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Quellenangabe:
Unter österreichischer Präsidentschaft: Tanzania als Vorhof europäischer Asylpolitik? (vom 12.01.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1518/, besucht am 26.12.2024

[12. Jan 2006]

Unter österreichischer Präsidentschaft: Tanzania als Vorhof europäischer Asylpolitik?

Tanzania soll zum Standort eines Flüchtlings- programms der Europäischen Union werden. Das zumindest legte der Europäische Rat am 19. September 2005 in einem Aktionsplan im Rahmen des sogenannten Haager Programms fest.

Europa kommt damit seinem Ziel der Abschottung vor Flüchtlingen einen Schritt näher, während die strukturellen Probleme, die von hohen Flüchtlingszahlen verursacht werden, in die Länder des Südens ausgelagert werden. NGOs kritisieren eine weitere Unterminierung des Flüchtlingsschutzes.

Die wohl brisanteste Auswirkung der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft auf die Länder des südlichen Afrika war Innenministerin Liese Prokop nicht mehr als einen Halbsatz wert: Die EU plane, im Rahmen ihrer Asylpolitik Flüchtlings­schutz­programme in den Herkunftsländern zu initiieren; der Ort des Pilotprojekts sei Tanzania, gab die Ministerin am 17. November 2005 im Ständigen Unterausschuß des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union bekannt.

Damit soll unter österreichischer Führung ein Projekt des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union umgesetzt werden, das Ende 2004 beschlossen worden war. Der zugehörige Aktionsplan, der Tanzania als geeignet für das Pilotprojekt der Regional Protection Programmes vorsieht, wurde Anfang September 2005 unter britischer Rats­präsi­dent­schaft veröffentlicht.
Mit der Errichtung des Regional Protection Programme in Tanzania erfüllt Österreich zwar willfährig die Vorgaben dieser beiden Dokumente. Von dem "Weg der Vernunft", den Österreich in der EU einschlagen wolle, wie Ministerin Prokop betonte, kann jedoch keine Rede sein, ist das Projekt doch in mehreren Punkten überaus fragwürdig. Neben der Kritik am Standort Tanzania und Sorgen über die Auswirkungen des Programms auf das Land betonen Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen vor allem die negativen Auswirkungen auf das internationale Asylsystem, die diese Maßnahme haben könnte. Denn trotz der breit angelegten Rhetorik über den Schutz von Flüchtlingen dienen die Flüchtlingsschutzprogramme, so wie sie derzeit konzipiert sind, in erster Linie einer weiteren Abschottung der EU.

Das Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union wurde im November 2004 unter niederländischer Ratspräsidentschaft verabschiedet. Darin wird die restriktive Migrations- und Asylpolitik der EU konsequent fortgesetzt, deren Grundstein vom Europäischen Rat bereits 1999 in Tampere gelegt worden war. So sieht das Haager Programm innerhalb der EU vor, illegale Einwanderung - sowohl von ArbeitsmigrantInnen als auch von Flüchtlingen - zu reduzieren, indem die Kontrollen an den Außengrenzen der EU verschärft und biometrische Daten in Reisedokumenten verzeichnet werden. Zusätzlich sollen Visums- und Asylpolitik europaweit vereinheitlicht werden, unterstützt durch den Aufbau eines umfassenden Informationssystems über die Herkunftsländer. Als außenpolitische Maßnahmen bekräftigt das Programm den bereits eingeschlagenen Weg der "Rückkehr- und Rücknahmepolitik", gibt also ein klares Ja zur Abschiebung. Andererseits werden als relativ neue Ansätze Kooperationen mit Transit- und Herkunftsregionen und finanzielle Unterstützungen von Drittländern angeführt.
Diese "Kooperationen" sehen unter anderem die Errichtung von Schutzprogrammen der EU vor, und umfassen, so das Haager Programm, "eine Reihe von zweckdienlichen und in erster Linie auf den Kapazitätsaufbau abstellende Instrumente sowie auch ein gemeinsames Neuansiedelungsprogramm". Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt allerdings unklar: So sprach sich EU-Innenkommissar Franco Frattini in einem Interview mit Tageszeitung Die Presse vom 26. Novem­ber 2005 zwar gegen die Idee aus, Lager außerhalb der EU zu errichten, unterstrich allerdings, daß die Programme darauf abzielten, zu verhindern, "daß Menschen aus diesen Problem-Regionen versuchen, in den Norden zu gelangen". Als Mittel, mit denen das zu erreichen sei, nannte er lediglich die Notwendigkeit, "uns mit den Menschen und ihren Problemen in diesen Gebieten zu befassen, und ihnen vor Ort zu helfen".
Mit der Einrichtung derartiger Regional Protection Programmes greift der Rat allerdings die Idee auf, Flüchtlinge in Herkunfts- oder Transitländer auszulagern. Dies war bereits in den Vorjahren immer wieder von Innenministern der EU-Staaten gefordert worden. Der ehemalige deutsche Innenminister Otto Schily sprach sich etwa 2004 für die Errichtung von Flüchtlings-Auffanglagern in Nordafrika aus, was allerdings am Widerstand Marokkos und Algeriens scheiterte. Spanien und Frankreich wiederum setzten sich ebenfalls im Oktober 2004 für bilaterale Kooperationen mit nordafrikanischen Ländern nach dem Vorbild Italiens ein, das zu diesem Zeitpunkt mit Libyen bereits Vereinbarungen über eine rasche Rückführung illegaler Einwanderer getroffen hatte.
Eine ähnliche Strategie verfolgte offenbar auch die britische Regierung, die bereits Anfang 2004 die Abschiebung somalischer Asylsuchender in Lager in Tanzania plante, wie die britische Zeitung The Guardian im Februar 2004 kolportierte. Im Austausch dafür sollte Tanzania jährlich zusätzliche vier Millionen Pfund an Entwicklungsgeldern bekommen. Und obzwar der Sprecher des tanzanischen Präsidenten William Mkapa die Meldung bestätigt hatte, verneinte ein Sprecher der britischen Regierung das Vorhaben in der Zeitung The East African wenig später.
Dennoch wurde am ersten September 2005, also unter britischer Ratspräsidentschaft, ein Aktionsplan zur Umsetzung der Regional Protection Programmes beschlossen, der Tanzania als Standort des Pilotprojekts zum Schutz in den Herkunftsregionen nennt. Die Gründe für die Wahl des Landes sind unklar, denn abgesehen davon, daß Tanzania kein Herkunfts-, sondern ein Transitland von Flüchtlingen ist, üben NGOs wie Oxfam und amnesty international oder der UNHCR heftige Kritik an der Fähigkeit Tanzanias, Flüchtlingen tatsächlich Schutz zu gewähren.

Der EU-Aktionsplan selbst führt zwei Gründe für die Wahl Tanzanias als Standort an: Einerseits beheimate Tanzania bereits die größten Flüchtlingspopulationen in Afrika. Und andererseits fehlten für weitreichendere Projekte - etwa in der gesamten Region der Großen Seen– die finanziellen Mittel, während Tanzania im Rahmen des EU-Notfallversorgungsprogramms ECHO für seine bestehenden Flüchtlingslager bereits hinlänglich unterstützt würde. Tatsächlich wurden für das Jahr 2005 insgesamt 13,5 Millionen Euro veranschlagt, die den Lagern des UNHCR und Flüchtlingsprogrammen von UNICEF und dem Roten Kreuz in Tanzania zugute kommen.
Gerade diese beiden Argumente greifen die NGOs allerdings auf, um die Fragwürdigkeit der geplanten EU-Flüchtlingsschutzprogramme und die Untauglichkeit Tanzanias als Standort zu unterstreichen: Aufgrund seiner riesigen Flüchtlingscommunities - über 600.000 Personen waren es laut UNHCR im Jahr 2004 - seien Tanzania und die dort ansässigen Organisationen zunehmend weniger imstande, die Grundversorgung der Flüchtlinge sicher zu stellen, kritisiert die Entwicklungsorganisation Oxfam. So sind laut UNHCR die Flüchtlinge in den bestehenden Lagern nicht ausreichend ernährt. Unterkunft, Kleidung und die medizinische Versorgung der Flüchtlinge ist mangelhaft und besonders sexuelle Gewalt stellt in vielen Lagern ein großes Problem dar. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international unterstreicht diese Einschätzung, indem sie rät, das Augenmerk bei den EU-Flüchtlingsschutzmaßnahmen auf die Evaluierung und Verbesserung der bestehenden Einrichtungen zu richten, anstatt neue Programme zu lancieren.
Auch in Hinblick auf die politischen und asylrechtlichen Entwicklungen ist Tanzania als Standort wenig geeignet: Seit Mitte der 90er verfolge das Land eine zunehmend restriktive Asylpolitik, die oft internationale Flüchtlingsschutzstandards verletzt, merkt das NGO United States Committee for Refugees an. So wurden im Herbst 2004 über 100 burundische AsylwerberInnen in ihren Herkunftsstaat abgeschoben, ohne daß ihr Anrecht auf Asyl auch nur überprüft worden wäre. Im Frühjahr 2005 wurden abermals zwei burundische Familien abgeschoben, obwohl die tanzanische Regierung dem UNHCR zuvor zugesichert hatte, daß sie Flüchtlingsstatus erhalten würden.
Doch nicht nur für Flüchtlinge brächte ein zusätzliches Flüchtlingsprogramm in Tanzania wohl nur wenig Verbesserungen, auch für den Staat selbst sind negative Auswirkungen nicht auszuschließen. Immerhin könnten sich die großen Flüchtlingsgemeinschaften negativ auf die politische Stabilität im Land auswirken, gibt amnesty international in einem offen Brief an die britische Ratspräsidentschaft zu bedenken. In die gleiche Richtung geht die Kritik der tanzanischen Regierungszeitung Uhuru, die im Dezember 2004 vermeldete: "We are tired of refugees," und die Flüchtlingsgemeinschaften beschuldigte, schuld an Umweltzerstörungen und steigender Kriminalität zu sein. Zudem seien die hohen Kosten, welche die Flüchtlinge verursachten, für das Land untragbar.

Das Vorhaben der EU, angesichts der dürftigen Unterbringung der Flüchtlinge und der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung ein Programm zum Schutz von Flüchtlingen in Tanzania zu errichten, ist überaus zweifelhaft. Oxfam kommt etwa zu dem Schluß, daß die Regional Protection Programmes weder dem Schutz der Flüchtlinge, noch einem – durchwegs sinnvollen – "burden sharing" zwischen der EU und den Herkunftsregionen diente, sondern lediglich ein weiterer Schritt zur "Festung Europa" sei, bei dem die reichen EU-Staaten die Hauptlast auf Entwicklungsländer abwälzten. Für diese Einschätzung spricht auch der Finanzierungsplan für das regionale Flüchtlingsschutzprogramm: Lediglich 4 Millionen Euro sieht der EU-Migrations- und Asylfonds für Drittländer, AENEAS, für Schutzprogramme in Herkunftsregionen vor. Für "Migrationsmanagement" – also für die Regulierung und Abwälzung von Flüchtlingsströmen – sind dagegen laut Aktionsplan der Europäischen Kommission immerhin 5 Millionen Euro vorgesehen. Doch auch absolut besehen sprechen die Summen nicht für Bemühungen, dauerhafte Lösungen zu finden.

Insgesamt schätzen internationale NGOs wie Pro Asyl, amnesty international, Oxfam oder der Internationale Rat für Flüchtlinge und Exilanten (ECRE) die Umsetzung der Regional Protection Programmes in den Herkunftsstaaten sehr kritisch ein und warnen vor Menschenrechtsverletzungen und einer weiteren Abschottungspolitik Europas. Daß diese Politik auch negative Auswirkungen auf die internationale Flüchtlingspolitik haben könnte, unterstreicht amnesty international: So versuchten die EU-Mitgliedsstaaten ihre Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte und des Flüchtlingsschutzes gerade auf jene Länder auszulagern, in denen ein effektiver Flüchtlingsschutz nicht oder kaum sicher gestellt werden könne.

Die Leidtragenden sind dabei neben den Flüchtlingen selbst die Länder, in denen die Flüchtlingsschutzprogramme lanciert werden und die aufgrund ihrer entwicklungspolitischen Verwicklungen kaum Möglichkeiten haben, die "partnerschaftlichen Angebote" der EU-Staaten abzulehnen. Für die Flüchtlinge besteht dagegen die Gefahr, daß ihre Situation noch prekärer wird, mit immer geringerer Chance auf dauerhafte Lösungen wie Umsiedelung in eine sichere Gesellschaft, Asyl im Aufenthaltsland oder freiwilliger Wiedereingliederung in ihre Herkunftsgesellschaft. Solange aber diese Voraussetzungen nicht geschaffen sind, solange das Ziel der Flüchtlingspolitik der EU eher auf Abwehr als auf den Schutz der Flüchtlinge abstellt, solange die Finanzierung der Programme nicht sichergestellt ist und sie nicht in tatsächlicher Partnerschaft mit den Aufnahmeregionen und Vertretern der Flüchtlingscommunities beschlossen wird, solange ist nicht mit Lösungen zu rechnen, die dauerhaft den Schutz von Flüchtlingen gewährleisten - einer Lösung, zu der sich alle EU-Staaten mit Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet haben.

Dieser Text von Vanessa Prinz erschien zuerst in :: INDABA - SADOCC-Magazin für das Südliche Afrika 48/05