Quellenangabe:
Cronulla: Zur Sicht der Whiteys (vom 02.01.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1508/,
besucht am 24.11.2024
[02. Jan 2006]
Kommentar zur Ausblendung von Rassismen und der weißen Position sowie zu Verstrickungen von Rassismen und Sexismen. Welches Bild zeichnen die Berichte über die rassistischen und die meist ausgeblendeten sexistischen Ausschreitungen in Cronulla?
Am 22. Dezember 2005 erschien im Newsletter 26/2005 von australien-info.de ein :: Feature: Unruhen in Australien. Meine folgende Kritik bezieht sich nicht nur auf diesen Artikel, jedoch diente er mir als Grundlage zur Formulierung, da sich in ihm einige Muster widerspiegeln, auf die meine Kritik zielt. Und dann sei noch angemerkt: Alles in allem finde ich diesen Beitrag lesenswert, jedoch bedarf eine kritische Auseinandersetzung auch eines reflektierten und kritischen Lesenes von Texten. Denn schon als LesendeR interpretiere ich die geschriebenen Zeilen und befinde ich mich in einer Position der Wertung. Eine dieser Positionen gilt meine Kritik: Der Position des weißen Mannes. Und um mich selbst zu positionieren sei darauf hingewiesen, dass es mir darum geht, diese Position zu dekonstruieren.
Der Bericht auf australien-info.de gibt einen umfangreichen Überblick über die rassistischen Ausschreitungen in Australien, jedoch muss angemerkt werden, dass in den Ausführungen zwar zugegeben wird, dass es sich um rassistische Ausschreitungen handelt, gleichzeitig aber auch eine Relativierung von Rassismen vorgenommen wird. So wird in keiner Weise erwähnt, mit welchen politischen Maßnahmen in Australien in den letzten Jahren mit den sogenannten Bootsflüchtlingen umgegangen wird, wird nicht näher ausgeführt, dass die Regierung und Premierminister Howard seit Jahren nicht nur rassistische Gesetze ständig verschärfen und diese mit aufhetzerischen Parolen zu legitimieren versuchen. Deshalb verwundert es nicht, dass in dem Bericht der Satz auftaucht: "Der australische Premierminister John Howard hat die schweren rassistischen Ausschreitungen scharf verurteilt." Dass diese Verurteilung mehr als halbherzig war beweist schon die Tatsache, dass die rassistischen Ausschreitungen für Howard nicht mehr darstellen, als "Verbrechen wie Raub und Diebstahl", denen er keine besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen will.
Doch dies ist nur die Kritik an der offiziellen Position der australischen Regierung. Viel interessanter finde ich, dass immer wieder Folgendes als Ursache für die Konflikte genannt wird: "Außerdem sollen zuvor des öfteren Frauen in Bikinis durch Muslime sexuell belästigt worden sein, berichtete unter anderem 'The Australian' in einem Leitartikel." Was sagt uns das? Dass es zu sexuellen Belästigungen kommt. Dies ist wohl keine Binsenweisheit und mit Sicherheit Alltag auf allen Stränden dieser Welt. So auch in Australien, in dem Surfclubs eine lange Tradition haben. "Nach dem zweiten Weltkrieg haftete diesen Klubs ein miltärischer Drill an und es wurden typischerweise bullige 'Alphatiere' als Aufseher aufgenommen,..." Bis heute noch ist das Bild dieser Surfclubs sehr stark von Machismo geprägt (mehr dazu weiter unten).
Sexismus ist bestimmend für Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Interessant nur, dass es dann zu Problemen kommt, wenn Leute als Fremde bezeichnet werden und es als skandalös gilt, dass es sich diese herausnehmen, die "eigenen" Frauen anzubaggern. Interessant, wie gesagt, dass es einen Unterschied machen dürfte, welcher Mann welche Frau sexuell belästigt. Wenn weiße Männer (nicht nur) über weiße Frauen reden, als seien diese ihr Eigentum, ist dies nicht sexistisch? Ist es nicht ein Ausblenden des eigenen Machismo, immer wieder solche Muster zu bedienen und in den Anderen die Sexististen zu suchen, die Frauen unterdrücken? Ist es nicht bezeichnend, wie oft Sexismen zur Legitimation von Rassismen herhalten müssen?
So wundert es nicht dass eine Zwischenüberschrift im Artikel auf australien-online.de lautet: "Muslimische Männer mit Hang zur Gewaltbereitschaft" - Warum wird nicht expilizit auf die Gewaltbereitschaft der Whiteys hingewiesen? Eine Gewalt, die ihre Legitimation vor allem über rassistische Bilder und Stereotypen erhält.
Jetzt kann argumentiert werden: Wie soll dies von Europa aus bewertet werden? Dazu folgende Anmerkung: Denkt ihr, dass es in Europa anders ist? Denkt ihr, dass weiße Männer in Europa nicht mit ähnlichen Bildern ihre patriarchalen Vorteile absichern wollen? Meine Antwort ist klar: Der weiße Mann zährt von Rassismen, die ohne die Unterstützung von Sexismen, sexuellen Zwangsnormen und einer Doppelmoral nicht ihre erlebbare Wirkung erzielen könnten. Rassistische Stereotype bauen sehr oft auf einer scheinbaren "Überlegenheit des weißen Mannes" auf, die diesen das Recht einräumt, die "eigenen" Frauen und Kinder zu unterdrücken - sie eben als ihr Eigentum zu betrachten. Denn genau von dieser Sichtweise kommen Bezeichnungen wie "die eigenen" bzw. "unsere Frauen und Kinder". Es gilt für die Machos an den Stränden Australiens also nicht nur "seine" Welle zu erobern und "seinen" Strand zu verteidigen, sondern auch sich als "Beschützer" einer weißen Reinheit aufzuspielen. Dieses Revierdenken ist eine lang gelebte Praxis in Australien und hat immer wieder zu Auseinandersetzungen und Vertreibungen am ach so heilen Strand geführt - wie mir mittlerweile zahlreiche Leute bestätigten, die dies miterlebten.
Dass die Position von Frauen in solchen Geschichten völlig ausgeblendet wird ergibt sich schon aus der Tatsache, dass sie nur als die "zu beschützende Objekte" gelten, denen die Handlungsfähigkeit offensichtlich abgesprochen wird. Denn auch Frauen waren aktiv an den Ausschreitungen beteiligt.
Weiters ist anzumerken, dass versucht wird, Rassismen durch die Betonung anderer Übel die Bedeutung für die Ausschreitungen zu entziehen, anstatt auf die deren Verstrickungen und gegenseiten Verstärkungen hinzuweisen. So kommt die Historikerin Jennifer Cornwall zu Wort - im übrigen bezieht sich der Artikel fast ausschließlich auf Männer und deren Aussagen. "Sie berichtet dass es in der Geschichte des Gebietes schon immer darum ging 'unter sich' zu bleiben. Vielleicht ist Engstirnigkeit (Parochialism) der weit zutreffendere Begriff für die 'Wurzel des Übels' als Rassismus. Schon 1974 habe aber das Council berichtet, dass die lokalen Einwohner die (...) versuchten aus dem Viertel raus zu halten. Nach Cornwalls Ansicht habe das alles etwas mit dem Schutz des eigen Territoriums vor Außenstehenden zu tun und dem 'Unter sich bleiben' mit seinen Kumpels ('mates'). Womit der zweite zentrale Begriff - 'mateship' - zu erläutern wäre: eine australische Form der Kameradschaft, die ihre historischen Wurzeln in der Besiedlung des weiten Landes durch Weiße hat und ein ganz eigener Teil der kumpelhaften, zuweilen aber auch etwas ruppigen australischen Kultur ist getreu dem Motto 'Hart, aber herzlich'. Treibstoff des Mateship ist unzweifelhaft in vielen Fällen der Alkohol."
Und hier hier taucht eine weitere "Erklärung" für die Unruhen auf: Alkohol als "Treibstoff"...
Am Ende dieser Zeilen will ich noch auf einen Kommentar hinweisen, der für mich bei der Formulierung dieser Zeilen beeinflusste. Im Forum des australischen Magazins :: Green Left Weekly erschien am 13. Dezember 2005 der Beitrag: :: "Sexism and Racism at Cronulla" (siehe auch die Kommentare dazu).
"These racist thugs are utilising women's bodies to justify their disgusting racism and this needs to be strongly opposed. With the demise of an organised women's liberation movement, sexism is stridently on the march again. Sexists and racists, however, are trying to use patriotism and a warped version of feminism to justify their racist attacks on Muslims and Arabs (both men and women). They point supposedly to the mistreatment of women by all Arab and Muslim men but fail to recognise their own sexist behaviour."
Dies ist die erste schnell geschriebene Formulierung von ein paar Gedanken, die mir beim Lesen des Textes von australien-info.de und zahlreichen Berichten in Mainstreammedien durch den Kopf gingen. So störte mich in letzteren auch die ständige Ethnisierung der Konflikte und die unkommentierte und in vielen Abwandlungen immer wiederkehrende Verwendung des Wortes "Rasse". Auch dies würde sich eine umfangreichere Auseinandersetzung verdienen. Und vielleicht bieten diese Zeilen ja einen Anlass, sich Gedanken über das eine oder andere vorgefertigte Bild zu machen. Es muss ja nicht in Bezug auf Australien sein. Denn Sexismen und Rassismen wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig - auch vor der eigenen Haustüre.
Dieser Kommentar erschien zuerst am 23 Dec 2005 auf :: at.indymedia.org, er wurde etwas gekürzt übernommen.