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Quellenangabe:
Kritik an der deutschsprachigen Wikipedia (vom 06.09.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1336/, besucht am 21.11.2024

[06. Sep 2005]

Kritik an der deutschsprachigen Wikipedia

Der folgende Artikel beschäftigt sich mit rassistischen und eurozentristisch geprägten Inhalten der deutschen Ausgabe der Online Enzyklopädie Wikipedia, dem Umgang mit Sexismus sowie mit der Tolerierung rechtsextremer UserInnen innerhalb des Projekts.

Wikipedia ist eine von größtenteils ehrenamtlich arbeitenden AutorInnen erstellte Enzyklopädie, die mittlerweile in vielen Sprachen existiert und ihre Inhalte mittels GNU Free Documentation License frei zur Verfügung stellt. Das Projekt wurde 2001 in den USA gestartet und steht unter der Obhut der Wikimedia Foundation, einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in Florida. Nach kurzer Zeit folgten der englischsprachigen Ausgabe weitere Projekte in anderen Sprachen. An der deutschsprachigen Wikipedia beteiligen sich derzeit mehr als 400 ständige AutorInnen. Von anderen Enzyklopädien unterscheidet sich Wikipedia dadurch, dass es einen vergleichsweise offenen Zugang bietet. Jeder Mensch mit Internetzugang kann Beiträge erstellen, ändern und erweitern.

Dieser Text soll einen Beitrag zur kritischen Diskussion mit den AutorInnen der Wikipedia sein und Probleme der deutschsprachigen Version in den Bereichen Rassismus, Sexismus, Eurozentrismus sowie dem Umgang mit rechtsextremen UserInnen thematisieren. Es geht dabei weder darum, die Grundidee von Wikipedia schlechtzureden noch darum, die AutorInnen der deutschsprachigen Version pauschal als RassistInnen oder SexistInnen zu brandmarken. Ziel ist ein Aufzeigen bestehender Probleme in der Hoffnung einen Diskussionsprozess loszutreten, der zu einer Verbesserung der momentanen Situation führt.

Rassismus und eurozentristische Perspektiven


Schlägt man bei Wikipedia den Eintrag zu Eurozentrismus nach, findet sich dort vor allem ein Sammelsurium aus Kritik an anderen Enzyklopädien. Es wird aus alten Brockhausausgaben zitiert um aufzuzeigen wie eurozentristisch lange vor dem digitalen Zeitalter bei der "Konkurrenz" an die Sache herangegangen wurde. Kritische Selbstreferenzen findet man in dem - zugegebenermaßen etwas kurz geratenen Artikel - keine. Jedoch ist die deutschsprachige Wikipedia keineswegs frei von eurozentristischen Konzepten, die oftmals vollkommen unkritisch übernommen werden. Auch Fortschreibungen europäisch geprägter rassistischer Stereotypen sind in einschlägigen Artikeln immer wieder zu finden.

Deutlich wird das u.a. wenn man sich Artikel zum Thema Afrika mit ähnlichen Einträgen aus dem Europäischen Raum vergleicht. Während Begriffe wie "Stamm", "Rasse" oder "Ethnie" in Artikeln zu Afrika sehr häufig anzutreffen sind, findet man sich in Artikeln zu Europa vergleichsweise selten.

Was den Umgang mit rassistischen oder völkisch-kollektivistischen Konzepten betrifft, gibt es an Wikipedia einiges zu bemängeln. Beispielsweise gibt es im Hauptartikel "Volksstamm" immerhin noch einen Abschnitt "Kritik". Dort findet sich allerdings nicht die grundlegende Begriffskritik, die man an dieser Stelle eigentlich erwarten würde. Gleich im ersten Satz heißt es hingegen: "Der Begriff "Stamm" bzw. "Ethnos" im Sinne von "Volk", "Bevölkerungsgruppe" kann wertfrei gebraucht werden." Und auch in der Folge wird die Problematik einer willkürlichen völkischen Kollektivierung eher klein geredet als tatsächlich problematisiert.

Des Weiteren existieren in der deutschsprachigen Wikipedia eine Reihe von Artikeln über vermeintliche "Ethnien", "Rassen" oder "Volksstämme", die rassistische Diskurse aus den letzten beiden Jahrhunderten größtenteils unhinterfragt fortschreiben. Auch wenn der Begriff "Rasse" in der Wikipedia mittlerweile Größtenteils dem Begriff "Ethnie" weichen musste, bleiben die dahinter stehenden Denkstrukturen die Gleichen. Veranschaulichen lässt sich die Herangehensweise in diesem Bereich anhand der immer noch vorhandenen "Kategorie Ethnie". Sie dient, so wird es auf der Seite beschrieben, zur Erfassung der "Stämme und Völker dieser Welt". Zu finden sind dort Artikel wie "Arier", "Ostgermanische Völker" sowie weitere Unterteilungen in "Europäische Ethnie", "Amerikanische Ethnie" und "Afrikanische Ethnie". Unter den Letzteren sind auch "die" amerikanischen UreinwohnerInnen zu finden, welche - wer hätte das gedacht - unter dem von Columbus geprägten Irrtums-Begriff "Indianer" firmieren müssen. Auf diese Problematik wurde von kritischen Wikipedia-NutzerInnen bereits mehrmals aufmerksam gemacht. Trotzdem entschied sich eine Mehrheit der an dem Artikel Interessierten erst vor kurzem im Rahmen eines Meinungsbildes für die Beibehaltung des Artikeltitels. Argumentiert wurde dort u.a. mit Karl May, der den Begriff "Indianer" ja so positiv besetzt hätte, dass er heute gar nicht mehr problematisch sei.

Ein weiteres Ergebnis aus dem Bereich der Meinungsbilder ist der Beschluss zum Thema "Verwendung des Kreuz-Symbols" vor dem Sterbedatum. Verfolgt man die Diskussion wird klar, dass den meisten UserInnen eine gewisse Distanz zur eigenen, christlich geprägten kulturellen Grammatik stark vermissen lassen. Der Fakt, dass die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt nicht nach christlichen Glaubenssätzen lebt, dürfte noch nicht in die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinde durchgedrungen sein. Selbige gehört damit zu einer Minderheit innerhalb des Netzwerks, während die englische, die französische, die schwedische und sogar Versionen aus erz-katholischen Sprachräumen wie dem italienischen oder dem Spanischen ohne christliche Symbolik auskommen.

Auch der unreflektierte Umgang mit rassistischen Begrifflichkeiten ist in der deutschsprachigen Wikipedia alles andere als selten. Etwa lautet die Einleitung zum Artikel Afrodeutsche: "Als Afrodeutsche werden Deutsche bezeichnet, die schwarzafrikanischer Abstammung sind oder mulattische Einflüsse haben." Im Artikel Afroamerikaner ist völlig Zusammenhanglos davon die Rede, dass Rodney King die Polizisten, die ihn 1992 misshandelten, provoziert hätte. Was will uns der oder die AutorIn damit sagen? Etwa ein Hinweis auf besonders aggressives Verhalten, das in der Natur von "Afroamerikanern" liege? Anders kann dieser Abschnitt nur schwer gedeutet werden.

Liest man die Diskussion zum Artikel Neger durch, läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Obwohl der Artikel selbst recht passabel ist, haben wenige kritische AutorInnen dort mit einer Horde UserInnen zu kämpfen, die am liebsten jeglichen Hinweis auf den rassistischen Kontext des Begriffs aus dem Artikel entfernen würden. Ein Beispiel für das Niveau einiger DiskutantInnen dort: "Seit wann soll denn Neger ein abwertender Begriff sein? Wer schreibt denn so einen blödsinn? Es ist letztlich die im Deutschen allgemein übliche und reguläre Bezeichnung für Angehörige der negriden Rasse. Manche Leute spinnen wirklich."

Ein weiteres Negativ-Beispiel ist der Eintrag Mulatte. Abgesehen von der Problematik des auch hier unhinterfragt übernommenem Konzepts von "Mischling" und "Reinling", spricht das schon fast anekdotenhafte vorgehen im Rahmen der Entwicklung des Artikels für sich: Zunächst platzierte BenutzerIn Paradigma auf der Diskussionsseite, dass es ziemlich rassistisch sei, "Mulatte mit einem Josephine Baker Bild zu illustrieren, etwa so, als wenn man Pamela Anderson als Beispiel einer typischen weissen nehmen würde." Diese Meldung führte zu einem mehr als kuriosen Vorgehen. Zuerst kommt von einem/einer anderen BenutzerIn die Frage, ob es denn besser sei, wenn man das Bild mit dem Hinweis versieht, dass Josephine Baker rassistisch diskriminiert wurde. Später wird das Bild gegen das eines EU-Parlamentariers ausgetauscht. Die Bildunterschrift lautet: "Ein bekannter Mulatte ist der Europaparlamentsabgeordnete und SOS-Rassismus Gründer Harlem Desir". Auch hier agierte man an einer möglichen Lösung des Problems vorbei. Statt einen Artikel über Entstehung und historische Entwicklung des Begriffs zu schreiben, wird das Konzept "Mulatte" unhinterfragt fortgeschrieben und zu Veranschaulichung sogar ein Foto eines "echten Mulatten" beigefügt. Die Frage, wer diesen Begriff erfand und etabliert und auf welchen Denkkonzepten er aufbaut, bleibt der Artikel hingegen - wie viele Artikel aus diesem Bereich - schuldig.

Sexismus


"Die Wikipedia ist eine freie Enzyklopädie in mehr als 100 Sprachen, zu der jeder mit seinem Wissen beitragen kann." So steht es auf der Startseite, der deutschen Ausgabe. Das "jeder" genau genommen nur die männlichen Teile des deutschen Sprachraums anspricht, ist kein Zufall. Gegen geschlechtsneutrale Formulierung sperrt man sich bei Wikipedia seit langen, obwohl es immer wieder Versuche von kritischen UserInnen gab, diesen Missstand zu beheben. In einer eigenen Namenskonvention wendet man sich gegen "Political Correctnes" - wie es dort heißt. "Die Wikipedia verwendet dieses Binnen-I nicht. Artikel werden unter dem maskulinen Bezeichner angelegt." Auf der zuständigen Diskussionsseite ging es eine Zeit lang heftig zur Sache. Sorgen um die Ästhetik der deutschen Sprache, die durch das Binnen-I verschandelt würde, gehören in der Auseinandersetzung zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen des Binnen-Is noch zu den harmloseren Beiträgen. Als Benutzerin Katharina zu Protokoll gibt, auch sie würde das Binnen-I "scheußlich" finden, scheint die Diskussion auch für die Herren von Wikipedia beendet. Denn wenn"s selbst eine der wenigen Administratorinnen der angeblich so offenen Internetenzyklopädie so sieht, kann es ja gar nicht sexistisch sein Frauen mit sprachlicher Nichterwähnung zu strafen.

Obwohl die GegnerInnen der geschlechtsneutralen Schreibweise über Argumente wie "Alice Schwarzer schreibt sich schließlich auch nicht Alice SchwarzerIn" zumeist nicht hinauskommen und von einigen kritischen NutzerInnen durchaus differenziert für das Binnen-I argumentiert wurde, änderte sich am Umgang der Wikipedia mit dem Problem bis heute nichts. Ergebnis waren durchaus Skurrile Erscheinungen wie die Kategorie "Frauenrechtler" (sic!).

Auch vergleichsweise "gemäßigte" Versuche Frauen sprachlich sichtbar zu machen, werden von der Wikipedia-Besatzung zumeist schnell zu Nichte gemacht. Das im Artikel zu Theater bei den Theaterberufen von "Schauspielerinnen und Schauspielern", "Statistinnen und Statisten", usw. die Rede war störte den User AndreasPraefcke dermaßen, dass er kurzerhand die weiblichen Berufstitel entfernte. Die zynische Begründung: "PC-Unsinn wieder entfernt (wer so doof ist, nicht zu merken, dass naTürlich nicht nur Männer in einem Theater arbeiten, für den brauchen wir hier auch nicht zu schreiben)".

Doch es bleibt nicht bei der sprachlichen Ausgrenzung. Fakt ist, dass Frauen als Wikipedia-Autorinnen klar in der Minderheit sind und auch bei öffentlichen Wikipedia-Auftritten kaum in Erscheinung treten. Als Wikipedia im Jahr 2005 den Grimme Online Award in zwei Kategorien verliehen bekam, waren es ausschließlich Männer, die den Preis entgegennahmen. Schon zuvor wurde von Wikipedia-NutzerInnen Kritik an dieser Entscheidung geübt. Darauf eingegangen wurde nicht. Im Gegenteil: Die UserInnen, die darauf drängten, dass der ohnehin geringe Frauenanteil in der Wikipedia bei der Preisverleihung repräsentiert sein sollte, wurden verhöhnt und ihr Anliegen letztendlich nicht weiter beachtet. (siehe "Genderquote und Kilometerpauschale")

Umgang mit rechtsextremen UserInnen


Ein Problem, dass nicht nur aus der Offenheit der Wikipedia resultiert, sind sich hÀufende Versuche die Enzyklopädie von rechtsextremer Seite zu unterwandern und die einschlÀgigen Themenbereiche inhaltlich zu beeinflussen. Leider gibt es in einem offiziellen Wikipedia-Rahmen keinerlei Abgrenzung gegenüber rechtsextremen UserInnen. Die oftmals beschworene "Neutralität" kommt in diesem Bereich einem Wegschauen gleich. Dass "jeder mit seinem Wissen" beitragen kann - wie es auf der Hauptseite von Wikipedia zu lesen ist - schließt offenbar auch AutorInnen mit rechtsextremen Positionen ein.

Benutzer Pluriscient beispielsweise ist der Meinung, dass auf Wikipedia ein Linksintellektuelle Dominanz herrsche, der er auf seine eigene Weise entgegentreten möchte. Er sympathisiert mit der deutschen Wehrmacht, die er immer wieder gegen vermeintlich ungerechtfertigte Angriffe in Schutz nimmt. Seinen Einstieg in die Arbeit an dem Artikel begründete er damit, dass "im betreffenden Artikel übelste Propaganda betrieben und eine ganze Generation hervorragender Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften zu Verbrechern deklariert wird" (sic!). Neben dem Artikel zur Deutschen Wehrmacht, ist Pluriscient Mitautor von Einträgen wie Waffen-SS, Dienstgrade in der Wehrmacht und weiteren Artikeln aus dem einschlägigen Themenbereich.

Engagierte Projekte zum Thema Rechtsextremismus, finden fast ausschließlich auf den persönlichen Seiten kritischer UserInnen statt. Mehrere Unterkategorien zum Thema Rechtsextremismus werden immer wieder massiv angefeindet oder - wie zuletzt im August 2005 - zur Löschung vorgeschlagen. Ähnlich geht es dem Projekt eines Wikipedia-Readers zum Thema. Ob dieser jemals mit Unterstützung der Wikipedia in Druck gehen wird scheint fraglich.

Die Löschpolitik die von den UserInnen der Enzyklopädie in Bezug auf rechtsextreme Themengebiete verfolgt wird, ist mehr als bedenklich und gibt Aufschluss über die Hegemonie, die entsprechende Positionen dort mittlerweile erreicht haben. In den vergangenen Wochen wurden beispielsweise die Kategorie Faschist nach ausgiebigen Diskussionen mit fadenscheinigen Begründungen gelöscht. Die Begründungen gingen dabei über Argumente wie "Macht nur unnötige Arbeit" nicht wirklich hinaus und sind damit auch ein gutes Beispiel für die politische Unbedarftheit, die rechtsextremen UserInnen die Arbeit zusätzlich erleichtert.

Zudem gab es vor kurzem einen öffentlichen Aufruf im Neonazi-Forum "Freier Widerstand" gezielt Wikipedia-Artikel inhaltlich zu beeinflussen. Und einen guten Rat gab"s auch noch mit: "Denkt an § 130 StGB: Bei Euren kreativen Einfällen bezüglich des Hess Artikels auf Wikipedia lasst Euch nicht zu Strataten hinreißen und bedenkt , dass der § 130 Volksverhetzung verschärft wurde. An Zahlen die Auschwitz relativieren würde ich nicht rumfreckeln, Ihr wisst ja, die Schlapphüte schlafen nicht ." Eine andere UserIn des Forums gibt zu Protokoll, er/sie hätte "schon mal vor einigerzeit was in vikipedia anders geschreiben..." (Rechtschreibfehler im Original).

Fazit


Auch wenn es an der deutschsprachigen Wikipedia viel zu kritisieren gibt, heißt das nicht, dass althergebrachte Enzyklopädien wie Beispielsweise der Brockhaus qualitativ höher stehend sind. Bezeichnenderweise wird von Seiten der Brockhaus-Herausgeber gerade einer der positivsten Aspekte der Wikipedia kritisiert - nämlich der allgemeine und vergleichsweise offene Zugang zu Wissen.

Die berechtigte Kritik an den rassistischen, sexistischen und eurozentristischen Inhalten der deutschsprachigen Wikipedia darf nicht dazu führen hierarchische und ausschließend erstellte Enzyklopädien wie den Brockhaus oder Encarta in den Himmel zu loben. Das System der Wikipedia scheint durchaus zukunftsträchtig und bietet einem breiten Spektrum an AutorInnen die Möglichkeit in einem demokratischen Rahmen an einem Großprojekt zu partizipieren.

Das einzige Problem des Wiki-Systems ist, dass die Ergebnisse nun mal davon abhängen, welche Menschen sie erarbeiten und welche Schwerpunkte sie setzen. Sollte in der deutschsprachigen Wikipedia eine breite Auseinandersetzung mit bisher vernachlässigten Themen beginnen - wie sie einige NutzerInnen ja bereits seit langem fordern - wird das Projekt die angestaubte Konkurrenz aus den Häusern Microsoft und Bertelsmann sicher endgültig hinter sich lassen können. Einen positiven Ansatz stellt beispielsweise der Vorschlag einer Wiki-Antidiskriminierungs-Etikette dar. Im Moment sind solche Projekte in der Wikipedia allerdings noch ein Minderheiten-Programm.

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