Erstickungstod des nigerianischen Ausschaffungsgefangenen Samson
Chukwu: augenauf verlangt sofortigen Stopp von Zwangsausschaffungen
Zürich, 26.7.2001
Das Resultat
der Autopsie des bei einer versuchten Ausschaffung am 1. Mai 2001 in Granges
bei Sion verstorbenen Nigerianers Samson Chukwu hinterlässt keine
Zweifel: Die Polizeibeamten haben zur Fesselung des Nigerianers eine Methode
angewandt, die bekanntermassen lebensgefährlich ist, und vor deren
Anwendung in der entsprechenden Fachliteratur gewarnt wird. Die erzwungene
Bauchlage mit auf den Rücken gefesselten Händen und dem Gewicht,
das gleichzeitig auf den Rücken des Gefesselten gedrückt wurde,
hat die notwendige Atmung verhindert. Dies führte zum Erstickungstod
von Samson Chukwu.
Wir stellen
fest:
augenauf
hat im Pressecommuniqué vom 9. Mai genau diesen Sachverhalt als
wahrscheinlichste Todesursache von Samson Chukwu dargestellt. Die Behörden
stellten diesen Todesfall vorgängig als völlig unerklärlich
dar, rätselten über Geburtsschäden und Herzfehler. Gleichzeitig
wurde das Opfer als Drogendealer verunglimpft, obwohl keine rechtskräftige
Verurteilung vorliegt.
Obwohl es
sich schon um den zweiten Todesfall während einer Ausschaffung aus
der Schweiz handelt, sind die Behörden nicht bereit, sofort Massnahmen
zur Verhinderung weiterer Todesfälle vorzunehmen. Begründet
wird dies mit nicht abgeschlossenen juristischen Untersuchungen und Verfahren
sowie mit Zuständigkeitsfragen zwischen dem Bund und den Kantonen.
Mit einer Umsetzung der Empfehlungen von Amnesty International betreffend
Zwangsmassnahmen bei Ausschaffungen kann, falls überhaupt, im Herbst
2002 gerechnet werden.
Jede weitere
angeordnete Zwangsausschaffung entspricht in der jetzigen Situation einer
Aufforderung zur Gefährdung des Lebens sowie einer Verletzung der
Sorgfaltspflicht.
Wir fordern:
- Die offizielle
Übernahme der Verantwortung am Tod der beiden Ausschaffungshäftlinge
Khaled Abuzarifa und Samson Chukwu durch die entsprechenden Behörden.
Insbesondere sind dies
- die Vorsteherin des EJPD, Bundesrätin Ruth Metzler,
- der Präsident der KKJPD (Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren),
Regierungsrat Rolf Ritschard,
- die PolizeidirektorInnen der Kantone Bern und Wallis.
- Ohne Verschleppung durch Verweis auf laufende Untersuchungen sind sämtliche
Zwangsausschaffungen sofort zu sistieren. Eine Umsetzung der Empfehlungen
von Amnesty International ist ohne Verzug in die Wege zu leiten.
- Die Anwälte der Familien der Todesopfer sollen kontaktiert werden,
um sofort und unbürokratisch Schadenersatz und Genugtuung zu leisten.
Eine offizielle Entschuldigung würde minimalen Anstandspflichten
entsprechen.
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Asphyxia
of the Nigerian deportee Samson Chukwu:
augenauf demands immediate stop of forcible deportations
The result
of the autopsy of the Nigerian Samson Chukwu, who died during the procedure
of a forcible deportation on 1st Mai 2001 in Granges near Sion does not
leave any doubt:
The police officers have applied a method
for handcuffing the Nigerian, which is well-known for being possibly
lethal, and of whose application is warned in the appropriate
literature. Forcing the victim to ly on the stomach with the hands
cuffed behind the back, including a police officer to press on the
thorax, prevented the necessary respiration. This led to the asphyxia
of Samson Chukwu.
augenauf
states:
The press communique of 9 May by augenauf described exactly this circumstance
as the most probable cause of death of Samson Chukwu.
Before, the authorities represented this death as completely
unexplainable, suspected congenital or cardiac defects. At the same time
the victim was libelled as drug dealer, although he is not legally convicted.
Even though
this is already the second fatality as result of a
deportation from Switzerland, the authorities are not ready to take
immediate measures to prevent from further fatalities. This negligence
is justified with open legal investigations and procedures, as well as
questions of authority between federal and cantonal levels.
There is no indication that the recommendations of Amnesty International
concerning coercive measures during deportations will be followed before
autumn 2002.
Each further
forcible deportation corresponds to commanding
engdangerment of life, as well as a violation of the duty to due
diligence.
We demand:
-The appropriate authorities to assume responsibility for the death of
the two deportees Khaled Abuzarifa and Samson Chukwu, in particular
-the head of the Federal Department for Justice and Police, Minister Ruth
Metzler,
-the president of the conference of the cantonal heads of the
departments of Police and Justice (KKJPD)
-the heads of the police departments in the cantons Berne and Valais
-to immediately stop all forcible deportations without delaying due to
open investigations.
-To take appropriate steps to follow the recommendations of Amnesty International
without delay.
-To contact the respective lawyers representing the families of the
victims in order to pay damages immediately and unbureaucratically, and
last but not least to apologize.
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Samson Chukwu: augenauf verlangt Stopp von Zwangsausschaffungen
Mit Empörung
hat die Menschenrechtsguppe augenauf vom Tod des
Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu im Wallis Kenntnis genommen. Ohne
dem Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung vorgreifen zu wollen,
kann heute schon festgehalten werden: Samson Chukwu starb, weil die Behörden
von Bund und Kantonen sich auch zwei Jahre nach der Tötung von Khaled
Abuzarifa weigern, die mörderischen Ausschaffungsmethoden zu überprüfen.
Zum Sachverhalt
Am Morgen
des 1. Mai um 2 Uhr stürmten zwei Beamte der "unité spéciale
d'intervention" - für Antiterroreinsätze geschulte Beamte
der Walliser Kantonspolizei - die Zelle des schlafenden Ausschaffungsgefangenen
Samson Chukwu. Gemäss Aussagen der Beamten wurde das Opfer auf den
Boden gedrückt.
Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen
an. Es ist anzunehmen, dass Samson Chukwu zu diesem Zeitpunkt bäuchlings
auf der Pritsche oder am Boden lag. Eine Stunde später, um 3 Uhr,
stellte ein Arzt den Tod von Samson Chukwu fest.
Samson Chukwu
sollte zusammen mit zwei anderen Nigerianern am Morgen um 7 Uhr mit einer
vom Bundesamt für Flüchtlinge gecharterten Maschine nach Lagos
ausgeflogen werden. Gemäss den uns vorliegenden Erkenntnissen ist
im Moment einzig das Berner Charterflugunternehmen "Sky Work"
bereit, ihre Lear-Jets für solche Zwangsausschaffungen zur Verfügung
zu stellen. Der Jet flog am Morgen des 1. Mai ohne Samson Chukwu nach
Lagos.
Bekannt ist
ausserdem, dass die Behörden bei einer Ausschaffung mit
Charterflugzeugen - sie werden amtsintern mit dem Codewort "Level
4"
bezeichnet - äussserst brutal vorgehen. Die Häftlinge werden
gefesselt, in Overalls gehüllt, mit einem Sparringhelm am Schreien
gehindert und in dieser Stellung auf die Flugsessel geschnallt. Im Passagierbereich
der Flugzeuge halten sich auf diesen Flügen einzig Kantonspolizisten
auf.
Ebenso bekannt
ist, dass die Behörden beim Herausholen von
Level-4-Gefangenen aus den Zellen mit grösster Härte vorgehen.
Allfälliger Widerstand soll im Keime zu erstickt werden, um den teuren
Charterflug nicht zu gefährden. Die Rundschau dokumentierte im November
des letzten Jahres die Aussschaffung eines Kameruners, der von vermummten
Antiterroreinheiten der Zürcher Kantonspolizei morgens um 4 Uhr aus
der Zelle im Flughafengefängnis in Kloten herausgeholt worden ist.
Die Öffentlichkeit war schockiert über die entsprechenden Bilder.
Zur "Positional
Asphyxia"
Aus der Literatur
ist bekannt, dass es bei Verhaftungen und der
Überwältigung von Personen durch die Polizei immer wiederholt
zu Todesfällen kommen kann, wenn die körperlich und physisch
stark erregten Personen in Bauchlage mit hinter dem Rücken gefesselten
Armen festgehalten werden.
Dieser Tod ist in Polizei- und Ärztekreisen unter dem Titel "positional
asphyxia" oder "Plötzlicher Gewahrsamstod" bekannt.
Im Zusammenhang mit dem Tod von Khaled Abuzarifa wurde dieses Problem
öffentlich diskutiert. Der Autopsiebericht von Professor Bär
hält fest, dass beim Tod von Khaled Abuzarifa wegen der bei ihm angewandten
Fesselung "auch Phänomene wie sie bei der sog. 'positional asphyxia'
beschrieben werden, mitgespielt haben".
In Deutschland werden Polizisten speziell geschult, damit es bei
Verhaftungen nicht zu solchen Todesfällen kommt. In einem Grundsatzartikel
im Fachblatt "Polizeitrainer Magazin" hat der Heidelberger Professor
Ingo Pedall "Empfehlungen zur Verhinderung des plötzlichen Gewahrsamstodes"
formuliert.
Pedall stellt folgende Merksätze für das Vorgehen bei Verhaftungen
auf:
1. polizeiliche Zurückhaltung, nicht beherztes Vorgehen
ist angzeigt;
2. Ein Team aus zwei Beamten ist mit der Situation immer
überfordert;
3. Jedes Übermass der Fixierung muss vermieden werden;
4. Jedes plötzliche Aufhören des Widerstandes ist ein Alarmzeichen;
5. Die Vitalfunktionen sind fortlaufend zu beobachten.
Unsere Fragen
Aus dem Gesagten
drängen sich Fragen auf:
* Wieso wurden Mitglieder der Antiterroreinheit der Walliser Polizei
eingesetzt, um Samson Chukwu aus seiner Zelle zu holen?
* Waren die Beamten vermummt, als sie die Zelle von Samson Chukwu stürmten?
* Lag Samson Chukwu, nachdem er überwältigt und gefesselt worden
war, bäuchlings in der Zelle?
* Was geschah am 1. Mai zwischen 2 und 3 Uhr in der Zelle von Samson Chukwu?
Wir stellen
fest
Samson Chukwu
würde noch leben, wenn die Behörden nicht versucht hätten,
ihn mit aller Gewalt nach Lagos auszuschaffen. Samson Chukwu würde
noch leben, wenn die Behörden nach dem Tod von Khaled Abuzarifa am
3. März 1999 ihre Verantwortung anerkannt und Konsequenzen gezogen
hätten.
Die Reaktion
der Behörden auf den Tod von Samson Chukwu legt den Verdacht nahe,
dass auch der zweite tote Ausschaffungshäftling nicht zum Anlass
genommen wird, das Ausschaffungsverfahren zu überprüfen. Wie
es ihre Berner KollegInnen im Fall von Khaled Abuzarifa getan haben, versuchen
die Walliser Behörden heute, den toten Chukwu als Drogendealer zu
verunglimpfen.
Wie im
Fall von Khaled Abuzarifa wird über Herzfehler oder Geburtsschäden
gerätselt, anstatt die naheliegenden Fragen nach dem Einsatz staatlicher
Gewalt bei Zwangsausschaffungen zu stellen.
Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden in den anderen
Kantonen und in Bern, dass für den Tod von Samson Chukwu allein die
zuständige Kantonspolizei zuständig sei.
Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden, dass man
die Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung abwarten müsse, bis
über mögliche Massnahmen diskutiert werde könne.
Dieser St.-Florians-Politik
muss Einhalt geboten werden. Nach dem Tod von Samson Chukwu sind sämtliche
Zwangsausschaffungen sofort zu stoppen. Eine unabhängige Untersuchungskommission
unter Beizug von
MenschenrechtsexpertInnen und AntifolterspezialistInnen muss das
Ausschaffungsprozedere überprüfen. Der Ball liegt bei Bundesrätin
Ruth
Metzler und beim Präsidenten der kantonalen Justiz- und
Polizeidirektorenkonferenz, dem Solothurner Regierungsrat Rolf Ritschard.
"Wer
schweigt macht sich mitschuldig".
Zürich,
9. Mai 2001 / augenauf
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