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Quellenangabe:
Der Justizkrimi von Stein (vom 06.02.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1105/, besucht am 24.11.2024

[06. Feb 2005]

Der Justizkrimi von Stein

Am 19. August 2004 gegen 11:15 Uhr kam in der Justizanstalt Stein (in Krems, NÖ) der Häftling Edwin Ndupu zu Tode. Der grüne Abgeordnete Karl Öllinger hat zu diesem Todesfall eine Menge Fakten zusammengetragen. Hier die Dokumentation der Presseunterlagen, eine unvollständige Auflistung von "Ungereimtheiten".

Index:
- Die fragwürdige Sachverhaltsdarstellung
- Das fragwürdige Gutachten
- Der fragwürdige Tränengaseinsatz
- Der fragwürdige Gutachter
- Konsequenzen



Die fragwürdige Sachverhaltsdarstellung



Die letzten Stunden vor dem Tod schildert das Justizministerium so:

"Nach den übereinstimmenden Angaben der beteiligten Justizwachebeamten begann der Strafgefangene Edwin Ndupu vor seinem Haftraum am Gangbereich mit einem in seiner Hosentasche verborgenen Besteckmesser zuerst Justizwachebeamte und in der Folge einen zufällig vorbeigehenden anderen Strafgefangenen zu attackieren bzw. gegen diese zu treten. Die Justizwachebeamten mussten sich und den anderen Häftling durch Schutzschilder, einen Rettungsmehrzweckstock und Pfefferspray vor den Angriffen des HIV-positiven Edwin Ndupu schützen. Um den weiterhin tobenden Strafgefangenen, der nunmehr auch das Haftrauminventar zertrümmerte, zu überwältigen, musste nach Rücksprache mit dem Anstaltsleiter auch Tränengas eingesetzt werden, was noch immer nicht zur Ruhigstellung des Gefangenen führte. Schließlich konnten ihm das Messer entwunden und Hand- und Fußfesseln angelegt werden. So konnte er von Justizwachebeamten in eine Absonderungszelle getragen werden, wobei er auch hier heftige Gegenwehr leistete. Um Edwin Ndupu ärztlich versorgen zu können, verabreichte ihm die Anstaltsärztin eine Beruhigungsspritze (5 mg Valium intramuskulär). Im Anschluss trat bei Ndupu ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein, der Anstaltsärztin gelang es jedoch, ihn wiederzubeleben. Als in weiterer Folge der herbeigerufene Notarzt eingetroffen war, trat bei Edwin Ndupu erneut ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein; die anschließend unternommenen Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos."

Soweit die Darstellung des Ministeriums, die sich auf die beteiligten Justizwachebeamten stützt.

Zu dieser Darstellung der Justizwachebeamten gibt es auch andere Aussagen bzw. Sachverhaltsdarstellungen von Häftlingen, die die Vorfälle beobachtet haben.

Das Justizministerium verweigert die Darstellung dieser Aussagen unter Hinweis darauf, dass "auch die Interessen der vom Geschehen erfassten Personen und Angehörigen zu beRücksichtigen" sei:
- Der durch Ndupu verletzte Strafgefangene erteilte den erhebenden Beamten (Kriminalabteilung Landesgendarmeriekommando NÖ) keine Auskünfte
- Die Aussagen der beteiligten Justizwachebeamten wurden wiedergegeben
- Edwin Ndupu hat keine Angehörigen, die seine Interessen nach seinem Tod geltend machen könnten.....

Problem 1: In der Justizanstalt Stein gibt es einen Todesfall. Die Justizbehörde (Staatsanwaltschaft) ermittelt und befindet, dass der Einsatz der Justizwachebeamten korrekt war. Das Justizministerium verweigert die umfassende Darstellung unter Hinweis darauf, dass es schutzwürdige Interessen gibt. Wen will die Justiz hier schützen?


Das fragwürdige Gutachten



Schon 7 Stunden (!) nach dem Tod von Edwin Ndupu war der Gerichtsmediziner Univ.Prof. Dr. Manfred Hochmeister in der Justizanstalt Stein, um den toten Edwin Ndupu zu untersuchen bzw. das Gutachten zu erstellen.

Das Justizministerium zitiert das Ergebnis zusammenfassend:

"Der Tod des Strafgefangenen trat durch ein multifaktoriell ausgelöstes Herzversagen infolge der stressbedingten Belastung des Herzens aufgrund des psychischen Erregungszustandes und einer wegen der selbst zugefügten Verletzungen entstandenen Fetteinschwemmung in der Lunge (Fettembolie) ein".

übersetzt: der Strafgefangene hat sich durch sein Toben selbst getötet....
Das Justizministeriums vermeidet die Feststellung des Gutachters, die dessen Ergebnis noch widersprüchlicher macht: "Ndupu Edwin ist eines gewaltsamen Todes gestorben."

Der Gutachter behauptet, es gebe "keine Anhaltspunkte dafür, dass die ausgedehnten Verletzungen des Ndupu Edwin (....) durch Angriffe anderer Personen verursacht wurden. Dies deshalb, da die festgestellten Verletzungen praktisch ausschließlich an "aktiven" körperteilen, d.h. an den zum Schlagen oder Treten verwendeten Armen und Beinen, und hier wiederum nur an den Streck- und aussenseiten derselben lokalisiert waren."

An anderer Stelle des Gutachtens werden die Verletzungen aufgezählt:
"..ausgedehnte massive Blutunterlaufungen und Weichteilquetschungen am linken Arm, am rechten Arm, am linken Bein, am rechten Bein, sowie im oberen Rückenbereich und im Nacken. (...) Blutunterlaufungen (ohne begleitende Hautverletzungen) fanden sich auch im Bereich der Kopfschwarte im rechten Scheitel- und linken Hinterhauptsbereich."

An anderer Stelle allerdings: "Es konnten aber keinerlei Verletzungen am Kopf, im Gesicht, im Mundbereich..... festgestellt werden, die Hinweise auf eine allfällige Misshandlung liefern würden."

Und zur Draufgabe: "Dass vereinzelte Blutergüsse durch Schläge mit einem Schlagstock im Zuge der Auseinandersetzung mit den Beamten und dem Niederringen des Inhaftierten entstanden sein könnten, ist naturgemäß nicht auszuschließen."

Naturgemäß daher die Schlussfolgerung des Gutachters: "Eine Misshandlung durch andere Personen kann somit mit Sicherheit ausgeschlossen werden."

Problem 2: In den Justizanstalten generell, aber besonders in der Justizanstalt Stein gibt es zunehmende Probleme mit Aggression und Gewalt. Allein im Jahr 2001 zwischen den Monaten Mai und Juli wurden 5 Todesfälle überprüft, von der Volksanwaltschaft und einer Expertenkommission. Auch im Jahr 2004 beschäftigte sich eine Expertenkommission mit den Zuständen in den Justizanstalten. Im Dezember 2004 wandte sich der Vorsitzende der Justizwache- Gewerkschaft mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit : "Ich bitte um Hilfe, bevor es Tote gibt." (Die Presse, 18.12.04)


Der fragwürdige Tränengaseinsatz



Gegen Edwin Ndupu wurden nicht nur Schlagstücke eingesetzt, sondern zunächst auch Pfefferspray und sodann Tränengas, das in Form einer Kartusche, also in sehr konzentrierter Form, über den Essschlitz in die Zelle eingeleitet wurde.

Als Tränengasmittel wurde Chloracetophenon (CN) verwendet, das in der Literatur als sehr giftig beschrieben wird: "Exposure to CN for more than five minutes is considered dangerous." (Granite Island Group, Advanced Chemical Weapons Course).

Es gibt in der toxikologischen und forensischen Literatur genügend Berichte, die feststellen, dass der Einsatz von CN- Gas in geschlossenen räumen tödlich sein bzw. zu hämorrhagischen Lungenödemen führen kann.

Gutachter und Justizministerium geben zwar den Einsatz von Tränengas zu, schliessen aber "mit Sicherheit" jede todesursächliche Wirkung aus.

Der Gutachter versteigt sich sogar zu der Feststellung, dass weder über einen Hautabrieb mittels Wattetupfer noch über die Lungenluft, noch über mikroskopische Untersuchungen der Lunge Tränengas festgestellt werden konnte.

Der gleiche Gutachter hält allerdings im Eingang seines "Gutachtens" fest, dass "die Zelle des Inhaftierten (...) wegen der noch immer vorhandenen TränengasRückstände nicht inspiziert werden konnte" (!!).

Das ist so grotesk wie die folgende Feststellung: "Die im Lungengewebe festgestellten herdfürmigen Blutaustritte sind auf eine gewisse Reizwirkung des Tränengases, aber auch auf die Fetteinschwemmung und das allgemeine Stress- und Schockgeschehen zurückzuführen."

ödematische Veränderungen der Lunge sind nicht "auf eine gewisse Reizwirkung" von Tränengas, sondern nur auf eine massive Schädigung zurückzuführen!

Problem Nr. 3: In Österreichs Justizanstalten wurde bis zum Tode Edwin Ndupus das besonders gefährliche CN-Gas offensichtlich ohne besondere Anwendungsvorschriften verwendet! CN-Gas gilt durch das Genfer Protokoll als chemische Waffe, die im Kriegsfall geächtet ist! An Österreichischen Justizanstalten wurde sie in geschlossenen räumen und hoher Konzentration verwendet und soll jetzt - nach Ndupus Tod? - angeblich entsorgt werden!


Der fragwürdige Gutachter



Der Gutachter, der "mit Sicherheit" eine tödliche Wirkung von Tränengas ausschließt, hat
vergessen:
- die Konzentration von CN-Gas in der Zelle, die er wegen der Tränengasrückstände nicht betreten konnte, zu messen bzw. zu berechnen;
- die wissenschaftliche Literatur auf die -tödlichen- Wirkungen von CN-Gas unter bestimmten Voraussetzungen (geschlossene, enge Räume) zu überprüfen:
- dass das Tränengas in der Lungenluft wegen zweimaliger Reanimationsversuche gar nicht gefunden werden konnte;
- dass die Trägerpartikel des CN-Aerosols, "die sich als doppelbrechende Kristalle darstellen und auf eine massive Inhalation des Tränengases hinweisen würden", deshalb nicht nachgewiesen werden konnten, weil sie nur in Wasser unlöslich sind, nicht aber bei den in der Histologie üblicherweise verwendeten Alkoholen;
- andere Organe des Toten, in den Tränengas bzw. eine Vergiftung nachgewiesen werden kann, zu untersuchen: Magen, Leber, Nieren, Gehirn.

Der Gutachter hat vor allem das wichtigste vergessen: sich bzw. die Literatur zu befragen, warum der "Einsatz von Pfefferspray und Tränengas....keine wesentliche Wirkung zeigten".

Er hätte in der Literatur lesen können: "Chemical weapons also tend to work very poorly on subjects who are in the advanced stages of AIDS/HIV..." (Granite Island Group, Advanced Chemical Weapons Course).

An anderer Stelle noch deutlicher: "Subjects who are in the advanced stages of AIDS/HIV should be very carefully evaluated, as a dangerous level of a chemical weapon is required before any effects are visible on the subject. Additionally, subjects who have a history of kidney, bone marrow and liver problems, should also be very carefully evaluated."

Edwin Ndupu ist zunächst Pfefferspray und dann massiv Tränengas ausgesetzt worden, wobei der Einsatz beider Mittel ganz offensichtlich nicht zu den sonst üblichen äußerlichen Symptomen geführt hat.

Problem Nr. 4: Dr. Hochmeister, inzwischen abgesetzer Chef der Wiener Gerichtsmedizin, war mit dem Gutachten zu Edwin Ndupu offensichtlich überfordert. Dr. Hochmeister, der nach meinen Informationen bisher kaum gerichtsmedizinische Gutachten verfasst hat, hat aus den Schilderungen der Justizwachebeamten Schlussfolgerungen gezogen ("keine Fremdeinwirkung", "mit Sicherheit Tränengas nicht todesursächlich", "Fettembolie als Todesursache"), die die Problematik des Tränengas-Einsatzes ebenso verharmlosen wie möglicherweise die Gewaltanwendung gegen E. Ndupu.

Experten wie Dr. Wilfried Wehner (BRD), der sich mit dem Thema Fettembolie habilitiert hat, bzw. Dr. Brinkmann, der schon im Omofuma-Verfahren die "Fettembolie" als Todesursache weggefegt hat, bezweifeln die Validität des Hochmeister-Gutachtens.

Ein anonymer österr. Gerichtsmediziner (nicht aus Wien!): "CN kann nach entsprechender Exposition natürlich ohne weiteres zu einem toxischen Lungenödem führen..."


Konsequenzen



Der Tod von Edwin Ndupu muss durch einen (ausländischen) Gutachter neu untersucht werden;
der Einsatz von CN-Gas durch die Justizwache muss sofort eingestellt werden
der - offensichtlich bei der Staatsanwaltschaft bzw. beim Justizministerium liegende - Akt zu Edwin Ndupu sollte an eine unabhängige Untersuchungskommission übermittelt und veröffentlicht werden
ich werde eine neue Anfrage an BM Miklautsch zur Causa Edwin Ndupu einbringen

Dieser Text wurde am 01 Feb 2005 auf der Homepage der Grünen veröffentlicht, siehe: http://gruene.at/themen.php?tid=31377 - Dort findet sich auch eine APA-Meldung auf Grundlage dieser Informationen.