Quellenangabe:
Die globale Frau. Zur weiblichen Seite der Migration (vom 12.12.2004),
URL: http://no-racism.net/article/1048/,
besucht am 22.12.2024
[12. Dec 2004]
Die ZAG beschäftigt sich im Schwerrpunkt ihrer 45. Ausgabe mit der schlaglichtartigen Annäherung an die verschiedenen Aspekte weiblicher Migration. Der folgende Text gibt eine Einführung in das Thema.
Migration wurde lange Zeit als männliches Phänomen beschrieben. Die Männer galten als diejenigen, die aktiv ein Migrationsprojekt planten und realisierten, während die Frauen häufig lediglich als nachziehende Familienangehörige betrachtet wurden. Sie widersprachen zumeist dem Bild der westlichen modernen, selbstbestimmten und "befreiten" Frau und wurden oft als schlecht ausgebildet, Rückständig und den Ehemännern untergeordnet gesehen. Diese Vorstellung jedoch hat - wie so viele Bilder über "Andere" - mehr mit Klischees und Vorurteilen der Aufnahmegesellschaft zu tun, als mit der Realität. Migrantinnen waren nie nur Familienanhang. Weibliche Migration ist ein sehr komplexes Feld, das lange nur wenig beforscht wurde. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, sowohl an den Universitäten, als auch innerhalb der linken emanzipatorischen Bewegung.
Weltweit haben Migrationsbewegungen zugenommen, über die Hälfte der Migrierenden, und sogar drei Viertel der Flüchtlinge, sind Frauen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die Gründe, warum Frauen migrieren, oft mit denen der Männer decken. Auch Frauen studieren im Ausland, flüchten vor Bürgerkriegen, migrieren, um im Ausland zu arbeiten.
Durch ihr Geschlecht allerdings befinden sich Frauen - sowohl in den Herkunfts-, als auch in den Zielländern - in spezifischen Arbeits- und Lebenssituationen, die sich von denen der Männer unterscheiden. Geschlecht als ein grundlegendes verhältnis sozialer Ungleichheit ist ein ebenso wichtiger Ordnungsfaktor innerhalb von Gesellschaften wie Ethnie/Nation oder Klasse/Schicht. Soziale Spaltungen verlaufen entlang dieser Faktoren und überlagern sich gegenseitig.
Gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen ist Bestandteil patriarchaler Gesellschaftssysteme sowohl in Westeuropa als auch weltweit. Der Schutz des Privatraumes und die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre begünstigt dabei die Unterdrückung von Frauen. Sexualisierte Gewalt, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen oder der Ausstoß von Frauen aus dem Familienverband werden oft als private Angelegenheiten gedeutet, in die sich ein Staat nicht einzumischen hat. Rigide religiöse oder staatsmoralische Sozialnormen und die rechtliche, politische und gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen sind durchaus geschlechterspezifische Fluchtgründe.
Auch Flucht gestaltet sich für Frauen anders als für Männer. Frauen haben in der Regel einen schlechteren Zugang zu Geld, sind Öfter Analphabetinnen, tragen häufig eine zusätzliche Verantwortung für Kinder oder ältere Menschen und befinden sich in einer besonderen abhängigkeitsbeziehung zu den meist männlichen Fluchthelfern. Sind in den Herkunftsländern zwischen 50 und 80 Prozent der Flüchtlinge Frauen, so werden in westlichen Industrieländern nur 20 Prozent der Asylanträge von Frauen gestellt.
In den Aufnahmeländern kämpfen politische AkteurInnen und Betroffene seit Jahren für die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund. In fast allen Europäischen ländern stößt dieses Engagement jedoch auf taube Ohren. So gilt der Ehemann oft als der Hauptantragssteller in Asylverfahren und die Asylgründe von Frauen werden unter denen ihrer Männer subsummiert. Gewalt gegen Frauen wird als "kulturüblich" oder als Einzeltat abgetan. Durch den Zwang zum Nachweis staatlicher, politischer Verfolgung werden nur tätigkeiten, die der "typisch männlichen" Rolle entsprechen, als politische Aktivität wahrgenommen; "typisch weibliches" Engagement hingegen wird dem privaten Bereich zugeordnet.
Die Umstrukturierung der Arbeit im Rahmen von Globalisierungsprozessen und Deregulierung wirkt geschlechtsspezifisch und differenzierend. Geschlecht ist sozial und ökonomisch als Struktur und Ordnungsprinzip wirksam. So sind seit den 70er Jahren im Rahmen des sich immer stärker ausdifferenzierenden Arbeitsmarktes und einer neuen internationalen Arbeitsteilung neue vergeschlechtlichte Terrains auf den globalisierten ErwerbsarbeitsmÀrkten und eine Neuverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit entstanden. Die "Feminisierung der Arbeit", die sowohl die Zunahme weiblicher Erwerbsarbeit, als auch die Verbreitung flexibilisierter, ehemals als "weiblich" konnotierter Arbeitsformen beschreibt, hat höchst ambivalente Auswirkungen für Frauen und die Geschlechterverhältnisse.
Mehrere Entwicklungen sind hier zu beobachten. Durch Produktionsverlagerungen seit Ende der 60er Jahre wurde eine wachsende Zahl von Frauen in den Welterwerbsmarkt integriert. In diesen exportorientierten, arbeitsintensiven Industriebranchen der Freihandelszonen mit ihren angeschlossenen informalisierten Hinterhof- und Heimarbeits-Werkstätten handelt es sich zum größten Teil um unregulierte und niedrig entlohnte Zeitarbeitsverhältnisse. Beschäftigung hieß und heißt hier nicht unbedingt Existenzsicherung. Das Anwachsen des Dienstleistungssektors begünstigt den Sektor der informellen Arbeit. Dieser verschärften betrieblichen Ausbeutung und Entrechtung steht allerdings auch ein Zuwachs neuer Möglichkeitsräume aufgrund des eigenen Einkommens gegenüber. Inzwischen ist im Rahmen des neoliberalen Umbaus auch in den Industrienationen eine Prekarisierung der Arbeit und Expansion des Niedriglohnsektors zu verzeichnen.
Einige dieser informalisierten und abgewerteten Arbeitsfelder bilden nicht nur einen feminisierten, sondern auch einen ethnisierten Ökonomiesektor. Arbeitsmigration ist längst ein Strukturmerkmal der globalisierten Arbeitsmärkte. Anders als bei den "Gastarbeitern" der 60er Jahre, stehen MigrantInnen heute lediglich informelle Jobs in wenigen Marktsegmenten offen. Dies trifft vor allem für Sweatshop- und Heimarbeit, für Reinigungs-, Gastronomie- und Sexarbeit zu. Insgesamt ist eine Feminisierung der Migration zu beobachten, womit nicht nur die große Anzahl von Frauen in der Migration gemeint ist, sondern auch die ihr zugrundeliegenden vergeschlechteten Bedingungen in den Herkunfts- und Zielländern. Ganze Arbeitssegmente wie Hausarbeit und Prostitution sind mehr und mehr auf Migrantinnen zugeschnitten.
In westlichen post-industriellen Gesellschaften ist in den letzten Jahren eine Spaltung in eine hochqualifizierte, gut verdienende Dienstleistungsklasse einerseits und zunehmend ethnisierte und äußerst prekäre Sektoren andererseits zu verzeichnen. Qualifizierte "nationale" Frauen besetzen in wissens- und informationsintensiven Wirtschaftsbereichen gut dotierte Arbeitsplätze, während sich unter anderem Migrantinnen im sogenannten "geringqualifizierten" Dienstleistungsbereich über Wasser halten. Diese neue internationale Arbeitsteilung auch zwischen Frauen dehnt sich bis in die privaten Haushalte aus, wie das Comeback der migrantischen DienstMädchen zeigt. Diese Entwicklung wird als "Ethnisierung der Versorgungsarbeit" bezeichnet. Ein weiteres Arbeitsfeld, in dem seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr Migrantinnen tätig sind, ist die Sexarbeit.
Das Bild der Migrantin ist geprägt von der manchmal gut gemeinten, aber letztlich diskriminierenden Vorstellung einer "Dritte-Welt-Frau", die unterdrückt, abhängig, hilflos und ungebildet ist. Damit werden ihnen eigene HandlungsMöglichkeiten per se abgesprochen. Ebenso ist es schwierig, von einer doppelten Unterdrückung von Migrantinnen über die Kategorien Geschlecht und Ethnie zu sprechen, da Mechanismen wie Sexismus und Rassismus sich nicht addieren, sondern verschränken und je nach Situation und Lebenslage spezifisch wirken.
Der Blick auf die unterdrückte Migrantin ist, das zeigt auch die aktuelle Kopftuchdebatte, oft von rassistischen Stereotypen begleitet. Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und selbst Feministinnen verorten nicht selten aktive sexistische Unterdrückung nur bei rassistisch ausgegrenzten Männern, wobei sie der deutschen Machogesellschaft unterstellen, dass Frauen dort gleichberechtigt sind, obwohl wir täglich anderes erleben. Dabei wird der Sexismus nur bei den als "Fremden" eingestuften erkannt und geradezu als rassistische Waffe gegen Migranten und auch Migrantinnen genutzt. Genauso abzulehnen ist die Meinung derjenigen, die im Falle der Frauenunterdrückung die fremde Kultur ins Feld führen und damit auch Menschenrechtsverletzungen entschuldigen. Diese partielle Blindheit und Widersprüchlichkeit, die oft nur rassistisch ausgegrenzte Männer schätzt, ist oft auch bei Feministinnen anzutreffen, die trotz ihres Feminismus bewusst oder unbewusst den Rassismus für schwerwiegender halten. Diese Einstellungen verhindern, Rassismus und Sexismus in gleicher Weise in den Blick zu nehmen und differenziert darauf zu reagieren.
Viele Migrantinnen lehnen die - oft negativen oder einseitigen - Fremdzuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft zu Recht ab und kritisieren das Bild der homogenen türkischen, muslimischen oder schwarzen Community. Wir sollten uns als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft um einen wechselnden Blick, der sowohl Rassismus als auch Sexismus hier wie dort in den Blick nimmt, bemüht sein. Am wichtigsten jedoch ist die Perspektive der Migrantinnen selbst. In Deutschland gibt es mittlerweile einige Migrantinnenselbstorganisationen, wie beispielsweise Frauen im Exil, Mujeres sin rostro, Mujeres de esta tierra oder Mucolade. Ihre Erfahrungen, kämpfe und Auseinandersetzungen können uns sehr viel aus der Innensicht der Betroffenen, aber auch Erkenntnisse über die Mehrheitsgesellschaft vermitteln.
Dieser Text von Jana Seppelt erschien zuerst in der ZAG Nr. 45, 2004, mit dem Schwerpunkt Migration von Frauen.