Die WTO auf dem Prüfstand
Positionspapier der Erklärung von Bern für die WTO-Ministerkonferenz in Seattle
(Marianne Hochuli, 9. August 1999 - Zusammenfassung)

Einleitung
Vom 30. November bis am 4. Dezember 1999 treffen sich die (Handels-)Minister der 134 Mitglieder-Länder der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle (USA) zur dritten Ministerkonferenz. Vor allem die Industrieländer fordern, dass diese Ministerkonferenz zum Startpunkt einer neuen umfassenden Liberalisierungsrunde für die Weltwirtschaft wird. Nicht nur der Handel mit Gütern und Dienstleistungen soll in hohem Tempo weiter liberalisiert werden; es sollen zudem auch neue Vereinbarungen zu Bereichen wie Investitionen, Wettbewerbsrecht und «electronic commerce» geschlossen werden. Die Schweiz unterstützt das Bestreben nach weiteren Liberalisierungen.
Der Forderung nach weiteren Handelsliberalisierungen liegt das Argument zugrunde, dass Liberalisierung und Globalisierung zu ökonomischem Wachstum und zu Wohlstand verhelfen. Dieses Argument ist auch in der Präambel der WTO festgehalten: Die WTO-Regeln sollen dazu beitragen, weltweit den Lebensstandard zu erhöhen, Vollbeschäftigung und höhere Einkommen zu garantieren - und dies ausdrücklich in Übereinstimmung mit einer nachhaltigen Entwicklung.
Mit diesem Papier will die Erklärung von Bern
Stellung nehmen zu der Forderung nach weiteren Liberalisierungsschritten
Mängel der seit 1995 bestehenden Institution WTO, der WTO-Abkommen und insbesondere ihrer Umsetzung aufzeigen
Notwendige Massnahmen für eine sozial- und umweltverträglichere Entwicklung des Welthandels unter der Welthandelsorganisation vorschlagen

Voraussetzungen schaffen für eine nachhaltigere Entwicklung
1. Überprüfung der in der Uruguay-Runde ausgehandelten Abkommen und deren Auswirkungen
2. Gleichstellung von Drittweltländern
3. Integration von Umweltanliegen
4. Beachtung der sozialen Rechte
5. Neues Verhältnis der WTO zum UN-System und zur Zivilgesellschaft

1. Überprüfung der in der Uruguay-Runde ausgehandelten Abkommen und deren Auswirkungen
Handelsliberalisierung dient nicht automatisch sozialen und ökologischen Zielen. Noch sind aber die reellen Auswirkungen der handelspolitischen Abkommen - soweit sie überhaupt schon in Kraft sind - weitgehend unbekannt. Wohl existiert innerhalb der WTO eine gewisse Überprüfung der Umsetzung der WTO-Abkommen: die sogenannten «Trade Policy Reviews». Diese von der WTO und von den Regierungen verfassten Berichte bewerteten aber bis anhin die Politik der Mitgliedsländer ausschliesslich an der Umsetzung der Liberalisierungsziele.
Notwendige Massnahmen für die Überprüfung der Abkommen:
Umfassendere Kriterien
Bevor weitere Sektoren einer Liberalisierung unterzogen werden, ist es notwendig, die Auswirkungen der in der Uruguay-Runde ausgehandelten und in Kraft gesetzten Abkommen sehr viel eingehender zu untersuchen. Um Analysen zu gewinnen, eignet sich nebst detaillierten Länderstudien als Ausgangspunkt der regelmässige Überprüfungsmechanismus («Trade Policy Reviews») der WTO. Für die unter dem Überprüfungsmechanismus entstehenden Berichte müssen aber umfassendere Kriterien aufgestellt werden wie Auswirkungen auf die Umwelt, die soziale Situation, Arbeitnehmer- und Menschenrechte und die Situation der Frauen. Die an diesen Kriterien gemessenen Auswirkungen von Handelsliberalisierungen müssen ins Zentrum gestellt und auf der Makro-, Meso- sowie Mikroebene betrachtet werden. In die Betrachtungen müssen auch soziale und politische Aspekte miteinbezogen werden.
Unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen besonders berücksichtigen
Die Erfahrungen der Strukturanpassungsprogramme haben gezeigt, dass Handelsliberalisierungen sehr unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen haben können. Gender-Analysen waren jedoch in der WTO bis anhin kein Thema, entgegen der an der UN-Frauenkonferenz in Peking gemachten Verpflichtung zahlreicher Regierungen (auch der schweizerischen), Gender-Perspektiven in der makroökonomischen Politik mitzudenken.
Frauen sind besonders stark von Armut betroffen. Es ist darum notwendig, die Auswirkungen von Handelsliberalisierungen auf beide Geschlechter zu untersuchen. Dabei gilt es, die noch immer ganz unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen mitzuberücksichtigen wie den ungleichen Zugang zu Land und zu Krediten, den ungleichen Bildungsgrad, ungleich starke Belastungen durch Familienverpflichtungen etc.
Transparente, partizipative Bestandesaufnahme
Die Bestandesaufnahme muss in einem möglichst transparenten, partizipatorischen Prozess und unter Einbeziehung unabhängiger Expertisen durchgeführt werden. Die Regierungen müssen Wege und Verfahren suchen, um sowohl die betreffenden internationalen Institutionen als auch auf nationaler Ebene Gewerkschaften, Vertreter sozialer Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen einbeziehen zu können. Auf Regierungsseite müssen in der Schweiz mindestens Vertreterinnen und Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft, des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft und ev. des Bundesamts für Gesundheit vertreten sein und eng zusammen arbeiten.

2. Gleichstellung von Drittweltländern
An den beiden im März 1999 von der WTO durchgeführten Symposien zu «Handel und Umwelt» sowie «Handel und Entwicklung» zeigte sich eine deutliche Kluft zwischen den Anliegen der Industrieländer und denjenigen von südlichen Ländern. Bei letzteren war ein tiefes Misstrauen vorhanden. Während die Regierungen der Industrieländer vor allem für eine weitere Liberalisierungsrunde plädieren und neue Themen verhandeln möchten, und nördliche NGOs sich für Umwelt- und Sozialklauseln in der WTO einsetzen, wehren sich sowohl südliche Regierungen als auch südliche Nichtregierungsorganisationen gegen jegliche weiteren Liberalisierungsschritte, die ihrer Ansicht nach nur dem Norden dienen. Ebenso vehement lehnen viele südliche Regierungen in der WTO verankerte Umwelt- und Sozialklauseln ab.
Bessere Berücksichtigung der Interessen der ärmeren Länder
Das Misstrauen südlicher Länder gilt es ernst zu nehmen, weist es doch hauptsächlich auf die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb der WTO hin. Sind die Entwicklungsländer auch zahlenmässig in der Übermacht, ist ihr Einflussbereich weitaus geringer. Auch wurden bis anhin Zusagen im Landwirtschafts- sowie im Textilsektor, die zwei für südliche Länder grundlegenden Bereiche, nicht eingehalten. Hingegen wurden südlichen Regierungen im Bereich des geistigen Eigentums (TRIPs-Abkommen) - einem für die Industrieländer wichtigen Bereich - massive Konzessionen abverlangt. In den anstehenden Neuverhandlungen des Agrar- und des TRIPs-Abkommens wird es Gelegenheit geben, die Anliegen von Entwicklungsländern ernster zu nehmen.
Schliesslich sind ärmere Länder oft wegen fehlender Ressourcen nicht in der Lage, im internen WTO-Betrieb mithalten und ihre Anliegen entsprechend vertreten zu können.
Neuverhandlungen des Agrarabkommens
Bereits in der Uruguay-Runde wurde beschlossen, die Erfahrungen mit der bisherigen Umsetzung des Agrarabkommens zu evaluieren und im Jahr 2000 neu zu verhandeln. Vom Agrarvertrag versprachen sich die Entwicklungsländer viel: Sie wollten Zugang zu den Märkten der Industriestaaten und sie wollten deren Nahrungsmittel-dumping verhindern.
Die grossen Exporteure von landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere die USA und die EU, betreiben aber weiterhin subventionierte Überproduktion und haben ihre Grenzen für südliche Exporte kaum geöffnet.
Ernährungssicherheit in den Vordergrund
Eine Evaluation des Agrarabkommens muss dazu dienen, die Grundanliegen der Ärmsten ins Zentrum zu stellen, das heisst die Ernährungssicherheit noch deutlicher als bisher zu berücksichtigen. Die WTO-Regeln sollten stärker zwischen Grundnahrungsmitteln, die überwiegend für den Inlandkonsum angebaut werden, und Exportprodukten differenzieren. Für Grundnahrungsmittel sollten von Entwicklungsländern keine weiteren Liberalisierungsschritte verlangt werden. Im Gegenteil: Die erlaubten Stützungsmassnahmen müssen noch erweitert werden. Allgemein verfolgt das Agrarabkommen das Ziel, Exportsubventionen und Stützungsmassnahmen abzubauen. Dabei sollte aber klar unterschieden werden zwischen Subventionen der Industrieländer, die die Weltmärkte verzerren und Subventionen von Entwicklungsländern, die der Ernährungssicherheit dienen.
Arme Länder, in denen ein grosser Anteil der Bevölkerung seinen Lebensunterhalt im Agrarsektor bestreitet und in denen viele an der Armutsgrenze leben, müssen auch sogenannnte «Non Trade Concerns» zur Geltung bringen können. Es sollten alle Massnahmen erlaubt sein, die die Stärkung des Lebensunterhaltes der ländlichen Bauernschaft ermöglichen und die genügend Nahrungsmittel für den inländischen Bedarf sicherstellen. Der Handel ist kein Ziel an sich, sondern er stellt ein Instrument dar, das der Ernährungssicherheit untergeordnet ist. Das Recht auf angemessene Ernährung ist als Teil der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte Bestandteil des Völkerrechts.
Notwendige Massnahmen:
Die Ernährungssicherheit der armen Nahrungsmittel-importierenden Entwicklungsländer muss im zukünftigen WTO-Rahmen verankert und das Menschenrecht auf Nahrung im WTO-Regelwerk garantiert werden.
Weiter unterstützt die Erklärung von Bern die Forderungen der südlichen Nettonahrungsmittelimporteure nach:
weiterem selektiven Marktzugang für Erzeugnisse der Entwicklungsländer auf den Agrarmärkten der Industriestaaten im Rahmen spezieller verbesserter Marktzugangsbedingungen
erhöhte Hilfszahlungen für Nahrungsmittel im Fall steigender Weltmarktpreise
verbesserter Regelung der eigenen Subventionsmöglichkeit ihres Ernährungssektors
Importschutz besonders der ärmsten Länder, um ihre Inlandmärkte vor billigen, gedumpten Überschussprodukten aus dem Norden zu schützen
stärkerem Abbau der nördlichen Exportsubventionen
Beseitigung der Zolleskalation für verarbeitete Produkte
Die anstehenden Neuverhandlungen des Agrarabkommens dürfen unter keinen Umständen in eine allfällige Millenniumrunde integriert werden. Denn dann bestünde die Gefahr, dass den südlichen Anliegen zwar im Agrarbereich stattgegeben würde, um aber von ihnen in anderen Bereichen umso grössere Konzessionen zu verlangen.
Neuverhandlungen des TRIPs-Abkommens, des Abkommens über die Rechte auf handelsbezogenes geistiges Eigentum
So zögerlich die Industrieländer den Interessen südlicher Länder im Landwirtschaftsbereich entgegenkamen, umso forscher setzten und setzen sie ihre eigenen Interessen durch, wie das Beispiel des TRIPs-Abkommens deutlich macht. Auch dieses Abkommen wird - so wurde es in der Uruguay-Runde beschlossen - im Laufe des Jahres 1999 nochmals neu verhandelt.
Mit dem TRIPS-Abkommen (über die Rechte auf handelsbezogenes geistiges Eigentum) verpflichtet die WTO die Mitgliedstaaten, technologischen Erfindungen während mindestens 20 Jahren Patentschutz zu gewähren. Dies bedingt ein ganzes Set neuer Gesetze und enormen administrativen Aufwand. Wenige Länder haben sowohl die Kapazität als auch die ökonomischen Ressourcen, dies innert der gesetzten Zeit auszuführen.
Mit dem TRIPs-Abkommen haben die Länder des Südens nicht mehr die Möglichkeit, die von anderen geschaffenen Techniken nachzuahmen oder anzupassen.
Die Ausweitung des Erfindungsschutzes auf lebende Organismen war eines der umstrittensten Themen bei den Verhandlungen der Uruguay-Runde. Als Kompromiss müssen Mikroorganismen und mikrobiologische und technische Verfahren patentiert werden können, aber das Abkommen verpflichtet nicht allgemein dazu, Pflanzen und Tiere sowie natürliche Verfahren zu patentieren (Art. 27,3b). Hingegen wurde vereinbart, den Schutz der Pflanzenarten entweder durch Patente oder durch ein wirksames System eigener Art («sui generis») vorzusehen. Würden die Neuverhandlungen des TRIPs-Abkommens in eine allfällige Millenniumrunde integriert, wäre zu erwarten, dass die Entwicklungsländer enorm unter Druck gerieten, den Artikel 27.3b, der Pflanzen und Tiere von der Patentierung ausnimmt, ganz wegzulassen. Die Folge wäre, dass alle Lebewesen patentiert werden müssten. Die USA hat bereits angekündigt, dass sie das «sui generis»-System beseitigen will. Dies würde die Biotechnologieindustrie befähigen, genetische Ressourcen patentieren zu lassen, ohne das indigene Wissen der Entwicklungsländer zu berücksichtigen und abzugelten.
Notwendige Massnahmen:
Die Erklärung von Bern fordert die Schweiz auf, sich bei den anstehenden TRIPs-Verhandlungen für ein südlichen Ländern gemässeres TRIPs-Abkommen einzusetzen. Das heisst:
den Artikel 27.3b, der Tiere und Pflanzen von der Patentierung ausnimmt, in seiner Form zu belassen
die Rechte der Bäuerinnen und Bauern (Farmer's Right) auf ihr Land und das Saatgut zu garantieren und im TRIPs-Abkommen anzuerkennen
die Rechte der indigenen Völker auf ihre eigenen Ressourcen zu sichern, indem der Biodiversitätskonvention den Vorrang über das TRIPs-Abkommen eingeräumt wird
Bindende Regel zu erlassen, die die Abgeltung des indigenen Wissens regeln
kürzere Perioden des Patentschutzes zu gewähren
die ärmsten Länder vom TRIPs-Abkommen auszunehmen
Massive personelle Unterdotierung und fehlende technische Kapazitäten
Ein anerkanntes, aber nicht gelöstes Problem sind die unterschiedlichen Kapazitäten, die die einzelnen Länder zur Verfügung haben, um in der WTO mitzuwirken. Die Vertretungen vor allem der ärmeren Entwicklungsländer in Genf sind mangels Personal nie in der Lage, allen für sie relevanten Diskussionsprozessen in der WTO zu folgen. So beschäftigen zum Beispiel nur drei Missionen der ärmsten Länder eine speziell für Agrarhandelsfragen zuständige Person in ihren ständigen Vertretungen in Genf. Die Vertretungen der anderen (afrikanischen) Länder sind so klein, dass sie nur eine Person für beide sich in Genf befindenden Handelsorganisationen (WTO/UNCTAD) beschäftigen. Durch diese Unterdotierung besteht ein grosses Informationsdefizit in den einzelnen Bereichen. Dieses wird verstärkt durch die Unmöglichkeit, an der Vielzahl der Ausschusssitzungen und Arbeitsgruppen teilzunehmen. Überdies werden von den zahlreichen informellen Treffen keine Protokolle veröffentlicht. Ein ähnliches Problem stellt sich bei den Streitschlichtungs- und Anti-Dumping-Verfahren. Vielen Entwicklungsländern fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen, um die komplexe Beweisführung in den WTO-Gremien adäquat vorzubereiten. Die ärmsten Länder nehmen denn auch selten den Streitschlichtungsmechanismus in Anspruch.
Notwendige Massnahmen:
Die Schweiz soll darauf hinwirken, dass im WTO-Generalrat einfachere und transparentere Verfahren ausgearbeitet werden
Wichtige Entscheidungen sollten ausschliesslich in den formellen Gremien diskutiert und vorbereitet werden
Den ärmsten Entwicklungsländern müssen von den reicheren Ländern weitaus mehr Mittel bereitgestellt werden, damit diese arbeitsfähige Delegationen in Genf unterhalten können
Der offiziell diskutierte Vorschlag, einen «Rechtbeistand» für Entwicklungsländer in Streitschlichtungsverfahren einzurichten, sollte rasch realisiert werden
Wenn es nicht gelingt, die Bedürfnisse und Interessen von Entwicklungsländern besser zu integrieren, kann die WTO ihrem Anspruch, ein multilaterales Regelwerk zu sein, in keiner Weise nachkommen. Die ungleichen Machtverhältnisse verunmöglichen es überdies, gemeinsam Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung zu suchen.

3. Integration von Umweltanliegen
Bis anhin war es sehr schwierig, Umweltanliegen in die WTO-Regeln zu integrieren. Noch weitgehend ungeklärt ist das Verhältnis zwischen WTO-Regeln und internationalen Umweltkonventionen. Ebenso ungeklärt ist, inwiefern regionale und nationale Umweltregulierungen Importbeschränkungen beinhalten können. Wie Panel-Entscheide der Streitschlichtung zeigten, wurde bisher zuungunsten solcher Umweltregelungen entschieden. Viele südliche Regierungen und auch einige südliche Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass Umweltargumente in Form von grünem Protektionismus vorgeschoben werden könnten. Tatsächlich haben Industrieländer, wie dies der «Crevetten-Fall» exemplarisch zutage brachte, Importverbote verhängt, ohne Bemühungen zu zeigen, eine ökologischere Lösung zu suchen. Dennoch besteht grundsätzlich ein Bedarf für die Integration von Umweltanliegen in den internationalen Handel.
Notwendige Massnahmen:
Das Verhältnis zwischen WTO-Regeln und Umweltkonventionen ist dringend zu klären. Im Konfliktfall ist den Umweltkonventionen den Vorrang einzuräumen
Industrieländer sollen ärmeren Ländern gegenüber nicht voreilig Importverbote verhängen. Vielmehr sollen sie in erster Linie technische und finanzielle Unterstützung zur Verfügung stellen, um Verbesserungen in umweltgerechten Herstellungsverfahren zu erreichen
Die Vernetzung von Binnenmärkten soll von den Regierungen gefördert werden
Die Regierungen der Industrieländer sollen im eigenen Land Bemühungen unterstützen, die darauf hinzielen, die Bevölkerung zum Kauf von umwelt- und sozialgerechteren (siehe nächster Abschnitt) Produkten zu ermuntern

4. Beachtung der sozialen Rechte
Ein liberalisierter Welthandel ohne Umwelt- und Sozialregeln kann in einzelnen Sektoren zu einem gnadenlosen Unterbietungswettbewerb führen. Die Produktion wird dann in Länder mit den tiefsten Umweltregeln und dem schlechtesten Schutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlegt. Es ist beunruhigend, dass der Wettbewerb um Arbeitsplätze besonders in den Entwicklungsländern die Zahl der sogenannten Exportproduktionszonen erhöht, in denen die grundlegendsten Menschenrechte verletzt werden. Einen grossen Teil dieser Produktion leisten Frauen und Kinder.
Zu diesem Zeitpunkt sprechen sich sowohl südliche Regierungen als auch einige südliche Nichtregierungsorganisationen gegen Sozialklauseln in der WTO aus. Sie befürchten, dass die Regierungen der reichen Länder solche Klauseln aus rein protektionistischen oder politischen Gründen missbrauchen, um Exporte aus missliebigen Ländern zu unterdrücken. Sie argumentieren, dass billige Arbeitskräfte die einzige Chance vieler Länder bieten, sich einen Anteil des Weltmarktes zu sichern. Eine solche Argumentation ist vielleicht von einem lokalen Standpunkt aus verständlich, sie macht aber ebenso deutlich, dass dringend Lösungen gesucht werden müssen, um die Aushöhlung der sozialen Rechte zu unterbinden. Liberalisierung darf nicht auf Kosten der grundlegendsten Arbeitsrechte vorangetrieben werden.
Das Thema der Sozialnormen ist ein heikles Thema, das noch einer vertieften Auseinandersetzung bedarf.
Notwendige Massnahmen:
In vertieften Diskussionen sowohl innerhalb der WTO als auch mit der ILO und mit Nichtregierungsorganisationen sollen konkrete Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit beispielsweise zwischen ILO und WTO gesucht werden
Auch im sozialen Bereich sollten gegenüber Entwicklungsländern nicht in erster Linie Sanktionen ausgesprochen, sondern vielmehr Anreize geschaffen und Unterstützung geboten werden, damit gerechtere Arbeitsbedingungen zu einer positiven Konkurrenz anregen können

5. Neues Verhältnis der WTO zum UN-System...
Die WTO hat mit ihrem Streitschlichtungsverfahren und durch das Instrument der Handelssanktionen vergleichsweise effiziente Mittel, um die Einhaltung der Handelsverpflichtungen durchzusetzen. Im Gegensatz dazu besitzen die internationalen Organisationen und Konventionen, deren unmittelbares Ziel die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ist, nur sehr geringe Durchsetzungskraft. Einige Institutionen wie das UN-Umweltprogramm und die Kommission für nachhaltige Entwicklung können keine völkerrechtlich bindenden Entscheidungen treffen. Anderen, wie dem Hochkommissariat für Menschenrechte, der Internationalen Arbeitsorganisation oder den Biodiversitäts- und Klimaschutzkonventionen mangelt es an Instrumenten, ihre Bestimmungen durchzusetzen. Damit wird dem Freihandel ein höherer Rang im internationalen System eingeräumt als der nachhaltigen Entwicklung.
Notwendige Massnahmen:
Das Ungleichgewicht zwischen dem Recht auf Freihandel und den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung muss durch die Stärkung der Durchsetzungsmechanismen der UN-Organisationen umgekehrt werden
In Fällen, wo es zu Konflikten zwischen den WTO-Regeln und Nachhaltigkeitszielen kommt, muss die WTO zur Zusammenarbeit mit den relevanten UN-Organisationen verpflichtet werden
Handelsliberalisierung hat sich den Zielen der nachhaltigen Entwicklung unterzuordnen, denn Handel kann ein Instrument, aber kein Ziel an sich sein.
...und zur Zivilgesellschaft
Die WTO-Verträge greifen massiv in die Gesetzgebungskompetenz der nationalen Parlamente ein. Gleichzeitig sind Parlamente und gesellschaftliche Gruppen an der Aushandlung der Verträge nicht beteiligt und nur unzureichend darüber informiert. Die Ergebnisse der Regierungsverhandlungen können nur noch als ganzes Paket ratifiziert werden. Eine parlamentarische Kontrolle der komplexen Verhandlungen ist so kaum möglich.
Ähnliches gilt für die Streitschlichtungsverfahren, in denen von Regierungen entsandte Experten über die Auslegung der WTO-Verträge und die Zulässigkeit handelspolitischer Massnahmen entscheiden. Dabei werden nur die Ergebnisse der Beratungen veröffentlicht. Die von der verhandelten Politik betroffenen Gruppen wie Gewerkschaften, Umweltverbände, Bauernorganisationen, Frauenorganisationen haben kaum Möglichkeiten, ihre Anliegen vorzubringen.
Die bisherige Informationspolitik der Schweizer Regierung und des Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) fand vorwiegend in Kommissionen statt, die wenigen Insiderinnen und Insidern offen stehen. Die Folge ist, dass sich besonders in der Schweiz wenige angesprochen fühlen, sich mit der komplexen Materie zu befassen.
Notwendige Massnahmen:
Die Politik sowohl der WTO als auch der Schweizer Regierung muss transparenter werden
Aktive Beteiligungsmöglichkeiten müssen in die Entscheidungsprozesse eingebaut werden
Die Dokumente über die laufenden Entscheide und Diskussionen sollen öffentlich zugänglich gemacht werden
Die Schweizer Regierung soll Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie Nichtregierungsorganisationen frühzeitig, regelmässig, offen und verständlich über den Stand der Verhandlungen orientieren
Im Streitschlichtungsverfahren soll der Beibezug von Expertinnen und Experten aus Nichtregierungsorganisationen geprüft werden

Zusammenfassung:
«Die WTO kann nicht alle Probleme dieser Welt lösen», meinte kürzlich eine Vertreterin des Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Tatsächlich kann die Welthandelsorganisation den unterschiedlichen Ansprüchen, die Armut zu beseitigen, die sozialen Verhältnisse zu verändern, die Umwelt zu schützen und die Geschlechterbeziehungen zu verbessern, niemals nachkommen. Die WTO-Regeln sollen aber mindestens dazu beitragen, dass sich die bestehenden Verhältnisse auf keinen Fall verschlechtern. Grundlegende Mängel und Versäumnisse sind darum zu beheben:
1. Anstatt im grösstmöglichen Tempo neue Bereiche in die WTO zu integrieren und zu liberalisieren, sollen zuerst die Auswirkungen der in der Uruguay-Runde ausgehandelten Abkommen in einem transparenten, unabhängigen und partizipativen Prozess und mit unterschiedlichen Institutionen und Organisationen untersucht werden. Für die einzelnen Länderberichte sollen umfassendere, sich der Nachhaltigkeit verpflichtende Kriterien aufgestellt werden.
2. Die Bedürfnisse und Interessen von südlichen Ländern müssen dringend besser berücksichtigt werden. Insbesondere müssen Ernährungsziele im Agrarbereich im Vordergrund stehen. Die finanzielle und technische Unterstützung für ärmere Länder muss erhöht werden, damit diese in der WTO gleichberechtigter mitwirken können.
3. Umweltanliegen sind im Konfliktfall höher zu gewichten als Freihandelsargumente
4. In Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, beispielsweise der ILO, sollen gemeinsame Lösungen gesucht werden, wie Sozialnormen im Welthandel verankert werden könnten.
5. Die WTO muss transparenter werden und eine aktive Partizipation von Parlamentsabgeordneten und Nichtregierungsorganisationen zulassen. Ebenfalls muss die WTO eine Zusammenarbeit mit UN-Organisationen suchen.

http://www.evb.ch/wto_positionspapier.htm

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