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Quellenangabe:
Internationales Communique/ Erklärung an die Weltöffentlichkeit (vom 30.05.1999),
URL: http://no-racism.net/article/14/, besucht am 23.11.2024

[30. May 1999]

Internationales Communique/ Erklärung an die Weltöffentlichkeit

Stoppt den Staatsrassismus in Österreich!

Wir, die Österreichischen NGOs, kirchlichen Gruppen und Einzelpersonen, die sich für die Menschenrechte und für eine Welt ohne Rassismus einsetzen, rufen die internationale Öffentlichkeit und die kritische Österreichische Zivilgesellschaft auf, der massiven Verschlimmerung der rassistischen Zustände in Österreich nicht länger tatenlos zuzusehen.

In den letzten Monaten haben sich die rassistischen Eruptionen v.a. seitens der Polizei massiv gehäuft. Insbesondere für Menschen mit dunkler Hautfarbe ist ein Klima der Bedrohung entstanden, in dem schwere Verprügelungen, Demütigungen in der Öffentlichkeit, willkürliche Verhaftungen, schikanöse Perlustrierungen, stets begleitet von Anzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt reale Optionen des Alltags geworden sind. Die dokumentierten Übergriffe richten sich sowohl gegen Österreichische bzw. Europäische Staatsbürger mit afrikanischem Background, gegen afrikanische Diplomaten und Taxifahrer, gegen Roma, gegen ChinesInnen, und gegen Menschen aus Südosteuropa.

Mit der Tötung des Nigerianers Marcus Omofuma durch drei Österreichische Polizisten im Rahmen einer Abschiebeaktion am 1. Mai 1999 und der Verarbeitung dieses Vorfalls durch die Österreichische Öffentlichkeit wurde ein trauriger Höhepunkt erreicht. Die große Mehrheit der Österreichischen Bevölkerung hat sich dabei gegen die Menschenrechte und für die Nationalstaatsräson entschieden. Anders als in Belgien, wo der Innenminister nach dem Tod von Semira Adamu aufgrund des starken öffentlichen Drucks zurücktreten mußte, wurde der aufkeimende politische Protest in Österreich mit systematischer Diffamierung und Kriminalisierung durch Innenministerium und Polizeiapparat unterdrückt. Wie schon vor 13 Jahren im Rahmen des Waldheim-Wahlkampfes hat sich wieder einmal gezeigt, wie dominant die antisemitische bzw. rassistische Tradition in Österreich immer noch ist.

Der Rassismus in Österreich bezieht seine besondere Gefährlichkeit aus dem Umstand, daß die latente pogromatische Bereitschaft weiter Bevölkerungsteile mit einem Rassismus von oben, von den Spitzen des Staates zusammentrifft. Der identitäre Hass auf alles als fremd Definierte ist geradezu ein Kennzeichen der "Österreichischen Seele". Auf dem Boden des rassistischen Konsenses wird in Österreich ganz offen auch von Parteien der sogenannten Mitte Wahlkampf betrieben. Rassistisches Handeln wird von vielen Autoritäten direkt oder indirekt legitimiert. Diese Form des Staatsrassismus unterscheidet die Situation in Österreich wesentlich von jener in anderen westEuropäischen ländern, zumal gesellschaftliche Gegengewichte z.B. in Form von starken progressiven Parteien oder von antirassistisch aktiven Gewerkschaften kaum existieren.

Im Gegensatz zur reaktionären ist die kritische Zivilgesellschaft in Österreich schwach entwickelt, v.a. weil die in der Sozialpartnerschaft versammelten großen Interessenvertretungen stark zentralisiert und in den rassistischen Konsens miteingebunden sind. Solchermaßen hat z.B. der Österreichische Gewerkschaftsbund seit vielen Jahren trotz eigener Beschlüsse, trotz Druck seitens internationaler und europäischer Gewerkschaftsverbände und in offenem Widerspruch mit internationalen Assoziationsabkommen keinerlei politische Initiative zur Durchsetzung des passiven Betriebsratswahlrechts für ausländische ArbeitnehmerInnen gesetzt. Damit ist Österreich seit mehr als 20 Jahren das letzte Land in Europa, in dem nicht einmal auf betrieblicher Ebene eine Mitsprache der MigrantInnen gewährleistet ist; von kommunalem Wahlrecht ganz zu schweigen.

Österreich ist Mitglied der Europäischen Union. Dennoch gibt es in Österreich anders als in den meisten anderen Staaten Europas noch immer kein Anti-Diskriminierungsgesetz. Da Österreich zudem der einzige Staat "westlicher Prägung" ist, in dem das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz nur StaatsbürgerInnen und nicht allen Menschen gewährt wird, ist die Diskriminierung von MigrantInnen und Flüchtlingen auch für den Gesetzgeber leichter als in anderen ländern zu bewerkstelligen.

Dazu kommt eine quasimonopolistische Medienlandschaft, die im Fernseh- und Radiobereich von bestenfalls unkritischen staatlichen Programmen beherrscht wird, während im Printmedienbereich eine alles andere als antirassistisch eingestellte Tageszeitung über 80 % der Marktanteile hält.

Die Asylpraxis ist extrem restriktiv. Im Schnitt der letzten 4 Jahre wurde jährlich ca. 700 Personen Asyl gewährt, während rund 12.000 pro Jahr abgeschoben wurden. Die Zustände in Österreichischen Schubgefängnissen sind menschenverachtend und liegen weit unter dem Standard, der Strafgefangenen zugestanden wird. Die Abzuschiebenden werden dort oft bis zu 6 Monaten auf engstem Raum festgehalten, bis die Bürokratischen Formalitäten mit den "Rücknahmeländern" erledigt sind. Auch Minderjährige werden in Österreich in Schubhaft genommen. Konzepte wie z.B. Doppelstaatsbürgerschaft oder Legalisierung werden nicht einmal debattiert.

Österreich hält seit Jahrzehnten konsequent am Modell des ethnischen Nationalstaates fest. Immer offener vollzieht dieses System die Teilung der Menschenrechte. Die Entwicklung ist tatsächlich besorgniserregend. Die kritische Österreichische Zivilgesellschaft muß zugestehen, daß sie in den letzten 10 Jahren auf allen Ebenen an politischem Boden verloren hat. Aus dieser Schwäche heraus bitten wir die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Wir fordern alle demokratischen Kräfte auf, dem Beispiel des britsichen House of Lords gegenüber Belgien zu folgen und auch Österreich nicht mehr als sicheres Drittland für Asylwerbende anzuerkennen. Wir bitten darum, Kritik und Protest gegen die rassistischen Entwicklungen gegenüber Österreichischen Vertretungsinstanzen im Ausland zu artikulieren. Wir können in unseren Kampf gegen Rassismus nur dann erfolgreich sein, wenn wir aktive Unterstützung von internationaler Seite bekommen. Umgekehrt liegt es im Interesse aller Kräfte, die sich international für die Menschenrechte und gegen Rassismus einsetzen, daß Österreich nicht zum Modell eines neuen Staatsrassismus im Rahmen der Festumg Europa wird.

Dieser Aufruf wird auf europäischer Ebene unterstützt von den Dachorganisationen United und ENAR, dem European Network Against Racism.

Wir bitten um die weitestmögliche Verbreitung dieses Communiqués, das in Österreich von mehr als 1000 Organisationen und Einzelpersonen unterzeichnet wurde.