FURCHTBAR
GUT GEMEINT
30
Jahre Ideologieproduktion in der Solidaritätsbewegung.
Von Christian Stock
Die
Linke behauptet spätestens seit 1989 von sich, sie habe sich entideologisiert.
Im allgemeinen meint sie damit, dem dogmatischen Marxismus-Leninismus
abgeschworen zu haben. Das mag mehrheitlich stimmen, doch produziert die
Linke auch heute fleißig Ideologeme, auch wenn es teilweise andere
sind als früher und sie weniger unsympathisch erscheinen mögen
als die der bürgerlichen Öffentlichkeit.
In vorderster Front an der linken Ideologie- und Mythenbildung beteiligt
war und ist die internationalistische Solidaritätsbewegung mit der
sogenannten Dritten Welt. 30 Jahre nach dem symbolträchtigen Jahr
1968, das mit der Agitation gegen den Vietnam-Krieg auch den Auftakt für
die "Dritte-Welt"-Solidaritätsbewegung bildete, ist es
jedoch höchste Zeit für verschärfte (Selbst-)Kritik. Die
Fallstricke internationalistischer Argumentationsmuster lassen sich idealtypisch
am Beispiel der Bewegung gegen das Multilaterale Abkommen über Investitionen
(MAI) aufzeigen. Die meisten der im folgenden aufgeführten Kritikpunkte
treffen allerdings in ähnlicher Form auch auf die früheren Kampagnen
der internationalistischen Bewegung, etwa gegen IWF und Weltbank zu.
I.
Personalisierung sozialer Verhältnisse
Statt den globalen Kapitalismus als komplexes soziales Vergesellschaftungsprinzip
zu begreifen, das mit einfachen Dichotomien wie unten versus oben, Ausbeuter
versus Ausgebeutete, Weiß gegen Schwarz, Frau gegen Mann, Nord gegen
Süd usw. nicht ausreichend erklärbar ist, werden seitens der
Solidaritäts-Bewegung die vermeintlich schuldigen Akteure personalisiert
und dämonisiert. In harmloseren Fällen ist stark vereinfachend
von "den Herrschenden" die Rede, als ob diese als Klasse oder
als abgrenzbare soziale Gruppe so einfach und eindeutig identifizierbar
seien.
Problematisch wird es spätestens dann, wenn einzelne Individuen herausgegriffen
werden und persönlich für die Verhältnisse verantwortlich
gemacht werden. Beispiele aus jüngerer Zeit sind der Microsoft-Inhaber
Bill Gates, George Soros (Finanzspekulant jüdischer Herkunft, von
dessen Entscheidungen angeblich ganze Volkswirtschaften abhängig
sind), der Chef der Welthandelsorganisation WTO, Renato Ruggiero, und
die üblichen Verdächtigen wie der jeweilige US-Präsident
oder der Weltbankchef.
Natürlich tragen diese Personen besondere Verantwortung für
den Zustand der Verhältnisse. Die Soli-Bewegung reduziert aber mit
ihren Darstellungsformen Herrschaftskritik auf die Denunziation einzelner,
während gesellschaftliche Verhältnisse im Dunkeln bleiben -
etwa die Tatsache, daß die Menschen heute mehrheitlich nicht gegen
ihren Willen "beherrscht" werden, sondern oft sogar nach autoritärer
Politik oder entfesselter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verlangen.
Doch in ihrem manichäischen, unzulässig simplifizierenden Weltbild
neigt die Soli-Bewegung nicht nur bei der Darstellung des "Bösen"
zu Personifizierung oder zur Schürung von Stereotypen wie z.B. Antiamerikanismus,
sondern auch zur Idealisierung der "Guten". Prominente Personen
der Linken, wie Rosa Luxemburg, Che Guevara oder Subcomandante Marcos,
werden zu Pop-Ikonen, deren Verehrung sich essentiell nur noch wenig von
der einer Lady Diana unterscheidet. Der Kult etwa um den 30jährigen
Todestag von "Che" durch die Soli-Bewegung brachte inhaltlich
kaum Substantielles, sondern ließ Revolutionsromantik und -ästhetik
in einer Form wiederaufleben, die man seit dem Niedergang der Sandinisten
überwunden glaubte.
Unvereinbar mit dem Denken in gesellschaftlichen Kategorien ist in den
meisten Fällen auch die bis heute verwendete Bildsprache. Die zur
Anklage des Nord-Süd-Konfliktes verwendeten Stereotypen (Nord = weißer,
dicker Mann, Süd = unterernährter Schwarzer) schreiben die alten
kolonialistischen Denkmuster über die "anderen" in nur
wenig variierter Form fort - auch wenn sie in ironischer Absicht verwendet
werden und furchtbar gut gemeint sind.
II.
Verschwörungstheoretische Argumentation
Eng mit der Personalisierung zusammenhängend, suggeriert die Soli-Bewegung,
die "Herrschenden", "die Politiker" oder "die
Konzerne" seien eine homogene Interessengruppe, die zielgerichtet
und klandestin die Unterdrückung der restlichen Menschheit plant.
So wird z.B. in nahezu allen ihrer Veröffentlichungen betont, die
MAI-Verhandlungen hätten bis 1997 "im Geheimen" bei der
OECD stattgefunden. De facto fanden die Verhandlungen zunächst schlichtweg
in einem derart unbedeutenden
Unterausschuß der OECD statt, daß sich kaum jemand dafür
interessierte - weder die Öffentlichkeit noch irgendwelche Regierungen.
III.
Dichotomie
zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital
Die moralische Empörung über das, was die Nazis das "raffende
Kapital" nannten, lebt nicht nur in Teilen der bürgerlichen
Öffentlichkeit weiter. Anläßlich der Asienkrise führt
auch die Soli-Bewegung die Krisenerscheinungen der Finanzmärkte und
Nationalökonomien vor allem auf spekulative Finanztransaktionen und
den "Casino-Kapitalismus" zurück. Die besonders verabscheuenswürdigen
spekulativen Finanztransfers werden von ihr argumentativ konterkariert
mit den Direktinvestitionen in sogenannten produktive Sektoren, die Arbeitsplätze
schafften und positive Entwicklungseffekte hervorbrächten (sofern
nur dem Prinzip der "Nachhaltigkeit" Genüge getan werde).
Die in solchen Argumentationsweisen auflebende Dichotomie zwischen "raffendem"
und "schaffendem" Kapital ist historisch und theoretisch falsch;
zwar ist eine sachliche Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Anlageformen
und ihren Auswirkungen möglich und richtig, aber warum Investitionen
in produktiven Sektoren weniger problematisch oder gar moralisch höherwertiger
sein sollen, bleibt schleierhaft. Auch sie haben allein den den Zweck
der Rendite, sie sind Voraussetzung für Ausbeutung und Naturzerstörung
und keinesfalls Ansatzpunkt für eine emanzipatorische Perspektive.
IV.
Alarmismus und Weltuntergangsszenarien
Linke Bewegungen neigen pathologisch dazu, in einzelnen Vorhaben hegemonialer
Fraktionen von Staat und Kapital dramatische, hochgefährliche Entwicklungen
zu sehen, wie z.B. im MAI die drohende "Weltherrschaft der Konzerne".
Ohne die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus verharmlosen zu wollen, muß
man doch konstatieren, daß viele ähnliche Befürchtungen
in der Vergangenheit ziemlich übertrieben waren. Weder Nato-Nachrüstung
noch ökologische Katastrophen, wie sie etwa in dem auch von der linken
Ökologiebewegung affirmativ rezipierten Weltuntergangsreport "Global
2000" orakelt wurden, haben den Lauf der Welt übermäßig
aus dem Gleichgewicht gebracht. Auch das MAI wäre vermutlich ein
nicht übermäßig bedeutsamer Mosaikstein im Gesamtgefüge
des globalen Kapitalismus gewesen.
Natürlich ist es legitim, einzelne Aspekte der weltwirtschaftlichen
Problematik hervorzuheben (solange der Blick für die Totalität
kapitalistischer Vergesellschaftung dabei nicht verloren geht). Die Verabsolutierung
einzelner hegemonialer Projekte und die damit verbundenen übertriebenen
Bedrohungsszenarien begünstigen jedoch nicht nur eine kurzatmige,
überhitzte Kampagnenpolitik, sondern stehen auch einer theoretisch
fundierten Kapitalismuskritik im Wege.
Diese ist im übrigen nicht immer ganz unschuldig an Weltuntergangsszenarien:
Krisentheoretiker wie die Krisis-Gruppe um Robert Kurz neigen dazu, die
unbestreitbaren Krisenerscheinungen der Weltökonomie als Anzeichen
einer bevorstehenden finalen Krise des Kapitalismus (fehl-) zu deuten.
Damit befördern sie nicht nur linken Alarmismus (wenn auch ungewollt),
sie können zudem die Frage nicht beantworten, wie der Kapitalismus
es immer wieder schafft, sich erfolgreich zu restrukturieren - eine Frage,
die in der von vielen Marxisten fälschlicherweise als Gleichgewichtstheorie
aufgefaßten Regulationsschule ergiebiger und unaufgeregter behandelt
wird.
V.
Identitätspolitik
Die Globalisierungsprozesse werden nicht nur von großen Teilen der
Gesellschaft als "anonym", fragmentisierend und identitätsauflösend
wahrgenommen. Ähnlich wie bei sogenannten "ethnischen"
Gruppen spielt auch bei der Soli-Bewegung der Rückbezug auf Gruppenidentitäten
eine wichtige Rolle. Diese Identitätssuche ist jedoch in ihrem Falle
nicht nur auf das eigene Milieu, sondern stark nach außen gerichtet,
indem sie Identitätsbildung auf gesellschaftliche Gruppen im Süden
projiziert.
Die vorherrschenden Muster der Identitätsbildung lassen sich in drei
Kategorien zusammenfassen:
a) Dominant ist der positive Bezug auf sogenannte ethnische Minderheiten
oder Gemeinschaften im Süden. Da das von diesen Gruppen formulierte
Selbstverständnis oftmals ausdrücklich im Widerspruch zur jeweiligen
Regierungspolitik, zu hegemonialen anderen "ethnischen" Gruppen
oder zu ausländischen Konzernen, den USA oder ehemaligen Kolonialmächten
steht, gelten sie auch bei Linken als Keimzelle von Opposition oder Widerstand.
Eine Unterstützung von indigenen Gruppen durch die Solidaritäts-Gruppen,
etwa gegen die Vertreibung im Rahmen von Staudammprojekten, mag zwar unter
menschenrechtlichen Aspekten in vielen Fällen blanke Notwendigkeit
sein. Doch die Gefahren einer positiven Bezugnahme auf "ethnische"
Identitätsbildung - wie Vertiefung oder zumindest Affirmation von
"ethnischen" Spaltungen (die als eine der wichtigsten Ursachen
für Konflikte und Kriege gelten können) - werden zu wenig reflektiert.
Bei manchen Organisationen wie der Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) ist sogar die Grenze zu völkischem Denken bereits überschritten.
Was hier unter dem Deckmantel von Menschenrechtspolitik gedacht und geschrieben
wird, ist in vielerlei Hinsicht kompatibel mit den Konzepten der Neuen
Rechten.
b) Weniger stark verbreitet, doch ähnlich problematisch ist die geschlechtsspezifische
Identitätspolitik. Natürlich ist die Thematisierung der geschlechtsspezifischen
Diskriminierung in der Weltwirtschaft legitim, ja sogar unverzichtbar.
Doch die Beschwörung einer "weiblichen" Identität
("wir Frauen"), die überdies z.B. bei Maria Mies, Claudia
von Werlhof oder Martina Kaller-Dietrich mit einer sehr fragwürdigen
Subsistenzperspektive verbunden wird, ist tendenziell biologistisch und
verschärft die Geschlechterspaltung eher, als sie zu ihrer Aufhebung
beitrüge. Der Widerstand gegen patriarchalische Verhältnisse
endet so in der Essentialisisierung dessen, was "weiblich" sein
soll.
c) Ein weiteres Beispiel für Identitätspolitik ist die Behauptung
einer weltweit existierenden Klasse, die "unten" ist (Marginalisierte,
Arbeiterklasse, Proletariat etc.). Mit dem Begriff der "Globalisierung
von unten" wird beispielsweise eine Einheit geschmiedet, die nicht
mal ansatzweise vorhanden ist. Die Interessen der sogenannten ArbeiterInnenklasse
sind derart heterogen, daß sie sich teilweise diametral widersprechen.
Deutsche Sozialhilfeempfänger profitieren durchaus von Niedriglöhnen
in Dritte-Welt-Ländern, sind insofern nicht "unten". Die
klassenbezogene Variante der Identitätspolitik verkennt, daß
jedes Individuum multiple Rollen innehat. Zumindest im Norden ist jede/r
in einer Person vereinigt mal Beherrschte/r, mal Beherrscher/in und zwar
in einem dynamischen Prozeß, der keine festen Klassenzuordnungen
zuläßt.
Diese Erkenntnis schließt interessengeleitete Bündnisse in
Einzelfällen überhaupt nicht aus, wie etwa Kooperationen von
Gruppen aus Süd und Nord gegen Sozialdumping. Aber diese können
nur punktuell und temporär bleiben und müssen sich der Fragilität
der Interessenlagen bewußt sein. Im übrigen: Nicht mal das
Kapital ist eine homogene Interessengemeinschaft, sondern verfolgt sich
teilweise widersprechende Ziele.
VI.
Verklärung des Lokalen und des Kleinen
Der Herrschaft der Großkonzerne oder der mächtigen Staaten
des Nordens wird als positiver Gegenentwurf gerne das Lokale und das Kleine
gegenübergestellt. Beispielsweise beklagte Maria Mies im Zusammenhang
mit dem MAI, daß "bayerische Kleinbetriebe" von "amerikanischen
Konzernen" niederkonkurriert werden. Abgesehen davon, daß der
positive Bezug auf das Lokale hier mit deutlich antiamerikanischen Ressentiments
verknüpft wird (obwohl es doch eher deutsche Konzerne sind, die bayerische
Kleinbetriebe niederkonkurrieren), ist das, was da idealisiert wird, nicht
unbedingt eine Idylle: Der "bayerische Kleinbetrieb" kann für
die Angestellten ein Hölle sein, mit einem autoritären Chef,
der polnische ErntehelferInnen zu Hungerlöhnen beschäftigt oder
seine Ehefrau zu unentlohnter Arbeit zwingt. Die romantisierende Beschwörung
des Lokalen hat zudem heimattümelnde Aspekte, wie z.B. die Regionalismus-Bewegungen
in vielen Teilen Deutschlands.
Gleiches gilt für die sogenannten indigenen, dörflichen Gemeinschaften
im Süden, die als positives Gegenbild zur globalen Herrschaft der
Industrieländer aufgebaut werden. Die Soli-Bewegung ist in vielen
Fällen geneigt, über die in ihnen oftmals herrschenden autoritären
und patriarchalischen Strukturen hinwegzusehen, wie etwa bei den indischen
Adivasi.
VII.
Vom Internationalismus
zum Inter-Nationalismus
In zahlreichen Stellungnahmen zum MAI wurde beklagt, daß durch die
vorgesehenen Regelungen nationalstaatliche Souveränität unterhöhlt
werde und die Staaten politische Gestaltungsfähigkeit, etwa im Bereich
der Umwelt- und Sozialpolitik, an die transnationalen Konzerne verlören.
Diese Argumentation ist vollkommen undialektisch, suggeriert sie doch,
daß nationalstaatlich verfaßte Herrschaft "volksfreundlicher"
sei als die des Kapitals. Sie unterschlägt, daß zwischen nationalstaatlicher
und kapitalistischer Vergesellschaftung ein enger, untrennbarer Zusammenhang
besteht, und negiert damit die Erkenntnisse der (neo-) marxistischen und
anarchistischen Staatstheorien.
Da im positiven Bezug auf Nationalstaaten und deren Politikoptionen jedes
herrschaftskritische Element verloren geht, ist es kein Wunder, daß
rechte Nationalrevolutionäre das MAI mit teilweise sehr ähnlichen
Argumenten ablehnten wie manche Linke. Der Begriff des Internationalismus
erhält so einen neuen, ziemlich bitteren Beigeschmack: Inter-Nationalismus.
Dieser Befund gilt nicht nur für Europa: In Indien beispielsweise
werden ausländische Konzerne seit jeher nicht nur von der Linken
abgelehnt (mit teilweise außerordentlich fragwürdigen nationalistischen
Argumenten etwa seitens der CPI/M), sondern auch von hindu-nationalistischen
Parteien wie der BJP. Die Hindu-Nationalisten agitieren seit Jahrzehnten
gegen Coca-Cola, den US-Imperialismus und "westliche Dekadenz".
Die Agitation gegen das MAI wurde von dieser Bewegung zur nationalistischen
Hetze und zur verbalen Stärkung indischen Kapitals genutzt.
Das vorläufige Scheitern des MAI ist hauptsächlich darauf zurückzuführen,
daß linke wie rechte MAI-Gegner vor allem die nationalistische Karte
ausspielten und so ohne große Widerstände Gehör bei ohnehin
zu Chauvinismus neigenden Regierungen fanden. Die so bewirkte Stärkung
nationalistischer Denkmuster bei Eliten wie Bevölkerung ist nichts,
was die Soli-Bewegung als Sieg begreifen sollte.
Die Affirmation der nationalstaatlicher Vergesellschaftung durch die Soli-Bewegung
geht überdies einher mit dem alten linkskeynesianischen Irrtum, der
Staat sei gerechter als der Markt - wie es uns SPD, Grüne, PDS oder
auch die meisten Dependenztheoretiker glauben machen wollen. Keynesianische
Politik ist Krisenpolitik zur Stabilisierung kapitalistischer Verhältnisse
und hat mit der freien Assoziation der Menschen nichts zu tun. Wenn Staaten
und Eliten in bestimmten historischen Perioden sozialstaatliche Befriedungsstrategien
anwenden, sind diese genauso disziplinierend und exklusiv wie der Markt,
der theoretisch ja auch die volle Freiheit des Individuums sichert.
Um mit zwei Begriffen von Joachim Hirsch zu sprechen: Der keynesianische
"autoritäre Sicherheitsstaat" ist keine Alternative zum
heutigen neoliberalen "nationalen Wettbewerbsstaat". Die besondere
Ironie in der Renaissance des Linkskeynesianismus liegt im übrigen
darin, daß all die Institutionen wie IWF, Weltbank oder OECD, die
die Soli-Bewegung seit langem bekämpft, Resultat keynesianischer
Politik auf internationaler Ebene sind.
Von diesen grundsätzlichen Einwänden abgesehen, ist es ziemlich
naiv zu glauben, "die Politik" oder "die Staaten"
ließen sich von "den Konzernen" das Heft vollständig
aus der Hand nehmen. Die MAI-Verhandlungen selbst wie auch die Politik
von WTO, IWF etc. sind Beispiele dafür, daß internationale
Wirtschaftspolitik sehr wohl handlungsfähig ist. Daß sie vor
allem hegemoniale Interessen mächtiger Wirtschaftsblöcke bedient,
versteht sich von selbst.
VIII.
Gleichsetzung von
Kapitalismus und Neoliberalismus
Das Wort "Kapitalismus" ist selbst in großen Teilen der
Linken out. Es scheint, als habe der Begriff "Neoliberalismus"
eine Ersatzrolle übernommen. Das meiste, was am und als Neoliberalismus
kritisiert wird, gehört jedoch schlichtweg zu den systemimmanenten
Widersprüchen des Kapitalismus, wie der Drang zur räumlichen
und sektoriellen Expansion, Ausbeutung oder Umwelt- und Sozialdumping.
Indem eine vorübergehend dominante Ideologie kapitalistischer Restrukturierung
gleichgesetzt wird mit dem Kapitalismus selbst, geraten nur gewisse "neoliberale
Auswüchse" des Kapitalismus in den Blick, wie beim MAI der Abbau
rechtlicher Schranken bei Direktinvestitionen.
Die NGOs Weed und Germanwatch beispielsweise lehnten am MAI vor allem
das zu befürchtende "freie Spiel des Marktes" ab. Ihre
Kritik gipfelte in der Äußerung: "Investitionen als solche
führen keineswegs automatisch zu einem positiven Entwicklungseffekt,
sondern nur unter bestimmten Rahmenbedingungen, die in der Regel politisch
gesetzt werden müssen." Hier ist keinerlei kategorielle Kritik
am Verwertungsprinzip des Kaptalismus mehr enthalten, sondern seine immanenten
Widersprüche werden in klassisch-bürgerlicher Manier zu einem
Managementproblem erklärt. Das jedoch blamiert sich schon seit den
Zeiten des Manchester-Kapitalismus an der Realität.
Darüber hinaus unterliegen Ansichten wie die von Germanwatch einem
mehrfachen Mißverständnis: Es wird erstens unterschlagen, daß
neoliberale Politik in hohen Maße etatistisch ist (daß sie
das Gegenteil von sich behauptet, ist pure Ideologie).
Zweitens wird der Neoliberalismus "übergroß geredet"
und zu einem "apokalyptischen Untier" aufgebauscht (Hans Peter
Krebs). Neoliberalismus ist jedoch eine bruchstückhafte Krisenbewältigungsideologie,
deren Hegemonie zugunsten neokeynesianischer Krisenbewältigungsideologie
längst im Schwinden ist. Selbst Neoliberale wie der Chefvolkswirt
der Weltbank, Stiglitz, haben mittlerweile Angst vor dem Geist, den sie
mit der Deregulierung der Finanzmärkte aus der Flasche ließen.
Drittens schließt die Ablehnung des Neoliberalismus nicht notwendig
eine Gegnerschaft zum Kapitalismus ein: Auch alt-liberale, konservative
oder gar faschistische Strömungen lehnen das Modell des orthodoxen
Neoliberalismus ab, ohne daß damit irgendein emanzipatorischer Anspruch
verbunden wäre.
IX.
Köln 1999:
Wiederholung der Geschichte?
Anläßlich der im Juni 1999 geplanten Aktivitäten gegen
Weltwirtschafts- und EU-Gipfel stellt sich die dringende Frage, ob die
Soli-Bewegung sich in den oben genannten Fallstricken des Internationalismus
verfängt und erneut einer verkürzten Kapitalismuskritik unterliegt
oder ob sie sich davon emanzipieren kann. Die Debatte um die Rolle der
Nationalstaaten wurde mit teilweise erfreulichen Ergebnissen auch in der
Anti-MAI-Bewegung selbst geführt.
Zudem ist die von den Autonomen bis zu christlichen Gruppen verbreitete
Theoriefeindlichkeit einem neuen Interesse an theoretisch fundierter Kapitalismuskritik
gewichen. Es kommt jetzt darauf an, daß diese Gruppen - vom Buko
bis zu Fels, von den Anti-MAI-Gruppen bis zu den Antinationalen - ihre
Einsichten nicht für sich behalten, sondern die (vor allem mediale)
Hegemonie der Inter-Nationalisten, Lobbyisten und Linkskeynesianer aufbrechen.
Der Autor ist Mitarbeiter des Informationszentrum 3.welt (iz3w) in Freiburg.
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