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Quellenangabe:
Elfriede Jelinek zum EKH (vom 03.07.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1285/, besucht am 06.10.2024

[03. Jul 2005]

Elfriede Jelinek zum EKH

"Es stünde der Stadt Wien gut an, dieses Ernst Kirchweger Haus (...) aktiv zu fördern"

Vielleicht werden im Ernst Kirchweger-Haus bald Knochen brechen, Leute im Schwitzkasten abgeführt, Hände auf den Rücken gedreht, Springerstiefel in Kniekehlen getreten werden. Und das alles, um Menschen einfach loszuwerden, die glaubten, dort eine Art Asyl gefunden zu haben. Vielerlei Gruppen mit vielerlei Anliegen, vom Wunsch nach Zuflucht und einem offenbar immer utopisch werdenden Miteinander von vielen, die man in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit nun nicht mehr akzeptieren zu können scheint, bis hin zu künstlerischen und gesellschaftskritischen Vorhaben, die in diesem Zentrum realisiert werden sollten, darunter auch ein Theaterstück von mir über die Ermordung der vier Roma in Oberwart, haben sich dort niedergelassen.

Die Stadt, meine Stadt, in der ich aufgewachsen bin und immer noch lebe, hätte, schon aufgrund ihrer grausamen und blutigen Geschichte der Verfolgung und Vernichtung, wie sie Hitler hier aus Schundheften gelernt hat und wie sie danach als angewandter Terror über ganz Europa gekommen ist, diese Stadt also hätte die Verpflichtung, solche Projekte, wie sie das Ernst Kirchweger-Haus im ganzen, in all seinen Facetten darstellt (und es ist ein lange gewachsenes Biotop, das da entstanden ist, es haben Menschen jahrzehntelang daran gearbeitet, daß diese Vielfalt entstehen und sich zu einem Begegnungsraum von allen möglichen Vielfältigkeiten entwickeln konnte), mit aller Kraft und mit allen Mitteln zu unterstützen. Anstatt zuzusehen, wie Leute - möglicherweise mit Gewalt, aber das will ich mir gar nicht vorstellen müssen - einfach rausgeschmissen und, ja, vertrieben werden, die glaubten, endlich eine sichere Bleibe gefunden zu haben, hätte die Stadt hier ihre Pflicht als Stadt zu erfüllen: Heimstätte zu sein, auch für heterogene Menschengruppen, die sie zusammenführen muß. Das ist die Aufgabe der, jeder Stadt. Die Sicherheit, auch die von Heimstätten, ist fast immer nur Schein, aber mit diesem Schein müssen sehr viele Existenzen, die sich am Rand befinden, schon gefährdet sind, zufriedengeben, weil sie echte Sicherheit ja doch nie finden können im neuen Europa, das gleichzeitig diese Sicherheit vorgaukelt, das aber andrerseits ein Europa der Ungesicherten, der Wanderer ist.

Aber in diesem Fall trifft es mich besonders, also nicht nur, weil ich, zusammen mit Michael Scharang und Peter Turrini, dieses Haus als Begegnungszentrum der KPÖ faktisch als "Bittleiher" abgerungen habe, sondern weil, nachdem die KPÖ dieses Haus unter Umständen verkauft hat, über die ich mich nicht äußern will (aber allein die Vorstellung, daß rechte Schlägerbanden, wie sie immer wieder dort auftauchen, von der einen Seite und die Wiener Polizei von der andren dort Asylanten und andre Schutzsuchende hinausprügeln könnten, ist mir unerträglich), etwas zersTürt werden soll, das diese Stadt, und wäre es als BußÌbung für Vergangenes, das ja angeblich endlich vergessen werden soll, in jeder Hinsicht fördern und unterstützen sollte, ja: mÌßte. Es stünde der Stadt Wien gut an, dieses Ernst Kirchweger Haus endlich selbst zu kaufen und die Projekte, die dort entstanden sind, nicht nur zu dulden, sondern aktiv zu fördern.

Elfriede Jelinek