"Eine furchtbar hoffnungslose Situation"
Interview (Volksstimme Nr. 21/2000)

Über die "Operation Spring" und ihre Folgen: rassistisch motivierte Prozeßführungen, erschwerte Haftbedingungen und Todesfälle. V., Mo. und Ma. von der GEMMI im Gespräch.

Nach der "Operation Spring" im Mai 1999 gründete sich GEMMI – Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und ImmigrantInnen, die sich um die afrikanischen Untersuchungshäftlinge politisch, finanziell und persönlich kümmert.


Volksstimme: Wie verlaufen die Prozesse?

V: Das Gericht hat mit Hilfe anonymer Zeugen ein Organigramm erstellt, nach dem jetzt geurteilt wird. Der Richter sagt dann, aha, mit dem waren Sie einmal etwas trinken, der ist aber bereits als Drogenboß verurteilt, also sind Sie wohl auch ein Drogenboß. Angefangen haben sie mit den kleineren Dealern, jetzt sind sie bei den großen Prozessen, die fünf Tage dauern und wo sehr hohe Strafen ausgesprochen werden. Den Leuten wird nachgewiesen, daß sie 20 oder 30 Gramm Heroin oder Kokain verkauft haben. Dadurch werden sie zu Drogenbossen und kriegen 8, 9, 10 Jahre Gefängnis.

Ma: Vor Gericht sind einige Zeugenaussagen wirklich zweifelhaft gewesen, weil es einerseits diese anonymisierten Zeugen gibt, an die die Anwälte kaum Fragen stellen dürfen, andererseits sagen Zeugen oft auf die Frage, ob sie den Angeklagten kennen, nein, das ist er nicht, dann fragt der Richter öfter nach und irgendwann sagen die Zeugen, er wäre es doch. Und wenn die Zeugen es doch nicht sagen, wird gefragt, ob sie bedroht werden.

Mo: Die U-Haft ist extrem lang, sie sitzen zum Teil ja schon über ein Jahr, seit Dezember 1998. Normalerweise ist Drogendealerei nichts, weswegen man so lange in U-Haft sitzt, jeder österreichische Dealer bekommt eine Anzeige und wird auf freien Fuß gesetzt, aber viele Schwarze sitzen wegen drei Gramm oder so im Gefängnis. Verena: Dann hört man wieder, daß irgendwo an der Grenze eine Tonne Rauschgift entdeckt wurde. Da fragst du dich, wie es funktionieren konnte, daß hier so selbstverständlich etwas als Mafia aufgebaut wurde, wo so wenig dahintersteckt.

Volksstimme: Wie sind die Haftbedingungen der Untersuchungshäftlinge der "Operation Spring"?

Ma: Wenn wir Schwarze besuchen wollten, ist das anfangs noch ganz gut gegangen, nach einiger Zeit mußte ich aber immer länger warten, so 3 bis 4 Stunden für eine Viertelstunde Besuch. Ein Afrikaner, den ich besucht habe, er war schon drei Monate in U-Haft und hatte immer noch die Kleidung vom Tag seiner Verhaftung an. Der ist in der Früh verhaftet worden, hatte ein T-Shirt an und eine kurze Hose. Dann später habe ich ein Foto von ihm in der Zeitung gesehen, da hatte er die Hose an, die ich ihm geschickt habe. Er hatte sonst wirklich nichts.

V: Und diese Aussichtslosigkeit. Viele sitzen seit Mai 1999, seit einem Jahr in U-Haft, haben keine Verwandten oder Bekannten, niemand schickt ihnen Geld oder kümmert sich. Der Anwalt kommt vor dem Prozess einmal und vielleicht noch einmal, wenn man ihn oft genug angerufen und gebeten hat. Ich stelle mir diese Situation furchtbar hoffnungslos vor. Und nachher soll man noch das Selbstbewußtsein vor Gericht haben, um seine Unschuld durchzukämpfen. Es gibt Aussagen von Richtern wie, der ist so selbstbewußt, der muß in der Hierarchie der "Mafia" ziemlich weit oben gewesen sein, sonst würde er sich nicht trauen zu behaupten, er sei unschuldig. Moritz: Im Gefängnis werden Schwarze rassistisch diskriminiert. Vor kurzem ist in der Zeitung gestanden, daß es diese Gitterbetten angeblich nicht mehr gibt. Das stimmt nicht, die gibt es nach wie vor. Das sind so Betten, wo rund herum und oben drüber ein Netz gespannt ist - man kennt das aus der Psychiatrie - das ist gemäß Menschenrechtskonvention illegal. Wenn ein Häftling "renitent" wird, wird er dort hineingesteckt. Da drin kann er sich weder aufsetzen noch aufstehen, er kann nicht weggehen, da ist eine Matratze drinnen und fertig. Was es sonst noch gibt an speziellen Akten gegen schwarze Häftlinge: Sie werden unter dem Vorwand, sie seien gewalttätig, nicht zum Spazieren mitgenommen; sie werden - so wurde uns erzählt - von den Beamten geschlagen und dann wegen Widerstand angezeigt; es wird ihnen teilweise das Essen nicht ausgehändigt; sie werden zusätzlich noch dauernd rassistisch beschimpft und gerempelt, wenn sie irgendwo entlang gehen; wenn sie dem Anwalt vorgeführt werden, müssen sie stundenlang warten, oft versäumen sie ihre Besuche, weil sie nicht abgeholt werden. Alles, was es sowieso angeblich wegen Sparmaßnahmen nur noch minimal gibt, etwa die Vorführung von Videofilmen, das ist auf den Stockwerken, wo viele Schwarze sind, prinzipiell gestrichen. Es sind zwar nicht alle Schwarzen im Gefängnis von der "Operation Spring", aber etwa 95 Prozent der Schwarzen im Gefängnis sind wegen Drogen dort, denn egal worum es ging, sie werden immer auch wegen Verdachts des Drogenhandels angezeigt.

Ma: Die einen sagen, daß das der Beweis für die "nigerianische Drogenmafia" ist, wir sagen, das ist der Beweis für ein rassistisches System.

Volksstimme: Was wißt ihr über den Tod von Richard Ibekwe?

V: Es ist ja interessant, daß die Justizanstalt sofort nach seinem Tod sagte, er sei sicher an Drogen gestorben, das ist natürlich eine Unterstellung. Auch bei Omofuma wurde immer zu behaupten versucht, er hätte mit Drogen zu tun gehabt. Dann kommt dazu, daß es Praxis ist, keinen Arzt zu holen, wenn es schwarzen Gefangenen schlecht geht, so wie bei Ibekwe. Er hatte vielleicht zusätzlich noch ein paar blaue Flecken, die der Arzt festgestellt und womit es dann einen schriftlichen Beweis gegeben hätte, daß er geschlagen wurde. Gängig ist überhaupt, daß wenn Gefangene verprügelt werden, man sie solange in den Keller sperrt, bis die blauen Flecken weg sind. Daß da nicht öfter wer verreckt, ist eh ein Wunder. Moritz: Die ärztliche Versorgung im Gefängnis ist überhaupt eine Katastrophe. Wenn es Leuten schlecht geht und sie läuten, dauert es oft eine Viertelstunde, bis jemand kommt.

V: Was beim Fall von Ibekwe nicht stimmt, ist die Behauptung, sie hätten am Wochenende keinen Arzt erreichen können. Es gibt nämlich für die Gefängnisse auch am Wochenende einen Bereitschaftsdienst, d.h. wenn es im Interesse der Justizanstalt gelegen wäre, wäre ein Arzt gekommen.

Mo: Es gibt schon Kontrollgänge, wo sie durch das Guckloch in die Zelle schauen, aber das heißt nicht, daß sie etwas tun, wenn sie sehen, daß es jemandem schlecht geht. Wenn jemand am Boden liegt, heißt es "Aufstehen", aber niemand fragt, was los ist.

V: So wie es bei Ibekwe war, daß der mitten in der Nacht auf dem Sessel sitzt, das war ihnen sicher egal, selbst wenn sie es gesehen haben.

Das Interview führte: S. K.

Nachdem viele von der GEMMI Besuchsverbot haben, werden dringend neue Leute gesucht, die weitermachen.
Offenes Treffen: jeden 1. Freitag im Monat, 18-20 Uhr, 1070 Wien, Stiftgasse 8, Amerlinghaus, Raum 3

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