PGA-Bulletin
5 (Auszüge)
Schockwellen
der Hoffnung
Noch vor wenigen Monaten erschienen der globale Kapitalismus und die Globalisierung
der Wirtschaft als ein unantastbares Naturgesetz, eine Erweiterung der
menschlichen Natur und ein logischer Sieg des Kapitals. Nur wenige hätten
geglaubt, dass es möglich wäre, den Mythos vom 'Ende der Geschichte'
zu durchbrechen und die wahrscheinlich mächtigste kapitalistische
Institution, die Welthandelsorganisation WTO, durch massiven zivilen Ungehorsam
anzugreifen. Nach den Ereignissen in Seattle und den globalen Aktionstag
dem 30. November wird nichts wieder so sein wie zuvor.
Immer mehr Menschen, Gruppen und Bewegungen fangen an, sich als kooperierende,
autonome Einheiten zu begreifen und sich aufeinander zu beziehen. Die
globalen Aktionstage wie June 18th und N30 haben bewiesen, daß informelle
Netzwerke und horizontale Kooperationsformen, deren Dynamik auf der Diversität
der Ansätze beruhen, erfolgreich sind.
Während unserer Arbeit am Bulletin war diese Entwicklung so deutlich
zu erkennen, daß sie fast bildlich erschien: Streikende StudentInnen
der UNAM in Mexico protestieren vor der US Botschaft in Solidarität
mit den Protesten in Seattle, das gleiche in Milano, Amsterdam, Korea
und Manila. Bauern aus Indonesien erklären sich solidarisch mit Indigenas
in Kolumbien die von einem Staudammprojekt mit Umsiedlung bedroht sind.
AktivistInnen aus London und dem Baskenland besetzen ein Riesenrad in
Solidarität mit den Leuten aus dem Narmada in Indien, die ebenfalls
von einem Staudammprojekt bedroht sind etc.
Dieses Bewußtsein von der Verbundenheit der Kämpfe, die überall
auf der Welt gegen den globalen Kapitalismus in seinen vielfachen Ausprägungen
und -wirkungen geführt werden, ebenso wie das Wissen, daß die
Verhältnisse, von denen solche Institutionen wie die WTO nur ein
Ausdruck und Symbol sind, keine Naturgesetze sind, sondern menschengemacht
und deshalb von Menschen auch wieder veränderbar, ist überall
(wieder) am wachsen.
Diese Hoffnung darauf, solche Prozesse zu fördern, hat u.a. zur Gründung
von PGA geführt. PGA war dabei nur eine Initiative unter vielen,
die einen Anstoß gegeben haben. Inzwischen haben diese Entwicklungen
eine beeindruckende Eigendynamik entfaltet, die immer mehr Menschen und
Bewegungen erfasst. Die Vielfältigkeit der Ansätze, aus der
auch die "Schockwellen der Hoffnung" von Seattle resultieren,
kann in diesem Bulletin nur ansatzweise wiedergespiegelt werden. Natürlich
sind nicht alle Aktionen, die hier aufgeführt werden im Rahmen von
PGA entstanden; einige werden nicht einmal den Namen kennen.
Das PGA Bulletin in kein Selbstzweck, der nur der Information dient, sondern
ein Mittel, um die Kommunikation auf globaler Ebene zu fördern. Dies
hat jedoch erst begonnen und bedarf dringend der Mitgestaltung vieler
anderer, die sich daran beteiligen wollen. Es herrscht gerade in dieser
Ausgabe ein deutliches Übergewicht an Berichten aus Nordamerika und
Europa, während es anderswo große "weiße Flecken"
gibt. Das liegt wohl kaum daran, daß in den Ländern des Nordens
Auseinandersetzungen stattfinden, sondern daran, daß wir von dort
einfach mehr Einsendungen erhalten haben.
Was alle angeht, können nur alle lösen. Es liegt an uns allen,
Initiative zu ergreifen !
Und nun viel Spaß beim lesen
die red. @ktion
Kurzgeschichte
des globalen Widerstandes
In den 90er Jahren hatten immer mehr Teile ehemals systemkritischer Bewegungen
(in den "Metropolen" die sog. "Neuen Sozialen Bewegungen",
in der "Peripherie" Befreiungsbewegungen) eine immer stärkeren
Anpassung an das herrschende System vollzogen hatten - nicht (nur) aus
purem Opportunismus, sondern u.a. aus Desillusionierung und Mangel an
greifbaren Alternativen. So wurden aus vielen Bewegungen und Gruppen NGO´s
oder sozialdemokratisch-neoliberale Parteien, die sich von der Illusion
nährten, der einst schon bei der fordistischen "Klassenpartnerschaft"
die Gewerkschaften aufgesessen waren: das, wenn man nur pragmatisch und
kompromißbereit genug sei, man auch "ernst" genommen würde
und sein Ziel (welches sich allerdings inzwischen auch geändert hatte)
früher oder später erreichen würde. Da fügte sich
nur allzu gut in die herrschende Ideologie vom "Ende der Geschichte"
(Francis Fukujama) ein, das kurz gesagt behauptet, das, nach dem mit dem
endgültigen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus die Geschichte
zum Stillstand gekommen sei und sich jegliche Auseinandersetzung um die
Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung erübrigt habe bzw. nur
noch innerhalb der Koordinaten "Demokratie" resp. Parteienpluralismus
ohne reale Wahlmöglichkeit und Marktwirtschaft denkbar sei, jegliche
Politik nur die Verwaltung des bestehenden sei. Es machte aber auch den
Weg frei für eine Auseinandersetzung über alle Unterschiede
hinweg, um nach neuen Wegen zu suchen.
Von
der zapatistischen "Internationale der Hoffnung" zu PGA
In diese Situation hinein geschah ein Aufstand mit weitreichenden Folgen:
Am 1.1.1994, dem Tag an den Mexico der Nordamerikanischen Freihandelszone
(NAFTA) beitrat, besetzte die Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung
(EZLN) mehrere Rathäuser, Polizeistationen u.a. im südmexikanischen
Bundesstaat Chiapas und füllte die uralten Forderungen nach "Demokratie,
Freiheit, Gerechtigkeit!" mit neuem Leben. Dass diese indigene Guerilla
mit ihrem Anspruch, nicht um, sondern gegen die Macht kämpfen zu
wollen, außer dem Namen nicht viel mit den bis dahin üblichen
lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen gemeinsam hatte, wurde nicht
erst klar, als sie im Sommer ´96 zu einem 1. Interkontinentalen
- nein, "Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und
für eine menschliche Gesellschaft" aufrief. Mit dieser Initiative
luden sie alle, die sich immer noch nicht ganz mit der bestehenden Weltordnung
angefreundet hatten, zu sich in den lakandonischen Urwald ein, um zu beraten,
was mensch gegen diesen Feind der Menschheit, der sich jetzt den Namen
Neoliberalismus gegeben habe, unternehmen könne. Tatsächlich
folgten über 3.000 Menschen aus aller Welt diesem Aufruf zur Bildung
eines "weltweiten Netzwerkes der Widerständigkeiten gegen den
Neoliberalismus".
Dabei hatten die Zapatistas einem Gefühl Gestalt gegeben, das schon
damals viele hatten und welches sich in der folgenden Zeit immer weiter
ausbreiten sollte: "International oder gar nicht!" war die (tatsächlich
gar nicht so) neue Idee. Dies hatte auch mit den Veränderungen der
weltpolitischen und -ökonomischen Lage zu tun: So bedeutet Neoliberalismus
(dieser Begriff ist übrigens wesentlich durch die Zapas aus seiner
akademischen Nischenexistenz heraus zu einem breit diskutierten Schlagwort
geworden - was allerdings auch nicht unbedingt viel mehr Klarheit geschaffen
hat) unter anderem, das ehemals nationalstaatliche Kompetenzen immer mehr
auf supranationale Ebene verlagert werden, was allerdings die Macht des
Nationalstaates keineswegs schmälert. So war es ein recht logischer,
aber nichtsdestotrotz bedeutsamer Schritt, den Widerstand ebenfalls auf
die globale Ebene zu bringen.
Beim 2. Intergalaktischen im Sommer ´97 beschloß dann eine
kleine Gruppe, von denen sich einige schon von den Gegenaktionen gegen
die Konferenz der UN-Nahrungsmittel- und Landwirtschaftsorganisation (FAO)
kannten, den Gedanken der Zapatistas aufzugreifen und mit dem Aufbau eines
Netzwerkes zu beginnen.
Auf einer Konferenz in Genf im Februar 1998 wurde dieses Netzwerk dann
offiziell unter dem Namen "Peoples´ Global Action gegen "Frei"handel
und die WTO" (auf die Übersetzung des Namens wurde, anderes
als in anderen Ländern, im deutschen verzichtet, weil des englisches
"Peoples´" (eigentlich "Völker") Schwierigkeiten
machte: Mit den Aktionen der Völker haben die Deutschen ja so ihre
besonderen Erfahrungen gemacht...) gegründet. Die bis dahin nahezu
unbekannte Welthandelsorganiation WTO wurde gewählt, weil sie besser
als jede andere die neuen ökonomischen Machtverschiebungen deutlich
macht.
PGA versteht sich als offenes Netzwerk und Mittel zur Kommunikation und
Koordination, nicht als Organisation, d.h., die Gruppen und Bewegungen,
die an PGA teilnehmen, sind weiterhin völlig autonom in ihren Entscheidungen
(bspw. ob und in welcher Form sie an Globalen Aktionstagen teilnehmen,
solange sie sich im Einklang mit PGA-Prinzipien befinden), es gibt weder
eine Mitgliedschaft noch ein "ZK", welches Aktionen zentral
plant und dann an die jeweiligen Gruppen zur Ausführung weiterleitet.
Globale
Aktionstage
Diese neue globale Allianz trat das erste Mal im Mai ´98 zu den
Protesten gegen die 2.WTO-Ministerkonferenz in Genf auf die Bühne
- mit für fast alle Beteiligten unerwartet großem Erfolg: In
Genf selbst protestierten am 1.Globalen Aktionstag am 16.5. 8-10.000 Menschen
und degradierten in den Zeitungsmeldungen der Schweiz die eigentliche
Konferenz fast zum Nebenereignis.* Die Behörden reagierten mit einer
heftigen Repressionswelle, Trängengas- und Knüppeleinsätze,
die über 60 Personen z.T. schwerverletzt ins Krankenhaus brachten,
ca. 150 größtenteils unrechtmäßige Verhaftungen,
Ausweisungen, Einreiseverbote, etc. Doch auch international war die Resonanz
beeindruckend - in mehr als 60 Ländern fanden Aktionen in Zusammenhang
mit der WTO statt; allein in Indien fanden über 100 Aktionen mit
z.T. mehreren hunderttausend TeilnehmerInnen statt, in Brasilien gab es
einen Sternenmarsch von 40.000 Landlosen usw....
Im folgenden Jahr fand eine Intercontinentale Carawane (ICC) mit fast
500 TeilnehmerInnen aus Indien und anderen Ländern durch Europa statt,
die zum 18. Juni in Köln zum Weltwirtschaftsgipfel eintraf. Am gleichen
Tag fand ein weiterer Globaler antikapitalistischer Aktionstag J18 statt,
zu dem die Londoner Bewegung Reclaim The Streets aufgerufen hatte, wobei
es in London zu den schwersten Ausschreitungen seit über 15 Jahren
kam. Damit wurde auch das Thema Kapitalismus wieder auf die Tagesordnung
gesetzt: In vielen Ländern hatte es ähnliche Diskussionen gegeben,
das eine Kritik an Neoliberalismus und Globalisierung nicht ausreiche,
da sie nicht das Übel an der Wurzel erfasse (allerdings wurde schon
im 1.Manifest von PGA festgehalten, das Globalisierung und Handelsliberalisierung
nur die derzeitigen Strategien des Kapitals seien), was unter anderem
auch damit zusammenhing, dass es in vielen Ländern Erfahrungen mit
stark nationalistischen und protektionistischen Gruppen gegeben hatten,
die ebenfalls gegen Freihandel und Globalisierung aktiv waren.
Diese Diskussionen flossen bei der 2. PGA-Konferenz im August ´99
in Bangalore, Indien mit ein und führten u.a. zur Erweiterung der
Grundsätze von PGA in klarer Ablehnung von Kapitalismus, Rassismus,
Patriachat und religiösem Fundamentalismus mit ein (siehe Beitrag
von Alain, Grundsätze und Organisationsprinzipien im hinteren Teil).
Dort wurde auch beschlossen, zu Aktionen gegen die 3. WTO-Ministerkonferenz
Ende November in Seattle aufzurufen. Der 3.Globale Aktionstag fand also
am 30.November statt, was ausführlich, aber keineswegs annähernd
vollständig in diesem Heft dokumentiert ist.
Anmerkungen:
· Ein Film (auf deutsch übersetzt) über die Ereignisse
in Genf im Mai ´98 kann bei der Umwelt- und Projektwerkstatt Freiburg
unter (Luciano, Adresse bitte!) bestellt werden.
· Ebenfalls wird demnächst ein Film über die ICC (in
deutsch) und über Seattle (in english) erhältich sein (wird
im nächsten Bulletin angkündigt)
· Die neue Version des Manifests ist noch nicht fertig, aber die
alte kann auf den PGA-websites unter http://www.agp.org oder http://www.go.to.agp
(mirror) auch auf deutsch abgerufen werden.
Links/rechts-Diskussion
Im Verlauf des letzten Jahres ist mehr und mehr Gruppen, die gegen Globalisierung
und "Frei"handel arbeiten, bewusst geworden, dass rechte und
rechtsextreme Gruppen Antiglobalisierungsdiskurse attraktiv finden. In
verschiedenen Strukturen wurden so Diskussionen angerissen darüber,
wie verhindert werden könnte, dass linke Diskurse von der Rechten
angeeignet werden und wie trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten
eine klar erkennbare Trennlinie zu ziehen ist zwischen emanzipativen und
autoritären/unterdrückerischen Projekten. An der zweiten PGA-Konferenz
in Bangalore wurde dieses Problem sehr ernst genommen. Als Beitrag zu
den Bemühungen, sich gegenüber rechten Gruppen klar abzugrenzen,
wurde ein fünfter Grundsatz der PGA eingeführt (und nach dem
ersten Grundsatz als zweiten eingefügt) mit dem folgenden Wortlaut:
"2. Die Ablehnung sämtlicher Formen und Systemen der Herrschaft
und Diskriminierung, darunter des Patriarchats, Rassismus und religiösen
Fundamentalismus aller Glaubensrichtungen, aber auch hier nicht aufgezählter.
Wir bekennen uns zur uneingeschränkten Würde aller Menschen.
"
Es wurde ebenfalls klargestellt, dass die PGA nicht für einen Kampf
nur gegen "Frei"handel steht, sondern generell gegen das kapitalistische
System. Aus Zeitmangel wurde die Namensänderung der PGA (Globale
Aktion gegen "Frei"handel und die WTO - Peoples' Global Action
against "free" trade and the WTO), die sich nach dieser Entscheidung
aufzudrängen scheint, noch nicht vorgenommen und wird bis zur nächsten
PGA-Konferenz zuwarten müssen. Ein Vorschlag, der besprochen wurde,
was "Globale Aktion für Solidarität und Widerstand"
("Peoples' Global Action for solidarity and resistance"). Alternative
Vorschläge sind willkommen.
Wenn du dich für Einzelheiten der Debatte über Überschneidungen
zwischen linken und rechten Diskursen interessierst, siehe die Webseiten
auf <http://www.savanne.ch/right-left.html> oder schreibe an <savanne@savanne.ch>.
Rückmeldungen zu diesem Thema sind auch sehr willkommen für
die PGA-Website und das Bulletin: <pga@agp.org>
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