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Quellenangabe:
Fremdenrecht vs. Kunstfreiheit (vom 05.05.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1668/, besucht am 25.12.2024

[05. May 2006]

Fremdenrecht vs. Kunstfreiheit

Tritt das neue Niederlassungs- und Aufenthalts- Gesetz die österreichische Verfassung mit Füßen? Zu den Auswirkungen auf den Aufenthalt drittstaatsangehöriger [1] KünstlerInnen unter Berücksichtigung des Grundrechtes auf Kunstfreiheit.

"Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei" (Art 17a StGG). Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist das Grundrecht auf Freiheit der Kunst absolut geschützt. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber nicht erlaubt, in dieses Recht in einer Weise einzugreifen, die sich direkt und intentional gegen den grundrechtlich verbürgten Anspruch richtet. Aber auch gesetzliche Regelungen, die zwar nicht direkt und intentional auf eine Beschränkung der Kunstfreiheit gerichtet sind, jedoch in ihren Auswirkungen mit der Kunstfreiheit in Konflikt geraten, können unzulässig sein. Eingriffe in die Kunstfreiheit sind nur dann erlaubt, wenn sie zum Schutz eines anderen Rechtsgutes erforderlich und verhältnismäßig sind. Jeder Eingriff verlangt daher zunächst eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem jeweiligen, zu schützenden Rechtsgut. Träger dieses Grundrechtes und der sich daraus ergebenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte können nicht nur österreichische StaatsbürgerInnen, sondern auch Menschen anderer Staatsangehörigkeit sein.

Kunstfreiheit und Aufenthaltsrecht - die alte Rechtslage


Das bis 31.12.2005 in Kraft gewesene Fremdengesetz 1997 (FrG 1997) trug der Kunstfreiheit insofern Rechnung, als es drittstaatsangehörigen KünstlerInnen zwei Varianten des Aufenthalts in Österreich bot. Jene KünstlerInnen, die sich nur vorübergehend in Österreich aufhalten wollten (etwa für die Dauer eines Projektes) konnten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Dieser quotenfreie Aufenthaltstitel wurde befristet erteilt. Ausgehend von dem Gedanken, dass der/die InhaberIn nur vorübergehend in Österreich sein werde und sein sollte, war damit auch nur eine eingeschränkte aufenthaltsrechtliche Absicherung verbunden. Für KünstlerInnen, die auf Dauer in Österreich bleiben wollten, war hingegen die Niederlassungsbewilligung als KünstlerIn vorgesehen. Im Vergleich zur Aufenthaltserlaubnis hatte die Niederlassungsbewilligung eine viel bessere aufenthaltsrechtliche Absicherung zur Folge, die sich mit zunehmender Aufenthaltsdauer noch verstärkte.[2] Die Besonderheit an der Niederlassungsbewilligung für KünstlerInnen war, dass mit dem Grundsatz der Quotenpflicht [3] gebrochen und dieser Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt wurde. Gerade darin, dass die Zuwanderung nach Österreich zu Zwecken der Erwerbstätigkeit in den letzten Jahren sukzessive auf die so genannten Schlüsselkräfte eingeschränkt worden war - für andere Erwerbstätige sah man keine Quotenplätze mehr vor -, zeigte sich die Besonderheit und Bedeutung dieser (Ausnahme-)Regelung für KünstlerInnen. Der Gesetzgeber gestand damit zu, dass Kunstfreiheit auch das Recht umfasst, den Ort des künstlerischen Schaffens frei zu wählen. Das kam auch in den Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck. Dort wurde klargestellt, dass "sichtvermerkspflichtige drittstaatsangehörige KünstlerInnen als Ausfluss des Grundrechtes der Kunstfreiheit einen Anspruch (!) auf Erteilung eines (quotenfreien) Aufenthaltstitels haben, so sie die sonstigen fremdenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen …”

Die neue Rechtslage und ihre Auswirkungen


Am 1. 1. 2006 wurde das FrG 1997 vom Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgelöst. Die wesentlichste Änderung für drittstaatsangehörige KünstlerInnen ist die ersatzlose Streichung der quotenfreien Niederlassungsbewilligung. Es besteht zwar weiterhin die Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis, im neuen Gesetz Aufenthaltsbewilligung genannt.[4] Die quotenfreie Niederlassung in Österreich bleibt drittstaatsangehörigen KünstlerInnen seit 1.1.2006 aber verwehrt.[5] Zusätzlich wurden all jene Personen, die am 31.12.2005 über eine aufrechte Niederlassungsbewilligung als KünstlerIn verfügten, per 1.1.2006 auf eine Aufenthaltsbewilligung zurückgestuft. Die Auswirkungen der neuen Rechtslage sind somit einschneidend. Auch das neue Gesetz geht im Fall einer Aufenthaltsbewilligung von einem vorübergehenden Aufenthalt in Österreich aus. Weil angenommen wird, dass Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung Österreich nach einer bestimmten Zeit wieder verlassen werden. Aber auch weil ein dauernder Aufenthalt verhindert werden soll, wird dieser Titel zwar quotenfrei erteilt, aufenthaltsrechtlich damit aber eine wesentlich schlechtere Position als mit einer Niederlassungsbewilligung eingeräumt. So ist mit einer Aufenthaltsbewilligung keine Aufenthaltsverfestigung [6] möglich. Auch der Status des/der langfristig Aufenthaltsberechtigten [7] und der damit verbundene freie Zugang zum Arbeitsmarkt sind somit abgeschnitten. Ein/e unselbständig erwerbstätige/r KünstlerIn bleibt dadurch beispielsweise an die Beschäftigungsbewilligung und damit (auch) in ihrer künstlerischen Tätigkeit an eine/n bestimmte/n ArbeitgeberIn gebunden. Zusätzliche Nachteile zeichnen sich in Zusammenhang mit der geplanten, vorläufig von der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat noch verzögerten, Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes ab. Es ist vorgesehen, dass von 10 Jahren Mindestaufenthalt in Österreich jedenfalls fünf Jahre mit einer Niederlassungsbewilligung vorliegen müssen. Zeiten mit einer Aufenthaltsbewilligung werden höchstens im Ausmaß von 5 Jahren angerechnet. Nur bei "besonderen Leistungen" auf künstlerischem Gebiet werden Aufenthaltsstatus und Aufenthaltsdauer - so wie bisher - keine Rolle spielen. Durch die Zurückstufung von KünstlerInnen mit einer Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung hat der Gesetzgeber offenbar versucht, bestehende Rechtspositionen durch einen rechtlichen "Kunstgriff" auszuhebeln. Eine Person, die am 31.12.2005 noch als niedergelassen galt, mit allen sich daraus ergebenden Vorteilen, gilt nach dem NAG ab 1.1.2006 nur mehr als vorübergehend aufhältig, mit allen sich daraus ergebenden Nachteilen - ohne dass sich an ihren konkreten Lebensumständen etwas geändert hätte. Da ein Umstieg von der Aufenthalts- auf eine Niederlassungsbewilligung mangels entsprechenden Quotenplatz [8] derzeit nicht möglich ist, zeigt sich auch kein unmittelbarer Ausweg aus diesem Dilemma.

Ist die neue Rechtslage verfassungskonform?


Wie eingangs erwähnt, ist ein direkter, intentional gegen den grundrechtlich verbürgten Anspruch auf Kunstfreiheit gerichteter Eingriff unzulässig. Es stellt sich also die Frage, ob die dargestellte Gesetzesänderung als ein direkter, intentionaler Eingriff in die Kunstfreiheit zu sehen ist. Berücksichtigt man, dass drittstaatsangehörigen KünstlerInnen zumindest die Möglichkeit bleibt, mit einer Aufenthaltsbewilligung nach Österreich zu kommen und hier zu arbeiten, lässt sich ein direkter Eingriff allenfalls noch verneinen. Hingegen könnte die Frage, ob die Gesetzesänderung in ihren Auswirkungen mit der Kunstfreiheit in Konflikt gerät, also einen indirekten Eingriff in dieses Grundrecht bedeutet, wohl bejaht werden.

Die neue Rechtslage nimmt Drittstaatsangehörigen die Möglichkeit, sich explizit als KünstlerIn auf Dauer (quotenfrei) in Österreich niederzulassen und damit auch eine aufenthaltsrechtlich abgesicherte Position zu erwerben. Eine solche ist aber eine der notwendigen Voraussetzungen für die Gewährleistung der Kunstfreiheit. Eine Person, die um ihre (aufenthalts-)rechtliche Position fürchten muss, ist in ihrer Freiheit, auch in der Freiheit ihres künstlerischen Schaffens, eingeschränkt. Eine sachliche Rechtfertigung für diesen Eingriff ist nicht erkennbar. Der Gesetzgeber selbst bleibt eine Erklärung schuldig. Während die Kunstfreiheit in den Materialien zum Fremdengesetz 1997 noch explizit hervorgehoben wurde - dort war sogar von einem Anspruch die Rede -, wird sie in den Materialien zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz nicht einmal mehr erwähnt. Bleibt also zu hoffen, dass der Verfassungsgerichtshof schon bald die Frage beantwortet, ob die Neuregelung verfassungskonform ist. Dies ist zu bezweifeln.


Anmerkungen


[1] Unter Drittstaatsangehörigen werden Personen verstanden, die nicht EWR-BürgerInnen sind.
[2] Die Niederlassungsbewilligung wurde zunächst zwar ebenfalls nur befristet erteilt. Nach 5 jährigem Aufenthalt bot sich aber die Möglichkeit eines sog. Niederlassungsnachweises (unbefristet) verbunden mit dem freien Zugang zum Arbeitsmarkt.
[3] Mittels Verordnung wird jährlich festgelegt, wie viele Aufenthaltstitel jeweils vergeben werden dürfen. Nur bestimmte Personengruppen brauchen keinen Quotenplatz, z. B. EhegattInnen und minderjährige Kinder von österreichischen StaatsbürgerInnen.
[4] Die Aufenthaltsbewilligung entspricht der bisherigen Aufenthaltserlaubnis. Darauf besteht allerdings kein Rechtsanspruch. In § 61 NAG ist davon die Rede, dass Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung als KünstlerIn unter den dort näher genannten Voraussetzungen erteilt werden kann.
[5] Nur Staatsangehörige von Rumänien und Bulgarien können aufgrund von Europa-Abkommen eine quotenfreie Niederlassungsbewilligung als Selbständige erhalten. Explizit für KünstlerInnen ist jedoch nichts Vergleichbares mehr vorgesehen.
[6] Aufenthaltsverfestigung bedeutet, dass jemand nach einer bestimmten Dauer der rechtmäßigen Niederlassung in Österreich nicht mehr bzw. nur mehr aus ganz bestimmten, sehr eingeschränkten Gründen ausgewiesen bzw. ein Aufenthaltsverbot bekommen darf.
[7] Damit ist unter anderem das Recht zum unbefristeten Aufenthalt verbunden.
[8] Mit Ausnahme der Quote für so genannte Schlüsselkräfte.

Dieser Text von Doris Einwallner erschien im Frühling 2006 in: :: Bildpunkt - Zeitschrift der IG Bildende Kunst. Doris Einwallner ist Rechtsanwältin in Wien, unter anderem spezialisiert auf Fremdenrecht.