Quellenangabe:
Fließende Grenzen... (vom 25.01.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1099/,
besucht am 14.12.2024
[25. Jan 2005]
...oder warum der Begriff der "Freiwilligkeit" von Sexarbeit mit Vorsicht zu geniessen ist.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema Sexarbeit, Prostitution(1) und Frauenhandel wurde mir klar, wie vielschichtig das Phänomen ist. Es ist sehr schwierig zum Thema Sexarbeit eine Position einzunehmen, die weder die Frauen zu armen Opfern stilisiert und ihnen damit jegliche eigene Entscheidung abspricht, noch Prostitution auf eine freiwillige und selbstbestimmte tätigkeit im Dienstleistungsbereich, also auf eine Versorgung mit "sauberem Sex", reduziert.
Im Folgenden möchte ich versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, indem ich das Phänomen Prostitution schlaglichtartig beleuchte. Im Anschluss daran werde ich vor allem auf die spezifische Situation migrantischer Sexarbeiterinnen eingehen, die im Vergleich zu nationalen Sexarbeiterinnen durch ihre Illegalität oder soziale Situation in teils anderen abhängigkeitsverhältnissen leben und arbeiten.
Die Positionen zu Sexarbeit allgemein innerhalb der linken und auch feministischen Bewegung sind gespalten. Die einen fordern die Abschaffung der Prostitution, die anderen ihre Anerkennung als Beruf. Beide Sichtweisen greifen zu kurz. Vier Aspekte müssen getrennt voneinander betrachtet und miteinander in Beziehung gesetzt werden: Prostitution, die Prostitutierte, der Freier und der gesamte Sexmarkt (vgl. beiträge zu feministischer theorie und praxis 58).
Selbsthilfeorganisationen von Prostituierten wie Hydra e.V. oder Do. Carmen verlangen vor allem eine allgemeine, rechtliche Anerkennung der Prostitution, um den Prostituierten einen Zugang zur Kranken-, Erwerbslosenversicherung und Rente zu schaffen - steuerpflichtig sind sie bereits. Durch diese Legalisierung erhofft man sich eine Entkriminalisierung und Verbesserung der Lebenssituation von Sexarbeiterinnen. So meint Friederike Strack von Hydra e.V.: "Ginge es um das Wohl der Frauen, müssten als erstes die Gesetze abgeschafft werden, die Prostituierte kriminalisieren. Sperrgebietsverordnungen oder der Zuhältereiparagraph schützen nicht die Frauen, sondern kriminalisieren sie und schließen sie vom legalen Schutz aus. Die Folgen der Sperrbezirke sind die Vertreibung in dunkle aussenbezirke, in denen Frauen wegen fehlender NotrufSäulen und schlechter Beleuchtung größerer Gefahr ausgesetzt sind. Die Doppelmoral des Staates zeigt sich in den Steuerforderungen des Finanzamtes, dem es egal ist, ob Prostitution nun als Arbeit anerkannt ist oder nicht."(2) Durch eine Entkriminalisierung würde es Frauen auch leichter fallen, gegen nicht-zahlende Kunden vorzugehen. Umfasst die Forderung nach rechtlicher und gesellschaftlicher Anerkennung der Prostitution allerdings auch den Schutz der Zuhälter, Bordellbesitzer und Menschenhändler, so werden patriarchale verhältnisse normalisiert, die Schwellenangst der Freier sinkt und die Nachfrage nach Prostitution wird erhöht.
Gerade in bezug auf die Freier wird deutlich, dass durch ein normalisiertes Angebot von Prostitution noch mehr Männer an eine Sexualität gewöhnt werden, die eine Dienstleistungsorientierung der Sexualpartnerin voraussetzt. In der Prostitution formuliert der "Freier" seine Wünsche, die mit den Wünschen der Prostituierten nicht abgestimmt werden müssen.
Diese Dienstleistungssexualität, die genitalfixiert dem hoch-ritualisiertem Skript Vorspiel - Penetration - Orgasmus folgt, wird durch die Entkriminalisierung von Pornographie noch gepusht. Videos, in denen die Frau als Objekt "gefickt" wird und diesen Umgang ganz "lustvoll" mit "lautstarkem" Orgasmus geniesst, dienen heute nicht mehr nur als "Wichsvorlage", sondern vielen Frauen als Regieanweisungen für den regelmäßigen Samstagabendporno im Ehebett. Zu kritisieren ist dabei weniger der "Fick" als Variante des Sexuallebens, sondern die Regelhaftigkeit der Degradierung der Frau zum Objekt und des Machtmissbrauchs und Grenzverletzungen seitens der Männer. Für viele Frauen, die eine solche patriarchale sexuelle Gewalt erleben, kann der Schritt in die Prostitution sehr einfach sein, da dort wenigstens noch bezahlt wird. Diese Art der "Freiwilligkeit", die angeblich Prostitution von Zwangsprostituion und sexueller Sklaverei abgrenzt, sollte in patriarchalen verhältnissen immer mit Misstrauen begegnet werden.
NaTürlich erfüllen Prostituierte die Wünsche der Freier nicht nur genitalfixiert; sie diskutieren oder feiern auch nach Wunsch mit dem Freier, oder haben Verständnis für seine Probleme - alles als Dienstleistung. Problematisch ist und bleibt dabei, dass er das ganze - sexuelle und nichtsexuelle - Programm bestimmt.
Ein Großteil der Prostituierten wählen heute Sexarbeit als Erwerbsarbeit aus ökonomischen Gründen. Dies trifft, neben einer Handvoll einheimischer Frauen, vor allem auf Migrantinnen aus Fernost, Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und Asien zu. Nicht alle migrantischen Frauen, auch das ist ein durch die Medien polarisiertes und falsch vermitteltes Bild, werden von Frauenhändlern zwangsprostitutiert. Nur ein Teil der Migrantinnen sind von Frauenhandel im klassischen Sinn betroffen. Nichtsdestotrotz arbeiten die betroffenen Frauen unter ausbeuterischen Bedingungen. Sie werden mit verhältnissen konfrontiert, die sie in existenzbedrohende Abhängigkeiten bringen, nämlich in Illegalität und in die teilweise totale abhängigkeit von Zuhältern und "VermittlerInnen".
Der Verein Bella Donna e.V. Frankfurt (Oder) fasst daher Frauenhandel weiter: "Frauenhandel funktioniert heute nicht mehr nur auf Grund einer direkten Gewaltanwendung. Vielmehr befinden sich Frauen, die auf Grund von TÀuschungen nach Deutschland geholt werden, auch in einer ausländerrechtlichen Zwangslage. Die bisherigen Regelungen werden dieser Gesamtsituation nicht gerecht.(...) Eine tatsächliche Bekämpfung des Frauenhandels kann jedoch nicht gegen, sondern nur mit diesen Frauen erfolgen."
Die Forderung, den bereits hier lebenden Migrantinnen des Rotlichtmilieus eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, liegt nahe. So würde ihnen eher die Möglichkeit eingeräumt, diesen Teufelskreis zu verlassen und sie Wären so nicht mehr der Gefahr der Abschiebung ausgesetzt. Eine Greencard-Regelung wäre in jedem Fall Ausdruck einer Anerkennung der Sexarbeiterinnen. Doch auch hier gilt: Sowohl der Frauenhandel, als auch die kolonistische Struktur auf dem Markt muss vehement bekämpft werden, damit die Selbstverständlichkeit zunehmend ethnisierter Prostitution nicht bestärkt wird. Durch AufKlärungsarbeit in den betroffenen ländern und der Ermöglichung einer eigenständigen Existenz kann den Frauen ein Leben in der Prostitution erspart werden. Die Bekämpfung der ausbeuterischen und menschenverachtenden Strukturen des Frauenhandels und der Prostitution darf jedoch nicht auf den Rücken der Frauen ausgetragen werden. Die Migrationsstrategien der Sexarbeiterinnen sind soziale Realität und im Rahmen dessen gilt es, für faire Arbeitsbedingungen, Mindestloehne, Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung sowie Legalisierungen einzutreten. Das enorme Lohngefälle macht selbst schlecht bezahlte Arbeitsplätze hier noch interessant. Ohne diese ausbeuterischen Bedingungen zu beschönigen, sollten die Strategien der Frauen respektiert werden. So Judith Rosner von Agisra: "Denn diese frauenspezifischen Migrationsstrategien beinhalten oft auch eine Form des Widerstands von Frauen gegen die verhältnisse, in denen sie leben. Mit Kreativität, Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen, Mut und großer Flexibilität nutzen sie die Kommunikations- und Transportstrukturen der High-Tech-Gesellschaft und ziehen dorthin, wo sie sich bessere Lebens- oder Verdienstverhältnisse erhoffen."(3)
Aufgrund der weltweiten ökonomischen Ungleichheit sollte diese selbstbestimmte Entscheidung jedoch nicht mit Freiwilligkeit verwechselt werden. Die Grenzen zwischen Prostitution und Zwangsprostitution sind fließend.
(1) Da Prostitution ein negativ konnotierter Begriff ist, der vor allem abwertend in Bezug auf Prostituierte gebraucht wird, spricht man heute innerhalb der links-emanzipatorischen Szene hauptsächlich von Sexarbeit und Sexarbeiterinnen. Allerdings gibt es auch Bemühungen, abwertende Begriffe wie "Hure" oder "Prostituierte" positiv umzudeuten und sie sich anzueignen. Ich werde beide Begriffe in meinem Artikel verwenden und hoffe, dass aus meinem Artikel klar wird, dass mir nichts ferner liegt als eine Abwertung der Frauen, die im Sexmarkt arbeiten.
(2) Strack, Friederike: Hurenbewegung und Frauenhandel, veröffentlicht in Dokumentation "Internationaler Frauenhandel"; Universität Hamburg; Institut für Soziologie und Senatsamt für Gleichstellung Hamburg, Januar 1999
(3) http://expertbase.net/everyoneisanexpert/paper/display.php?id=53
Dieser Text von Jana Seppelt erschien zuerst in der ZAG Nr. 45, 2004, mit dem Schwerpunkt Migration von Frauen.