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Quellenangabe:
Kärnten ist anders - Urlaub bei FreundInnen?! (vom 12.12.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1487/, besucht am 22.12.2024

[12. Dec 2005]

Kärnten ist anders - Urlaub bei FreundInnen?!

Dass in Kärnten/Koroska die Uhren etwas anders gehen, ist nicht sonderlich neu. Selbst Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs, der obersten innerstaatlichen Instanz im Rechtsstaat Österreich, zur sogenannten 'Ortstafelfrage' werden einfach ignoriert.

Kärnten/Koroska ist anders - Kärntner Zustände sind geprägt von Heimatdienst, Hass gegen die slowenische Minderheit, der sich u.a. auf den Mythos der 'Tito-kommunistischen Partisanen' stützt, anderen revisionistischen Geschichtsdeutungen und auch vom jährlich im September stattfindenden Ulrichsberg-Treffen. Dieses 'Heimkehrertreffen', welches ganz im Zeichen des Gedenkens an gefallenen Kameraden in beiden Weltkriegen und im 'Kärntner Abwehrkampf' steht, bringt am Ulrichsberg in der Nähe von Klagenfurt/Celovec Veteranen der Wehrmacht und (Waffen-)SS, sowie deren Angehörige und ideologische 'Nachfahren' im Schulterschluss mit Politprominenz zusammen. Wie auch 2005 wieder klar wurde, ist auch die Kameradschaft IV, die Veteranenorganisation ehemaliger Mitglieder der Waffen-SS, 'gern willkommen' (Rudolf Gallob, Präsident der Ulrichsberggemeinschaft, am 18.9. 2005 bei seiner Festrede am Ulrichsberg).

Im September 2005 kam es zum ersten Mal seit längerem wieder zu Protesten gegen das Ulrichsbergtreffen im Speziellen und gegen Kärntner Zustände im Allgemeinen. Begleitet wurden die Gegenaktivitäten von Anfang an von Versuchen der Kärntner Behörden, die Proteste so schwierig wie möglich zu gestalten. So wurde den AnmelderInnen einige Tage nach der Anzeige der geplanten Kundgebungen telefonisch von der zuständigen Abteilung der Bundespolizeidirektion Klagenfurt/Celovec damit gedroht, 'alles zu untersagen', wenn es zu keinen Verhandlungen mit den Kärntner Behörden kommen würde - ein Vorgehen ohne jede rechtliche Grundlage.

Doch auch in Kärnten/Koroska gilt die österreichische Verfassung, die auch das Versammlungsgesetz beinhaltet, welches Versammlungsfreiheit vorschreibt. Da sowohl der im Zuge der Proteste errichtete Infopoint am Neuen Platz in der Klagenfurter Innenstadt, wie auch sämtliche anderen Aktionen zweifelsfrei als Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz zu qualifizieren waren, konnten selbst die Kärntner Behörden nur beobachten, überwachen und schikanieren.

Am 17. 9. 2005 kam es zur Festnahme des deutschen Antifaschisten E. in Krumpendorf/Kriva Vrba/ Wörthersee anlässlich seiner Teilnahme an der Demonstration gegen das Treffen der Kameradschaft IV. Diese rechtlich sehr bedenkliche Festnahme, die Anhaltung, seine Verurteilung im Schnellverfahren drei Tage später so wie die Verhängung eines 10jährigen Aufenthaltsverbots lassen eine Reihe von Fragen aufkommen. Das Verhalten der Kärntner Polizei und Justiz steht in offenem Widerspruch zu fundamentalen Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaats.

Die Festnahme von E. erfolgte im Zuge einer spontanen Demonstration vom Kundgebungsort am Krumpendorfer Bahnhof in Richtung Waffen-SS-Treffen, als die BeamtInnen versuchten, die Demo am Weitergehen zu hindern. Dass selbst spontane Kundgebungen oder Demos in Österreich nicht illegal sein können, wollen diensthabende PolizeibeamtInnen selten wahr haben. So wollten diese immer wieder AktivistInnen dazu veranlassen, auf den Gehsteig zu gehen, damit 'der Straßenverkehr nicht behindert würde'. Die Situation eskalierte, als einige DemoteilnehmerInnen in den vorderen Reihen damit beginnen wollten, sich zwischen die PolizeibeamtInnen zu drängen, um ein Weitergehen zu ermöglichen. Hoffnungslos überforderte DorfpolizistInnen (Demos in Krumpendorf sind wohl eine Seltenheit?) schnappten sich den Erstbesten, in diesem Fall E. und nahmen ihn wegen 'Widerstands gegen die Staatsgewalt' fest.

Nach seiner Festnahme wurde er von den BeamtInnen der Polizeiwache mit herabwürdigenden und beleidigenden Äußerungen bedacht und verbal mit Schlägen bedroht. Außerdem wurde der festgenommenen Person gegen ihren Willen eine DNA-Probe abgenommen, obwohl keinerlei gesetzliche Voraussetzungen für die Abnahme einer DNA-Probe vorlagen. Weiters bekam E. erst am nächsten Tag zu essen, die auf seinen nachdrücklichen Wunsch bestellte Pizza musste E. aus eigener Tasche bezahlen.

Gegen jene PolizeibeamtInnen wurden Disziplinaranzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht, da sie die sofortige Einlieferung in die JA-Klagenfurt unterließen, den Festgenommenen nicht entsprechend der Anhalteordnung versorgten, die vorgeschriebene Protokollierung unterließen und den Festgenommenen durch Beschimpfungen einschüchterten bzw. psychisch erniedrigten.

Wenige Stunden später versuchte der von der Rechtshilfe beauftragte und sehr engagierte Rechtsanwalt Dr. Paya zu E. zu gelangen, was ihm anfangs von den BeamtInnen in Krumpendorf verweigert wurde; nach einiger Zeit durfte der Anwalt nach nachdrücklichen Verweisen auf die österreichische Rechtsordnung doch zu E..

Diesem wurde von den BeamtInnen immer wieder vorgeworfen, dass ihm nicht zu helfen sei, wenn er nichts sagen würde; aufgrund seiner Aussageverweigerung versuchten die BeamtInnen sein Verhalten auf der Demonstration als kriminellen Akt zu deuten. Die Gesetzesgrundlage für die Aussageverweigerung, §178 StPO, übrigens ein fundamentales Recht des Beschuldigten im Strafrecht, welches auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention normiert ist und sich niemals belastend auswirken darf, scheint den diensthabenden PolizistInnen nicht bekannt gewesen zu sein.

Die Nacht von 17.auf 18.9.2005 musste E. auf einer Polizeistation in Ferlach verbringen, erst am späten Nachmittag des nächsten Tages wurde E. in die Justizanstalt Klagenfurt gebracht. Seine Anhaltung wurde dadurch unnötigerweise verlängert. Diese Vorgehensweise widerspricht der im Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit geforderten Unterlassung eines 'unnötigen Aufschubs' bei der Überstellung in die JA Klagenfurt/Celovec. Sowohl Polizei als auch Gericht schöpften die absolut zulässige Obergrenze zur Festhaltung aus.

Rechtsanwalt Dr. Paya wurde versichert, dass sich das Gericht bei ihm melden würden, wenn E. dem U-Richter vorgeführt würde. Dr. Paya wurde allerdings nicht benachrichtigt, als E. am 20.9.2005 unter Umgehung des eigentlich zuständigen U-Richters sofort vor das Landesgericht Klagenfurt/Celovec gestellt wurde. Richter Mag. Liebknecht setzte E. unter Druck, indem er ihn vor die Entscheidung stellte: Entweder jetzt ein Schnellverfahren ohne Anwalt und eine Aussage oder Verhängung der U- Haft. Der Betroffene willigte schließlich in das Schnellverfahren ein und wurde ohne Rechtsbeistand zu 9 Monaten bedingter Haft verurteilt.

Das österreichische Strafprozessrecht kennt an sich auf Landesgerichtsebene kein Schnellverfahren in diesem Sinn, lediglich auf Bezirksgerichtsebene ist ein Schnellverfahren bei Delikten mit geringer Strafandrohung möglich. Nach Ende des Prozesses wurde E. mitgeteilt, dass er jetzt gehen könne. Weil im Haftraum noch persönliche Gegenstände lagen, ging E. in die Zelle zurück. Die diensthabenden BeamtInnen schlossen hinter ihm die Tür und hinderten ihn daran, die Zelle zu verlassen. Dieses absolut willkürliche und schikanöse Verhalten stellt eine weitere Verletzung fundamentaler Menschenrechte dar und wird auf dem Rechtsweg bereits bekämpft.

Nachdem E. dann doch erlaubt wurde, die Justizanstalt zu verlassen, erfolgte der Einsatz der Fremdenpolizei, welche E. in Abschiebehaft überstellte und ihm ein Aufenthaltsverbot in Österreich für die kommenden 10 Jahre erteilte. Erst nach erneutem Eingreifen des Anwalts Dr. Paya konnte E. tatsächlich den Haftraum bei der Fremdenpolizei verlassen und musste noch am selben Tag aus Österreich ausreisen.

Gegen die Festnahme selbst wurde eine Maßnahmenbeschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat erhoben, da nach wie vor unklar ist, welche 'Widerstandshandlung' E. unternommen haben sollte, die ein derartiges Vorgehen der Polizei und des Gerichts rechtfertigen würde.

Das Vorgehen der BeamtInnen, JustizwachebeamtInnen sowie des Richters am Landesgericht für Strafsachen in Klagenfurt/Celovec werten wir als Kriminalisierung antifaschistischen Widerstands gegen Kärntner Zustände, die das erste Mal seit langem im September 2005 gegen das Ulrichsbergtreffen stattgefunden haben und mit großer medialer Aufmerksamkeit bedacht wurden.

Gegen das Urteil wurde Berufung wegen Nichtigkeit und gegen Schuld und Strafe eingelegt, gegen das Aufenthaltsverbot und sämtliche anderen subjektiven Rechtsverletzungen wurden Einsprüche bzw. Beschwerden erhoben. Das kostet leider viel Geld und deshalb bitten wir um zahlreiche Spenden...

And watch out for Solipartys!


Innerhalb weniger Tage nach den Ereignissen in Kärnten/Koroska stellte der Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger eine parlamentarische Anfrage an die Bundesministerin für Justiz betreffend der ungerechtfertigen Festnahme und der Verurteilung im Schnellverfahren. Das Justizministerium beantwortete Mitte November 2005 diese Anfrage unvollständig und widersprüchlich. Es geht z.B. weder hervor, ob Untersuchungshaft verhängt wurde oder nicht. Weiters wird die Frage, warum der U-Richter auch zugleich Strafrichter sein konnte (ein Grund für die Nichtigkeit des gesamten Verfahrens), schlicht ignoriert. Geschickt zieht sich die Justizministerin aus der Äffaire, wenn sie darauf verweist, dass ihr ohnehin eine Prüfung der Vorgangsweise nicht zusteht, was zwar formell richtig ist, aber ihr rechtliches Desinteresse widerspiegelt.

Im Herbst 2005 haben AntifaschistInnen trotz Repression und Dauerregen Protest und Widerstand gegen die Kärntner Zustände und das Ulrichsbergtreffen in Kärnten/Koroska gezeigt und eins darf mit Sicherheit gesagt werden: auch 2006 kommen wir wieder und werden erneut frech verkünden: 'wärn sie bloß nie heimgekehrt!'

Gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Widerstands - gegen die "Kärntner Zustände!"

Rechtshilfe u-berg, November 2005

Kontakt: rechtshilfe (at) u-berg.at

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