetzung der ökonomischen Grundprinzipien kritisiert.
Dies geschah mit der Ausrichtung, Frauen und »Farbigen« ihre
Fähigkeit zu Rationalität zuzusprechen. Dies geht jedoch von
dem Homo oeconomicus als vollständigem Abbild des Menschen aus und
negiert den identitätskonstruierenden Aspekt, welcher sich historisch
seit dem 17. und 18. Jahrhundert als »instrumentelle Vernunft«
(Horkheimer) des Bürgers herausgebildet hat. Diese Entwicklung der
politischen Ökonomie im 18. Jahrhundert als integralem Bestandteil
der moralischen Philosophie und der Wissenschaft vom Menschen durchlief
damit einen vergleichbaren Prozess der Abspaltungen wie das bürgerliche
männliche Subjekt. Eine normative Ausweitung der Zuschreibungen zum
Homo oeconomicus auf abgespaltene Identitäten führt dazu, strukturell
differente Prozesslinien in Transformationsphasen mit dieser Theorie nicht
nur nicht erfassen zu können, sondern sie im Gegenteil damit auszublenden.
Der Homo oeconomicus als Grundlage der heutigen Wirtschaftstheorie bildet
nicht nur das Stereotyp des weißen Mannes als Wirtschaftssubjekt
ab, sondern es besteht ein diskursiver Zusammenhang zwischen diesem Entwurf
und der Konstruktion des (Wirtschafts-) Subjektes. Als Ausschließungen
damit verbunden sind die Konstruktionen der »Anderen»: der
Frauen, der Farbigen.
Für die Vertreter der Kritischen Theorie, Theodor W. Adorno und Max
Horkheimer, war das moderne Subjekt das Ergebnis eines langwierigen historischen
Prozesses, in welchem die Menschheit sich habe Furchtbares antun müssen,
bis »das Selbst, der identische, zweckgerichtete, ähnliche
Charakter des Menschen« geschaffen war. Nicht zufällig sprechen
Adorno und Horkheimer von dem männlichen Charakter des bürgerlichen
Subjektes; ähnlich Max Weber (1904) in dem von ihm beschriebenen
Prozess der Entstehung »stahlharter Kaufleute« mit systematischer
Selbstkontrolle.
Nach Weber bedeutet der Beruf als Arbeitsteilung den Verzicht auf die
»Allseitigkeit« des Menschen. Die Tat bedinge unabwendbar
die Entsagung. Indem die Askese die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen
begann, habe sie geholfen, jene mächtige, an die technischen und
ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundene
Wirtschaftsordnung zu erbauen, welche heute mit überwältigendem
Zwang den Lebensstil aller einzelnen Menschen bestimme, welche in dies
Triebwerk hineingeboren werden - nicht nur der direkt ökonomisch
Erwerbstätigen. Daraus ergebe sich keine andere Bedürfnisbefriedigung
als die irrationale der Berufserfüllung. Dementsprechend bezeichnet
Weber die Vernichtung der Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses
sowie die Ordnung in der Lebensführung bis hin zum Charakter eines
Betriebes nicht nur als dringendste Aufgabe bei der Berufserfüllung,
sondern auch als die konstitutive Grundlage des Kapitalismus.
Dies korrespondiert mit dem von Marx als »Herkulesleistung«
bezeichneten Prozess der Disziplinierung. Nach Karl Marx ist Arbeit entfremdete
Tätigkeit, in der die eigene Tat des Menschen ihm zu einer fremden,
gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt dass er
sie beherrscht. Die Entfremdung entstehe durch den Fetischcharakter der
Ware: Arbeit in der Warengesellschaft ist danach das gesellschaftliche
Mittel, um Produkte zu erlangen, welche in keiner inneren Beziehung stehen
zu der eigenen Tätigkeit. Dies mache die abstrakte Existenz des Menschen
zu einer Existenz als bloßer Arbeitsmensch, aus der er daher täglich
aus seinem erfüllten Nichts in das absolute Nichts, in sein gesellschaftliches
und darum sein wirkliches Nichtdasein hinabstürzen könne. Als
Arbeiter sind nach Marx menschliche Eigenschaften nur existent, insofern
sie für das dem Menschen fremde Kapital da sind. Wie Menschen sind,
fällt also zusammen mit dem Was und Wie ihrer Produktion: »Wie
die Individuen ihr Leben entäußern, so sind sie.«
In ihrem Ansatz des Abspaltungstheorems verweist Roswitha Scholz (1992)
auf einen Zusammenhang zwischen den Abspaltungen innerhalb der entfremdeten
Arbeit in der Warengesellschaft und den Zuordnungen, welche innerhalb
der Geschlechterproduktion vorgenommen werden. Wenn man dem zentralen
Gedanken des Abspaltungstheorems von Scholz folgt, ist die Frau in diesem
Prozess als das Gegenwesen zum abstrakten »Arbeiter« gesetzt
worden. Die Warenform als solche weise eine geschlechtliche Besetzung
auf: Alles, was an sinnlicher Welt des Menschen in dieser Form nicht aufgehen
kann, wird als weiblicher Lebenszusammenhang von der Form und den Prozessen
abstrakter Ökonomisierung der Welt abgespalten, wodurch sich die
Warenform gleichzeitig als männlich besetzt erweist. Die Abspaltung
ist das Andere der Warengesellschaft, ist ihr immanentes Gegenteil, d.h.
das Nicht-Warenförmige in der Warengesellschaft.
Das Paradox sei gerade die Immanenz der Abspaltung, schreibt Robert Kurz.
Das »weibliche« Nicht-Warenförmige in der Warengesellschaft
verstecke sich durch seine gesellschaftliche Formlosigkeit. Dies sei im
Detail an den sozialen Beziehungen in ihrer geschlechtlichen Dimension
nachzuweisen. So seien die bürgerliche Familie oder die Geschlechtsbeziehung
keine nicht-warenförmigen sozialen Räume, welche außerhalb
und unabhängig von der Warengesellschaft existierten, da auch hier
die Zuweisungen an die Geschlechter funktionierten. Da weibliche Tätigkeiten
im Verborgenen zu erfolgen haben und in untergeordneter Position zu erbringen
sind, sei die wertförmige Fetisch-Konstitution schon an ihrer Basis
geschlechtlich bestimmt.
Der weibliche Lebenszusammenhang sei in seiner Abgespaltenheit genauso
entfremdetes Moment der warenproduzierenden Deformations- und Destruktionsgeschichte
wie »Arbeit« im Binnenraum der Ware. Nicht das Abgespaltene
als solches sei also zu mobilisieren (dies wäre die Logik der »Differenz«),
noch die Abspaltung bloß aufzulösen in einer Vermännlichung
und Abstraktifizierung der Frau zu einem ebensolchen Warenwesen (dies
sei die Logik der »Gleichheit«), sondern die Abspaltung selbst
müsse zusammen mit der männlich besetzten Warenform aufgehoben
werden.
Hier ist die Analyse von Moishe Postone hilfreich. Postone beschreibt
in seinem Buch »Time, Labor, and Social Domination« (1993)
als Grundwiderspruch des Kapitalismus den entfremdeten Arbeitsprozess
- und damit die entfremdete Gesellschaft, wie sie besteht - und das, was
möglich wäre als Arbeits- und Gesellschaftsform. Nach ihm ist
in der Marxschen Analyse die Herrschaftsform, welche den Kapitalismus
charakterisiert, weniger bedingt durch das Privateigentum, durch den Besitz
an Produktionsmitteln und die Aneignung von Mehrwert, sondern sie basiert
auf der Wertform des Reichtums, einer Form von gesellschaftlichem Reichtum,
welche der lebendigen Arbeit als strukturell entfremdete und beherrschende
Macht gegenübertritt.
Erst wenn der Wert aufgehoben sei und das produktive Potenzial, welches
unter dem Kapitalismus entwickelt wurde, nun umgekehrt genutzt würde,
um Menschen von dem Fluch entfremdeter Arbeitstrukturen zu befreien, würde
die Abtrennung des beschränkten und verarmten Individuums aufgehoben.
So würde aus dem »reinen Arbeiter« das »gesellschaftliche
Individuum«.
Demnach bedeutet Herrschaft im Kapitalismus nicht die Herrschaft von Menschen
über Menschen, sondern die Herrschaft über Menschen durch abstrakte
gesellschaftliche Strukturen, welche von Menschen selber geschaffen werden.
Diese Interpretation von Marx beinhaltet auch eine sozio-historische Theorie
von Subjektivität. Auf dieser Basis könne ein Ansatz zu der
Weberschen Problematik von Moderne und Rationalisierung, der Durchrationalisierung
aller Sphären des sozialen Lebens, entwickelt werden. Marx' Theorie
der Konstitution der sozialen Strukturen und geschichtlichen Dynamik moderner
Gesellschaft durch historisch bestimmte Formen der Praxis könne gelesen
werden als Theorie jener Art, wie sie Pierre Bourdieu vorgeschlagen hat
- d.h. als eine Theorie der gegenseitigen konstitutiven Beziehung zwischen
gesellschaftlicher Struktur und alltäglichen Formen von Handeln und
Denken. In dieser Lesart ist die Analyse des dynamischen Charakters des
Kapitalismus gleichzeitig potenziell eine Analyse der historischen Transformation
von Subjektivität.
In der Woche nach Seattle titelte The Economist mit einem anonymen, schönen
jungen Mädchen aus Südasien: »Die wahre Verliererin von
Seattle«. Im Blatt fand sich ein langer leidenschaftlicher Artikel
für die Vorteile von Freihandel. Handel bringe Wachstum, Wachstum
bringe Entwicklung, und Entwicklung mache kleine arme hübsche Mädchen
glücklich - wer könnte dagegen etwas sagen?
»Die Säure, mit der wir in meiner Abteilung arbeiten, enthält
Fluoride. Das ist eine sehr heftige Chemikalie, und es kann zu Schädigungen
während der Schwangerschaft kommen. Einer Frau ist das Baby gestorben.
Es wurde mit einer kaputten Lunge geboren. Der Doktor wurde gerufen. Er
kam zu spät, doch er sagte, es komme daher. Für uns ist es ja
schon fast Folter, tief einzuatmen. Die Frauen mit hellerer Haut können
sicher sein, dass sie unsere Arbeit nicht mitmachen müssen. Es heißt,
dass weiße Haut zu wenig Schutz böte gegen die Säure.
Sie sei empfindsamer. Deshalb nehmen sie Frauen mit heller Haut dort auch
heraus, damit sie stattdessen die Linsen verpacken und verschicken können.
Ich bin dunkler, doch als Inspektorin bin ich der Säure nicht ganz
so ausgesetzt. Aber auch mir schwellen die Hände an - sie schwellen
an und werden tief rot. Und sie machen dich sehr hässlich. Auch tut
es dir weh, wenn du zu Hause mit kaltem Wasser arbeiten musst. Das lässt
sich natürlich nicht vermeiden, und dann fühlst du deine Hände!
Die Arbeiterinnen haben noch mehr damit zu tun. Und erst in der Männerabteilung:
Die gehen mit dieser Chemikalie um, als sei sie Wasser.«
Die Maquiladora-Arbeiterin Vianey Mijangos Diaz aus Tijuana in Mexiko
war nicht in Seattle - Kapital mit der Vorsilbe »Human-« hat
es in Zeiten des Freihandels schwer, Grenzen zu passieren, und obwohl
Vianey in Tijuana, der mexikanischen Stadt mit der Mauer zu den USA, geboren
worden ist, hat sie diese noch nie überquert. Stattdessen erzählte
Carmen Valadez vom Casa de la Mujer, einer unabhängigen Frauengewerkschaft
aus Tijuana. Arbeiterinnen in Maquiladoras sind sexueller Belästigung
durch männliche Vorgesetzte, der Unterwerfung unter Körperinspizierungen
und der Kontrolle ihrer Menstruation ausgesetzt, da bei Schwangerschaft
die Entlassung droht.
Schönheitswettbewerbe sind gang und gäbe in diesen Unternehmen,
und dass die äußere Erscheinung bei der Jobsuche hilft, ist
schon fast überflüssig zu erwähnen. Frauen erhalten 50
bis 70 Prozent der Gehälter von Männern, und Menschen mit dunklerer
Haut bekommen die ungesünderen Jobs. Kurz: Arbeitsmarkt-Segmentierung
entlang von Geschlechts- und »ethnischen« Trennlinien wird
in der Globalisierung vermutlich sogar verstärkt. Wie sich Klasse
verkörpert, wird in der Schilderung von Vianey Mijangos Diaz und
in ihrer entstellten Gesichtshaut deutlich. Im Norden findet sich diese
Segmentierung durch Teilzeitarbeit, Heimarbeit und illegalisierten MigrantInnenjobs.
Sex, race und class werden also auch hier tagtäglich reproduziert.
Der Widerstand in Seattle war ein überwiegend weißer Widerstand.
Zum einen hatte die Clinton-Administration vielen potenziellen Protestierenden
aus dem Süden von vornherein die Einreise verweigert. So kam es,
dass eine interkontinentale Protest-Karawane von New York nach Seattle
nur halb so groß wurde wie geplant. Zum anderen verweist es aber
auch auf die innere Spaltung des Widerstands in »Ethnien«
- vor allem in den USA, aber auch weltweit.
Doch tut sich einiges im internationalen Widerstand. Der feministische
Gehalt der zapatistischen Revolution ist vermutlich überschätzt,
doch unabhängig davon, wie emanzipiert die Guerilla in Chiapas sich
untereinander verhält, so hat doch zumindest ihr Ruf dazu geführt,
dass antipatriarchale Grundprinzipien im internationalistischen Diskurs
verankert geworden sind.
Beispielsweise werden sich noch in diesem Jahr Menschen aus aller Welt
in Chiapas für ein Seminar unter dem Motto »Nicht Mann, nicht
Frau, sondern das Gegenteil« zusammenfinden. Auch Peoples' Global
Action, eine aus der zapatistischen Idee heraus entstandene Vernetzung
von Basisbewegungen aus allen Kontinenten »gegen 'Frei'handel und
die WTO« hat auf ihrer zweiten Konferenz ihre vier Grundprinzipien
um ein fünftes erweitert, in dem Patriarchat und Rassismus noch einmal
verdammt und die Menschen in ihrer Vielfältigkeit gewürdigt
und gefeiert werden.
Nicht zuletzt geht es einfach darum, voneinander zu lernen und Ideen auszutauschen.
So boten die Maquiladoraarbeiterinnen im Gender-Forum während der
PGA-Konferenz eine komplexe und differenzierte Theorie ihrer Ausbeutung
durch multinationale Konzerne. AktivistInnen aus dem Norden ergänzten
dies mit dem Hinterfragen der Geschlechtsidentitäten - zugegeben,
es muss auch viel Verständnislosigkeit im Dialog überwunden
werden. Etwas weniger Essenzialismus im Süden und etwas mehr Materialismus
im Norden könnte spannend werden.
Peoples' Global Action lehnen Lobby-Politik ab und fordern direkte Aktionen
als Formen des Widerstandes. Auch dafür steht Seattle: nicht mehr
die NGOs als demokratisches Feigenblatt im globalen Spiel der Kräfte
zu akzeptieren. Lobbying geht von den daran beteiligten Individuen als
gegeben aus: Du in deinen besten Sachen wartest mit einem Stapel Papier
beladen darauf, dass sich das noch wesentlich perfekter gekleidete umworbene
Subjekt durch die Eingangshalle (lobby) bewegt und sich mit Vernunftsgründen,
Geld und Schmeicheleien überzeugen lässt, es sei es wert, dir
zuzuhören. Im Widerstand ist dagegen das darin implizierte (Macht-)Verhältnis
zwischen dir und dem anderen wesentlich offener. Während der Lobbyist
dieses Machtverhältnis als gegeben reproduziert und beide Subjekte
als positioniert voraussetzt, wird beim Widerstand dieses Machtverhältnis
selbst angegriffen. Doch nicht nur das Verhältnis wird transformiert,
sondern auch die Personen werden es: Widerstand positioniert und rekonstruiert
die Subjekte neu.
In diesem Sinne ist es weniger entscheidend, ob der Widerstand im letzten
November in Seattle der WTO gegolten hat oder dem Internationalen Währungsfond
in Prag im September diesen Jahres gelten wird. Er muss nicht einmal vor
den Absperrungen der Konferenzgebäude geschehen, es kann jederzeit
und überall beginnen.
Selbstverständlich gibt es aus der entfremdeten Welt des Kapitalismus
kein Entkommen, und es gibt auch nicht das heile Leben in der Subsistenz-Oase.
Aber was passiert, wenn wir unsere Subjektpositionierung als KonsumentInnen
oder ArbeitskraftverkäuferInnen ebenso als konstruiert erkennen wie
sex und race? Wenn unsere interaktiven Konstruktions- und Selbstkonstruktionsprozesse
sex und race konstruieren, gibt es dann - auf der Ebene von Alltagswissen
und Alltagshandeln - auch ein doing capitalism?
Konstruktion von Wirklichkeit meint nicht, dass sie sich ständig
verändert oder veränderbar ist, doch dass die als stabil erscheinende
Realität nicht gegeben ist, sondern aktiv (re-)produziert wird. Wird
auch der Kapitalismus von uns täglich wieder aufs Neue hervorgebracht?
Dann aber müsste es auch möglich sein, sich ihm que(e)r zu stellen.
Wie? In der parodistischen Wiederholung der Identität des Homo oeconomicus,
wie Butler es für die Geschlechter vorgeschlagen hat?
So wie Foucault gezeigt hat, dass es keinen Ort außerhalb der Macht
gibt, gibt es auch keinen Ort außerhalb des Kapitalismus, sondern
nur eine kritische Analyse desselben. Antworten auf diese Fragen gibt
es noch nicht, doch nach solchen zu suchen, ist in Vernetzungen wie Peoples'
Global Action am spannendsten. Nicht zufällig sind es Bewegungen
aus dem Süden, darunter zahlreiche indigene, aber auch anders ethnisch
begründete wie Schwarze in Lateinamerika, welche hier ihren Widerstand
verbinden. Mit Bewegungen aus 70 Ländern und weitaus mehr Kulturen
ist ihr Repertoire an bereits existenten Praktiken als Alternativen zur
hegemoniellen gesellschaftlichen Ordnung groß. Hier wird sich nicht
die Lösung finden, aber vielleicht der Beginn eines Weges.
Slavoj Zizek fragte kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: »Warum
lieben wir es alle, Haider zu hassen? und warnte davor, im allgemeinen
»Wir gegen sie« von radikalen politischen Projekten abzulassen
und Kapitalismus als Spielregel zu akzeptieren. Gerade in Zeiten von Kapitalismus-Ressentiments
müssten Linke das Terrain jenseits der Alternative zwischen Coca
Cola und Pepsi besetzen. Und dem Kapitalismus muss mehr entgegen gesetzt
werden als höhere Lohnforderungen.
Doch während Anfang Februar auch die zehnte Konferenz von Unctad
in Bangkok von buntem Protest, Tränengas und Sahnetorten begleitet
wurde, verkündete Rubens Ricupero, Generalsekretär jener als
Interessensvertretung der Entwicklungsländer in den siebziger Jahren
gegründeten Organisation, nachdem er noch gerade zuvor auf die politische
Konstruktion der Wirtschaftsordnung hingewiesen hatte, eben dieses: von
radikalen Wirtschaftspolitiken aller Art sei abzusehen; das Einverständnis,
dass die Politik der WTO abzulehnen sei, ging einher mit dem Aufruf, die
Trennung zwischen Links und Rechts aufzuheben.
Dies korrespondiert damit, dass die Neue Weltwirtschaftsordnung in ihren
rein liberalen Aspekten, wie sie sich im Entwurf zum Multilateralen Investitionsabkommen
am deutlichsten zeigten, auch von den Staaten im Norden skeptisch beäugt
wird. Sie versagte weniger in sich selber als dort, wo ihre Lobby-Institutionen
vom Norden beschwichtigt wurden. Hier geht es um Interessenswahrung -
auch gegenüber internationalen Konzernen. Bei Hungerlöhnen den
Widerstand zu beginnen, ist daher zwar notwendig, ihn bei dem Kampf gegen
Hungerlöhne zu belassen, ist jedoch alles andere als hinreichend.
Es könnte auf den Dritten Weg eines William Clinton führen,
welcher den Demonstrierenden sein Verständnis ausdrückte.
Seattle hat - wie Vietnam - einen Ort von einer geografischen Bezeichnung
in einen Moment der Geschichte verwandelt. Nun gibt es ein »nach
Seattle«. Seattle bot die Möglichkeit für Begegnungen
von Kämpfen und Identitäten. Sogar US-Gewerkschaften demonstrierten
ihre Offenheit gegenüber anderen Bewegungen, als sie Native Americans
ihren Protestmarsch anführen ließen. Innerhalb der Gewerkschaften
tut sich hier jedoch sicherlich ein breites Spektrum auf. Während
beispielsweise Jimmy Hoffa, der Vorsitzende der einflussreichen Teamsters
Union, der Gewerkschaft der Lastwagenfahrer, nach Protektionismus rief,
blieb den ausgesperrten Stahlarbeitern des Unternehmens Kaiser eine solche
Forderung im Hals stecken, nachdem sie auf ihrem Streikposten von Menschen
aus Pakistan, Panama und Israel besucht worden waren.
So marschierten Zehntausende miteinander, die aus allen Teilen der USA
und allen Teilen der Welt zum gemeinsamen Protest zusammengefunden hatten.
In Seattle tauschten sie Flugblätter und E-Mail-Adressen, und demonstrierten
der Welt und sich gegenseitig, dass es sie gibt. Ob dies über Seattle
hinaus reicht, wird sich erweisen müssen. Damit dies nicht im »We
are one, we are one»-Rufen endet, sondern in der Solidarität
von Vielfältigkeit, sollten sich auch die DekonstruktivistInnen aller
Länder vereinigen, anstatt den globalen Widerstand am Schreibtisch
zu verschlafen.
Anlässe gibt es genug: Protestiert wird, wenn sich im April der IWF
in Washington trifft und wenn sich die Nato im Mai in Florence zusammensetzt.
Der nächste Global Action Day fällt auf den 1. Mai 2000, und
der danach wird stattfinden anlässlich der Jahrestagung des IWF in
Prag im September. Ein zweites Seattle dürfe es nicht geben, hatte
Tony Blair auf dem World Economic Forum Anfang dieses Jahres in Davos
verkündet, und geraten, das nächste Mal eine bessere PR-Kampagne
durchzuführen.
Mal schauen, ob das was nützt.
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