no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
Mit Sicherheit zur Union der Lagerländer. Rassistische Gesetze in Österreich und der EU (vom 04.04.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1161/, besucht am 24.11.2024

[04. Apr 2005]

Mit Sicherheit zur Union der Lagerländer. Rassistische Gesetze in Österreich und der EU

Kriminalisieren, internieren, deportieren und manchmal auch töten: So präsentiert sich die rassistische Politik in Österreich und den restlichen Staaten der EU - und darüber hinaus. Längst sind jene, die diese Gesetze verabschieden davon abgegangen, die Verschärfungen still und heimlich durchzuführen. In Einklang mit Polizei und Mainstreammedien wird an einem System gearbeitet, das Erinnerungen wach werden lässt, die 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges schon fast wieder in Vergessenheit geraten sind.

Wenn FPÖ-PolitikerInnen wie Helene Partik-Pable im Parlament eindeutig rassistische Aussagen tätigen und ganze Bevölkerungsgruppen pauschal stereotypisieren, dann regt dies vielleicht noch die eine oder den anderen auf. Doch wenn fast alle an einem Strang ziehen und jene, die nicht ganz einverstanden sind, wie manche Grüne PolitikerInnen, die sich mit ihrer Kritik dermaßen zurückhalten, damit sie ja nicht in "Ungnade" fallen, dann kann wohl von einem Konsens gesprochen werden. Einem Konsens unter den PolitikerInnen, demzufolge es legitim ist, rassistische Sondergesetze zu erlassen und Menschen mithilfe dieser völlig zu entrechten, sie einzusperren und letztendlich wegzuschieben. Und sie stützen sich auf die erhobene Meinung der Bevölkerung. führen aus, was "das Volk" verlangt. Umfragen von Anfang 2005 zufolge wünscht sich die Mehrheit der Mehrheitsbevölkerung eine Verschärfung der rassistischen Sondergesetze für AusländerInnen. Justament zu jenem Zeitpunkt, zu dem nach Verstößen gegen die Verfassung das Asylgesetz "repariert" werden muss, mit zahlreichen Verschärfungen, die über die Bedenken des VfGH weit hinausgehen, werden die Zahlen präsentiert. Wird in der Koalition gestritten, wird ein "Sicherheitsgipfel" einberufen, folgt eine Horrormeldung in den Mainstreammedien der nächsten.

Für AsylwerberInnen bedeutet dies konkret: Mehr Schubhaft. Keine zeitliche Begrenzung der Internierung(1). Keine Rechtsmittel. Der körper gerät ins Schussfeld: Wagt eineR, mit Hungerstreik gegen diese Entrechtung zu protestieren, auf sich aufmerksam zu machen -und es sind Tausende, die jährlich diese oft letzten Möglichkeit ergreifen - drohen weitere Zwangsmaßnahmen. Bisher üblich waren Einzelhaft und diverse Verbote. Nun wird über weitere Zwangsmaßnahmen nachgedacht. Das Recht über den eigenen körper zu bestimmen zählt nicht, wenn es darum geht, einen körper der Deportationsmaschinerie zuzuführen. Obwohl die Gefahren von Zwangsernährung bekannt sind, werden sie in Betracht gezogen. Genauso wie schon jetzt manche Hungerstreikende erst nach mehreren Wochen der Verweigerung der Nahrungsaufnahme entlassen und damit einem enormen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt werden.
für Menschen werden Sondergesetze erlassen. Im Namen der "Sicherheit" wird manchen selbst das Recht zu leben abgesprochen. Nach zahlreichen Toten im Zuge von Deportationen und in Polizeigewahrsam kann nicht verschwiegen werden, dass Menschenleben bewusst aufs Spiel gesetzt werden und die rassistische Ideologie hinter dieser Politik der Verfestigung von Privilegien dient. Während den bürgerInnen Privilegien in die Wiege gelegt werden und die Zugehörigkeit des Blutes mehr zählt als alles andere, bekommen andere nie die Chance, die Rechte und Privilegien der bürgerInnen zu erlangen. Während die einen die EuropäischeUnion als "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" empfinden bzw. präsentieren, werden für andere die Freiheit, die Sicherheit und das Recht massiv eingeschränkt.

Dabei ist die Politik der Abschottung, Kriminalisierung (auch jene der Unterstützung von Entrechteten(2)), Internierung und Deportation keine alleinige Erfindung Österreichs. überall in Europa wird derzeit an Verschärfungen gearbeitet. Als Argument dient die Verhinderung von angeblichem "Missbrauch". Doch frage ich: Warum ist es ein Missbrauch, die Möglichkeit eines Asylantrages in Anspruch zu nehmen? Es wird ohnehin in Verfahren darüber entschieden, ob eineR Asyl erhält. Und es sind nur sehr wenige, die letztendlich in den Genuss von Asyl kommen. Weiters sollte angemerkt werden, dass schon jetzt vielen der Zugang zu diesem Verfahren verwehrt wird. Sie werden an den Grenzen zurückgewiesen oder in einem "Zulassungsverfahren zum Asylverfahren" wird in Windeseile entschieden, ob dieses wegen einer amtlich festgestellten "offensichtlichen Unbegründetheit" gar nicht erst beginnen soll. Damit alles nach Plan abläuft, sollen die erst vor kurzem eröffneten und privat betriebenen Erstaufnahmestellen mehr und mehr restriktiv betrieben werden. Unbegründetes Verlassen wird mit Schubhaft geahndet. Und selbst wenn das Verlassen nicht unbegründet sein sollte, darf zukünftig der jeweilige Bezirk nicht verlassen werden.(3)

In Deutschland gibt es eine ähnliche Regelung schon lange. Und mindest genau so lange gibt es Proteste und Verstöße dagegen. So hat The Voice Refugee Forum eine "Kampagne zur Abschaffung der Residenzpflicht - den Apartheidgesetzen in Deutschland" gestartet. Denn die Residenzpflicht für Flüchtlinge verletzt das Recht eines Menschen auf Bewegungsfreiheit, sie verletzt ihr Recht auf Entfaltung ihrer persönlichkeit, sie verletzt den Grundsatz der Gleichheit aller Menschen und sie verletzt die Menschenwürde. Die Residenzpflicht verletzt das Recht auf Schutz der Privatsphäre. Die DurchFührung dieser gesetzlichen Regelung schränkt die Lebensmöglichkeit Schritt für Schritt ein und hat schwere Auswirkungen auf Psyche und Individualität jeder und jedes Betroffenen. Die Residenzpflicht ist rassistisch und diskriminierend in Wort und Tat. Ihre Missachtung wird als Straftat verfolgt und bestraft. Es ist ein "Verbrechen", das nur von AusländerInnen begangen werden kann. Die Residenzpflicht negiert jeden Gedanken von Integration. Sie stellt eine Fortsetzung der rassistischen und faschistischen Ideologie dar, die zur Wahrung der Interessen ihrer AnhängerInnen bestimmte gesellschaftliche Gruppen ausgrenzt, kriminalisiert und als "Fremdkörper" in der Gesellschaft präsentiert. Ein "Fremdkörper", der letztendlich entfernt bzw. abgeschoben werden muss.


Das Haager Festungsprogramm


Am 5. November 2004 beschloss der Rat der Europäischen Union, der sich aus den 25 Staats- und RegierungschefInnen der Mitgliedsstaaten zusammensetzt, bei einem Gipfeltreffen in Brüssel das "Haager Programm" zur gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik. Dadurch wurde der Masterplan für weitere Verschärfungen der Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene festgelegt.

Wirft mensch einen kritischen Blick auf das "Haager Programm", nehmen die Abschottungspläne dahinter schnell Kontur an. Es geht vor allem darum, Migration zu kontrollieren, zu managen, zu verhindern. Migration soll sich an den Interessen der EU, ihrer bürgerInnen und den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren und zu deren besseren Entwicklung beitragen. Dies war zwar auch bisher so, doch zeigt sich in den aktuellen Veränderungen eine neue "Qualität" der Festung Europa, die mitunter durch sich verändernde Interessen erklärt werden kann. Einerseits werden Instrumentarien zur Regelung legaler (und vorübergehender) Einwanderung von benötigten ErwerbsarbeiterInnen und der Bekämpfung illegalisierter Erwerbsarbeit geschaffen. Andererseits gilt es, Flüchtlinge und illegalisierte MigrantInnen möglichst weit weg, auf ihrem Weg in die Festung Europa aufzuhalten, zu internieren und "Rückzuführen".

Der EuropäischeRat ist der Meinung, dass nicht ausreichend geregelte Migrationbewegungen zu humanitären Katastrophen führen können. Als Beispiel werden die sich im Mittelmeerraum abspielenden "menschlichen Tragödien" genannt. Sie werden als Resultat der Bemühungen, heimlich in die EU einzureisen, dargestellt. Die Militärische Aufrüstung der Grenzen, die immer mehr Menschen dazu zwingt, gefährlichste Wege zu gehen, wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

Alle Staaten werden aufgerufen, die Kooperation zur Verhinderung (sic!) des weiteren Verlustes von Leben zu intensivieren, sprich Migration noch stärker zu kontrollieren und einzuschränken. Herkunfts- und Transitländer sollen darin bestärkt und in ihren Bemühungen unterstützt werden, die Sicherheit von Flüchtlingen zu verbessern. Die sog. Drittstaaten werden aufgefordert, der Genfer Flüchtlingskonvention beizutreten bzw. deren Bestimmungen einzuhalten. Gleichzeitig wird innerhalb der EU nach Wegen gesucht, die Genfer Flüchtlingskonvention mehr und mehr außer Kraft zu setzen oder zu umgehen. Dies wurde auch in Österreich wiederholt von verschiedenen Seiten vorgeschlagen.

Einen zentralen Punkt sowohl im Haager Programm als auch insgesamt im Harmonisierungsprozess der EU nimmt die sogenannte Rückführungs-Politik ein:

"MigrantInnen, die nicht oder nicht mehr über das Recht verfügen, legal in der EU zu bleiben, müssen auf freiwilliger, oder wenn notwendig auf unfreiwilliger Basis zurückkehren. Der EuropäischeRat verlangt die Einführung einer effektiven Abschiebe- und Rückführungspolitik, basierend auf gemeinsamen Standards für Personen, die in humaner Weise entfernt (returned) werden, unter vollem Respekt ihrer Menschenrechte und würde."

Ein Widerspruch in sich, der nicht allein aus dieser Formulierung erkenntlich wird, sondern vor allem aus der gängigen Praxis: Zwangsdeportationen unter Anwendung von Gewalt, Beruhigungsmitteln, Schlägen, Beleidigungen und der Inkaufnahme von Toten, Massendeportationen mit Charter- und Militärflugzeugen, mehr und mehr Internierungslager, zunehmend auch außerhalb der Schengengrenzen, Entrechtung, Kriminalisierung, rassistische Zuschreibungen, Differenzierungen usw. Welch Zynismus, angesichts dessen von der Einhaltung von Menschenrechten oder gar würde zu reden?


Diese AusFührungen geben nur einen kleinen Einblick in den harmonisierten Ausbau der Festung Europa. Die Pläne sollen bis 2010 bzw. 2011 umgesetzt werden. Um dies auch zu erreichen, wird es alle sechs Monate Treffen zum Austausch praktischer Erfahrungen und zur weiteren Koordination zwischen MigrationsstrategInnen, PolitikerInnen und Polizei geben. zusätzlich jährliche Berichte über DurchFührung und Fortschritt des "Haager Programms" zur Information des Europäischen und der nationalen Parlamente. In Österreich sind die Behörden offensichtlich darum bemüht, diese Vorgaben schon sehr bald umzusetzen. Die neuen Diskussionen und Vorschläge zur Änderung der Asyl- und Fremdengesetzgebung entsprechen voll und ganz dem Geist des Haager Festungsprogramms.




Anmerkungen:


1 Zum Zeitpunkt des Schreibens liegen mir keine konkreten Informationen vor, in Zeitungen wurde jedoch von einer Höchstdauer von zwei Jahren gesprochen, bzw. regelmäßigen überPrüfungen nach sechs Monaten Schubhaft.

2 So sollen neue Straftatbestände ins Fremdengesetz eingehen. Schon in den vergangenen Gesetzesnovellen wurden immer wieder Paragrafen eingeführt, die darauf zielen, Fluchthilfe unter Strafe zu stellen. Mit dem neu geschaffenen Bedrohungszenario des "Asylmissbrauches" soll es hier weitere Verschärfungen geben. Des weiteren wird das bisher uneingeschränkte Recht auf rechtliche Beratung in Frage gestellt: So soll die "Beihilfe zum Asylmissbrauch" zukünftig bestraft werden und die Zustellung von Bescheiden nicht mehr an die Rechtsvertretung, sondern an die AsylwerberInnen direkt erfolgen. Siehe dazu auch den Beitrag: Die letzten Tage der Menschheit oder: So stirbt eine Demokratie.

3 Auch hier liegen noch keine konkreten Bestimmungen vor. Andiskutiert wurden eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf das jeweilige Bundesland bzw. für Leute in EAZ auf den Bezirk. Unklar ist auch, ob diese Bestimmungen den Zeitraum des gesamte Asylverfahrens betreffen oder nur vorübergehend Anwendung finden sollen.

Dieser Kommentar von no-racism.net wurde am 22. Februar 2005, dem Tag des "Sicherheitsgipfels" in Wien, für die Zeitschirft Groovy, Ausgabe 18/2005 verfasst, der Zeitschrift der ÖH Fakultätsvertretung an der H.U.S. Fakultät der Universität Wien.