Briefe aus der U-Haft

Anfang März erhielt der AUGUSTIN neuerlich einen Brief des Untersuchungshäftlings Emmanuel Chukujekwu (siehe auch AUGUSTIN Nr. 50, Februar 2000) über die Bedingungen seiner Haft. Dem Nigerianer - so meint sein Anwalt - kommt gemeinsam mit anderen Betroffenen die fragwürdige "Ehre" zuteil, zu einem Unsicherheitsfaktor ersten Ranges erklärt worden zu sein. Eine mehrjährige Haftstrafe droht. Menschenrechtsgruppen sprechen - angesichts andauernder Repressionen gegen in Wien lebende AfrikanerInnen - von einer rassistisch motivierten Drogendealer-Paranoia in unserem Land.


1. Brief
"Es begann eines Tages und es wird eines Tages enden."
Dr. Martin Luther King

Ich schätze alle Ihre Anstrengungen, unsere Probleme in der Außenwelt bekannt zu machen, die im Zusammenhang mit unserer Haft in Österreichs Gefängnissen stehen. Das Leben in österreichischen Gefängnissen gerät zunehmend außer Kontrolle, was die Art unserer Behandlung betrifft. Der Zustand ist entsetzlich für die Inhaftierten. Das Essen ist entweder zu wenig oder nicht essbar. Morgens gibt man uns Brot und eine Schale Tee. Zwischen 10.30 Uhr und 11 Uhr gibt man uns Mittagessen, das nicht einmal für ein Kind ausreichen würde. Um 14 Uhr herum bekommen wir entweder Käse oder Butter oder Suppe als "Abendessen" - und das ist alles für den Rest des Tages. Niemand kann den Gefängnisaufenthalt überleben, ohne extra Geld zu haben. Ich bewarb mich für eine Arbeit hier, gleich in der ersten Woche meiner Haft, aber bis heute habe ich keine bekommen und die einzige Antwort, die ich erhalte, ist: der Untersuchungsrichter hat angeordnet, dass ich keine Arbeit erhalten soll. Ich habe mich daraufhin bei der sogenannten Regierungsgruppe beschwert, sie besucht uns jede Woche. Mein einziger Schutz ist die Integrität einer Menschenrechtsorganisation, die mir manchmal Geld schickt, damit ich überleben kann. Die Ärzte sind auch nicht hilfsbereit. Du mußt dich zwei Wochen lang über deine Krankheit beschweren, bevor dich einer untersucht. Wir dürfen nur für 40 bis 50 Minuten pro Tag raus aus unserer Zelle. Wir sind zu viert in einer Zelle, die für zwei gerade passend wäre. Ich benütze diese Gelegenheit, um an die zuständige Behörde zu appellieren, uns zu besuchen und diese Zustände zu ändern.

Emmanuel Chukwujekwu


2. Brief

Mein Name ist Emmanuel Chukwujekwu. Geboren wurde ich am 27. Mai 1967 in einer wohlhabenden Familie. Mein Vater war ein sehr reicher Mann. Ich wuchs ohne jede Entbehrung auf. Ich erreichte einen Ausbildungsstand, der mich in eine Welt entließ, die mir zu groß war, um sie zu verstehen. Man sagt, dass mein Vater seinen Reichtum durch die Mitgliedschaft bei der "Ogboni"-Bruderschaft erworben hatte, in die ich automatisch durch meine Geburt ebenfalls aufgenommen wurde. Ich war also Mitglied dieser Bruderschaft, bis ich das Alter erreichte, in dem ich rechts von links unterscheiden konnte. Mein Problem begann, als ich anfing, meinen Vater zu fragen, warum ich diesem Kult angehören sollte, an den ich nie glaubte und den ich nie akzeptierte. Ich entschloss mich, mich von den Aktivitäten dieser Sekte zu lösen, nachdem ich unter so vielen mystischen und diabolischen Ritualen dieses Kults litt. Ich konfrontierte meinen Vater damit. Ich lehnte alles, was mit dieser Bruderschaft zu tun hatte, ab. Das führte zu einem Zerwürfnis zwischen mir und meinem Vater bezüglich aller Punkte - über die hier nicht reden möchte. Unglücklicherweise starb mein Vater; ich wurde von der Polizei verhaftet und verhört, weil sie draufkamen, dass ich mit meinem Vater vor dessen Tod zerstritten war. Man warf mir vor, meinen Vater umgebracht zu haben, und ich wurde dafür verurteilt. Die Mitglieder der Sekte entschieden, dass auch ich sterben müsse. Später gelang es meinem Onkel, mich gegen Kaution frei zu bekommen. Er plante meine Flucht, weil es in Nigeria keinen Ort gab, wo ich mich hätte verstecken können. Ich kam am 25. Juni 1998 nach Österreich, um den Rest meines Lebens in Frieden zu leben. Ich fürchte mich vor dem Tod. Ich kam hierher im Glauben, dass ich hier sicher sei. Ich möchte überhaupt nichts vom Reichtum meines Vaters - ich werde auch nie nach Nigeria zurückkehren, außer man zwingt mich mit Polizeigewalt dazu. Ich möchte heiraten und Kinder haben. Ich möchte mir hier mein Leben aufbauen und meinen Kindern die beste Erziehung zukommen lassen.

Am 27. Mai wurde ich von der österreichischen Polizei verhaftet. Man verdächtigt mich, mit irgendeiner kriminellen Organisation zu tun zu haben. Ich hatte nie etwas zu tun mit solchen Aktivitäten, seit ich geboren bin. Man spricht mir meine Rechte als Mensch ab. Man behandelt mich ohne dass ich mich rechtfertigen kann. Man spricht mir meine Freiheit ab und hat keinen Grund dafür. Ich glaube, ich oder "die Ausländer" werden als politisches Werkzeug verwendet, damit einige Leute ihren politischen Ehrgeiz befriedigen können. Ich fühle, dass mir meine Menschenrechte abgesprochen werden. Den Verstoß gegen die Menschenrechte, wie in meinem Fall, kann man nicht genug betonen: Warum hält man mich so lange im Gefängnis fest? Ich werde hier schon seit sieben Monaten festgehalten, ohne dass es eine konkrete Beschuldigung gibt. Die österreichische Fremdenpolitik war immer doppeldeutig. Ihr Ziel ist, die Ausländer zu deportieren, ohne sich um ihr Leben Gedanken zu machen. Ich ergreife diese Möglichkeit, an die internationale Gemeinschaft zu appellieren, gegen die Misshandlung von Fremden zu intervenieren. Was meinen Fall betrifft, sollte es internationale Beobachter geben, gleichgültig, ob ich Ausländer bin oder nicht. Die UNO sollte auf die Menschenrechtsverletzungen in Österreich aufmerksam werden und versuchen, sie zu minimieren. Ich möchte, dass man mich mit Respekt behandelt und mein Problem wahrnimmt. Die Rückkehr nach Nigeria wäre für mich ein Todesurteil. Ich habe mich immer gefürchtet, zurückgeschickt zu werden. Ich will lieber hier sterben als in den Händen entweder der Polizei oder der Ogboni-Mitglieder, die auch hohe Militär- und Regierungsämter innehaben. Nigeria ist nicht ein Land, wo die Regierung Sicherheit für ihre Bürger gewährleisten kann. In den 38 Jahren Unabhän- i gigkeit gab es nur zehn Jahre Zivilregierung. Das Militär hat eine Reihe von Putschen durchgeführt und soviel Macht behalten, dass es immer noch das Land prägen kann. Übrigens waren die zehn Jahre Zivilregierung sogar noch schlimmer in Bezug auf Menschenrechte. Ich möchte gerne einen Daueraufenthalt in Österreich erreichen, damit ich den Rest meines Lebens mit meiner Familie verbringen kann. Im Moment werde ich von allen Menschen isoliert. Ich möchte Freunde finden außerhalb des Gefängnisses, denen ich schreiben kann, dass sie mich besuchen sollen. Die internationale Gemeinschaft sollte auch in österreichischen Gefängnissen bei der Behandlung von Ausländern eingreifen und die Gerichtsverhandlungen beobachten. Das, glaube ich, wäre ein Schritt in Richtung Gleichbehandlung und fairer Rechtsausübung.

Emmanuel Chukwujekwu


3. Brief

Ich habe einen Traum

Ich rede von der friedlichen Demonstration, an der ich teilnahm.
Als Nigerianer, der in Österreich Asyl suchte, begab ich mich zusammen mit vielen andren Menschen auf die Straßen Wiens. Der Anlass unserer Demonstration war der Tod von Marcus Omofuma, den die Polizei, die ihn nach Nigeria deportieren sollte, an Armen und Beinen gefesselt und mit einem Klebeband geknebelt hatte. Wegen dieser inhumanen Behandlung, die ihm angetan wurde, starb Marcus während eines Flugaufenthaltes in Sofia. Omofumas Tod hatte zur Folge, dass viele Menschen in Wien, weiße und schwarze, laut ihre Stimme gegen die unmenschliche Behandlung hilfloser Bürger erhoben.
Wenige Wochen später wurde ich, gemeinsam mit anderen schwarzen Brüdern, verhaftet und im Untersuchungsgefängnis festgehalten. Und zwar seit dem 27.Mai 1999. Tage später rief mich der Untersuchungsrichter zu sich und gab mir ein Papier. Er beschuldigte mich, der Chef einer kriminellen Organisation zu sein, einer Organisation von über 80 Leuten. Ich halte an meiner Unschuld fest, denn ich weiß, dass ich für politische Zwecke missbraucht werde.
In diesem Jahr im Gefängnis habe ich verschiedene Dinge und Menschen gesehen. Schwere Kriminelle und Leute wie ich, die aus keinen anderen als aus politischen Gründen zerstört werden. Manchmal verwenden sogar die Leute, die unsere Wachen sein sollen, eine rassistische und verletzende Sprache, wenn sie mit uns sprechen.
Ich habe schriftlich und mündlich um eine Beschäftigung im Gefängnis ersucht. Jedoch während andere Leute schon in der Woche nach ihrer Inhaftierung Arbeit finden, bekomme ich von den Verantwortlichen nur zu hören, dass es eine Anordnung des Richters sei, dass ich keine Arbeit erhalten soll, nicht einmal als Hausarbeiter - das sind Leute, die in den Stockwerken das Essen ausgeben. Ich weiß nicht, warum ich keine Arbeit erhalten soll.
In meinem Stock bin ich der einzige Schwarze, der mit der "Operation Spring" in Zusammenhang gebracht wird.
Ich wurde meiner Rechte beraubt und habe keine Möglichkeit, Geld von draußen zu bekommen, um mich mit Nahrungsmitteln auszustatten. Es ist nicht einfach, mit dem Essen hier zu überleben. Wir bekommen einen Becher Tee und Brot in der Früh, am Nachmittag einen halben Teller Kotelett mit Kartoffeln, manchmal Spaghetti oder Reis, und abends manchmal einen Teller Suppe oder wieder Tee. Ohne Geld von draußen kann man hier kaum überleben..
Ich bekomme hier keine Besuche, und das seit acht Monaten. Die einzigen Besuche, die ich früher bekam, waren von der GEMMI (Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und MigrantInnen) und diese sind ohne Angaben von Gründen verboten worden. Ich erkundigte mich warum, und mir wurde gesagt, dass der Untersuchungsrichter diese Anordnung gegeben hätte.
Die sozialen Umstände im Gefängnis sind so, dass man davon lieber nicht nachhause schreibt. Wir sind 23 Stunden im Zimmer eingesperrt und werden für eine Stunde am Tag in einen "Hof" gebracht. Waschen dürfen wir uns nur zweimal die Woche. Ich darf außerhalb meines Stocks nichts tun, wie Übungen oder Sport. Also lese ich normalerweise den ganzen Tag und schlafe gegen 22 Uhr, wenn das Licht ausgeschalten wird.
Die Situation im Gefängnis ist furchtbar, niemand kann das ohne die Gnade Gottes durchstehen. Trotz dieser ganzen Unterdrückung werde ich niemals aufgeben, meine Unschuld zu beteuern. Eines Tages werde ich rehabilitiert sein. Ich verstehe mich als politischer Gefangener in einem politischen Gefängnis, doch den Geist kann man nicht einsperren.
Wie Dr. Martin Luther King Jr. sagte: "Es war der Anfang, von etwas und das Ende, viele Menschen waren davon betroffen und Millionen sahen am Fernseher zu lasen in Zeitungen oder kauerten vor den Radios. Das war bis dato noch nie dagewesen und es wird niemals wieder so sein. Ein Fernsehzuschauer, ein Sonntagsschul-Picknick, eine politische Versammlung, eine eindrucksvolle Demonstration von fremder Einheit, ein sichtbares Zeichen von rassenübergreifender Einigkeit.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages meine schwarzen Brüder in einem Land leben, in dem sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden."

Emmanuel Chukwujekwu

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Augustin

Augustin, Februar 2000, Nummer 50, Seite 32

http://www.augustin.bus.at

Übernommen von http://www.derive.cjb.net/


Für eine Welt ohne Rassismus
[www.no-racism.net]