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Quellenangabe:
In Gedenken an Oury Jalloh (vom 11.01.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1517/, besucht am 25.04.2024

[11. Jan 2006]

In Gedenken an Oury Jalloh

Oury Jalloh verbrannte am 7. Jänner 2005 in einer Gewahrsamszelle der Polizei in Dessau (BRD) unter bisher ungeklärten Umständen. Ein Jahr nach seinem Tod bleibt die Forderung nach Aufklärung des Falles aufrecht.

Eine Mahnwache am 7. Jänner 2006 forderte Aufklärung, Entschädigung und Gerechtigkeit für Oury Jalloh. Der 21-Jährige Mann aus Sierra Leone verbrannte am lebendigen Leib auf einer Pritsche gefesselt ohne dass ihm jemand zu Hilfe kam.

Viele Fragen zu den genauen Umständen des Todes und dem Verhalten der verantwortlichen PolizistInnen sind noch ungeklärt. Die StaatsanwältInnenschaft ermittelt momentan gegen zwei Polizisten wegen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung. FreundInnen des verstorbenen Oury Jalloh schließen nach wie vor nicht aus, dass es sich im schlimmsten Fall um einen vertuschten rassistischen Mord handeln könnte. Der Prozess hat immer noch nicht begonnen. Es wäre nicht das erste Mal das derartige Ermittlungen eingestellt bzw. zu Gunsten der Staatsbeamten ausgehen würden. Einen genauen Überblick über den eingenartigen Verlauf der Ermittlungen bietet ein Bericht auf :: mut-gegen-rechte-gewalt.de.

Ob die Nebenklage der Eltern zugelassen wird ist nicht sicher. Ebenso ist fraglich, ob ein Dessauer Telefonladen, welcher als Treffpunkt für Flüchlinge dient, weiterhin geöffnet bleiben darf. Derzeit gibt es ein Verfahren der Stadt, in dem die Schließung gefordert wird. Das Verfahren ist derzeit bei Gericht anhängig.


Mahnwache am 7. Jänner 2006


Die eisige Kälte passte irgendwie zum Anlass der Aktion. Die 60 Menschen die sich heute an der Dessauer Friedensglocke versammelten, um an den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor genau einem Jahr in einer Dessauer Polizeizelle zu erinnern, kannten sich fast alle persönlich. Neben zahlreichen Flüchtlingen aus der afrikanischen Community der Stadt, waren es vor allem AkteurInnen aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, dass Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus und das Multikulturelle Zentrum und einige alternative Jugendliche, die "Aufklärung, Entschädigung und Gerechtigkeit" forderten. VertreterInnen der Stadt Dessau suchte man dagegen vergeblich und von der örtlichen Kommunalpolitik verschlug es gerade einmal eine Abgeordnete der Linkspartei.PDS zur Mahnwache.

Dass der geplante Ort des Gedenkens zudem wegen zahlreicher Marktstände und eines stattfindenden Trödelmarktes nur eingeschränkt nutzbar war, erklärten Verantwortliche mit Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den zuständigen Ämtern.

Die politische Forderung der AktivistInnen, dass die Öffentlichkeit ein Jahr nach den Vorgängen in der Wolfgangstrasse ein Recht auf Aufklärung hätte, wurde in einem verteilten Flugblatt nochmals vehement unterstrichen. In dem Flyer forderten die OrganisatorInnen das zuständige Landgericht Dessau dann auch unmissverständlich auf: "Bringen Sie endlich durch ein öffentliches Verfahren Licht in dieses schreckliche Geschehen."


Die Staatsanwaltschaft in Dessau ermittelt seit dem Tod Oury Jallohs gegen zwei Polizeibeamte wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung mit Todesfolge. Während einer der beschuldigten Beamten den Feueralarm, der damals aus der Zelle zu vernehmen war, mehrmals ignorierte und abschaltete, wird dem anderen Polizisten vorgeworfen, bei der Durchsuchung Oury Jallohs ein Feuerzeug, mit dem sich laut Staatsanwaltschaft der an Händen und Füßen gefesselte Asylbewerber selbst entzünden haben soll, übersehen zu haben. Bisher hat es das Landgericht Dessau mit der Begründung es gäbe noch Ermittlungsbedarf, die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt.

Gerade diese Verzögerung im juristischen Verfahren und der Aufarbeitung des Falles ist es aber, die die starke Verunsicherung unter Flüchtlingen und MigrantInnen in der Stadt weiterhin befördert und Nährboden für Gerüchte und Spekulationen jeglicher Art bietet.


In einer spontanen Entscheidung entschloss sich die afrikanische Community Dessaus nach Beendigung der Mahnwache an der Friedensglocke, zum Polizeirevier zu gehen um dort eine Geste der Trauer und des Gedenkens zu zeigen. In bedächtiger Atmosphäre stellten sie auf den Stufen des Reviers Kerzen auf und legten Bilder Oury Jallohs nieder. Wie erforderlich es ist, in Dessau gerade mit solchen Aktionen in die Öffentlichkeit zu treten, zeigte die Reaktionen einer Passantin. Diese äußerte abschätzig beim Anblick der Trauerzeremonie: "Wann ist endlich mal Schluss mit der Sache, wann kann man endlich wieder seine Ruhe haben."

Nur einen Steinwurf von der Mahnwache entfernt nahm ein Teilnehmer auf dem Trödelmarkt zudem ein unglaubliches Bild war. Ein Händler aus Wittenberg bot in der Auslage ein Hitler-Foto zum Kauf an, dass den Führer des nationalsozialistischen Terrorsstaates in einer Menge jubelnder Volksgenossen zeigt. Nachdem die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (Projekt gegenPart) die Polizei informierte, stellte der Staatsschutz das Foto sicher und nahm die Personalien des Standinhabers fest. Ein engagierte Bürger stellte Strafanzeige wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole (§ 86a STGB).


Die Initiative Oury Jalloh tritt für eine unabhängige Aufklärung des Todesfalls ein und wendet sich gegen staatlichen Rassismus und diskriminierende Polizeipraktiken:

So wie überall in Deutschland sind auch in Dessau MigrantInnen staatlicher Repression ausgeliefert. So sind willkürliche, diskriminierende Polizeikontrollen an der Tagesordnung. Mehrere Betroffene berichteten von wiederholten Polizeikontrollen ab 21 Uhr, behördlicher Ignoranz bei Hilfegesuchen und von körperlichen Misshandlungen durch Polizeibeamte auf offener Straße sowie im Polizeirevier.

In Deutschland ist es für Flüchtlinge und MigrantInnen alltägliche Normalität, dass ihnen grundlegende Menschenrechte verweigert werden, dass sie bei Wohnuns- und Arbeitssuche auf rassistische Art diskriminiert wedenrden, dass sie nicht am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben. Das neue "Zuwanderungs"-Gesetz verfestigt diese Normalität. Dieses orientiert sich an wirtschaftlichen, d.h. kapitalistischen Erfordernissen. Nach Bedarf erhalten die Einen zeitlich streng befristete Aufenthaltsgenehmigungen unter vielfältigen Auflagen. Den Anderen wird die Einreise bzw. die Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus noch unmöglicher gemacht als bisher: Geplant ist die Einrichtung von sogenannten Ausreisezentren (was einer Ausweitung der Abschiebehaft gleichkommt), die Abschaffung der Duldung, keine unbefristete Gewährung von Asyl, sondern eine permanente Abschiebedrohung durch erneute Prüfungen etc. Konsequenz dieser Politik ist eine zunehmende Illegalisierung von MigrantInnen.

Als Quelle für diesen Beitrag dienten ein Berichte auf :: projektgegenpart.org, :: freie-radios.info , :: mut-gegen-rechte-gewalt.de und :: attac.de/halle/oury