Quellenangabe:
Unser kleines Jenseits (vom 15.05.2003),
URL: http://no-racism.net/article/18/,
besucht am 27.12.2024
[15. May 2003]
Das Wir und der Antirassismus
Ein Beitrag zur antirassistischen Arbeitspraxis - BUM - Büro für ungewöhnliche maßnahmen
Erschienen in Grundrisse 02.2003
Ein zentraler Ausgangspunkt jeder antirassistischen Arbeit ist das Wir. Und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits ist das rassistische Wir letztlich jene Bastion, die es diskursiv anzukratzen und zu knacken gilt, andererseits ist auch das Wir, das sich gegen Rassismen richtet, als Nukleus des eigenen politischen Handelns unter die Lupe zu nehmen.
Es gibt im Antirassismus immer 2 Perspektiven, die zu kombinieren einer intensiven Auseinandersetzung bedarf. Auf der einen Seite steht die Perspektive derjenigen AktivistInnen, die Rassismen ausgesetzt sind, die empowerment- und überlebensstrategien für sich selbst entwickeln müssen, weil sie systematisch diskriminiert und bedroht werden, die aber auch das Interesse an ihrer eigenen Gleichstellung in der Gesellschaft vertreten. Auf der anderen Seite steht die Perspektive jener AktivistInnen, die nicht rassistisch angegriffen oder schlechtergestellt werden, deren Unbehelligtbleiben Einmischungen bis hin zu Konfliktinszenierungen notwendig macht, um Rassismen überhaupt sichtbar zu machen, die Rassismen aus einem ideologischen/gesellschaftspolitischen Interesse heraus bekämpfen. Wenn diese beiden Perspektiven unbenannt bleiben, werden wesentliche Unterschiede in den Ausgangslagen der antirassistischen Arbeit verdeckt. Eine Kooperation wird dadurch stark behindert. Wenn diese beiden Perspektiven zusammenfinden, in Diskussion treten, Kooperation probieren, entsteht noch kein Wir. Es entsteht zunächst einmal eine mehr oder weniger brüchige Allianz, die immer vom rassistischen Machtgefälle und von der Einholung durch die Normalität bedroht ist. Was die Kooperation noch schwieriger macht, ist der Umstand, dass die Diskussion rund um die Benennung der beiden Perspektiven noch weit davon entfernt ist, abgeschlossen zu sein. Zum Teil hat sie noch nicht mal angefangen.
Überhaupt dethematisiert ist die Perspektive der nicht rassistisch diskriminierten AktivistInnen, die im gesamten antirassistischen Diskurs hier in Österreich im Jahr 2003 zwar rapide abnehmend aber immer noch einen bedeutenden Teil der Definitionsmacht ausübt.
Das Spektrum der nicht rassistisch diskriminierten Menschen, die sich u.a. als antirassistisch bezeichnen, reicht hier von kirchlichen, grünen, sozialdemokratischen bis hin zu linken Gruppen. Dieses Selbstverständnis leiten sie aus ihrer durchwegs aussengerichteten Zielsetzung ab. Gegen Rassismus zu sein, bedeutet oft nichts anderes als das rassistisch-Sein der anderen zu kritisieren, ohne sich mit den selbst reproduzierten Rassismen auseinanderzusetzen. Je deutlicher Rassismus entlang der Zielsetzung allein ins aussen projeziert wird, , desto eher reproduziert eine Organisation selbst rassistische Strukturen und desto schwächer werden Credibilität und Legitimität als Ausgangsbasis einer Organisation, die gegen Rassismen wirken will. Zur Erreichung antirassistischer Zielsetzungen ist es krass kontraproduktiv, von einem antirassistischen Sein auszugehen. Vielmehr ist es essentiell für nicht rassistisch diskriminierte Personen mit antirassistischem Anspruch, entsprechenden Deklarationen und Prinzipien, wenn sie sich in einer am maßstab der rassistischen Asymmetrie gemessenen dominanten Position befinden, vom eigenen Rassistisch-Sein als unhintergehbar positionsbedingten Zustand auszugehen, und damit die Notwendigkeit anzuerkennen, parallel zur aussengerichteten politischen Arbeit die eigenen Rassismen laufend aufzudecken und zu bearbeiten.
Durch die Nichtthematisierung der Dominanz und der damit einhergehenden Privilegien auch in den antirassistischen Aktivitäten selbst nimmt sich die entsprechende Perspektive aus dem sozialen Kontext heraus und bezieht eine gleichsam engelhafte Position des Gutseins und Besserwissens. Sie stellt sich selbst ins Jenseits, in ein fiktives gallisches Dorf der antirassistischen Zusammenhänge.
In diesem Jenseits verschwimmt der signifikante Unterschied zwischen dem Versuch, nicht rassistisch zu sein und dem antirassistischen Wirken. Wer in der gesellschaftlich dominanten Position diesen Unterschied nicht beachtet, findet sich sehr schnell in der unreflektierten Position des antirassistisch-Seins wieder, einem kontrafaktischen Selbstverständnis. Sich von vornherein antirassistisch als Zustand zuzuschreiben, ist kontraproduktiv für das antirassistische Wirken, weil es dazu tendiert, das rassistisch-Sein, das Leben in rassistischen Strukturen und deren unweigerliche Reproduktion aus der dominanten Position heraus zu verleugnen.
Eine Strukturanalyse der meisten Organisationen, die sich als antirassistisch bezeichnen und wo in welcher Konstellation auch immer nicht rassistisch diskriminierte AktivistInnen beteiligt sind, würde viele Rassismen offenlegen. Wer handelt in welcher Funktion, als EntscheidungsträgerIn, BetreuerIn, AusführendeR, HandelndeR, ForscherIn, TextproduzentIn, SprecherIn, RepräsentantIn, Zielgruppe, "BetroffeneR", Opfer, wie sieht die Ressourcenaufteilung innerhalb dieser Gruppe aus, wer kann was beisteuern, wer kann wieviel investieren? Wenn solche und ähnliche Fragen gestellt werden, kommt ans Licht, dass gerade in den finanzierten antirassistischen Projekten hierzulande noch nicht so viele rassistisch diskriminierte Personen arbeiten - schon gar nicht in leitenden Positionen. Aber auch in den unfinanzierten nicht gerade ethnisch organisierten Gruppen bilden die rassistisch diskriminierten Personen selten die Mehrheit. Bei Gruppen, die sich gegen Sexismus engagieren, würde es gleich ins Auge springen, wenn die Frauen in der Minderheit Wären. Männer hätten in solchen Gruppen, wenn sie überhaupt akzeptiert werden, mal die Klappe zu halten und zuzuhören. Solche unausgesprochenen oder explizit gesetzten Normen sind in antirassistischen Zusammenhängen noch überhaupt nicht selbstverständlich. Im Gegenteil kommt es den meisten antirassistischen AktivistInnen nicht seltsam vor, wenn sie in Weiss-dominierten räumen diskutieren und ausgehend von solchen räumen ihre Aktionen planen. Dies hat im Wesentlichen 5 Ursachen:
An erster Stelle steht sicherlich der Umstand, dass Rassismus weithin und auch in selbstdefiniert antirassistischen Kreisen nicht begriffen wird. Bis Anfang der 90er Jahre wurde in Österreich noch nicht von Rassismus sondern von Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Erst gegen Ende der 90er Jahre verbreitet sich das Wort Rassismus zur Bezeichnung hiesiger Realität. Der moralische Antirassismus der 90er Jahre sorgt allerdings dafür, dass Rassismus mit dem personifizierten Bösen Haider und dessen unerhörten Artikulationen gleichgesetzt wurde. Auf dem Weg vom Wort zum Begriff ist der Diskurs über Rassismus hierzulande also noch nicht so weit fortgeschritten. Daher ist es immer wieder wichtig zu betonen, dass Rassismen als Normalität zu betrachten sind. Rassismen verstecken sich im Bereich des Selbstverständlichen, des Unbegriffenen. Sie müssen erst ent-deckt werden, um bewusst behandelbar zu werden. Dieses Ent-decken ist der erste Schritt der antirassistischen Arbeit überhaupt. Was Kooperationen für rassistisch diskriminierte AktivistInnen oft so mühsam und unergiebig macht, ist der Umstand, dass sie dauernd auf Rassismen in den Kooperationszusammenhängen selbst aufmerksam machen müssen. Sie bekommen in den Gruppen aufgrund der strukturellen Konstellation tendenziell die Rolle von Jackie in the box, dem Clown auf der Feder, der auf ein bestimmtes Stichwort hin mit einem kleinen Knall aus seiner Schachtel springt. Auch in Gruppen mit höherem Reflexionsniveau bildet sich dieses Gefälle heraus zwischen den "AufdeckerInnen", die den sich einschleichenden Normalitäten mit einem "He Moment!" Einhalt gebieten und denjenigen, denen die Augen geöffnet werden, die in ihren Routinen und Denkschemata gestört und aufgefordert werden, neue Wege zu entwickeln.
Darum ist es auch so wichtig, ein klares theoretisches Konzept von Rassismus (siehe dazu unten) zu haben. Ohne ein solches Konzept als Hilfmittel zur Differenzierung wird Rassismus einfach zu einem überwältigenden allgegenwärtigen Gestank, dessen Quellen nicht zu orten und nicht zu behandeln sind. Rassismus ist nicht schon immer dagewesen, sondern ein historisches Phänomen, und daher sehr wohl Objekt der sozialen Behandelbarkeit.
Eine zweite Ursache ist die Ignoranz und das mangelnde Bemühen der Weissen AntirassistInnen, aktiv Kooperationen mit rassistisch Diskriminierten einzugehen, und zwar von Anbeginn eines Vorhabens oder Projektes an, und nicht erst, wenn die Grundentscheidungen schon getroffen sind. Das griechische Wort "archein" bedeutet nicht umsonst anfangen und herrschen. Wer eine Sache beginnt, tendiert sehr stark dazu, sie zu beherrschen. Daraus ergibt sich für den Weissen Antirassismus ein allgegenwärtiges Anfangsdilemma: Ohne Kooperation mit rassistisch Diskriminierten sollte auch die scheinbar genialste Idee mal in der Schublade bleiben. Gleich einer Männergruppe, welche sich mit den eigenen Sexismen auseinandersetzt, kann es naTürlich auch Weisse Gruppen geben, die sich unter Ausschluss von rassistisch Diskriminierten mal mit den eigenen Rassismen auseinandersetzen. Solche Gruppen sind aber nicht nach aussen aktionsfähig, sobald sie erkannt haben, dass sie egal mit welcher Aktion zunächst einmal nur das StellvertreterInnenunwesen reproduzieren würden.
Als dritte Ursache ist zu nennen, dass der moralische Antirassismus der 90er Jahre alle unabhängig von ihrer Position entlang der rassistischen Asymmetrie gleichermaßen im innerhegemonialen Kampf gegen Haiders FPÖ dazu aufgerufen hat, gegen Rassismus aktiv zu werden. Aufbauend auf der sozialdemokratisch-gewerkschaftlich traditionellen Verwechslung von Anti-Rechtsradikalismus mit Antirassismus hat der moralische Antirassismus auch ein gutes stück die Dominanz des Weissen Antirassismus und Weisses antirassistisches Handeln unter faktischem Ausschluss der rassistisch Diskriminierten befürdert und legitimiert. Auch in den im weiteren Sinne linken genauso wie in den im engeren Sinne antirassistischen Zusammenhängen hat der in den 90er Jahren hegemoniale moralische Antirassismus seine Spuren hinterlassen. Die deklarierten Linken und AntirassistInnen tendieren dazu, Rassismus von sich zu weisen. Sie haben den Anspruch, dass die antirassistischen Organisationen und Netzwerke gleichsam eine Rassismus-freie Zone darstellen. Dieses moraltriefende Selbstverständnis wird hochgehalten, obwohl jeder empirische Blick auf die Realität und jede theoretische Betrachtung von Rassismus alle Beteiligten eigentlich mit der Nase darauf stoßen sollte, dass dieses Selbstverständnis schwer kontrafaktisch ist. Dieses wider die Realität nach dem Motto "Es darf nicht sein, was nicht sein soll" aufrechterhaltene antirassistische Selbstverständnis verdeckt sehr oft den Rassismus im unmittelbar eigenen Einflussbereich. Damit trägt das offen zur Schau getragene antirassistische Selbstverständnis unter den Vorzeichen des moralischen Antirassismus zur Reproduktion von Rassismen bei, ist also tendenziell rassistisch. Dieser Zirkel lässt sich eigentlich nur durchbrechen, indem - wie Di-Tutu Bukasa es formuliert - Rassismus rehabilitiert wird. Es ist von einer Selbstverständlichkeit des Rassismus auch im eigenen Einflussbereich auszugehen, weil dieser Einflussbereich nicht von gesamtgesellschaftlichen Strukturen abzukoppeln ist. Nur die Anerkennung der rassistischen Normalität kann Ausgangsbasis für einen realistischen Antirassismus sein.
Als vierte Ursache kann angeführt werden, dass Kooperationsentscheidungen sich stark an kurzfristiger Effektivität und Effizienz orientieren und daher tendenziell Personen als KooperationspartnerInnen gesucht werden, die den eigenen Handlungsraum möglichst weitreichend vergrößern. Diskriminierung zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass Handlungsressourcen entzogen oder verwehrt sind. Gerade in der hierzulande wesentlichen (das hegemoniale Arrangement stützenden) Politikform der Intervention bzw. des Lobbying haben sich nur sehr wenige rassistisch diskriminierte Personen effektive Zugänge zu politischen EntscheidungsträgerInnen oder MedienvertreterInnen geschaffen. Indem solche Politikformen auch seitens antirassistischer Gruppen weiter betrieben werden, wird die Ungleichverteilung der InterventionsMöglichkeiten weiter bedient. Die eingeschlagene Kooperationsrichtung bestimmt wesentlich, welche HandlungsMöglichkeiten sich eröffnen.
Als fünfte wesentliche Ursache versteckt sich hinter der Weissen Dominanz im Antirassismus hierzulande auch das strukturelle Moment, dass Weisse Männer und (bereits wesentlich eingeschränkter) Frauen leichter Ressourcen für politische Arbeit mobilisieren können. Diese genderspezifische Differenz zeigt sich in den antirassistischen Gruppen dann wiederum an der stärkeren Beteiligung von rassistisch diskriminierten Männern im Vergleich zu rassistisch diskriminierten Frauen. Die ökonomischen Grundlagen des politischen Handelns sind entlang der Diskriminierungsachsen mehrfach ungleich verteilt. Auch Initiativen, die unter Beteiligung von rassistisch diskriminierten Personen anfangen, laufen Gefahr, dass gerade die rassistisch Diskriminierten als erste abspringen, weil ihnen die Teilnahme ökonomisch schwerer fällt. Umso bedenklicher ist der Umstand, dass es im Rahmen der bezahlten antirassistischen Projekte nicht selbstverständlich ist, dass vorzugsweise rassistisch diskriminierte Personen angestellt werden bzw. in die Entscheidungspositionen aufRücken.
Ein wesentliches Merkmal der rassistischen Asymmetrie ist der Umstand, dass rassistisch diskriminierte Gruppen der Fremddefinition unterworfen werden. Sie werden als Gruppen von hegemonialen Diskursen konstruiert und durch den Rassismus in eine gesellschaftliche Position gedrängt, die sie sich primär nicht selbst ausgesucht haben. Unter dieser Voraussetzung finden dann jene Selbstdefinitionsprozesse statt, die zu einer politischen Subjektivierung führen. Immer wieder maßen sich nicht rassistisch Diskriminierte an, in diesen Definitionsprozessen einen Beitrag zu leisten, womit sie prompt rassistische Fremddefinition reproduzieren.
Selbst in Zusammenhängen, die nur am Rande mit antirassistischen Diskursen konfrontiert sind, spricht sich langsam herum, dass Kategorien wie Opfer oder Betroffene einem sozialarbeiterischen HelferInnentum entstammen und daher abzulehnen sind. Solche Kategorien sind dann leichter aus den Diskursen zu Verdrängen, wenn die Diskussionen rund um mögliche Selbstdefinitionen der rassistisch Diskriminierten bereits zu einem breit akzeptierten Ergebnis geführt haben. Derzeit wird am ehesten der Begriff MigrantInnen als politischer Sammelbegriff verwendet, wobei diese Lösung immer weniger tragfähig wird, je weiter sich die sich selbst definierenden Gruppen generationsmäßig von einem vergangenen Migrationsakt entfernen. Der Migrationsbegriff ist zweischneidig, insoferne er einerseits Assoziationen der Grenzenlosigkeit und der überwindung des Nationalstaates weckt und anderseits auf das Nicht-von-hier-Sein verweist. Immer wieder werden von verschiedenen Gruppen daher andere Bezeichnungen verwendet wie z.B. politisch Schwarze oder TschuschInnen, Diaspora, sans papiers, auch der Begriff AusländerIn wird zur Selbstdefinition gebraucht. In Anlehnung an die Selbstbezeichnungen werden dann in der Szene mehr oder weniger politisch korrekte Sprachregelungen kreiert: Menschen mit Migrationshintergrund, mit afrikanischem oder lateinamerikanischem oder sonstigem Background. Oder es werden eher analytische Kategorien verwendet, wie z.B. rassistisch Diskriminierte, einerseits stets auf die Asymmetrie zu den nicht rassistisch Diskriminierten und auf das Faktum der Diskriminierung verweisen, die jedoch andererseits nicht den Selbstdefinitionsdiskussionen entstammen, sich nicht zur politischen Subjektivierung eignen - Frauen reden von sich auch nicht als sexistisch Diskriminierte - und insoferne stark Gefahr laufen, das Schema der rassistischen Fremddefinition zu reproduzieren. Die Einheitlichkeit der Selbstdefinition wird auch durch die spaltende Vielfalt der Rassismen behindert. Die Positionen der Personen, die (unterschiedlichen) Rassismen ausgesetzt sind, sind sehr unterschiedlich. Weitere Distanzen im sozialen Gefüge entstehen durch die anderen Diskriminierungsformen (insb. Sexismus), die Rassismus durchkreuzen. Das vergleichsweise späte Einsetzen der Migration nach Österreich in den 1960er Jahren und das Fehlen einer lingua franca im Gegensatz zu den westEuropäischen ehemaligen Kolonialmächten tun ihr übriges dazu, dass der Diskussionsprozess rund um eine politische Selbstdefinition und entsprechende Identifikation mit gemeinsamen politischen Interessen nur langsam vorankommt.
Die politische Subjektivierung von rassistisch diskriminierten Gruppen inkludiert aufgrund der primär nicht selbst gewählten gesellschaftlichen Position das Paradox, dass diese Subjektivierung eigentlich darauf abzielt, sich selbst wieder aufzulösen. Die national/ethnisch bestimmte Identität soll durch die Subjektivierung der davon Ausgeschlossenen herausgefordert, werden, um letztlich beide Identitäten zu etwas Neuem verschmelzen zu lassen, das die alten Unterschiede nicht mehr kennt, das die Angelpunkte kollektiver Identität an sich grundlegend verändert.
Am ehesten lässt sich eine Schwarze Perspektive an rassistischen Asymmetrien festmachen. Die politische Artikulation ist in wesentlich stärkerem Ausmaß von staatlicher Repression bedroht. Das rassistische Prinzip der Illegalisierung , des Nicht-hierher-Gehörens sorgt dafür, dass es nicht nur für rechtlich tatsächlich schlechtergestellte Menschen ohne EU-bürgerschaft keine sicheren Rückzugsgebiete gibt. Die Propaganda z.B. über die nigerianische Drogenmafia trifft letzlich unabhängig vom Rechtsstatus alle, die in das gezeichnete Bild passen. Die rassistischen Bedrohungsszenarien erzeugen jene Momente, die extreme Gewaltanwendung von der Abschiebung bis hin zur Tötung rechtfertigen und fördern. Die rassismusbedingte existenzbedrohende Gewaltbereitschaft sorgt wiederum dafür, dass Schwarze Politikformen sich in ihren Möglichkeiten ganz grundlegend z.B. von jenen von Frauen oder Behinderten unterscheiden. So kommen Besetzungen seitens antirassistischer Initiativen in Österreich sowieso nicht aber auch in westEuropäischen Staaten de facto nur in sehr Geschützten räumen vor (insb. Kirchen), was Besetzungen zu einem symbolischen Akt anstatt zu einer Behinderung des Normalbetriebes werden lässt. Schwarze Politik ist stärker auf Empowerment und Selbstorganisation verwiesen, auf informelle Netzwerke und Klandestinität, um sich der rassistischen Gewaltbereitschaft zu entziehen.
Das Wirken gegen Rassismen erfordert ständige Auseinandersetzung sowohl innerhalb der eigenen Organisation als auch in der antirassistischen und linken Szene. Die Effektivität des Wirkens gegen Rassismen lässt sich dadurch steigern, dass permanent in 5 Bereichen gearbeitet wird:
1.) Normalität begreifen, das Selbstverständliche und damit Unbegriffene der diskursiven Bearbeitbarkeit zuführen. Informationen verarbeiten. Wissensobjekte schaffen.
2.) Asymmetrien im eigenen Einflussbereich benennen, Rassismen und die eigene Position in der rassistischen Asymmetrie offenlegen, auf Ausgleich hinwirken, im Bestehenden möglichst wenige Rassismen reproduzieren, equality targets implementieren.
3.) Alternative Modelle entwickeln, Inputs für übergreifende gesellschaftliche Auseinandersetzungen formulieren, Ideen beisteuern.
4.) Allianzenbildung, Motivationen und Interessen von anderen politischen AkteurInnen ausloten, an der Attraktivität und Verständlichkeit der eigenen Position arbeiten, in Kooperationen eintreten, an der Vorbereitung von großveranstaltungen teilnehmen, Institutionen durch befreundete Drehpunktpersonen infiltrieren, Ressourcen zugänglich und verfügbar machen.
5.) Konfrontation, Konflikte positionieren bzw. inszenieren, lohnende Auseinandersetzungen mit hohem Verbreitungsgrad suchen, die eigenen Positionen schärfen und die eigenen Diskurse im Rahmen von weithin beobachteten Konfrontationen effektiv proliferieren.
Es würde den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen, alle diese Punkte auch nur ansatzweise zu diskutieren. Dort, wo wir auf bereits existente Texte verweisen können, werden wir daher in diesem Beitrag einfach auf die Behandlung der Punkte verzichten. Die übrigen Punkte wollen wir in Form von relativ willkürlichen Anrissen behandeln.
Ein theoretisches Konzept von Rassismus und den Möglichkeiten, dagegen zu wirken, braucht zunächst einen kurzen Hinweis auf ein epistemologisches Grundverständnis: Wir gehen von einem erklärungsmodell für das Soziale aus, das unterscheidet zwischen historisch gewachsenen Strukturen, die von den Handlungen in der Vergangenheit herrÃŒhren, auf der einen Seite und Handlungen in der Gegenwart auf der anderen Seite, welche gleichsam aus den bestehenden Strukturen herauswachsen, weiterleben, diese Strukturen reproduzieren oder transformieren, wobei die Tendenz zur Transformation der Strukturen in Richtung historisch neuer gesellschaftlicher verhältnisse mit den Widersprüchen wächst, die aus der Reproduktion bzw. Fortschreibung der Strukturen entstehen. Aus diesem Grundverständnis des Sozialen ergibt sich auch schon unser Verständnis der Behandelbarkeit der Realität: Es geht um die Einleitung von bewussten Transformationsprozessen, die in neue Strukturen münden, die in Zukunft das Handeln bestimmen.
Entlang der Dichotomie Struktur-Handlung manifestiert sich auch das soziale Phänomen Rassismus einerseits auf struktureller Seite und andererseits damit interagierend auf der Seite der gegenwärtigen Handlungen.
Auf der strukturellen Seite lässt sich Rassismus als Macht-Ideologie-Komplex darstellen, der einerseits in einer historisch gewachsenen, gesellschaftlich systematischen Machtasymmetrie zwischen einer als fremd bzw. andersartig explizit definierten Gruppe und einer "normalen" d.h. meist nur implizit über diese Abgrenzung zu den "anderen" definierten hegemonialen Gruppe besteht und andererseits begleitet wird durch eine Ideologie bzw. durch Diskurse, welche die Schlechterstellung, Unterdrückung, Ausbeutung, Beraubung, Bedrohung, Vertreibung, Verfolgung und Tötung von Gruppen legitimieren, denen aufgrund der behaupteten oder implizierten Ungleichheit (meist in Kombination mit einer behaupteten besonderen Gefährlichkeit) das Recht auf Selbstbestimmung, Erhaltung oder Schaffung von ökonomischen Lebensgrundlagen, auf körperliche Unversehrtheit bis hin zum Recht auf Leben abgesprochen wird.
Auf der Seite der gegenwärtigen Handlungen lässt sich festhalten: Rassismen werden von Angehörigen einer hegemonialen Gruppe dann reproduziert, wenn sie auf Basis einer gesellschaftlich systematischen Machtasymmetrie im verhältnis zu einer rassistisch definierten Person oder Gruppe in einer Form handeln, welche die Machtasymmetrien bestärken oder verschärfen, indem sie z.B. Stereotypen wiederholen, bestimmte Rechtfertigungsideologeme verbreiten, die hegemoniale Gruppe in ihrer privilegierten Stellung stützen, zur Schlechterstellung, Unterdrückung, Ausbeutung, Beraubung, Bedrohung, Vertreibung, Verfolgung und Tötung von rassistisch definierten Gruppen beitragen oder diese legitimieren.
Rassistisch diskriminierte Menschen können - wiewohl sie auf weniger Durchsetzungsressourcen zurückgreifen können - mit ihren Handlungen die rassistische Asymmetrie bestärken. Internalisierte Rassismen und deren Reproduktion wirken diesfalls allerdings immer auch gegen sie als Handelnde selbst, weil sie damit ihre eigene Positionierung in der Gesellschaft mitbetreiben. Dies ist unhintergehbar in ihrer nur langsam veränderlichen gesellschaftlichen Position angelegt.
Der zu Beginn angesprochene Unterschied zwischen dem Versuch, nicht rassistisch zu sein und dem antirassistischen Wirken wird hier nochmals deutlich: Wenn eine Handlung nach Möglichkeit keine Rassismen reproduziert, dann ist das zwar gut und schön, aber antirassistisches Handeln verlangt darüber hinaus, dass der rassistischen Normalität entgegengewirkt wird, dass also Strukturen transformiert werden, sodass zukünftige Handlungen daraus hervorgehen. Obwohl es schon sehr viel Bewusstsein erfordert, genügt es nicht, nicht rassistisch zu sein. Um die Reproduktion von Rassismus zu verhindern, muss antirassistisches Handeln auf die Entwicklung von Alternativen ausgerichtet sein und die Reproduktion von rassistischen Strukturen möglichst unterbinden.
Der öffentlich mediale Raum um Rassismus und Antirassismus im Österreichischen Staat, der von den Massenmedien (ORF, Mediaprint, Der Standard, Die Presse, ... ) kontrolliert wird, besteht aus einer Reihe von sich ständig wiederholenden Themen, thematischen Konstanten. Diese diskursiven Formationen sind Stützpunkte für die ideologische Formation des Rassismus. Diese Themen verändern, ordnen und kontrollieren die öffentlichen Debatten. Es sind erstens die Österreichische Nation, das kollektive Österreichische Wir, zweitens die relative geschichtliche Blindheit bezüglich der Konstruktion dieses Wir, drittens das Schizo-Gefühl, einerseits ein kleines, ständig sein Selbstverständnis verlierendes Land zu sein und andererseits handeln zu müssen trotz Verlust der Souveränität (angesichts des EU-Beitritts).
Das Österreichische Wir beruhte v.a. auf Wohlstand, dessen Eckpunkte die Sozialpartnerschaft, die große Koalition, die Neutralität und eine auf die Interessen des Westens ausgerichtete Asylpolitik, waren. Alle diese Konstanten des Wir (die sich seit den 1970er Jahren zusätzlich durch die Konstruktion der "Ausländer" reproduzierten) gehören mittlerweile zur Geschichte. Weder die Sozialpartnerschaft, noch die große Koalition, noch Neutralität, noch Asylpolitik haben heute die Bedeutung, die sie noch vor fünfzehn Jahren besaßen. Nur die "AusländerInnen" sind nach wie vor da, um für die Paranoia der Gesellschaft und das hegemoniale Bindemittel zu sorgen. Entlang dieser Linien geht es beständig um die SchÃŒpfung eines öffentlichen Konsenses über die Grundlage der Österreichischen Nationalstaatlichkeit, des angeblich kollektiv handelnden Wir, bzw. der Institutionen, die sich anmaßen, diese Wir-Konstruktion zu repräsentieren.
Ausgehend von dieser Situation ist eine geschichtliche Blindheit bzw. Selbstvergessenheit des Wir zu konstatieren. Insgesamt erscheint die Geschichte der Diskriminierungen für dieses nationalstaatliche Wir irrelevant und viele Verknüpfungen werden nicht angesprochen. Dazu gehört die Tatsache der rassistischen gesetzlichen Kontinuität zwischen Erster Republik, Ostmark und Zweiter Republik genauso wie der latente gesellschaftliche Antisemitismus und Antislawismus. Erst mit der Loslösung der Israelitischen Kultusgemeinde aus der sozialdemokratischen Dominanz Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Affäre um die Beteiligung des Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim am Zweiten Weltkrieg kam es zu einer Bewegung in der Auffassung von einem der zentralen Dogmen der Zweiten Republik - dem, dass es sich beim Österreichischen Staat um ein Opfer des Nationalsozialismus handelt.
Die weitgehende Entrechtung von 10 % der Bevölkerung, also jener MigrantInnen, die nicht die Österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, ist bundesweit nach wie vor kein Thema, obwohl es sich bei diesen Menschen um einen integralen Bestandteil der Gesellschaft handelt. Die MigrantInnen kommen im Mainstreamdiskurs vorwiegend als Fremdkörper vor. Sie sind grundsätzlich nicht hierher gehörig, prinzipiell illegalisiert. Auf dieser Basis bauen dann alle möglichen gruppenspezifischen Bedrohungsdiskurse auf; von den berÃŒhmten afrikanischen DrogendealerInnen über die islamischen TerroristInnen bis zur russischen Mafia. Diese künstlich aufgeblasenen Entitäten bevölkern die Mainstreammedien regelmäßig. Diese kollektiv verankerten Konstruktionen haben Auswirkungen auf weite Kreise von rassistisch Diskriminierten, egal ob sie die Österreichische oder eine EU-Staatsbürgerschaft besitzen. Ihr Da-sein wird zum Verbrechen.
Diskriminierungen sind nicht der Rede wert, sie werden überhaupt nicht thematisiert und brauchen daher nicht gerechtfertigt zu werden. Denn hier geht es den "Fremden" egal unter welchen Umständen besser als in ihrem "Herkunftsland". Daher dürfen sie sich nicht beklagen. Wenn die Diskriminierung doch hörbar kritisiert wird, so ist das eine Unverschämtheit. Auf dieser Basis hat sich offenbar auch das Phantasma weit verbreitet, dass die MigrantInnen zu den privilegiertesten Gruppen in der Gesellschaft (gemeinsam mit PolitikerInnen) zählen.
Dem Bild, das seitens der Mainstreammedien von den rassistisch Diskriminierten entworfen wird, wird derzeit praktisch nichts entgegengesetzt. Das ist die Normalität. Die tatsächlichen, historisch gewachsenen gesellschaftlichen Asymmetrien werden nicht thematisiert und die ganze Diskussion bezieht sich auf die Abfederung von Härten des sonst im Grunde demokratiepolitisch und nationalstaatlich legitimierten gesetzlichen Konsenses. Genau dieser Konsens wird aber zunehmend durch das supranationale Gebilde der EU mit ihren eigenen, über den nationalen Gesetzgebungen stehenden Regelungen in Frage gestellt. Wer wie Fremdkörper ist, welche Bilder im Zusammenhang mit diesem transportiert werden, wird zunehmend von der EU bestimmt und nur mehr subsidiär vom Österreichischen Wir. Dieser in Bewegung geratene Diskurs, dessen Zählebigkeit jetzt auf dem Prüfstein steht, ist ein Kampfplatz für die Durchsetzung der ideologischen Formationen. Diese sind entscheidend dafür, welche Art von Rassismen uns in welchem historischen Moment begegnen.
Abseits des mainstream gibt es andere Konstruktionen, die nicht minder problematisch sind: In den Medien der linken Szene sind die rassistisch Diskriminierten entweder atomisierte Individuen, denen Unrecht geschieht oder ein unpolitischer Haufen, weil sie nichts gegen die Diskriminierung tun. Diese beiden Sichtweisen bedienen und verstärken sich gegenseitig. Es resultiert ein nur schwer zu exorzierender Diskurs über "Betroffene". Damit gehen Reduktion auf die persönliche Leidenserfahrung, Opferstatus und fürsprecherInnentum einher. Ein neues antihegemoniales Wir, das quer zu den Diskriminierungslinien liegt, wird solchermaßen blockiert. Die rassistische Markierung wird in der Rede von den Betroffenen reproduziert.
Das differenzierte Wir, das anzudenken und dem rassistischen Wir gegenüberzustellen wäre, muss sich in dem Bewusstsein formieren, dass die "Gleichheit aller sprechenden Individuen" (Ranci¡re) gleichzeitig einerseits präsente Voraussetzung des politischen Handelns ist und andererseits von der Realität der gesellschaftlich systematischen Diskriminierungen vielfach durchbrochen wird. Das neue Wir scheitert derzeit permanent an den strukturell vorgegebenen Differenzen. Es resultiert ein von diesem Scheitern durchbrochener, gleichsam stotternder, immer wieder zurückgeworfener Prozess, der auf die Verwirklichung des neuen Wir zusteuert. Dabei ist es nur scheinbar paradox, dass genau der Hinweis auf die Differenz der gesellschaftlichen Ausgangslage jener Moment ist, der das neue Wir immer wieder punktuell aufblitzen lässt. Der Hinweis auf die Differenz und die Diskriminierungslinien verhindert auch, dass das neue Wir von einer kleinen Gruppe usurpiert und zu einem neuen Herrschaftsinstrument gemacht wird.
Das Streben nach Bildung von Allianzen fußt auf der Annahme, dass im Rahmen bestimmter gesellschaftlicher Situationen Parallelisierungen der Interessen diverser AkteurInnen notwendig sind, um die aus der Gemeinsamkeit entstehenden Potentiale optimal nutzen und die gemeinsamen Interessen stärker fördern zu können. Unter dem Begriff Allianzenbildung sind jene Interaktionen im politischen Feld zu verstehen, bei denen versucht wird, bestimmten Gruppen im Rahmen einer Konfrontationsstellung zu einem bekämpften Gegenüber auf eine Seite zu ziehen und damit diese Position zu verstärken. Solchermaßen sollen die Asymmetrien in den Machtbeziehungen neu verteilt werden. In der Praxis handelt es sich dabei in keinem Fall um geregelte und kontinuierliche Prozesse, die der langfristig geplanten Notwendigkeit der Interaktion der jeweiligen PartnerInnen entsprechen. Vielmehr handelt es sich um temporäre Parallelisierungen, die je nach Geschick, Konjunktur und Konstellation mehr oder weniger brüchig sind.
Die Allianzenbildung aus antirassistischer Perspektive wird durch die Verschiebung der innerhegemonialen Bedeutung anti/rassistischer Diskurse unter ÖVP/FPÖ-Regierung vor neue Herausforderungen gestellt. Bis zum Ende der 90er Jahre und noch in den ersten Jahren von Schwarzblau war der politische Antirassismus damit beschäftigt, die Dominanz der SPÖ im Politikfeld Migration/Integration aufzulösen. Diese Dominanz lag einerseits an der Stellung der SPÖ als Regierungspartei und den daraus resultierenden Möglichkeit der Verteilung von Subventionen. Andererseits hatte die SPÖ in Haider einen optimalen Widerpart für die AufFührung des moralisch antirassistischen Kasperltheaters. Die vorzeitigen Neuwahlen im Herbst 2002 haben deutlich gemacht, wie stark sich die Diskurse im hegemonialen Arrangement vermutlich insbesondere vor dem Hintergrund des Interesses an der EU-Osterweiterung verschoben haben. Auf Basis von rassistischen Ressentiments Gefolgschaft zu schaffen, war nicht mehr so opportun. Haider wurde auch von wesentlichen Teilen seiner eigenen Partei demontiert. Die rassistischen Artikulationen von rechtsaussen waren im Wahlkampf vergleichsweise leise bzw. wurden von den Medien auch nicht hochgespielt (anders als noch Haiders "Ariel-Sager" im wiener Wahlkampf 2001 ). Dementsprechend hatten auch SPÖ und Grüne den Verlust eines Positionierungspotentials zu beklagen. An der staatlichen Fortschreibung der rassistischen Struktursetzungen hat sich indessen nichts geändert. Innenminister Strasser bewegt sich so nahe am rassistisch-nationalstaatlichen Konsens, dass die Adjustierungen und Verschärfungen hie und da nicht sonderlich konfliktträchtig sind. Was noch vor wenigen Jahren medial aufgegriffen wurde, kommt heute kaum über das Niveau von Presseaussendungen hinaus. Als der "Integrationsvertrag" 2001 von der Regierung lanciert wurde, kam es zu einem letzten SP-gestützten Aufflackern der Empörung, das allerdings von der Regierung nach alter Sitte einfach ignoriert wurde. Der diskursive Umgang mit Rassismus im Mainstream hat sich seither radikal verändert. Rassismus wird tendenziell wieder beschwiegen. Er driftet diskursiv wieder stärker zurück in den Nebel der Normalität, aus dem er durch Haider ans Licht gezogen wurde. An dieser Situation leidet die Öffentlichkeitswirksamkeit der (immer weniger) moralisch-antirassistischen NGOs. Solche Artikulationen verlieren an Relevanz. Dazu kommt nicht selten ein Verlust der bundesseitigen Subventionen, der selbst in Wien nur schwer durch Landessubventionen aufzufangen ist. Auch wenn diese Entwicklung rasch umkehrbar wäre, und sich an den Strukturen der Organisationen noch nicht sehr viel geändert hat, so kann doch behauptet werden, dass in der antirassistischen Szene der politische Antirassismus nach Jahren der intensiven Auseinandersetzung (zwischen 1999 und 2001) nunmehr diskursiv tonangebend ist. Organisationen, die sich der Umsetzung von equality targets und der Kritik am Nationalstaat verweigern, verlieren stark an Legitimität. Die neuen AktivistInnen, die den finanziell ausgehungerten Vereinen ihre Arbeitskraft spendieren, sind weniger von den materiellen Bindungen ihrer VorgängerInnen geprägt und daher offen für radikalere Sichtweisen.
Der politische Antirassismus konnte aufgrund seiner antihegemonialen Ausrichtung keine ausgeprägten Lobbyingkontakte und die sich daraus ergebenden Wechselbeziehungen in Richtung des hegemonialen Arrangements entwickeln. Dementsprechend hat der politische Antirassismus nach jahrelangem Wirken vorwiegend eigene Kreisläufe geschaffen und daher insbesondere folgende politische Kapitalsorten anzubieten:
Erstens akkumuliertes Wissen über Rassismus und dessen Bekämpfung. Die Spezialisierung und die Expertise in der Aufdeckung von Rassismen wird immer mehr zu einem vermarktbaren Wissen. Antirassismus-workshops werden gut und gerne subventioniert und es gibt bereits Ansätze, antirassistische Bildungsarbeit in den Regelbetrieb sozialdemokratie- und gewerkschaftsnaher Ausbildungsinstitutionen zu integrieren. Auch einzelne Unternehmen, die Rassismus und Mobbing als Kostenfaktoren erkennen, öffnen sich vorsichtig für antirassistische Projekte, soferne diese subventioniert sind. Symposien und Sammelbände kommen zunehmend weniger ohne intellektuelle MigrantInnen aus. Solchermaßen verlieren die Weissen wissenschaftlichen Institute zunehmend ihr Monopol bei der Deutung von Rassismus in der Gesellschaft. Das Wissen um die Bekämpfung von Rassismen inkludiert auch die dokumentierten und reflektierten Erfahrungen mit politischen Handlungsformen und deren Organisation. Nicht zuletzt wird der politische Antirassismus durch diese Reflexion der politischen Auseinandersetzungen in die Lage versetzt, die eigene Geschichte zu schreiben, Veränderungen zu verfolgen und kritisch zu reflektieren. Dadurch wird Bewegung sichtbar und Bewegung erzeugt.
Zweitens kann der politische Antirassismus Kontakte zur Vermittlung von Kooperationen zur Verfügung stellen. Die jeweils gehypten antirassistischen Aushängeschilder - seien es Personen oder Organisationen - sind trägerInnen eines nicht zu unterschätzenden symbolischen Kapitals. Dieses Kapital ist für alle Organisationen, die sich um Subventionen bemühen, Publikationen verkaufen wollen, Projekte durchzuführen haben, von gewissem Wert. Derzeit übersteigt die Nachfrage nach Kooperationen die Kapazitäten der AktivistInnen beiweitem, was diese wiederum in die Lage versetzt, wählerisch zu sein und sich Vereinnahmungsversuchen sehr leicht entziehen zu können.
über die aktive Kooperation hinaus bietet der politische Antirassismus drittens Legitimation durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf Positionen. Von den lancierten Diskursen ausgehend, die v.a. in systemkritischen Kreisen bzw. von fortschrittlichen Drehpunktpersonen rezipiert werden, entstehen Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten der Berufung auf bestimmte antirassistische Artikulationen oder Grundsätze. Die expliziten oder impliziten Referenzen machen die politisch antirassistischen Diskurse selbst zum symbolischen Kapital.
Im Wesentlichen funktionieren die Allianzenbildungen seitens des politischen Antirassismus über den Einsatz dieser 3 Kapitalsorten als Tauschmedium. Was Allianzen zusammenhält, ist der von der Entwicklung der Situation versprochene Nutzen durch den Transfer dieser Kapitalsorten für den jeweiligen ideologischen Standpunkt. Die Wirkung der Allianzen ist immer ein Ergebnis der Stärke (oder Schwäche) der jeweiligen politischen Standpunkte der Alliierten. Die gegenseitige Beeinflussung der in Allianzen stehenden Gruppen findet dabei weniger durch überzeugung und AufKlärung statt, sondern vorwiegend deswegen, weil sie aus dem laufenden Prozess einen politischen Nutzen ziehen können. Kommt es zu drastischen Asymmetrien oder Inkompatibilitäten in diesem Prozess, dann kommt es auch zum Bruch der Allianz. Dieser vollzieht sich in Form des Rückzugs. Die Beziehungen erkalten.
Zwischen Organisationen, die in eine mögliche Verbindung sehr ungleiche Machtpositionen und Positionierungen zum hegemonialen Arrangement mitbringen, kann es selten oder gar nicht zu Allianzen kommen. Der Grund dafür liegt weniger darin, dass die großen Organisationen immer versuchen, die kleinen zu vereinnahmen. Der Grund liegt vielmehr im Prinzip der Allianzenbildung selbst, also der wechselseitigen Verstärkung/Instrumentalisierung in einer Konfrontationsstellung zu einem gemeinsam bekämpften politischen Gegenüber. Etablierte Organisationen bzw. Institutionen, Parlamentsparteien etc. stehen immer zumindest mit einem Bein fest auf dem Boden des hegemonialen Arrangements und können daher nur in seltenen Konstellationen in eine gemeinsame Konfrontationsstellung gebracht werden. Wenn es sich dabei um eine Konfrontationsstellung innerhalb des hegemonialen Arrangements handelt, passiert unweigerlich Vereinnahmung der kleineren Organisationen. Es gibt zwar Möglichkeiten für eine kleine Organisation sicherzustellen, dass sie einen Mehrwert aus einer solchen Allianz zieht, aber dieser Mehrwert ist tendenziell ökonomischer Art. Politisch lässt sich aus der antirassistischen Perspektive bei der Teilnahme an innerhegemonialen kämpfen nichts gewinnen. Die lohnende politische Arbeit findet am Rand des hegemonialen Arrangements statt. Dort ist die politische Wasserscheide zu errichten.
Eine Allianz ist ein Ergebnis der Analyse der Kräfteverhältnisse, die dazu führt, dass in bestimmten Situationen mehrere ideologische Standpunkte der Meinung sind, dass sie nur durch Parallelisierung, nicht nur der Interessen, sondern auch der Wirkungsmöglichkeiten, mehr zu ihrer eigenen Ausbreitung beitragen können. Insofern ist Allianz auch ein Ergebnis der systematischen Diskursarbeit, die bekanntlich nicht nur Profilierung der Diskurse beinhaltet, sondern auch eine langfristige Informationserhebung und Analyse, um einen Informationsvorsprung zu erreichen. Denn dieser Vorsprung erhöht die Attraktivität eines Diskurses und ermöglicht solchermaßen eine effektivere Verbreitung.
Zu den primären AllianzpartnerInnen des politischen Antirassismus zählt zunächst der enttäuschte und nach wie vor radikal emanzipatorische Flügel der Frauenbewegung. Vorwiegend kleine urbane Aktions- und Denkzirkel, die gegen die andauernde Männerdominanz, gegen die Diskriminierungen und auch gegen die Vereinnahmungsversuche in Form der zur Zeit fast allgegenwärtigen Gender-Mainstreaming- Bussi-Bussi-Wände auftreten. Sie kämpfen nach wie vor für eine Gleichstellung und haben dabei trotz andauernder materieller Schwierigkeiten eine recht gut funktionierende mediale Infrastruktur etabliert. Dazu gehören sowohl Printmedien als auch neue elektronische Medien, besonders Homepages. Die Inhalte, die dort angeboten werden, sprengen oft die Grenzen der frauenspezifischen Interessen und greifen auf allgemeinerer Ebene die Kritik des in nationalstaatlichen Gebilden zentral positionierten Prinzips des Ausschlusses auf. Genau das ist der Punkt, an dem diese Bewegung mit vielen anderen Aktionsgruppen verbunden ist. Vor allem ist dabei an die selbstorganisierten linken MigrantInnengruppen (v.a. TürkInnen, KurdInnen, ChilenInnen und BrasilianerInnen) zu denken, die an einer Tradition des Klassenkampfes ihrer Herkunftsländer anknüpfen. Diese Gruppen waren vielfach wegbereitend für den politischen Antirassismus, innerhalb dessen die selbständig agierenden Gruppen der AfrikanerInnen, die linksradikalen AntirassistInnen und eine Vielzahl anderer Gruppen, die unter der Bezeichnung "MigrantInnen" laufen, einen ideologischen Unterschlupf gefunden haben.
Zwischen all diesen Gruppen funktioniert die Allianzenbildung auf der symbolischen Ebene vorwiegend durch Bezugnahmen auf die jeweils anderen Positionen. Der Austausch von Positionen erfolgt über indy-medien und immer Öfter in Form von gemeinsamen Veranstaltungen. Es resultiert eine lose Allianz der minoritären Subjekte, die am linken Rand des politischen Spektrums dafür sorgen, dass die Anbindungen an die Sozialdemokratie schwächer werden bzw. in jüngerer Zeit umgekehrt SympathisantInnen aus dem nach neuen Orientierungen suchenden sozialdemokratischen Lager gewonnen werden.
Die ethnisch organisierten Gemeinden spielen ebenfalls ihre Rolle innerhalb der Bestrebungen nach Gleichheit im Österreichischen Staat. Auch wenn sie im Unterschied zu den oben genannten Gruppen einen ausgesprochenen Defensivcharakter besitzen, tragen sie doch dazu bei, das diskriminierende System zu schwächen, indem sie einen intensiven Informationsaustausch bezüglich der Möglichkeit der Erhaltung ihrer Mitgliederzahl betreiben. Diese Organisationseinheiten, die Jahrzehnte lang nur von fremdenpolizeilichem Interesse waren, werden zur Zeit auch von SozialwissenschaftlerInnen entdeckt. Diese werden dann vor allem mit einer Widerstandsform konfrontiert, nämlich mit der Tatsache, dass die Menschen nur das erzählen, was ihnen gesellschaftlich konform erscheint. Die Strategie der lüge ist eine, die den Àrmeren Menschen seit je zur Verfügung gestanden hat und sie findet bis heute ihre Verwendung. Die Wahrheit zu sagen, muss man/frau sich in unseren Gesellschaften leisten können. Um die Wahrheit herauszufinden und daraus die geeigneten maßnahmen der "Eindämmung" der Migration zu entwickeln, haben die PolitikerInnen Abermilliarden für die Installierung von überwachungs- und Registrierungssystemen ausgegeben. Vergessen wir nicht - jedes zum Totalitarismus neigende System hat eine Neigung zur lückenlosen überwachung. Je weniger die Menschen verbergen können, desto stärker sind sie unterworfen. Trotz der gefährlichen Bedrohlichkeit dieser Systeme können wir bis jetzt (wie fast immer in der Geschichte) davon ausgehen, dass sie bezüglich des Zieles Migrationsstopp nicht erfolgreich waren. Ob sie aber erfolgreich gegen den anderen Gegner - den "inneren Feind", z.B. gegen die wachsende außerparlamentarische politische Masse - sein werden, ist eine andere Frage. Zur Zeit sind sie es angesichts der strategischen und ideologischen Schwächen dieser Bewegung zweifellos. Der Handlungsspielraum der Defensivformen migrantischer Selbstorganisationen ist sehr begrenzt und kreuzt sich nur indirekt mit emanzipatorisch orientierten AktivistInnen und Gruppen der politisch antirassistischen Szene. Das ist vor allem eine Konsequenz jener Allianzen, die seitens der Spitzen dieser Organisationen mit hegemonialen Kräften innerhalb des Österreichischen Staates aufgebaut wurden. Die linkeren defensiven Selbstorganisationen diverser ethnischen Gemeinden tendieren mehr zu SPÖ und ÖGB bzw. vereinzelt zu den Grünen, und die rechteren vor allem zur Wirtschaftskammer und auch zur ÖVP. Selten aber doch wurde vor dem Absturz die FPÖ auch als strategische Variante wahrgenommen.
Schließlich (in diesen unvollständigen AusFührungen) haben sehr viele Menschen durch ihre Teilnahme an Demonstrationen, Protestmärschen und Versammlungen während der ersten Phase der blauschwarzen autoritärliberalen Regierung Anfang 2000 der vorherrschenden rassistischen Ideologieformation symbolisch ihre Gefolgschaft gekündigt. Es handelt sich dabei um Menschen, die weder Zeit noch viel Lust haben, sich in die großen Auseinandersetzungen um die Emanzipation einzumischen, die aber im Fall des Falles und in bestimmten geschichtlichen Momenten durchaus auf der Seite der diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft zu finden sind. Diese Tatsache ist bei Etablierung neuer gesellschaftlicher Praxen nicht zu übersehen. Die ProtestAktivitäten dieser Menschen entzünden sich zur Zeit weniger an der laufenden Beschneidung der sozialliberalen Werte durch die Gesetze, sondern resultieren viel mehr aus einer diffusen AtmosphÀre der Bedrohung ihrer bisherigen Lebenspraxis, besonders wenn die StatthalterInnen dieser Praxis nicht mehr an der Macht sind (was seit dem Untergang der großen Koalition der Fall ist). Aus ihren Reihen stammen durchaus organisatorisch und strategisch denkende Individuen. Sie aber sind keine langfristigen Verbündeten. Die Protestallianzen dauern nur solange, bis das Gefühl der Unsicherheit mit der Wiederherstellung der alten hegemonialen verhältnisse wieder verschwunden ist. Diese AktivistInnen finden am ehesten einen Zugang zu den Mainstreammedien, besonderen da die linksliberalen Teile davon auch verunsichert sind, weil sie selber als Teil des hegemonialen Mainstreams am besten die Funktionsweisen dieser Medien kennen und auch die besten Beziehungen zu ihnen pflegen. Diese Menschen pflegen ein Misstrauen gegen die polizeilichen und Militärischen Instanzen und erleben ein wachsendes Unbehagen angesichts der neoliberalen Deregulierungen, besonders seit sie diese in ihrem Alltag zu spüren bekommen, sei es als Teuerung oder als Zukunftsungewissheit. Es sind Themen, welche die Mittelklasse betreffen und die hinter dem Erfolg von Bewegungen wie ATTAC stehen.
Die Erarbeitung einer Konfrontationsstellung ist eigentlich schon Teil der Allianzenbildung und von dieser nicht wirklich zu trennen. außerdem ist die Konfrontation auch ein unverzichtbarer Bestandteil des Aufbrechens der Normalität. Normalität ist nicht nur selbstverständlich unbegriffen sondern auch organisatorisch operativ verzahnt. Die selbstverständlichen Abläufe greifen gleichsam naTürlich ineinander, erzeugen von sich auch keine besonderen Widersprüche, sind in sich effektiv, Routine. Als solche können sie daher effektiv nur durch Konflikte aufgebrochen werden.
Konflikte können hinsichtlich ihrer diskursiven Strahlkraft mehr oder weniger effektiv positioniert bzw. inszeniert werden. Konflikte werden tendenziell besonders aufmerksam verfolgt, intensiver rezipiert und weitererzählt. Anhand eines konkreten Konflikts als Fallbeispiel können die Positionen sehr fokussiert auf den Punkt gebracht werden. Die Positionen werden in Konflikten geschärft. Insgesamt sorgt die Konfliktinszenierung, die proaktive Suche, das Aufgreifen von Konfliktpunkten und das beharrliche Betreiben von Konflikten also für effektivere Diskursproliferation.
Dass der politische Antirassismus hierzulande sich eingehender mit dem Problem der Konfliktinszenierung beschäftigen muss, ist aber auch der Eigenart der Österreichischen politischen Konsenskultur geschuldet. Konfrontation wird hierzulande üblicherweise zuallererst als persönliche Beleidigung empfunden und nicht als politische Herausforderung. Konfrontation führt hierzulande üblicherweise nicht zur Debatte, sondern zum beleidigten Rückzug. Solange es irgendwie geht, wird durch diesen Rückzug die Auseinandersetzung vermieden. Der Rückzug aus Kooperationszusammenhängen ermöglicht den mächtigeren Positionen das Ignorieren der weniger mächtigen. Umgekehrt laufen die Konfrontationen zwischen den parteipolitischen AkteurInnen hierzulande auch auf einem Niveau ab, das immer mit dem Element der persönlichen Beleidigung spielt. Sachfragen und Argumente stehen selten im Vordergrund.
Diese miserable Konfliktkultur des Mainstream setzt sich einigermaßen ungebrochen auch in den außerparlamentarischen Zusammenhängen fort, was zur Folge hat, dass das freie Wuchern der persönlichen Beleidigungen zu vielfachen Spaltungen und somit zur SchwÀchung der außerparlamentarischen Opposition beiträgt. In der Zerstrittenheit ist keine Allianz aufzubauen. Sie führt nicht nur zur Atomisierung sondern auch zum Rückzug der nicht unmittelbar Streitenden aus den aktivistischen Zusammenhängen.
Im Rahmen dieser Konfliktkultur ist es daher notwendig, in den Konfrontationen andere Akzente zu setzen. Aus der antihegemonialen Perspektive lassen sich zwei unterschiedliche Konfliktarten je nach Ungleichgewicht der Machtverhältnisse unterscheiden:
In Zusammenhängen, wo die Machtungleichverhältnisse und Interessenunterschiede so klar sind, dass Argumente nicht mehr zählen, kann auf den Vorbau der persönlichen Wertschätzung verzichtet werden. In diesen fällen dient die Konfrontation entweder der Abwehr von Vereinnahmungsversuchen überall dort, wo hegemoniale Kräfte in den außerparlamentarischen Raum einzudringen versuchen (z.B. Konfliktinszenierung gegen die Integrationsstadträtin im Rahmen der wiener Integrationskonferenz ) oder der offensiven Verfolgung eines Gegenüber in einem öffentlich zugänglichen Raum (z.B. Verbindung von sozialdemokratischer großkundgebung am 1. Mai und Omofuma-Demo, Auftritt der Deportation-Class-Kampagne auf Lufthansa-Generalversammlungen, wiederholte Tortungen von Bill Gates, etc.).
Im verhältnis zu anderen antihegemonialen oder kleineren Gruppen aus dem hegemonialen Vorfeld geht es hingegen darum, den Rückzug des Gegenüber hintanzuhalten. In solchen fällen braucht jede Konfrontation gleichsam einen Vorbau der persönlichen Wertschätzung, um auf die Ebene der sachlichen und inhaltlichen Diskussion zwischen AktivistInnen zu kommen, in der das bessere Argument die Konfrontation in den Augen des Publikums entscheidet. Der Gegenzug besteht in solchen eher symmetrischen Machtverhältnissen darin, es zum Eklat kommen zu lassen, um aus der argumentativen Bredouille auszubrechen und Herausforderungen ignorieren zu können. Bei der Demontage des moralischen Antirassismus im Rahmen der Protestbewegung gegen Schwarzblau im Jahr 2000 kamen wesentliche Unterstützungen des politischen Antirassismus v.a. aus dem Bereich der kritischen Kunst- und Kulturarbeit sowie aus der Frauen- und Lesbenszene, die symbolisch-diskursives Kapital zum Einsatz gebracht haben, um die Diskussionen am Laufen zu halten und politisch antirassistische Positionen für diejenigen Gruppen (z.B. Demokratische Offensive) unignorierbar zu machen, die sich aufgrund vergangener Eklats in jener Phase nicht mehr auf Kooperationen und Auseinandersetzungen einlassen wollten. So wurde u.a. die Neuwahlforderung unter Hinweis auf die rassistischen Struktursetzungen der SPÖ/ÖVP-Koalition kritisiert und ziemlich rasch ins Abseits gedrängt. Im wiener Wahlkampf 2001 hat der Zusammenschluss von Wiener Wahl Partie und Demokratischer Offensive mit der Forderung "Gleiche Rechte für Alle" die politische Wasserscheide in das Vorfeld der SPÖ und der Gewerkschaft hineingetragen.
Die Verdichtungen der außerparlamentarischen politischen Szene sind der primäre Entfaltungsraum für die politisch antirassistischen Diskurse. Derzeit konzentrieren sich viele Gruppen auf den Gründungsprozess des Austrian Social Forum. In diesem Rahmen sorgen die politisch antirassistischen Positionen wiederum für Diskussionsstoff (z.B. die Kritik am Begriffspaar Betroffene - ExpertInnen). Der ASF-Prozess umfasst eine Vielzahl von Organisationen und mehr oder weniger frei flotierende AktivistInnen, deren Aktivitäten in zunehmendem Ausmaß auch auf die Schaffung eines neuen, auf Gleichheit ausgerichteten Diskurses zielen; aktionistisch genauso wie theoretisch, soferne diese Bereiche überhaupt noch so zu trennen sind. Solche Verdichtungen der außerparlamentarischen politischen Szene kommen und gehen wellenartig. Konjunkturen eröffnen sich und ebben wieder ab. Die Situation und das Situationspotential für das politische Handeln ändern sich ständig. Bei gleichzeitig andauernder Diskriminierung können politische Erfolge nur durch geschickte ManÃŒver unter Ausnützung der Umstände gelingen. Nicht selten gibt es RückschlÀge, denn die Machtbasis des politischen Antirassismus ist im verhältnis zu anderen Gruppen denkbar schwach. In einer solchen gesellschaftlichen Position kann die politische Aktivität sinnvollerweise nicht auf Gewinn oder Verlust ausgerichtet sein, sondern schwankt real zwischen der Option, nicht zu verlieren, d.h. ein bestimmtes politisches Feld nicht aufzugeben und der Option, die vielen GegnerInnen nicht gewinnen zu lassen. Analyse und Reflexion sind jene Momente, die über RückschlÀge hinweghelfen. Das Theoriewerkzeug der AktivistInnen entsteht unterwegs, oft unter Zeitdruck und weist dazu ein hohes maß an Kampflust auf. Diese Theorieproduktion ist wiederum nur möglich, weil auch ein ausgedehntes Netzwerk an Medien, besonders im Internet, als integraler Bestandteil der politisch antirassistischen Szene fungiert.
Während der moralische Antirassismus noch eine massive Rolle in den innerhegemonialen kämpfen gespielt hat, tritt das antirassistische Wirken unter dem Einfluss der politisch antirassistischen StrÃŒmung aus den innerhegemonialen kämpfen heraus. Antirassismus wird für den Mainstream vergleichsweise bedeutungslos. Gleichzeitig gibt es Veränderungen am Rand des Mainstream, die diesen nicht unbeeinflusst lassen. Im selben maße wie die v.a. durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften gewährleistete Anbindung an das hegemoniale Arrangement abgeschnitten wird, eröffnet sich ein neuer politischer Raum, in dem sich kritische Positionen entwickeln und verbreiten können. Der Abnabelungsprozess von der Hegemonie vollzieht sich aber nicht getrennt von Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die durch Schwarzblau immer weiter an den Rand des hegemonialen Arrangements gedrängt werden, sondern durch Auseinandersetzung mit ihren RebellInnen und Trendscouts. Anhand des ASF-Prozesses ist deutlich zu sehen, dass der neu entstehende politische Raum große Attraktivität für kritische Einzelpersonen aus Sozialdemokratie und Gewerkschaften bzw. deren Vorfeld besitzt. Die Gewerkschaftsspitzen sind clever genug, das ASF zu fördern und ihre kritischen Stimmen in diesem Forum nicht durch allzu offensichtliche Vereinnahmungsversuche zu desavouieren. Die noble politische zurückhaltung bei gleichzeitiger Förderung stellt eine vertrauensbildende maßnahme gegenüber den das ASF bevölkernden Organisationen dar. Solchermaßen geraten die politischen AntirassistInnen wiederum in die Rolle derjenigen, welche die Harmonie sTüren. Am ASF wird es eine der Hauptaufgaben der antirassistischen AktivistInnen sein, mit den kritischen GewerkschafterInnen in Diskussionen einzutreten und sie vor die Wahl zwischen antihegemonaler (im Fall des Antirassismus insbesondere nationalstaatskritischer) oder systembewahrender Haltung zu stellen, ihnen den Spagat zu verweigern, an der politischen Wasserscheide am Rand des hegemonialen Arrangements zu arbeiten und diese Diskussionen auf eine Art und Weise zu führen, dass auch andere sich dazu positionieren müssen. Darin besteht (neben der Pflege des Austauschs mit anderen minoritären Gruppen) der zweite wesentliche Teil der Praxis der Allianzenbildung aus antirassistischer Perspektive.
Kontakt: bum (at) no-racism.net