Die
WTO zu wessen Diensten?
Ein
Positionspapier der Erklärung von Bern zum WTO-Dienstleistungsabkommen
GATS (General Agreement on Trade in Services) von Marianne Hochuli
Einleitung
Nach dem Scheitern der dritten WTO-Ministerkonferenz in Seattle, an der
sich die Wirtschafts- und Handelsminister nicht auf eine gemeinsame Erklärung
hatten einigen können, wird es vorläufig - zumindest im Rahmen
der WTO - keine breit angelegte Liberalisierungsrunde im Welthandel geben.
Der WTO-Betrieb ist aber durch diese geplatzten Gespräche nicht lahmgelegt.
Bereits im Februar und im März 2000 haben die Abgeordneten der 137
WTO-Mitgliederländer in Genf mit den Neuverhandlungen sowohl des
Agrar- als auch des Dienstleistungsabkommens begonnen. Bereits während
der achtjährigen Uruguayrunde (1986-94) war beschlossen worden, dass
diese beiden Abkommen im Jahr 2000 nochmals neu verhandelt würden.
Welche Bedeutung diesen kürzlich begonnen Neuverhandlungen beigemessen
wird, offenbart die Bemerkung des Verhandlungsvorsitzenden Sergio Marchi
von Kanada, der meinte, die Verhandlungen über das Dienstleistungs-
und das Agrarabkommen würden zum Prüfstein für die WTO
überhaupt. Tatsächlich liegen die Vorstellungen der WTO-Mitgliederländer
in beiden Bereichen weit auseinander. Zum Agrarabkommen hat die Erklärung
von Bern in ihrem Positionspapier «Die WTO auf dem Prüfstand»
bereits zahlreiche Vorschläge gemacht. Das Positionspapier ist im
Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Seattle entstanden und wurde von
40 Organisationen unterschrieben.
Auch das Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services)
birgt Zündstoff in sich, ist es doch im Laufe der Uruguayrunde nur
auf massiven Druck der Industriestaaten zustande gekommen. Dieselben Länder
erhoffen sich von den anstehenden Neuverhandlungen, die sich voraussichtlich
über drei Jahre hinziehen werden, eine weitgehende Liberalisierung
und neue Märkte im Dienstleistungsbereich. Auch die Schweizer Regierung
fordert eine breite Marktöffnung für Dienstleistungen und meinte
in einem Papier vom August 1999 noch etwas vage, es sollte in den folgenden
Verhandlungen kein Subsektor von vorneherein ausgeschlossen werden. In
der Schweiz sind bereits 66,8% aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor
tätig. Traditionell starke Bereiche sind der Banken- und Versicherungssektor
sowie der Tourismus. Wachsende Bedeutung sollen in nächster Zeit
die Informatik und die Telekommunikation erhalten.
Die
Erklärung von Bern will mit diesem Positionspapier das WTO-Dienstleistungsabkommen
GATS aus entwicklungspolitischer Sicht näher beleuchten die unterschiedlichen
Bedürfnisse und Interessen der Industrieländer und der ärmeren
Länder darlegen einige gefährliche Entwicklungen aufzeigen sowie
Kritik üben und Massnahmen fordern Diese Abhandlung ist eine Ergänzung
zum oben erwähnten Positionspapier «Die WTO auf dem Prüfstand».
1.
Was sind Dienstleistungen?
Dienstleistungen sind alle wirtschaftlichen Aktivitäten ausserhalb
der Produktion von industriellen, bergbaulichen und landwirtschaftlichen
Erzeugnissen. Zum Dienstleistungsbereich zählen Leistungen von Banken,
Versicherungen, der Tourismus, Leistungen im Umwelt- und Energiebereich,
das Transportwesen, die Informatik, aber auch das Gesundheits- und das
Bildungswesen.
Dienstleistungen können - im Gegensatz zu Waren - nicht angefasst
werden. Zudem bestehen bezüglich Dienstleistungsaktivitäten
auf nationaler Ebene viele Vorschriften. Ein Beispiel sind die Bauvorschriften.
Soll der Dienstleistungssektor liberalisiert werden, setzt dies deshalb
Änderungen der nationalen Gesetzgebung betreffend Zulassung und Ausübung
von Dienstleistungsaktivitäten voraus.
Weil Dienstleistungen normalerweise nicht wie Industriewaren oder Landwirtschaftsprodukte
über die Grenze verschickt werden können, ist die Erbringung
der Dienstleistung oft nur möglich, wenn jene Person, die eine Dienstleistung
erbringt, vorübergehend oder dauerhaft durch eine geschäftliche
Niederlassung im Ausland präsent ist. Viele Dienstleistungen hängen
mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Menschen und Firmen
zusammen und schliessen somit Themen wie ausländische Direktinvestitionen
und (zeitweilige) Migration mit ein. Die WTO unterscheidet beim Handel
mit Dienstleistungen vier Erscheinungsformen:
1. Grenzüberschreitende Dienstleistung im engeren Sinne
z.B. in Form eines «Produktes»: eine Bedienungsanleitung wird
per Post von Bern nach Delhi versandt, ein Computerprogramm über
Internet gemailt oder eine TV-Sendung über den Äther ausgestrahlt.
Solche Dienstleistungserbringungen sind mit dem Warenhandel vergleichbar
und gewinnen mit dem technischen Fortschritt in der Kommunikationstechnologie
zunehmend an Bedeutung.
2. Inanspruchnahme einer Dienstleistung durch eine Konsumentin,
die sich in ein anderes Land begibt
z.B. Tourismus: Eine Schweizerin sieht sich in Paris einen Film an oder
ein Italiener reist ins Appenzell und konsultiert eine Zahnärztin.
3. Niederlassung von Firmen: Erbringung einer Dienstleistung durch
eine
geschäftliche Niederlassung im Ausland
Die Dienstleistung erfolgt in diesem Fall in Form einer ausländischen
Direktinvestition. Beispiel: Das Reisebüro Kuoni eröffnet in
Bombay eine Filiale und bietet seine Dienste direkt in Indien an.
4. Grenzüberschreitung von Dienstleistungserbringern
Die Person, die eine Dienstleistung erbringt, begibt sich persönlich
vorübergehend ins Ausland. Beispiele: Eine Schweizer Ingenieurin
baut in Mali eine Wasserleitung. Ein Schauspieler aus der Schweiz wird
in Hollywood für eine Rolle engagiert.
Anhand der vier dargelegten Erscheinungsformen wird ersichtlich, dass
der von der WTO definierte Handel mit Dienstleistungen ausländische
Direktinvestitionen miteinschliesst. Nun haben jedoch zahlreiche Regierungen
Regeln erlassen, um aus Investitionen, die in ihren Ländern getätigt
werden, einen Nutzen ziehen zu können, aber auch, um ihre Märkte
zu schützen oder gewisse sozial- und umweltverträglichen Geschäftspraktiken
einzufordern: So soll zum Beispiel ein bestimmter Gewinnanteil im Land
verbleiben, neue Arbeitsplätze müssen geschaffen werden, Firmen
müssen zumindest die Umweltgesetze oder die Sicherheitsbestimmungen
am Arbeitsplatz beachten.
Þ Der Dienstleistungsbegriff wird im WTO-Dienstleistungsabkommen
GATS derart ausgedehnt, dass sogar Investitionsregeln darin integriert
werden können. Dies bedeutet ein tiefer Eingriff in die nationalstaatliche
Souveränität, denn die Regierungen verlieren dadurch die Möglichkeit,
dem eigenen Land angemessene Investitionsregeln zu erlassen.
Das Dienstleistungsabkommen GATS ist das erste multilaterale Abkommen
über den Handel mit Dienstleistungen und der dabei getätigten
Investitionen.
2.
Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services)
Der Vorstoss, innerhalb der WTO über Dienstleistungen zu verhandeln,
kam von den Industrieländern. Allen voran die USA als weltweit grösster
Dienstleistungsexporteur haben sich in der achtjährigen Uruguayrunde
für das Dienstleistungsabkommen GATS eingesetzt. Sie drohten im Falle
eines Nichtzustandekommens sogar mit dem Austritt aus dem GATT. Trotz
vielen offenen theoretischen und konzeptuellen Fragen wurde ein Abkommenstext
verabschiedet, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Dienstleistungsbereich
massgeblich zu liberalisieren. Einzelne Dienstleistungssektoren waren
in den Verhandlungen besonders umstritten: die Grunddienste der Telekommunikation,
die Finanzdienstleistungen, die audiovisuellen Dienstleistungen und die
Hochseeschiffahrt. Umstritten waren auch Regelungen für die Grenzüberschreitung
natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen. Für
die Bereiche Telekommunikation und Finanzdienstleistungen wurden 1997
Abkommen abgeschlossen, die beide auch von der Schweiz unterzeichnet wurden.
Die Zusage der Schweiz, ihre Telekommunikations-Märkte zu öffnen,
erforderte eine Änderung des Fernmeldegesetzes. Die neu gegründete
Swisscom begann sogleich mit Umstrukturierungen: insgesamt sollen 6000
Stellen abgebaut werden.
Die audiovisuellen Dienstleistungen, die Hochseeschiffahrt sowie die Grenzüberschreitung
natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen werden unter
anderem neu verhandelt.
Grundprinzipien des GATS-Abkommens
Das Dienstleistungsabkommen GATS stützt sich auf dieselben drei Grundprinzipien,
die bereits 1947 für den Handel mit Waren festgelegt wurden: Den
Marktzugang, die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigung.
Marktzugang: Sogenannte Handelshemmnisse (wie zum Beispiel Mengenbeschränkungen
für Importgüter) sollen beseitigt und der einheimische Markt
soll ausländischen Anbietern geöffnet werden.
Die Inländerbehandlung fordert, dass Regierungen ausländische
Dienstleistungserbringer in gleicher Weise behandeln müssen wie einheimische;
das heisst, dass sie die inländischen Dienstleistungserbringer nicht
bevorzugen dürfen. Im Gegensatz zum GATT-Abkommen, wo dieses Prinzip
für alle Waren gilt, können die Länder jedoch mit sogenannten
Positiven Listen explizit diejenigen Sektoren angeben, bei denen sie bereit
sind, ihre Märkte gegenüber ausländischen Anbietern zu
öffnen. So haben zum Beispiel 1997 nur 69 Regierungen (der insgesamt
137 WTO-Mitglieder) das Abkommen über die Liberalisierung der Telekommunikation
abgeschlossen. Auf diese Länder entfallen jedoch 90% der weltweiten
Einnahmen aus der Telekommunikation. Ist ein Land in einem bestimmten
Sektor die Verpflichtung, seinen Markt zu öffnen, eingegangen, kann
es davon nicht mehr zurücktreten.
Die Meistbegünstigung besagt, dass ein Land den Dienstleistungserbringer
eines anderen Landes nicht schlechter als alle anderen behandeln darf.
Ausnahmen von der Meistbegünstigung können jedoch speziell aufgelistet
werden. Sie dürfen aber nicht länger als 10 Jahre angewandt
werden und müssen nach 5 Jahren, das heisst im Jahre 2000, überprüft
werden.
Die Wunschliste der Industrieländer: Ausdehnung des bereits bestehenden
GATS-Abkommens
Die Wiederaufnahme von Verhandlungen im Dienstleistungsbereich wollen
die Industrieländer dazu nutzen, um folgende Anliegen durchzubringen:
1. Die generellen Prinzipien, wie zum Beispiel die positiven Listen
(die freiwillige Wahl, welche Sektoren die Regierungen zu öffnen
gewillt sind), sollen nochmals verhandelt und wenn möglich abgeschafft
werden. Ein weiteres Ziel ist, die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigung
durchgehend einzuführen und Ausnahmen davon zu unterbinden.
2. Weitere Bereiche des Dienstleistungssektors (zum Beispiel das
Gesundheits- und das Bildungswesen) sollen den WTO-Prinzipien unterstellt
werden.
3. Staatliche Regulierungen sollen vermehrt abgebaut werden, denn
sie gelten oftmals als Handelshemmnisse.
Die Befürchtungen ärmerer Länder: Erdrückende Konkurrenz
durch multinationale Konzerne
Die meisten südlichen WTO-Mitgliederländer haben sich gegen
das Zustandekommen des Dienstleistungsabkommens GATS heftig gewehrt. Mit
ihren zumeist schwachen Dienstleistungssektoren sind sie im Vergleich
zu den Industrieländern viel weniger in der Lage, Dienstleistungen
anbieten und folglich auch handeln zu können. Sie befürchten
für ihre lokalen Anbieter die erdrückende Konkurrenz multinationaler
Dienstleistungskonzerne aus dem Norden. Tatsächlich erklärt
die US-Regierung in ihrem Positionspapier zu den kommenden Dienstleistungsverhandlungen,
dass sie das Ziel verfolgen würden, ihren Firmen im Dienstleistungsbereich
den maximalen Eintritt in alle Länder zu ermöglichen. Multinationale
Konzerne haben eine grössere Marktmacht als lokale Anbieter und sie
können ärmere Länder sogar daran hindern, ihren eigenen
Dienstleistungssektor aufzubauen. Letztere verlieren unter Umständen
durch das GATS-Abkommen die Möglichkeit, ihren Dienstleistungssektor
nach ihrem Gutdünken zu regulieren und auszubauen.
Grosse Uneinigkeit zwischen nördlichen und südlichen Ländern
bestand im Bereich der Grenzüberschreitung von natürlichen Personen
zur Erbringung von Dienstleistungen. Ärmere Länder fordern eine
weitergehende Liberalisierung im grenzüberschreitenden Personenverkehr,
um ihre Dienstleistungen vermehrt zur Verfügung stellen können.
Þ Die Regierungen ärmerer Länder fordern eine Schutzbestimmung
im GATS, die es erlaubt, Massnahmen zu ergreifen, wenn ein Land mit Dienstleistungsaktivitäten,
die die inländischen Dienstleistungserbringer bedrohen, überschwemmt
wird.
Þ Ärmere Länder verlangen eine Abkehr vom einseitigen
Vorhaben, vorwiegend den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr zu
liberalisieren und fordern eine stärkere Liberalisierung für
den Personenverkehr zur Erbringung von Dienstleistungen.
3.
Gefährliche Entwicklungen
Das GATS-Abkommen ist momentan noch sehr vage formuliert und bildet erst
den Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen. Die Konsequenzen, die
dieses Abkommen nach sich ziehen, sind nicht absehbar. So meinte der ehemalige
Direktor der WTO Renato Ruggiero: «Das Dienstleistungsabkommen GATS
umfasst Bereiche, die noch nie zuvor als Handelspolitik angesehen wurden.
Ich vermute, dass weder die Regierungen noch die Geschäftswelt die
volle Reichweite und den Wert der eingegangen Verpflichtungen erkannt
haben.»
Bereits können sehr gefährliche Entwicklungen ausgemacht werden,
die einseitige Liberalisierungen fördern und staatliche Regulierungen
und Schutzmechanismen gänzlich aushöhlen.
GATS und öffentliches Beschaffungswesen
Die GATS-Regeln beschränken sich bis jetzt vorwiegend auf den privaten
Sektor und schliessen zur Zeit das öffentliche Beschaffungswesens
(den Kauf von Dienstleistungen und die Anstellung von Personal im öffentlichen
Sektor) noch nicht mit ein. Dies könnte sich jedoch ändern,
fordert doch der zweite Paragraph des entsprechenden Artikels XIII, dass
das öffentliche Beschaffungswesen in der nächsten Runde zur
Diskussion steht.
Þ Werden die GATS-Regeln auf das öffentliche Beschaffungswesen
ausgedehnt, verkleinert sich der Spielraum von Regierungen, Regierungsaufträge
an bestimmte Bedingungen wie zum Beispiel die Bevorzugung lokaler Firmen,
die Einhaltung von Menschenrechten oder Umweltschutzgesetzen zu knüpfen.
GATS und Investitionen
Nach dem Scheitern des im Rahmen der OECD ausgehandelten multilateralen
Investitionsabkommen MAI sind zahlreiche Bemühungen im Gange, das
Thema Investitionen in der WTO zu verankern. So sähen die EU, Japan
und die Schweiz gerne ein eigentliches Investitionsabkommen innerhalb
der WTO. Die USA hingegen ziehen es vor, neue Investitionsregeln in bereits
existierenden WTO-Abkommen, zum Beispiel im Dienstleistungsabkommen GATS,
zu integrieren.
Das GATS schliesst bereits einige Investitionsregeln ein und ist darauf
angelegt, diese noch auszuweiten: für alle Formen von Investitionen
soll die Inländerbehandlung erreicht werden. Dies betrifft vor allem
südliche Länder sehr stark, deren Regierungen bis anhin die
Möglichkeit hatten, ausländische Investitionen zu regulieren.
Sie konnten zum Beispiel ausländischen Firmen vorschreiben, einen
bestimmten Prozentsatz ihres Inputs auf dem heimischen Markt einzukaufen
und die im Land hergestellten Produkte zu exportieren. Dadurch konnten
sie sich vor allzu zu starker Konkurrenz schützen.
Die Regierungen südlicher Länder sprachen sich denn auch gegen
Investitionsregeln innerhalb der WTO aus, da die WTO-Regeln den Investoren
ausschliesslich Rechte einräumen, aber keinerlei Pflichten auferlegen.
Þ Investoren müssen nebst Rechten auch Pflichten gegenübergestellt
werden. Die Gleichbehandlung (Inländerbehandlung), die von WTO-Regeln
verlangt wird, gewährt den Investoren Rechte ohne soziale Verantwortung.
Þ Die WTO-Regeln verstossen gegen das Prinzip der Subsidiarität:
Die Entscheidungsbefugnis wird von der lokalen und nationalen auf die
internationale Ebene verlegt.
Handelsliberalisierung
- Deregulierung - Privatisierung: auf wessen Gesundheit?
Handelsliberalisierung zieht, wie zahlreiche Beispiele zeigen, zumeist
Deregulierung und Privatisierung nach sich. Werden bisher staatlich stark
geschütze Bereiche dereguliert, besteht die Gefahr, dass der Staat
seine Verantwortlichkeiten preis gibt. Im Gesundheits- und im Bildungsbereich
kann dies dazu führen, dass der Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung
noch erschwert wird. Der Handel im Gesundheits- und Bildungssektor ist
zwar im Augenblick, verglichen mit anderen Sektoren, noch relativ unbedeutend.
Es ist aber zu erwarten, dass sich im Laufe der folgenden Verhandlungen
zahlreiche Länder verpflichten werden, ihre Märkte zu öffnen.
Südliche Regierungen, die bereits durch Strukturanpassungsmassnahmen
des Internationalen Währungsfonds Deregulierungs- und Privatisierungsverpflichtungen
eingegangen sind, können zusätzlich gezwungen werden oder die
WTO zum Anlass nehmen, weiter zu privatisieren. In welche Richtung diese
Entwicklung führen könnte, zeigt das Beispiel der Philippinen.
So hat die Regierung Ramos anfangs der neunziger Jahre unter anderem im
Gesundheitsbereich ein Programm der Kosteneinsparung und Privatisierung
ausgelegt. Inzwischen sind 49% der Spitalbetten in privaten Händen
(in der Schweiz ist die Spitalversorgung mit mehr als 80% in der öffentlichen
Hand). Die Kosten müssen zum grossen Teil die Patientinnen und Patienten
tragen. Wohl wurde nach vielen Protesten ein Versicherungssystem eingeführt.
Dieses deckt jedoch nur 38% der Bevölkerung. Die philippinische Regierung
wendet nur noch 2,6% des Budgets für die Gesundheitsversorgung auf.
Hingegen 28,4% für den Schuldenservice.
Insgesamt ist die Gefahr ist gross, dass ein grösseres Engagement
des Privatsektors im Gesundheitswesen sowohl die Zahl der Nichtversicherten
als auch die Ungleichheit im Zugang zu Gesundheitsleistungen erhöht.
Das Gesundheitswesen wird unter Umständen rationeller, teurer und
ungerechter. Dasselbe gilt für den Bildungsbereich.
Privatisierung hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Private
Firmen sind daran interessiert, ihre Kosten zu senken, um im Wettbewerb
bestehen zu können. Sie müssen darum ihre Ausgaben limitieren,
was zu tieferen Salären und Stellenabbau führen kann. So können
sich die Arbeitsbedingungen für eine Mehrheit, die hochspezialisierten
Berufe ausgenommen, verschlechtern. Zu dieser Mehrheit gehören oftmals
Frauen, die häufig in schlechter qualifizierten Berufen arbeiten.
Die Privatisierung des Gesundheitssystems bringt noch eine ganz andere
Begleiterscheinung mit sich: Krankheit wird zunehmend als individuelles
Versagen und nicht als soziales Problem angesehen.
Þ Sektoren wie Bildung und Gesundheit sollten auf keinen Fall denselben
Regeln unterstehen wie der Handel mit Gütern.
4.
Grundsätzliche Kritik am Dienstleistungsabkommen GATS
Das Dienstleistungsabkommen GATS weist folgende grundlegende Mängel
auf:
Die Benachteiligung ärmerer Länder
Die Vermischung von Handel und Investitionen
Die Benachteiligung speziell der Frauen
Die Aushöhlung der staatlichen Verantwortlichkeit
Benachteiligung der ärmeren Länder
Art. IV des GATS fordert ausdrücklich die Erhöhung der technischen
Hilfe, um ärmere Länder besser in den Welthandel zu integrieren.
Als Massnahmen werden zum Beispiel die Verbesserung ihres Zugangs zu Informationsnetzen
und die Liberalisierung des Marktzugangs in (Dienstleistungs-)Sektoren,
die für die Ausfuhren dieser Länder von Interesse sind, vorgeschlagen.
Diese Massnahmen gehen an der Tatsache der grundverschiedenen Ausgangslagen
von Industrieländern und ärmeren Ländern vorbei, sieht
doch die Lage im Servicebereich für ärmere Länder folgendermassen
aus:
Die meisten südlichen Länder haben, im Gegensatz zu den Industrieländern,
einen sehr schwachen Servicesektor. Sie haben in diesem Sektor entsprechend
wenig zu handeln, müssen sich aber verpflichten, ihre Märkte
konkurrenzierenden ausländischen Investoren zu öffnen.
In den meisten ärmeren Ländern ist der grösste Anteil der
Arbeitskräfte in unqualifizierten Berufen beschäftigt, die im
GATS-Abkommen nicht mitberücksichtigt sind.
Þ Das GATS-Abkommen spiegelt einseitig die Interessen der grossen
Handelsmächte und vergrössert die Kluft zwischen reicheren und
ärmeren Ländern.
Vermischung von Handel und Investitionen
Dienstleistungen und Investitionen werden im GATS eng miteinander verknüpft.
Allerdings fehlen klare Definitionen und Abgrenzungen. So gilt die Niederlassung
einer Firma im Ausland als Handelsaktivität. Auch die Grenzüberschreitungen
von spezialiertem Personal werden als Handel mit Dienstleistungen betrachtet,
selbst wenn die Dienstleistungserbringer Angestellte derselben Firma sind,
wenn also gar kein Kauf oder Verkauf von Dienstleistungen stattfindet.
Þ Im GATS werden klare Definitionen von Handel und Investitionen
vermieden. Auf diese Weise können im GATS Investitionsregeln eingebaut
werden, die einseitig auf die Rechte von Investoren ausgerichtet sind.
Benachteiligung speziell von Frauen
Das GATS berücksichtigt die Lebens- und Arbeitsrealitäten von
Frauen in keiner Weise. Viele arbeiten als ungelernte, schlecht bezahlte
Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor. Sie können von den von
der WTO proklamierten Vorteilen eines liberalisierten Dienstleistungshandels
am allerwenigsten profitieren, denn die Auswahl der beruflichen Dienstleistungen,
die grenzüberschreitend von natürlichen Personen angeboten werden
darf, ist limitiert und männerorientiert.
Zudem kann sich die Liberalisierung einzelner Dienstleistungssektoren
besonders negativ auf Frauen auswirken. So hat zum Beispiel die Öffnung
und Förderung des Tourismussektors speziell in südlichen Ländern
vielerorts zu einer Zunahme des Frauen- und Kinderhandels sowie zu mehr
Prostitution geführt.
Þ Beim grenzüberschreitenden Personenverkehr will die Schweiz
ihren Dienstleistungsmarkt lediglich für Führungskräfte
und Spezialisten im Rahmen von firmeninternen Transfers öffnen. In
solch qualifizierten Stellungen sind Frauen krass untervertreten und können
von dieser Regelung in keiner Weise profitieren.
Die Aushöhlung staatlicher Verantwortlichkeit
Mit der Unterzeichnung des GATS-Abkommens haben sich die Regierungen der
WTO-Mitgliederländer zu einer schrittweisen Liberalisierung ihres
Dienstleistungssektors verpflichtet. In wiederkehrenden Verhandlungen
sollen sie den Marktzugang für ausländische Dienstleistungserbringer
allmählich verbessern. Dies hat zur Folge, dass öffentliche
Dienstleistungen zunehmend liberalisiert, das heisst, den Marktgesetzten
unterordnet werden. Besonders bei ärmeren Ländern besteht die
Gefahr, dass sie unter den GATS-Regeln zusätzlich unter Druck geraten,
bei den öffentlichen Dienstleistungen zu sparen und staatliche Verantwortlichkeiten
privaten Anbietern zu überlassen. Dies kann unter Umständen
verheerende Auswirkungen auf die Grundversorgung beispielsweise medizinischer
Leistungen haben.
Zusätzlich verhindert die von den Industrieländern angestrebte
Inländerbehandlung für ausländische Investitionen, dass
diese staatlich reguliert werden können.
Zusammenfassung
Das Dienstleistungsabkommen GATS ist ein WTO-Abkommen, das nur auf Druck
der Industrieländer zustande gekommen ist. Dementsprechend einseitig
ist der Nutzen, den diese Länder mit ihren starken Dienstleistungssektoren
und ihren multinationalen Dienstleistungskonzernen aus diesem Abkommen
ziehen können. Ärmere Länder können wenige grenzüberschreitende
Dienstleistungen zur Verfügung stellen, müssen sich aber ihrerseits
verpflichten, ihre Märkte gegenüber ausländischen Investoren
zu öffnen.
Das Dienstleistungsabkommen GATS ist zugleich das erste multinationale
Investitionsabkommen, das zwar die Rechte der Investoren regelt, ihnen
aber keinerlei Verpflichtungen auferlegt.
Noch enthält das Dienstleistungsabkommen Möglichkeiten, dass
sich die einzelnen WTO-Länder vor zu weitgehenden Liberalisierungsverpflichtungen
schützen können. Gerade diese Freiwilligkeit sowie auch die
zahlreichen Ausnahmen sollen im Laufe der nächsten drei Jahre neu
verhandelt werden. So konnten zum Beispiel die Regierungen der WTO-Mitglieder
bis anhin mit sogenannten positiven Listen mehr oder weniger freiwillig
entscheiden, in welchen Dienstleistungssektoren sie ihre Märkte öffnen
wollten. Auch standen bis anhin solch heikle Bereiche wie der Gesundheits-
oder der Bildungsbereich kaum zur Diskussion. Dies könnte sich aber
in den kommenden Verhandlungen ändern.
Um das Ungleichgewicht zwischen Süd und Nord nicht noch mehr zu vergrössern,
aber auch, um einen einseitigen Deregulierungs- und Privatisierungsschub
auf Kosten des service public zu verhindern, fordert die Erklärung
von Bern die Schweizer Regierung auf, in den anstehenden Neuverhandlungen
folgende Anliegen zu vertreten:
Forderungen
§
Das System der positiven Listen (der freiwilligen Marktöffnung in
einem bestimmten Sektor) muss unbedingt beibehalten werden.
§
Ausnahmen von der Meistbegünstigung und von der Inländerbehandlung
sollen weiterhin möglich sein, das heisst, dass weder die Meistbegünstigung
noch die Inländerbehandlung als generelle Prinzipien eingeführt
werden dürfen (Erklärung zu Meistbegünstigung und Inländerbehandlung
siehe S. 4).
§
Die besondere Behandlung ärmerer Länder muss - wie
im GATT - auch im GATS verankert werden.
§
Die Schweiz soll sich dafür einsetzen, dass im GATS eine Schutzklausel
eingebaut wird. Diese soll es vor allem ärmeren Ländern erlauben,
unerwünschte Entwicklungen im Bereich der Dienstleistungen zu unterbinden
und wenn notwendig, von eingegangenen Verpflichtungen zurückzutreten.
§
Die ärmeren Länder sollen nicht, wie in der Vergangenheit geschehen,
unter Druck gesetzt werden, für sie sensible Bereiche zu öffnen.
§
die Industrieländer sollen sich verpflichten, ihre Grenzen gegenüber
Dienstleistungen von südlichen Ländern zu öffnen, auch
wenn es sich dabei um Grenzüberschreitungen natürlicher Personen
zur Erbringung einer Dienstleistung handelt
§
Die Schweiz soll die Möglichkeit prüfen, in ihre Verpflichtungslisten
auch diejenigen Berufe aufzunehmen, in denen Frauen besonders stark vertreten
sind.
§
Investoren dürfen nicht nur Rechte gewährt, sondern es müssen
auch Pflichten auferlegt werden. Insbesondere müssen Instrumente
geschaffen werden, um ausländische Dienstleistungserbringer zu kontrollieren
und bei allfälligen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung
zu ziehen.
§
Die mit Dienstleistungen und Investitionen zusammenhängenden Bereiche
müssen im GATS genau definiert werden.
§
Das öffentliche Beschaffungswesen darf unter keinen Umständen
in das Dienstleistungsabkommen integriert werden.
§
Sektoren wie Bildung und Gesundheit sollen auf keinen Fall denselben Regeln
unterstehen wie der Handel mit Gütern
§
Die staatliche Souveränität im Bereich des service public muss
in jedem Fall respektiert werden.
§
Die Schweizer Öffentlichkeit muss regelmässig über den
Verlauf der Verhandlungen sowie über die Haltung der Schweizer Regierung
informiert werden.
Erklärung
von Bern, Marianne Hochuli, Postfach, CH-8031 Zürich, e-mail: trade@evb.ch
Zum
Auftakt der mehrjährigen Verhandlungen über die weitere Liberalisierung
des Dienstleistungshandels in der WTO warnt die Erklärung von Bern
vor einer Verschärfung der WTO-Regeln im Dienstleistungsbereich.
Sie weist in ihrem ausführlichen Positionspapier zum WTO-Dienstleistungsabkommen
GATS darauf hin, dass dieses Abkommen nur auf Druck der Industrieländer
zustande gekommen ist. Dementsprechend einseitig ist der Nutzen, den diese
Länder mit ihren starken Dienstleistungssektoren und ihren multinationalen
Dienstleistungskonzernen aus diesem Abkommen ziehen können. Ärmere
Länder können wenige grenzüberschreitende Dienstleistungen
zur Verfügung stellen, müssen sich aber ihrerseits verpflichten,
ihre Märkte gegenüber ausländischen Investoren zu öffnen.
Das Dienstleistungsabkommen GATS ist zugleich das erste multinationale
Investitionsabkommen, das zwar die Rechte der Investoren regelt, ihnen
aber keinerlei Verpflichtungen auferlegt.
18. Mai 2000
http://www.evb.ch/wto_dienstleistungen.htm
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