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Quellenangabe:
Streik im Flüchtlingslager Blankenburg (vom 25.10.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1853/, besucht am 27.12.2024

[25. Oct 2006]

Streik im Flüchtlingslager Blankenburg

Seit 4. Oktober 2006 befinden sich die Flüchtlinge des 7 Kilometer von Oldenburg entfernten Ein- und Ausreiselagers Blankenburg (Deutschland) im unbefristeten Streik.

Der Streik begann nach den :: Antilager-Aktionstagen vom 29.9.-1.10.2006 in Oldenburg/Blankenburg. Diese Tage hatten das Ziel den Kontakt zwischen antirassistischen Initiativen und BewohnerInnen des Lagers Blankenburg herzustellen. Es wurde vor der ZAAB (Zentrale Aufnahmestelle und Ausländerbehörde) eine Zeltstadt aufgebaut und es gab gemeinsame Aktivitäten sowie Diskussionen über die Zustände im Lager und wie man die gegenwärtige Lagerpolitik bekämpfen kann.

Besonders das Essen der Lagerkantine, die schlechte medizinische Versorgung und die unwürdige Behandlung durch die MitarbeiterInnen der ZAAB, wurde von den Flüchtlingen kritisiert. Häufig wird den LagerinsassInnen ihr monatliches "Taschengeld" von 38,18 Euro verwehrt, vor allem wenn sie sich weigern "freiwillig" auszureisen.

Nach dem Ende der Antilagertage organisierten die LagerinsassInenn von Blankenburg eine Demo vor der Sozialbehörde und der Kantine auf dem Lagergelände. Nachdem ihr Protest auf taube Ohren stieß, beschlossen ca. 200 Flüchtlinge in einen unbefristeten Streik zu treten. Bestreikt werden das Kantinenessen und die lagerinternen 1 Euro-Jobs. Die Streikenden fordern stattdessen die Auszahlung von Bargeld und das Recht, ihre Nahrung selbstbestimmt zubereiten zu können. Weiters wird eine angemessene und hiesigen Standards angepasste Gesundheitsversorgung gefordert - und keine Standardbehandlung mit dem Medikament Paracetamol, wie es bisher der Fall ist. Desweiteren fordern sie das Lagerpersonal auf, die alltäglichen Schikanen und Beleidigungen zu beenden (wie das oben genannte Streichen von Taschengeld).

Grundsätzlich setzen sich die BewohnerInnen des Lagers für ein Ende der Isolationspolitik ein. Nach spätestens 3 Monaten sollen alle Flüchtlinge dezentral in eigenen Wohnungen untergebracht werden und eine Arbeitserlaubnis erhalten. Während der letzten 3 Wochen sahen sich die Streikenden immer wieder den Repressionen durch die Polizei, Lagerleitung und ZAAB ausgesetzt.

Lagerleiter Lüttgau weiss sowieso nicht, wieso sich die Flüchtlinge so anstellen, denn das Kantinenessen "sei besser als die Nahrung, welche den Flüchtlingen üblicherweise in ihren Herkunftsländern zur Verfügung stehe".

Lüttgau ließ auch den Busbetrieb zum Flüchtlingslager einstellen und ließ die Flüchtlinge wissen, dass der Betrieb erst wieder aufgenommen wird, wenn der Streik beendet wird.

Auch bekommen Flüchtlinge jetzt ihre Duldungen nur noch für 2 Monate ausgestellt und bekommen Vorladungen, um über den Streik Auskunft zu geben. Des Weiteren werden Streikende, insbesondere aus afrikanischen Ländern, vermehrt Botschaften vorgeführt, um die Flüchtlinge mit den für die Abschiebung erforderlichen Ersatzpapieren auszustatten. Außerdem wurden zwei an dem Streik beteiligte Flüchtlinge in andere Lager umverteilt.

Während der ersten drei Wochen Streik gab es etliche Demos und Aktionen, um auch die Öffentlichkeit auf die Situation in den Lagern aufmerksam zu machen. Trotz der Repressionen, die die Streikenden erfahren machen sie weiter. Wie sich der Alltag der Streikenden derzeit gestaltet, geht aus Berichten von LagerinsassInnen hervor:

"Seit dem der Streik angefangen hat, haben die Behörden damit angefangen unsere Ausweise zu kopieren. Als ich mein Taschengeld abholen wollte, hat die Frau von der Behörde meinen Ausweis genommen und kopiert. Ich habe sie gefragt, warum sie das gemacht hat, aber sie hat mir darauf keine Antwort gegeben. Ich habe angefangen mit ihr zu diskutieren und dann hat sie meinen Ausweis in meine Akte gepackt und wollte ihn mir nicht wiedergeben. Ich bin über den Tisch gesprungen und habe ihn mir dann selber genommen.

Als ich vorgestern zufällig nicht zu Hause war hat mir mein Zimmernachbar erzählt, dass die Polizei mich gesucht hat. Es waren fünf Polizisten und zwei Männer vom Amt. Sie wollten ihm nicht sagen, was sie von mir wollen. Sie kamen letzte Nacht und heute morgen wieder. Ich weiß nicht, warum sie mich suchen, ich habe niemanden getötet, vergewaltigt, Drogen verkauft oder eine andere Straftat begangen. Meine Vermutung ist, dass sie mich in ein anderes Lager verlegen wollen, weil ich mich an dem Kantinenstreik beteiligt habe. Ich habe Angst und traue mich nicht mehr, in meinem Zimmer zu schlafen. Ich habe Angst davor in ein anderes Lager in einem anderen Ort verlegt zu werden, weil ich nicht weiss, was das für Konsequenzen für mich hätte. Ich kenne niemanden in den anderen Lagern und den Orten, was es für die Behörden und die Polizei leichter macht mich unter Druck zu setzen. Außerdem weiss ich nicht, ob es aus einem anderen Lager einfacher ist mich abzuschieben. Ich habe große Angst davor zurück in das Land zu müssen, aus dem ich komme."


Weitere Berichte auf :: alhambra.de/nolager

Wichtig für die Streikenden ist die Unterstützung von "außen", vor allem wenn es um die Essensversorgung der Streikenden geht, die bis jetzt gut funktioniert auch wenn Spenden immer willkommen sind.


Das Lager Blankenburg - eine "totale Institution"


Lager für Flüchtlinge und MigrantInnen beschränken den sozialen Verkehr der zwangsweise dort untergebrachten Menschen mit der Außenwelt; sie schränken die Freizügigkeit ein. Die verwaltungstechnische Organisation des Lebens an immer demselben Ort und innerhalb des Zwangskollektivs schafft eine "künstliche" Welt, in der die Handlungsfreiheit von Menschen eklatant eingeschränkt und Flüchtlingen das Recht auf Selbstbestimmung entzogen wird.

Seit 1991 existieren auf dem Klostergelände in Blankenburg alle für das Asylverfahren notwendigen Behörden. In der ZASt Oldenburg befinden sich Außenstellen der Ausländerbehörde, des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, des Gesundheitsamtes, des Sozialamtes und der Kriminalpolizei, Arrestzellen für Abschiebehäftlinge, der Allgemeine Sozialdienst und das Diakonische Werk. Außerdem gibt es Wachdienste, die zum Teil Polizeivollmachten erhalten, d.h. sie dürfen Flüchtlinge verhaften, festsetzen, überprüfen und durchsuchen.

Die Räume der Flüchtlinge können jederzeit von HausmeisterInnen, BetreiberInnen und PolizistInnen begangen werden. Es gibt PförtnerInnen am Eingang, die Ein- und Ausgangskontrollen durchführen von BewohnerInnen des Lagers sowie von deren BesucherInnen.

Die Einschränkung der Flüchtlinge ist erklärtes Ziel, denn Flüchtlinge werden in Lager eingewiesen, damit sie einer permanenten Kontrolle ausgesetzt sind. Mit den Lagern werden die Flüchtlinge von der Gesellschaft isoliert und ihre Integration in diese verhindert. Sie sollen keine eigene Perspektive aufbauen, sondern das Land so schnell wie möglich wieder verlassen.