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Quellenangabe:
Tödliches Feuer in Schipol: Späte Rücktritte (vom 18.10.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1843/, besucht am 28.03.2024

[18. Oct 2006]

Tödliches Feuer in Schipol: Späte Rücktritte

Knapp ein Jahr nach dem Brand im Abschiebegefängnis des Amsterdamer Flughafens Schiphol, bei dem elf Menschen ums Leben kamen, führt ein Bericht des Unabhängigen Rats für Sicherheitsuntersuchungen zum Rücktritt von PolitikerInnen.

Als das Abschiebelager am Amsterdamer Flughafen Schiphol am 27. Oktober 2005 zu brennen begann, waren aufgrund bewusst fahrlässigen Vorgehens der BewacherInnen zahlreiche Menschen in dem brennenden Gebäude eingesperrt. Für elf Häftlinge bedeutete dies in der Folge den Tod aufgrund von Rauchgasvergiftungen, weitere wurden verletzt. Fünf Personen konnten den Brand zur Flucht nutzen.

Die Toten und Verletzten sind das Ergebnis von unglaublicher Schluderei und Fahrlässigkeit der verantwortlichen Behörden. Zu diesem Ergebnis kommt ein vor kurzem veröffentlichter Bericht des Unabhängigen Rats für Sicherheitsuntersuchungen. Der Rücktritt zweier MinisterInnen ist die Folge. :: Radio Dreyeckland Freiburg interviewte dazu den Journalisten Tobias Müller in Amsterdam.


Script der Anmoderation


Mit einer durchschnittlichen Höhe von etwa 3 Metern unter Normalnull ist der Amsterdamer Flughafen Schiphol der am niedrigsten gelegene Flughafen Europas. Unterirdisch ist auch folgendes Szenario, das sich dort in der Nacht zum 27.Oktober 2005 abgespielt hat: Zelle 11 im Abschiebegefängnis des Flughafens, eine weggeworfene Zigarettenkippe. Es brennt. Kein Gefängniswärter ist im Zellentrakt K, in dem 43 Häftlinge eingesperrt sind. Minuten vergehen, bis die ersten Verantwortlichen eintreffen. Sie öffnen die Tür der Zelle, aus der starker, giftiger Rauch austritt. Sie bringen den Häftling in Sicherheit, aber lassen entgegen allen Vorschriften die Zellentür offen. Rasend schnell breiten sich dadurch die Flammen aus. 21 von 26 Zellen kann das Wachpersonal noch öffnen, die 11 Insassen der 5 anderen Zellen sterben an einer Kohlenmonoxydvergiftung. Keiner der diensthabenden Wachleute hatte jemals an einer Feuerübung teilgenommen. Einen Evakuierungsplan gibt es nicht. Die Feuerwehr trifft erst 25 Minuten nach Brandausbruch am Unglücksort ein. Aber die Feuerwehrmänner stehen vor verschlossenen Toren. Weitere kostbare Minuten vergehen, bis sie den richtigen Eingang finden. Über Insassen und Örtlichkeit sind sie nur unzureichend informiert.

Währenddessen bringen Wachleute die überlebenden Häftlinge in den angrenzenden Zellentrakt. Von dort aus müssen sie zusehen, wie sich der Brand ausbreitet. Grenzpolizisten gehen mit Schlagstöcken gegen die verängstigten Häftlinge vor. Eineinhalb Stunden später erst werden die teils schwer traumatisierten Migranten in andere Strafvollzugseinrichtungen überstellt. In Handschellen.

Knapp ein Jahr nach dem verheerenden Brand müssen nun drei PolitikerInnen ihren Hut nehmen. Grund ist ein Bericht des unabhängigen Rats für Sicherheitsuntersuchungen, der aufgrund früherer Katastrophen wie die Feuerwerksexplosion in einem Enscheder Wohngebiet 2000 und der Brand in einem Volendammer Café 2001 gebildet worden war.

Wir sprachen mit Tobias Müller in Amsterdam.

:: Sendungsmitschnitt auf freie-radios.net :: mp3 (7:35 min)