Artikel übernommen von Telepolis - Magazin der Netzkultur
Annette Hauschild und Helmut Lorscheid 31.01.2004
Opfer polizeilicher Gewalt in unserem Rechtssystem
Nacheinander legten die Anti-Rassismus-Initiative Aktion Courage und
amnesty international (vgl. Artikel "Misshandlungen
durch Polizeibeamte" auf Telepolis vom 18.01.2004) ihre Dokumentationen
über Polizeiübergriffe in Deutschland vor. Für die Gewerkschaft
der Polizei gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich Gewaltmissbrauch
bei der Polizei nicht nur auf Einzelfälle beschränkt, sondern
ein strukturelles Problem ist. Dabei reicht eine längere Bahnfahrt
durch Deutschland, um festzustellen, dass noch immer insbesondere der
Bundesgrenzschutz sich bei seinen Kontrollen von der Hautfarbe leiten
lässt.
Je dunkler die Haut, desto wahrscheinlicher die Personen- und Ausweiskontrolle
durch den BGS. Und auch bei polizeilichen Übergriffen leiden besonders
oft Afrikaner. Von den insgesamt zwanzig exemplarisch beschriebenen Gewaltübergriffen
betrafen nach Angaben des für Deutschland zuständigen Referenten
im Internationalen Sekretariat von ai in London, Michael Kigundu, acht
Afrikaner, vier Deutsche und die übrigen acht Deutsche ausländischer
Abstammung oder andere Ausländer.
Tödliche Abschiebung
Insbesondere bei Abschiebungen kam es wiederholt zu tödlicher Gewalt.
So zum Beispiel am 28. Mai 1999 während der Abschiebung mit dem Lufthansaflug
LH 588 von Frankfurt/Main über Kairo nach Khartum. Bereits in der
Abschiebehaft noch vor dem Abflug hatten BGS-Beamte dem 30jährigen
Sudanesen Aamir Ageeb an Händen und Füßen Plastikfesseln
angelegt. Als er gegen seine Rückführung Widerstand leistete,
wurde ihm ein Helm aufgesetzt. Anschließend trugen ihn mehrere Beamte
in das Flugzeug.
An Bord der voll besetzten Maschine wurde der Häftling mit Hilfe
mehrerer Plastikfesseln, Klettband und einem rund fünf Meter langen
Seil auf seinem Flugzeugsitz festgebunden. Während des Starts soll
Ageeb angefangen haben laut zu schreien, woraufhin drei Grenzschutzbeamte,
von denen zwei neben ihm und der dritte im Sitz vor ihm saßen, Kopf
und Oberkörper des Opfers zwischen seine Knie drückten und ihn
Berichten zufolge in dieser Position hielten, bis das Flugzeug abgehoben
und das Signal zum Anschnallen der Sitzgurte erloschen war.
Als die Polizisten Aamir Ageeb wieder aufrichteten, stellten sie fest,
dass er das Bewusstsein verloren hatte. Über den Bordlautsprecher
herbeigerufene ägyptische Ärzte konnten nur noch den Tod feststellen.
Eine spätere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass Ageeb eines gewaltsamen
Todes starb. Gegen die dafür verantwortlichen Beamten wurde am 16.
Januar 2002 Anklage erhoben - aber bis zur Abfassung des Berichts Ende
Oktober 2003 war - soweit bekannt - noch kein Prozesstermin anberaumt
worden.
Lockere Schießeisen und Rassismus bei Nordhausener Polizei
Eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit geht offenbar von
der Polizeidirektion in Nordhausen aus. Einer der Beamten erschoss am
28. Juli 2002 kurz nach 4.30h in der Hundgasse im Stadtzentrum von Nordhausen
Rene Bastubbe.
Die Stunden vor seinem Tod hatte er zusammen mit einem 23jährigen
Freund bei einem Bekannten der beiden verbracht, der seinen Geburtstag
feierte. Als ihnen die Zigaretten ausgingen, machten sich Rene Bastubbe
und sein Freund auf den Weg zu einem Zigarettenautomaten an der nächsten
Straßenecke. Der Automat nahm zwar die Münzen an, gab aber
keine Zigaretten aus. Aus Verärgerung hämmerten die beiden gegen
den Automaten und Bastubbe warf schließlich einen Pflasterstein
gegen den Automaten.
Von dem Lärm aufgeweckte Anwohner alarmierten die Polizeidirektion
Nordhausen. Die beiden flüchteten, wurden jedoch gestellt. Eine Beamtin
konnte dem Freund von Bastubbe Handschellen anlegen und ihn an ein Metallgeländer
anketten. Ihr Kollege versuchte dann, auch Rene Bastubbe festzunehmen.
Bastubbe wurde angeblich beim Versuch, einen Pflasterstein aufzunehmen
und gegen den Beamten zu werfen, von diesem in den Rücken geschlossen.
Das Projektil schlug in der unteren Rückenpartie ein, bohrte sich
durch mehrere Organe, zerriss die Hauptschlagader und blieb unterhalb
des Schlüsselbeins stecken.
Rene Bastubbe starb an massivem Blutverlust. Am 9. Oktober 2003 sprach
das Landgericht Mühlhausen den 31jährigen Beamten von der Anklage
der fahrlässigen Tötung frei. Ihm wurde eine Notwehrsituation
zuerkannt. Die Familie des Getöteten wie auch die Staatsanwaltschaft
erklärten, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.
Kripo live
Die Nordhausener Polizei drangsalierte in der Folgezeit den ebenfalls
in Nordhausen lebenden Bruder des Getöteten. Gilbert Barnekow wurde
am 28. August 2002 von Polizeibeamten in Nordhausen widerrechtlich festgenommen,
misshandelt und bedroht.
Einen Monat nach dem Tod des Bruders hatte er sich mit drei Freunden in
einem Cafe in unmittelbarer Nähe des Tatorts getroffen. Nachdem das
Cafe geschlossen hatte, kamen die vier überein, zum Hauptfriedhof
zu gehen, auf dem Rene Bastubbe beigesetzt war. Auf dem Weg dorthin wurden
sie von einem Streifenwagen angehalten und von Polizisten aufgefordert,
sich auszuweisen. Weil Gilbert Barnekow keinerlei Papiere bei sich hatte,
wurde er festgenommen und in Handschellen gelegt. Er gab später an,
zwei Polizeibeamte seien mit ihm fortgegangen, ohne ihm die Gründe
dafür zu nennen. Dabei hätten sie seinen toten Bruder beleidigt
und ihn gefragt "Wie fühlst Du Dich denn ohne Deinen Bruder?"
Außerdem wurde ihm deutlich gemacht, er und seine Familie hätten
in "Nordhausen nichts mehr zu suchen". Sie fragten, ob er die
neuen Polizeizellen schon kenne und erklärten: "Wirst Dich bestimmt
wohl fühlen da drinnen, wird Dir bestimmt gefallen."
Gilbert Barnekow wurde schließlich mit dem Streifenwagen zu seiner
Wohnung gefahren, wo die Beamten seine Hausschlüssel verlangten,
um die Wohnung zu durchsuchen. Barnekow sagte später, nachdem er
mehrfach nach dem Grund für seine Festnahme und die geplante Durchsuchung
seiner Wohnung gefragt habe, sei ihm von einem der Beamten mit der flachen
Hand ins Gesicht geschlagen worden. Er wurde schließlich auf die
Wache geschafft und am 28. August 2002 gegen 4.30 h ohne jede weitere
Begründung wieder freigelassen.
Beamte aus dieser nordthüringischen Kleinstadt hatten bereits am
späten Abend des 27. Juni 1999 den 62-jährigen Rentner Friedhelm
Beate in der thüringischen Ortschaft Heidrungen erschossen. Der aus
Köln stammende Rentner befand sich auf einem Wanderurlaub und hatte
sich in einem Hotel in Geldrungen einquartiert. Eine Hotelangestellte
hatte, nachdem sie im MDR-Fernsehen die Sendung "Kripo live"
gesehen hatte, in der über den verurteilten Mörder Dieter Zurwehme
berichtet wurde, die Polizei alarmiert.
Zwei Zivilbeamte klopften gegen 23.00 h an die Tür von Zimmer 11,
in dem der harmlose Kölner Urlauber nächtigte. Der 62jährige,
hörgeschädigte Rentner öffnete, betrachtete die mit gezogener
Waffe vor seiner Tür stehenden Zivilpolizisten möglicherweise
aber als Räuber und versuchte erschrocken die Tür gleich wieder
zuzuschlagen. Die Beamten feuerten zwei Schüsse ab, von denen einer
Friedhelm Beate mitten ins Herz traf. Auch diese Beamten wurden nicht
bestraft, die Staatsanwaltschaft Erfurt stellte ihre Ermittlungen ein.
Rassistische Polizeiübergriffe
Den weiterhin bestehenden latenten Rassismus in Deutschlands Polizei
verdeutlicht die Dokumentation
"Polizeiübergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland 2000-2003" der AktionCourage.
Auch diese Dokumentation enthält eine Sammlung von rund 50 Fällen
willkürlicher Gewaltakte insbesondere gegen Menschen mit schwarzer
Hautfarbe. Im Folgenden einige Beispiele:
Am 1. Oktober 2001 wurde der 59-jährige togoische Asylbewerber Doviodo
Adekou in Mettmann (NRW) in Abschiebehaft genommen. Bei der Festnahme
wurde er von drei Polizeibeamten an den Armen gegriffen und zu Boden gedrückt.
Dann soll ihm einer der Beamten vorsätzlich auf das rechte Auge geschlagen
haben. Da Doviodo Adekou an diesem Auge etwa eine Woche zuvor wegen einer
Grauen-Star-Erkrankung operiert worden war, kommt es zu einer heftigen
Blutung. Daraufhin geben die Beamten den Versuch auf, Doviodo Adekou Handschellen
anzulegen.
Ein Mitarbeiter des Ausländeramtes ruft einen Krankenwagen, der den
Togoer sofort in ein Wuppertaler Krankenhaus einliefert. Hier muss er
neun Tage lang behandelt werden, dennoch ist das Auge nicht mehr retten
und er erblindet. Die Polizei gibt an, der Beamte habe Adekou versehentlich
am Auge getroffen, nachdem er von diesem zuvor gebissen worden sei. Über
das Ergebnis der Ermittlungen ist nichts bekannt. Ein Schreiben an das
NRW-Innenministerium blieb bis zum Juli 2003 noch ohne Antwort.
Am 4. Mai 2003 gegen 23.00 h wartete der von der Elfenbeinküste stammende
Student Mouglaye Dagnogo, ein Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung,
auf dem Hauptbahnhof in Oberhausen auf seinen Zug nach Herne. Dabei geriet
er in eine Personenkontrolle des Bundesgrenzschutzes. Als zwei Beamte
seinen Ausweis überprüfen wollten, fragte Moulaye Dagnogo, warum
nur ausländische Personen kontrolliert würden.
Nach eigenen Angaben entwickelte sich daraus ein Wortgefecht, in dessen
Verlauf er plötzlich von den Beamten an den Armen ergriffen und weggezerrt
wurde, noch bevor er seinen Ausweis zeigen konnte. Auf dem Weg zur Bahnhofswache
haben man ihn dann mit Handschellen gefesselt und mehrfach geschlagen.
Auch auf der Wache sei er von mehreren Grenzschützern bedroht und
erneut geschlagen worden. Nach mehreren Stunden sei er von den beiden
festnehmenden Beamten wieder aus der Wache herausgezerrt und schließlich
in der Bahnhofshalle freigelassen worden. Der BGS erstattete gegen ihn
Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Angesichts seiner
schlechten Beweislage - allein gegen die Beamten - verzichtet das Opfer
auf eine Gegenanzeige wegen Körperverletzung im Amt.
Gewalttätigkeiten gegen Flüchtlinge
Immer wieder kommt es auch nach Erfahrungen der AktionCourage zu Gewalttätigkeiten
gegen Flüchtlinge - in Ausländerbehörden und insbesondere
bei Abschiebungen. Weil in Asylunterkünften und in Abschiebeknästen
wie in Büren (NRW) private Sicherheitsdienste eingesetzt sind, wurden
auch Gewaltakte dieser Privat-Polizei in die Dokumentation aufgenommen.
Wie Polizei und private Sicherheitsdienste unheilvoll zusammen wirken,
zeigt ein Beispiel aus Thüringen. Dort wurde am 11.2.2002 die aus
Kamerun stammende Asylbewerberin Constanze Etchu darüber informiert,
dass sie in wenigen Tagen von der Erstaufnahmeeinrichtung in Jena in eine
Unterkunft in Gera verlegt werden solle. Bereits am nächsten Tag
begibt sich Constance Etchu aus eigenem Antrieb nach Gera. Dort erfährt
sie von anderen Bewohnern, Gera sei aufgrund einer starken Neo-Nazi-Szene
für farbige Menschen nicht ungefährlich. Daraufhin kehrt sie
nach Jena zurück und erklärt, sie wolle statt nach Gera lieber
in irgendeine andere Unterkunft in Thüringen (vgl. Artikel "Größtmögliche
Gemeinheit" auf Telepolis vom 3.10.2003).
Dies wurde abgelehnt. Am 13.12.2002 wurde sie aufgefordert, ihre Sachen
zu packen und sich für eine sofortige Überstellung nach Gera
bereit zu halten. Als sie dies verweigert, ruft der Jenaer Sicherheitsdienst
die Polizei. Ein Zivilbeamter, der als erster vor Ort ist, holt sie aus
ihrem Zimmer und sperrt sie zunächst in das Büro des Sicherheitsdienstes.
Die kurz darauf erscheinenden Polizeibeamten legen ihr Handschellen an
und führen sie zum Polizeifahrzeug, das sie nach Gera bringen soll.
Da sie sich weigert einzusteigen, kommt es zu einem Gedränge, bei
dem Constance Etchu zu Boden fiel. Nach Angaben von sieben Heimbewohnern,
die Zeugen des Vorfalls werden, beginnen die Polizisten und ein Sicherheitsmitarbeiter
nun, Constance Etchu zu schlagen und zu treten. Sie selbst gibt an, trotz
ihrer Schwangerschaft habe einer der Beamten ihr dabei einen Fuß
zunächst auf den Bauch und anschließend an die Brust gesetzt.
Schließlich wird sie mit Gewalt in das Polizeifahrzeug gestoßen,
wo ihr auch die Füße gefesselt worden seien. Nach eigenen Angaben
wurde Constance Etchu während der gesamten Fahrt der Kopf gewaltsam
nach unten gedrückt. Als sie sich in Gera geweigert habe, wieder
aus dem Fahrzeug auszusteigen, hätten ein Polizist und der Sicherheitsmitarbeiter
ihre Beine ergriffen, sie aus dem Wagen gezogen und solange über
den Boden geschleift, bis sie sich entschlossen habe, doch selber zu laufen.
Die Polizei erstattete gegen Constance Etchu Anzeige wegen Widerstands.
Über den weiteren Verlauf ist nichts bekannt.
Vielleicht meinen die Vertreter des Bundesverbandes der Wach- und Sicherheitsunternehmen
(BDWS) solche Art Zusammenarbeit, wenn sie auf Fachkonferenzen von der
hervorragenden Kooperation zwischen Privaten und Polizei erzählen.
Beide Dokumentationen zeigen, dass Opfer polizeilicher Gewalt in unserem
Rechtssystem kaum eine Chance haben. Jede Anzeige gegen Beamte wird mit
einer Gegenanzeige "wegen Widerstands" oder Schlimmerem gekontert.
Und Polizisten sind für Staatsanwälte, die in ihrer Arbeit täglich
auf diese "Hilfsorgane" angewiesen sind, wie auch für Richter
allemal glaubwürdigere Zeugen als fremdländische Asylbewerber.
Alles Lüge?
Die Reaktion der Polizeigewerkschaft auf die Dokumentationen war stereotyp:
GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg:
Es ist immer das gleiche Strickmuster, mit dem man die deutsche Polizei
in eine gewalttätige Ecke stellen will. Die Vorwürfe stützen
sich auf Berichte von Betroffenen. Aussagen so genannter Polizei-Opfer,
auch wenn sie Straftaten begangen haben, werden grundsätzlich als
wahr unterstellt, Dokumentationen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse
oder Gerichtsbeschlüsse werden dagegen stets in Zweifel gezogen.
Wenn einzelne Polizeibeamtinnen oder -beamte unverhältnismäßig
Gewalt ausüben oder sich gar Misshandlungen zu Schulde kommen lassen,
ziehe das nicht nur ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach sich,
sondern in jedem Fall auch ein Disziplinarverfahren, so die GdP. Freiberg:
Die Forderung nach so genannten unabhängigen Gremien zur Untersuchung
von Beschwerden bei der Polizei lehnen wir ab. Diese Forderung stellt
die Unabhängigkeit der deutschen Justiz in Frage. Die deutsche Polizei
hat weder ein Gewaltproblem noch ist sie fremdenfeindlich.