Quellenangabe:
Euro-afrikanische NGO Konferenz in Rabat (vom 09.07.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1747/,
besucht am 27.11.2024
[09. Jul 2006]
Bericht und Deklaration von der NGO Konferenz zu Migration, Grundrechten und Bewegungsfreiheit am 30. Juni und 1. Juli 2006 Rabat (Marokko).
Am 30. Juni und 1. Juli 2006 fand in Rabat/Marokko eine euro-afrikanische NGO-Konferenz zu Migration, Grundrechten und Bewegungsfreiheit statt (:: Aufruf und Programm). Anlass war eine Konferenz von RegierungevertreterInnen der EU und der AU zu Migrationsfragen, die am 10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfinden wird. Auf unserer Gegenkonferenz diskutierten wir mit mehr als 150 Delegierten aus Subsahara- und Nordafrika, darunter vielen Flüchtlingen und MigrantInnen, und Organisationen aus Europa in vier Arbeitsgruppen u.a. über Bewegungsfreiheit, Ablehnung der Grenzaufrüstung, Schließung aller Internierungslager für Flüchtlinge und MigrantInnen, Annullierung der Rückübernahmeabkommen, Legalisierung aller papierlosen MigrantInnen, Schuldenstreichung und andere Forderungen an die EU-AU-Konferenz.
Kritisiert wurden auch das Verhalten des UNHCR, insbesondere in Marokko, der selbst anerkannte Flüchtlinge nicht gegen Angriffe, Festnahmen und Abschiebungen schützt, außerdem der verbreitete und von den Regierungen geschürte Rassismus in den nordafrikanischen Transitländern und in Europa sowie die "Externalisierung" der Asylverfahren, Grenzkontrollen und Lager, d.h. ihre Auslagerung aus der EU in Transit- und Herkunftsländer.
Am zweiten Tag der Konferenz wurde ein Manifest verabschiedet (siehe unten), das bereits von sehr vielen Organisationen unterzeichnet wurde und noch unterschrieben werden kann. Ein Komitee zur Fortsetzung der Zusammenarbeit wurde gegründet. Am Nachmittag fand eine Pressekonferenz statt, auf der die Ergebnisse der Arbeitsgruppen, das Manifest und die unhaltbare Situation der MigrantInnen und Flüchtlinge in Marokko dargestellt wurden.
Dann versammelten wir uns mit mehr als 100 TeilnehmerInnen zu einer Kundgebung vor dem Parlament, in dem auch die EU-AU-Konferenz stattfinden wird. Eine Woche zuvor wurden am selben Ort bei einer Kundgebung marokkanischer GewerkschafterInnen Moustapha Laarej, ein Gewerkschaftssekretär, von der Polizei getötet, 17 GewerkschafterInnen verletzt und 30 festgenommen. Unsere Kundgebung blieb - wohl wegen der Teilnahme vieler EuropäerInnen - von der Polizei unbehelligt. Ob das auch am Montag, den 10. Juli 2006, an dem die marokkanische Menschenrechtsorganisation :: AMDH zu einer Kundgebung vor dem Parlament aufgerufen hat, so sein wird, ist fraglich. Unsere Konferenz hat beschlossen, dass am selben Tag in möglichst vielen Ländern Aktionen gegen die EU-AU-Konferenz stattfinden sollen. (In Hamburg fand bereits am 8.7. eine kleine Aktion mit Straßentheater gegen AusLagerung und Redebeitrag statt). Wichtig wäre, in der Presse darüber und über die Gegenkonferenz zu informieren.
Auf unserer Konferenz wurde auch dazu aufgerufen, den :: Aufruf zu einem transnationalen Aktionstag zu Migration, der auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) in Athen beschlossen wurde, zu unterstützen und Aktionen in möglichst vielen europäischen und afrikanischen Ländern zu organisieren. Der Aufruf und weitere Informationen zum ESF in Athen sind in mehreren Sprachen beim :: Flüchtlingsrat Hamburg zu finden.
Bericht von Conni Gunsser, Flüchtlingsrat Hamburg und nolager-Netzwerk, leicht bearbeitet von no-racism.net
Wir, Akteurinnen und Akteure von Zivilgesellschaften Subsahara-Afrikas, Nordafrikas und Europas, versammelt zur euro-afrikanischen Nicht-Regierungs-Konferenz am 30. Juni und 1. Juli 2006 in Rabat, entrüstet über den Krieg gegen MigrantInnen, der sich von Jahr zu Jahr entlang den Mittelmeer- und Atlantik-Küsten verstärkt, lehnen die Aufteilung der Menschheit in diejenigen, die sich frei auf dem Planeten bewegen können, und diejenigen, denen das verboten ist, ab. Wir lehnen ebenso ab, in einer Welt zu leben mit mehr und mehr militarisierten Grenzen, die unsere Kontinente teilen und jede Gruppe von Ländern in eine Festung verwandeln wollen.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Respektierung dieses grundlegenden Rechts, das die Bewegungsfreiheit ist, was ausgedrückt wird im Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, eine Bedingung und Voraussetzung ist für die Wahrnehmung anderer Grundrechte, und dass Artikel 13, der als ein Grundrecht formuliert, sein Land verlassen zu können, notwendigerweise bedeutet, sich in einem anderen Land niederlassen zu können;
In Anbetracht der Tatsache, dass die aktuellen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit nur diejenigen der Ärmsten beschränken und nicht nur den Anstieg an Macht von ausländerfeindlichen Nationalismen widerspiegeln, sondern auch die Angst der Eliten vor den benachteiligten Bevölkerungsgruppen;
In Anbetracht der Tatsache, dass - im Gegensatz zu vorgefertigten Meinungen und wie es die UNCTAD in ihrem Bericht von 2004 festgestellt hat - es immer noch Afrika ist, das Europa finanziert, während die Differenzen der Einkommen pro EinwohnerIn zwischen Europa und Afrika weiter anwachsen;
In Anbetracht der Tatsache, dass die politischen Sicherheitsideologien glauben machen, dass Migrationen ein Problem und eine Bedrohung sind, während sie seit jeher ein natürliches Phänomen darstellen und dass sie, weit davon entfernt, ein Unheil zu sein für die entwickelten Länder, einen unschätzbaren ökonomischen und kulturellen Beitrag leisten;
In Anbetracht der Tatsache, dass die Sicherheitsmaßnahmen den Migrationsströmen, die durch vielfache Faktoren verursacht werden, kein Ende setzen werden, und dass die historischen Erfahrungen mit der Bewegungsfreiheit von Menschen gezeigt haben, dass diese weder die Souveränität noch die Sicherheit der Staaten beschränkt, die heute viel mehr bedroht werden durch die Bewegungsfreiheit des Kapitals;
In Anbetracht der Tatsache, dass die Respektierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ein Ziel bleibt, dass verfolgt werden muss durch die Verabschiedung von Maßnahmen, die abzielen auf die Einführung der Bewegungsfreiheit und die Rehabilitation des Asylrechts auf der einen Seite und die effektive Respektierung des Rechts auf Entwicklung auf der anderen Seite;
Fordern wir:
1) den Verzicht auf die auf Sicherheit und Repression ausgerichtete Ideologie, an der sich heute die Migrationspolitiken orientieren, besonders auf die "Externalisierung" des Asyls und der Grenzkontrollen, auf die Kriminalisierung von Migration, ebenso wie den Verzicht auf jedes ausländerfeindliche und diskriminierende Gesetz;
2) die Umarbeitung der Migrationspolitiken auf der Basis der Respektierung der Menschenrechte, einer wirklichen Gleichheit der Rechte aller Personen, die auf demselben Territorium leben, und eine sofortige Legalisierung aller MigrantInnen ohne Papiere;
3) die Entkriminalisierung des irregulären Aufenthalts und der Hilfe für Menschen, die zu so einer Art Aufenthalt gezwungen sind;
4) die Annullierung der Rückübernahmeabkommen für ausgewiesene Personen und das Aufgeben aller Verhandlungen in diese Richtung durch die Staaten;
5) die Abschaffung aller Visa für kurzen Aufenthalt, aller Behinderungen, ein Territorium zu verlassen, und die detaillierte und kontrollierte Rechtfertigung aller Verweigerung von Visa zur Niederlassung mit einer strikten Symmetrie der Ausstellungsbedingungen für AfrikanerInnen und EuropäerInnen für diese Art Visa;
6) die Schließung aller Orte der Inhaftierung und anderer Vorrichtungen zur Blockierung von Menschen an den Grenzen;
7) die Abschaffung aller Maßnahmen, die die Möglichkeiten zur Familienzusammenführung behindern;
8) die vollständige und ehrliche Anwendung aller internationalen Schutzinstrumente, um das Recht auf Asyl nicht auf eine simple Fiktion zu reduzieren;
9) die systematische Gewährung einer vollständigen Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit und des Schutzes für alle anerkannten Flüchtlinge auf der ganzen Welt;
10) die finanzielle und juristische Umgestaltung des UNHCR in einer Art, dass er effektiv die AsylbewerberInnen und Flüchtlinge schützt und nicht die Interessen der Regierungen, die ihn finanzieren;
11) die Ratifizierung der Internationalen Konvention für die WanderarbeiterInnen und ihre Familien, ihre Einarbeitung in die nationalen Gesetze, die Ratifizierung der Konventionen der ILO und besonders der Konventionen 143 und 97 ebenso wie ihre Umsetzung;
12) dass jede euro-afrikanische Verhandlung auf dem Prinzip der Gleichheit der Gesprächspartner beruht und dass die afrikanischen FührerInnen, die so wenig die Interessen ihrer Bevölkerungen verteidigt haben, ihre Verantwortung voll übernehmen, ganz besonders indem sie die euro-afrikanischen PartnerInnenschaftsabkommen in Frage stellen;
13) die Inkraftsetzung von Mechanismen der Ernährungssouveränität und die Abschaffung von Abkommen, die die Zukunft der afrikanischen Landwirtschaft mit einer Hypothek belasten;
14) die Abschaffung der Auferlegung von Bedingungen an die afrikanischen Länder in den internationalen Verhandlungen, und insbesondere die der vertraglichen Weitervergabe von Arbeit beim Kampf gegen Migrationen;
15) die bedingungslose Annullierung der Schulden der Länder des Südens ebenso wie die Rückführung ihrer Guthaben auf ausländischen Banken.
Rabat, 1. Juli 2006
Bisher unterzeichnet von Organisationen aus Algerien, Belgien, Benin, Deutschland, Elfenbeinküste, Frankreich, Guinea, Italien, Kamerun, Kanada, Kongo (Demokrat. Republik), Kongo (Brazzaville), Libyen, Luxembourg, Mali, Marokko, Mauretanien, Niger, Niederlande, Senegal, Spanien, Tunesien sowie europäischen und Nord-Süd-Netzwerken wie Migreurop, Euromed und Nord/Sud XXI.
:: siehe Liste der UnterstützerInnen
Weitere Unterzeichnungen an: conferencemigrations (at) gmail.com
Für diesen Bericht und die Übersetzung der Deklaration von Rabat bedanken wir uns beim Flüchtlingsrat Hamburg, der auf seiner Website regelmäßig über die Entwicklungen im Bereich der Migrationen berichtet.