Wie es sein kann. Hier.

Stellen Sie sich vor....

Sie sind in Westafrika geboren. Das ist noch gar nicht so lange her. Sie sind noch sehr jung, grade mal 17 Jahre. Irgendwann, sagen wir vor etwa einem Jahr, sind Sie aus Ihrer Heimat geflohen. Weil dort Krieg herrscht. Und Not. Und Aussichtslosigkeit. Weil Sie Todesangst hatten. Oder Lebenshoffnung. Es hat Ihnen jemand dabei geholfen. Papiere gegeben, Geld genommen. Sie auf die Reise geschickt, Papiere wieder weggenommen. Ein Fluchthelfer. Ein böser Schlepper. Das organisierte Verbrechen....

Da stehen Sie also allein in Schwechat, in einem Land dessen Namen Sie noch nie gehört haben, indem eine fremde Sprache gesprochen wird. Irgendwo in Europa. Gleich nach Ihrer Ankunft, nachdem Sie um Asyl angesucht haben, kommen Sie in die Maschinerie, die Sie kategorisiert und herumschiebt. Und befragt. Nur nicht nach Ihren Bedürfnissen.

Transitraum, Einvernahme, Traiskirchen. Die "black box", die Baracke für AfrikanerInnen, die noch ein bisschen schäbiger ist als die anderen. In der es häufig Razzien gibt.

Sagen wir, die Realität ist nicht ganz das Erhoffte. Aber gut, vorerst sind Sie in Sicherheit. Jetzt heisst es abwarten. Obwohl Sie jugendlich sind, und es für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge bestimmte Richtlinien gibt, gibt es keinerlei Angebote für Sie, einfach nichts zu tun. Ihre Gedanken gehen im Kreis, immer wieder. Sie wissen nicht, wie es Ihrer Familie geht, Sie wissen nicht, was mit Ihnen geschehen wird. Sie haben einen Nervenzusammenbruch. Verbringen einige Zeit im Krankenhaus.

Nach einiger Zeit werden Sie dann in ein Kolpingheim nach Wien gebracht. Dort gibt es wenigstens Gleichaltrige. In Wien gibt es mehr Möglichkeiten, Sie können einen Deutschkurs besuchen, Menschen kennenlernen, haben eine Freundin.

Mittlerweile haben Sie einen negativen Asylbescheid von der 1. Instanz. Das ist quasi so üblich. Das Jugendamt hat für Sie berufen. Weiter warten.

Ihre Situation ist so: Sie haben praktisch keine Chance legal zu arbeiten. Sie bekommen fast keine finanzielle Unterstützung - dass Sie in Bundesbetreuung sind, ist schon ein grosses Glück, das viele Asylwerber nicht mit Ihnen teilen. Und Sie lernen Ihr Gastland langsam kennen. Sie bekommen Ratschläge. Dass Sie sich nicht gemeinsam mit Weissen in der Öffentlichkeit blicken lassen sollen. Da sonst die Gefahr noch höher ist, von der Polizei kontrolliert und mitgenommen zu werden. Sie lernen, nicht zu viele Freunde zu haben, misstrauisch zu sein. Die "falschen" Leute zu kennen, kann Ihnen grosse Probleme bereiten.

Sie erfahren, wie es ist, allein wegen der Hautfarbe beschimpft und bespuckt zu werden. Sie werden häufig von Drogensüchtigen angesprochen, oft von der Polizei kontrolliert.

Sie leben in einem Land, in dem in den letzten Jahren ein klares Stereotyp erzeugt wurde, fest in den Köpfen eingefräst wurde.

Schwarzafrikaner sind Drogendealer.

Medial eingehämmert, in Vorwahlzeiten stilgerecht durch Großrazzien inszeniert, zur Rechtfertigung des Lauschangriffs, zur Unterdrückung des Protestes angesichts von Marcus Omufuma, zur Belebung eines Feindbildes...

Sie nehmen sich in acht. Gehen in keine Bars, haben wenig Freunde. Doch die ganze Lektion haben Sie noch nicht gelernt

Eines Tages geht Sie ein weisser Mann aggressiv an. Will etwas von Ihnen. Wahrscheinlich Drogen. Sie schubsen ihn weg. Er sprüht Ihnen etwas ins Gesicht. Sie zerren ihn mit, zu Ihrem Heim, halb blind und voller Schmerzen. Die Leiterin ruft die Polizei. Die kommt und macht nichts. Sie können es nicht glauben.

Monate später wiederholt sich die Geschichte mit dem gleichen Mann. Sie wissen, dass es gefährlich ist, sich zu wehren. Als Schwarzer sind Sie automatisch im Unrecht, automatisch in einer schwächeren Position. Der Mann lässt nicht locker. Sie rufen die Polizei. Die kommt - und nimmt Sie mit. Ohne Erklärung. Gesprochen haben sie nur mit dem Weissen. Ihnen werden Handschellen angelegt, sie werden auf den Rücksitz eines Polizeiautos verfrachtet. Zwei Beamte setzen sich auf Sie. Sie bekommen fast keine Luft, glauben sterben zu müssen. Dann werden Sie aufs Komissariat geschleift, durchsucht, über Nacht behalten. Am Morgen ohne weitere Erklärungen entlassen. Sie weinen über ihre Machtlosigkeit, wegen der Behandlung, die Sie mitmachen mussten. Verlangen eine Erklärung. Die Antwort: "Arschloch, Nigger, go, go..."

Monate später ein weiteres Erlebnis. Ein anderer Weisser bedroht Sie, die einschreitende Polizei nimmt Sie mit...

Ist das die Lektion? Ruf niemals die Polizei? Mach Dich unsichtbar? Bleib in deinem Zimmer, 24 Stunden täglich?

Nein. Die Lektion heisst: das nützt Dir auch nichts.

Monate später gibt es eine Razzia im Kolpingheim. Wieder einmal werden gezielt die Zimmer der afrikanischen Asylwerber untersucht, zwei Drittel von Ihnen in Untersuchungshaft gesteckt, der Rest auf freiem Fuss angezeigt.

In der Anklageschrift tauchst Du auch auf. Obwohl du zum Zeitpunkt der Razzia gar nicht mehr dort gewohnt hast. Es reicht, dass du dort mal gemeldet warst.

Aber gut, was kann schon passieren?

Du hast ja gar nicht mehr dort gewohnt. Du hast nie etwas mit Drogen zu tun gehabt, nie wurde auch nur ein Krümmelchen bei Dir gefunden.

In der Anklageschrift taucht ein anonymisierter Zeuge aus, der nur sehr vage Verdächtigungen gegen Dich äussert, wie gegen die Anderen auch. Und jener Mann, der Dich bedroht hat. Der nun behauptet, Du habest ihm Drogen verkauft und ihn schwer verletzt. Das müsste leicht zu widerlegen sein.

Sollte man meinen.

Die Erfahrung aus den vielen bisherigen Prozessen gegen Schwarzafrikaner mit ähnlich vagen Verdächtigungen und mangelnden Beweisen lehrt etwas anderes.

Da es die nigerianische Drogenmafia, dieses sorgsam gehegte Konstrukt, einfach geben muss, ist es bislang zu zahlreichen Verurteilungen gekommen, mit mehrjährigen Haftstrafen.

Oft gründen sich diese Urteile allein auf die Aussagen von anonymisierten Zeugen. Menschen, die vermummt vor Gericht auftreten, deren Identität der Verteidigung nicht bekannt ist. Schon allein die Vermummung, die verhindert, dass die Reaktionen der Zeugen auf Fragen erkennbar ist, beinträchtigt die Verteidigungsrechte in rechtswidrigem Ausmaß. Die vorliegende Kombination von Zeugenschutz (Anonymität des Zeugen) und der Kronzeugenregelung (die besagt, dass Beschuldigte mit ausserordentlicher Strafmilderung rechnen können, wenn sie zur Aufklärung eines organisationsbezogenen Deliktes beitragen - also ein grosses Interesse daran besteht, andere zu belasten) verletzt die Grundlagen des fairen Verfahrens.

Die Beweiskraft von anonymisierten Zeugen ist grundsätzlich geringer. Der Wert von Aussagen eines Kronzeugen ist sehr anzuzweifeln, da sie ja von den richterlichen Instanzen abhängig sind. Eine Verurteilung nur aufgrund solcher Zeugenaussagen, über deren innere Widersprüchlichkeiten noch dazu "grosszügig" hinweggesehen wird, müsste ein breite Empörung auslösen und widerspricht den Richtlinien des europäischen Ministerkomitees.

Noch dazu waren die bisherigen Prozesse geprägt von DolmetscherInnen, die willkürlich übersetzen, VerfahrenshelferInnen, die auf Rechtsmittel verzichten und den Beschuldigten zu Geständnissen raten, Identifizierungen der Angeklagten durch DrogenkonsumentInnen, für die "alle Schwarzen gleich aussehen", medialen Vorverurteilungen und rassistischen Aussagen seitens mancher RichterInnen.

"Die Krise in die die Altersfeststellung geraten ist", nämlich dass die Schätzungsmethoden, die mit der Vermessung von Zähnen und der Begutachtung der Schambehaarung grauslige Assoziationen wachruft, wurde vom Richter bei Jugendgerichtshof elegant gelöst - er hat einfach durch Augenschein die meisten der Angeklagten älter als 19 Jahre geschätzt, wodurch sich das Strafausmass erheblich erhöht hat.

Stellen Sie sich vor, Sie fliehen in ein Land, in dem offener und struktureller Rassismus daran ist Ihr Leben zu zerstören, ein Rassismus und eine Repression, offensichtlich getragen von grossen Teilen der Polizei, der Justiz und der Medien, der doch gleichzeitig verleugnet wird.

Ein Land, in dem die Mühen um die "innere Sicherheit" längst zur grössten Bedrohung geworden ist.

So ist es nämlich. Hier

Dieser Artikel entstand nach einem längeren Gespräch mit einem Betroffenen.

Weitere Unterlagen zu den Prozessen, Querverbindungen und Kontaktadressen finden sich unter www.no-racism.net (Operation Spring - Dealerparanoia, GEMMI; etc...).

Dort stehen auch die Daten der kommenden Prozesse. Hingehen!

Michael Nussbaumer, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung

Tel: 533 72 71; email: deserteurs.fluechtlingsberatung@blackbox.at


Für eine Welt ohne Rassismus
[www.no-racism.net]