Kein Mensch ist illegal wie alles begonnen hat: Grundsätzliche Idee, Erwartungen der InitiatorInnen, Ziele
von Marion Kremla
Rückblickend ist es oft schwer zu sagen, wann der erste lose Gedanke ausgesprochen wurde, aus dem schließlich ein konkretes Projekt erwachsen ist. Und sicher war es nicht ein einziger zündender Gedanke, sondern eine breite Palette an Erfahrungen und Ideen, die zum "probier´ma des mit der Kampagne" führten.
Der kreative Frust
Vorläufer in diesem Sinne sind die zahlreichen Fallbesprechungen der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, an deren Ende zu oft die Erkenntnis stand, daß eine Beratungsstelle für abgelehnte AsylwerberInnen und illegal Eingereiste nichts mehr tun kann zumindest nicht auf der Ebene der Rechtsmittel.
Im Einzelfall nichts mehr tun zu können erfordert eine Verlagerung auf die Ebene grundsätzlicher Fragen, erfordert Aktivitäten, die über tendenziell ergebnislose PilgerInnenfahrten zum Innenministerium hinausgehen, erfordert mediale Aufmerksamkeit im Sinn einer Gegenöffentlichkeit. Am gut eingebetteten Verständnis von illegalisiertem Aufenthalt als individuellem Verschulden der Betroffenen zu rütteln, bedeutet den langsamen und mühsamen Abbau der Bilder der "vom Staat ausg´haltenen Illegalen", der "afrikanischen Drogendealer" und der "rumänischen Räuberbanden", um nur die gängigsten Klischees aufzulisten.
Die guten Vorsätze, "mehr" in diese Richtung zu arbeiten, wurden oft beim nächsten Plenum bereits wieder verunmöglicht - durch weitere dringende Einzelfälle, durch existentielle Finanzprobleme, kurz: noch vor der Frage nach dem "Wie ?" blieben die Fragen nach "Wer?", "Wann?" und "mit welchem Geld?" ungelöst.
Österreich und anderswo
Dieses Dilemma verband sich mit staunendem Schielen nach Frankreich, zur Bewegung der sans-papiers und nach Deutschland, wo ebenfalls etwas im Gange zu sein schien, die Kampagne "Kein Mensch ist illegal". Tolle Sache, aber wie soll das gehen, was ist das überhaupt genau, und, naja, in Österreich.... .
Während wir weiter nach Perspektiven für abgelehnte AsylwerberInnen suchten, unsere Statistik errechneten und dabei größtenteils auf Illegalisierte stießen, entschied der UNHCR (UN- Flüchtlingshochkommisariat), einen Preis für die Arbeit mit illegalisierten Schutzbedürftigen auszuschreiben und von mehreren Organisationen, die sich darum beworben hatten, schließlich uns 1998 damit auszuzeichnen. Der Preis bedeutete nicht nur, daß nun das klaffende Finanzierungsloch für das vergangene Jahr geschlossen war, sondern auch plötzliche Öffentlichkeit für ein tabuisiertes Thema und Anerkennung für eine unbekannte Beratungsstelle namens Deserteurs- und Flüchtlingsberatung.
Es keimte Hoffnung, an der Tatsache, daß ein Engagement für Illegalisierte nun als preiswürdig befunden wurde, anknüpfen zu können und neue Akzente im Diskurs über Illegalisierte setzen zu können. Die Chance dazu bot sich schließlich in der Ausschreibung für im Rahmen des Menschenrechtsjahres geförderte Projekte.
Als Kriterien für die Förderungswürdigkeit der eingereichten Projekte wurden vor allem Öffentlichkeitswirksamkeit und Nachhaltigkeit betont, als Ziel die Bedeutung der Menschenrechte in der Öffentlichkeit tiefer zu verankern. An diesem Punkt flossen - bildlich gesprochen - der Wunsch, über den Einzelfall hinausgehend zu arbeiten und die Erfahrungen der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung in Sachen Illegalisierung zusammen und mündeten nach Gesprächen mit anderen NGOs in einen Projektantrag. Vorgeschlagen zur Förderung wurde eine Kampagne zu den Menschenrechten Illegalisierter, d.h. ein halbes Jahr lang sollte mit verschiedenen Aktionen und Methoden auf die theoretische Existenz und faktische Verweigerung der grundlegenden Rechte illegalisiert in Österreich lebender Menschen hingewiesen werden.
Die Initiierung und Koordination der Kampagne würde für ein halbes Jahr die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung übernehmen. Im Jänner erfuhren wir, daß von den beantragten 400.000 öS für das Gesamtprojekt nur 250.000 öS bewilligt wurden, von dieser Summe sollten einerseits eine Koordinationskraft und ein Mensch für die Pressearbeit auf Werkvertragsbasis, sowie die für die eingereichten Projekte notwendigen Materialien bezahlt werden.
Neben den relativ genau ausgearbeiteten Teilprojekten enthält der Projektantrag auch explizit die Absicht, daß über den Projektzeitraum von einem halben Jahr hinaus, "etwas" entstehen sollte, eine Bewegung, eine weiterarbeitende Gruppe oder ein Netzwerk, unabhängig von der Koordination durch die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung.
Ziele und Aussagen
Menschenrechte sind ein weitgefaßter Begriff. Hinzuweisen auf die Existenz der Menschenrechte für Illegalisierte könnte bedeuten, eine Selbstverständlichkeit, nämlich, daß "illegal" = keine Rechte mehr haben, abzulösen durch eine lang vergessene Selbstverständlichkeit: daß ein Mensch, egal ob mit oder ohne Aufenthaltstitel, Mensch bleibt und mit den damit verbundenen Rechten als solcher zu behandeln ist
Es bedeutet, Denkanstöße zum Begriff Illegalität zu geben und Interesse für die Frage wecken, warum manche (können wir denn wirklich von "vielen" sprechen, angesichts der Migrationsströme in Asien und Afrika?) nach Österreich kommen. Aufzeigen wollten wir, wie grotesk die Gründe sind, illegalisiert zu werden und wie fundamental das Verdikt "illegal" das Leben einschränkt.
Das ambitionierte Ziel war es, nicht nur Bestätigung bei der Thematik aufgeschlossen gegenüberstehenden Bevölkerungskreisen, - in etwa: urban, gebildet, jung sondern auch die Skeptischen und Ablehnenden, die BewohnerInnen der Grenzgebiete und Ältere zu erreichen.
Wenn auch gegen die Angst um die eigenen Privilegien oder um Arbeitsplätze mit reiner Information kaum anzugehen ist, so besteht doch die Möglichkeit, daß durch einen Blick auf die Lebensbedingungen und Lebensgeschichte Illegalisierter ein kurzer Perspektivenwechsel gelingt.
Eine grundlegende Botschaft der Kampagne ist, daß "illegal" nicht etwas Wesenhaftes ist, keine Eigenschaft und auch keine moralische Kategorie. Der unsichtbare Stempel "illegal" prägt einen Menschen zwar die Gedanken, Gefühle, vor allem seine Perspektiven aber es macht keinen anderen Menschen aus ihr oder ihm.
Hoffnungen dahinter
Die Ziele in Projekte, in Methoden und Materialien zu übersetzen, ist das eine wie die Kampagne sich weiterentwickelt das andere. Dezidiert als Ziel festgehalten war es auch, "Betroffene" selbst einzubinden. Angesichts eines Vorhabens, das budgetär und inhaltlich einigermaßen an einen Projetkantrag gebunden ist, ergibt sich daraus freilich das Dilemma, daß Einbindung dabei nur begrenzt Mitbestimmung beinhalten kann. Denn, was gemäß Projektantrag getan werden muß Plakate, Infostände, Forumtheater etc.. - ist vorgegeben. Das birgt die Gefahr, daß die "Betroffenen", d.h. derzeit oder vormals Illegalisierte vor allen ihren Fähigkeiten und Interessen in ihrer Eigenschaft als "Betroffene" gefragt sind.
Die Schere zwischen einem feststehenden "Was" und offenem "Wie" und "Wer" kennzeichnete die Schwierigkeiten und gleichzeitig auch das Potential der Kampagne. Die Schwierigkeiten beim Lavieren zwischen Offenheit und zu erfüllenden Vorgaben beschränkten sich nicht nur auf die Partizipation Illegalisierter, sondern auf die Partizipation anderer generell: gute Ideen anderer Organisationen sind willkommen aber leider nicht finanzierbar, weil das Budget relativ fix verplant ist; Diskussionen über Inhalte und Strategie der Kampagne sind ebenfalls erwünscht doch läßt sich das einmal beantragte und bewilligte Pferd nicht nochmals von hinten aufzäumen.
So stand am Anfang die Kunst des Spagats zwischen Offenheit und Vorgaben, zwischen Angewiesenheit auf die Mitarbeit anderer und Alleinverantwortlichkeit für die Abrechnung.
Am Anfang standen auch 700 Einladungen an Organisationen und Personen unterschiedlichster politischer Orientierung. Wer der Einladung zum ersten Treffen folgen würde, war unvorhersehbar. Der Gang zur Post, den Stapel Einladungen im Gepäck war der erste Schritt zu einer Dynamik zwischen Steuerung und freier Entwicklung, aus deren verschiedenen Komponenten letztlich eine selbständige Bewegung erwachsen sollte - über ein halbes Jahr hinaus.
Für
eine Welt ohne Rassismus |