Quellenangabe:
Ein Pro(te)st der Elitenbildung! (vom 29.01.2007),
URL: http://no-racism.net/article/1974/,
besucht am 21.11.2024
[29. Jan 2007]
Am Montag, 29.01.2007, tagte an der Veterinärmedizinischen Universität die Rektoren(sic!)konferenz der österreichischen Universitäten. Am Programm stand der seit langem von diesem Gremium propagierte Ausbau der Zugangsbeschränkungen. Gleichzeitig protestierten an der Universität Wien Studierende unter dem "Motto: 363 Euro sind zu wenig!". Die Elite tanzte Walzer...
Im Artikel "Zugangsbeschränkungen ab Juli 2005" (:: Unique 4/05, Zeitschrift der ÖH Uni Wien) ist zu lesen, dass der freie Hochschulzugang eigentlich eine relativ junge Errungenschaft ist. Erst in den 1970er-Jahren wurde mit Abschaffung der damaligen Hochschultaxen ein breiterer Zugang zu den Universitäten ermöglicht. Vor allem Frauen profitierten von dieser Öffnung des tertiären Bildungssystems, daneben auch Studierende aus finanziell und kulturell benachteiligten Schichten.
Doch ein freier Hochschulzugang wurde in Österreich nie zur Realität, denn die finanzielle Situation bestimmt seit jeher die individuellen Möglichkeiten. Daraus macht nicht einmal die konservative Tageszeitung "Die Presse" ein Geheimnis. In einem Bericht vom 29. Jänner 2007 wird eine aktuelle Studie zum "Global Higher Education Ranking" vorgestellt. Das Educational Policy Institute aus Washington kommt darin zum Schluss, dass ein formal offener Hochschulzugang alleine nicht unbedingt zu einer besseren "Zugänglichkeit" der Universitäten führe. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass die Unigesetze voll sind von Sonderbestimmungen für Menschen ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft. Selbst die Organe der EU sehen sich immer wieder dazu veranlasst, Österreich zu Gesetzesänderungen aufzufordern, da EU-BürgerInnen gegenüber österreichischen StaatsbürgerInnen benachteiligt werden, und dies obwohl der Hochschulzugang in anderen EU-Ländern formal noch weniger offen ist, als derzeit in Österreich. Doch die Anpassungen an EU-Recht sind in Wirklichkeit nur ein Schein, denn es geht in keiner Weise darum, allen Menschen unabhängig von ökonomischen Zwängen oder rassistischer Sonderbestimmungen Zugang zu (universitärer) Bildung zu ermöglichen.
Und so wundert es nicht, dass PolitikerInnen und Rektoren, die als die gewählte Bosse der Universitäten fungieren, eine neue Dimension der Zugangsbeschränkung an Universitäten diskutieren. Wissenschaftsminister Hahn (ÖVP) verlautbarte am 28. Jänner 2007 im ORF, dass er sich eine Freigabe der Studiengebühren vorstellen könne. Dann könnten - "innerhalb einer gewissen Bandbreite" - die Universitäten die Studiengebühren selbst festlegen. Die Umsetzung dieses Vorschlages würde zweifelsohne zu einer Erhöhung der Studiengebühren führen und Möglichkeiten für eine massive Zugangsbeschränkung an den Unis mit sich bringen. Nach einem ersten Aufschrei dementierte das Wissenschaftsministerium den Vorschlag mit dem Argument, dass diese Idee "nicht aktuell" sei.
Trotzdem ist er ein Signal an die Tagung der Österreichischen Rektorenkonferenz am 29. Jänner 2007 zum Thema "Hochschulzugang in Österreich" im Festsaal der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Veterinärplatz 1, 1210 Wien), in deren Rahmen auch eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der Bundesregierung bzw. der politischen Parteien und der ÖH angekündigt wurde. (siehe :: Einladung als pdf)
Doch was was bedeutet das Argument, diese Idee sei derzeit nicht aktuell? Ihre Existenz wurde nicht bestritten und außerdem präsentierte der Wissenschaftsminister seine Idee als "etwas, worüber man diskutieren kann". Wann dies so weit sein wird, bleibt somit vorerst offen. Sicher ist lediglich, dass die PolitikerInnen in eine ganz andere Richtung denken als die protestierenden Studierenden.
Der "Verein zur Förderung von Akademiker(Innen)kindern" hatte anlässlich der Rektorenkonferenz eine "geschlossene Gesellschaft" in eleganter Kleidung für 10:30 Uhr zum Sektempfang in die Aula der Universität Wien geladen. Auf der Rückseite der Einladung (:: hier als pdf) wurde in einem Dankschreiben an Bundeskanzler Dr. Gusenbauer erklärt, warum es zu dieser noblen Runde zukünftiger AkademikerInnen kam:
"363 EURO STUDIENGEBÜHREN SIND ZU WENIG! Pöbel raus aus den Universitäten!
Im Jahre 2001 wurde ein Meilenstein in der österreichischen Bildungspolitik (wieder) gesetzt: Die zahlreichen Rufe von Wirtschaft, Industriellenvereinigung und der hochgeschätzten Elite dieses Landes wurden gehört und Studiengebühren an den Universitäten endlich (wieder) eingeführt.
Dieser positive Trend hin zu Eliteuniversitäten und 'Bildung nur für Privilegierte' erreichte durch die Einführung von Zugangsbeschränkungen, sowie Auswahlverfahren für bestimmte Studienfächer, im Jahre 2005 seinen Höhepunkt.
Diese wertvolle Errungenschaft drohte uns - jenen, die dieses Land zu dem gemacht haben was es ist - durch den Wahlerfolg der SPÖ fast genommen zu werden. Doch mittlerweile hat auch Bundeskanzler Dr. Gusenbauer begriffen, was wir die ganze Zeit fordern: Pöbel raus aus den Universitäten – wir, die Elite dieses Landes, wollen unter uns bleiben und nicht länger mit unseren Steuergeldern Bildungsschmarotzer(Innen) finanzieren.
Ca. 70 elegant gegleidete Leute machten den Sektempfang zu einer Manifestation ihrer Überzeugung, an einem Platz an den bis vor kurzem noch ein antisemitisches Denkmal stand, zu dem am Mittwoch Vormittag regelmäßig Burschenschafter pilger(te)n, um ihrer Gesinnung treu zu sein. Die Universität hat den umstrittenen :: Siegfriedskopf aus dem Eingangsbereich der Uni mittlerweile entfernt und zerstückelt unter einer :: "kritischen Schale" aus bruchsicherem Glas in den Hof der Universität Wien verfrachtet - und somit das Symbol für AntisemtInnen aus dem unmittelbaren Blickfeld entfernt und in die Reihe der Büsten offiziell geehrter Persönlichkeiten im Arkadenhof der Universität Wien eingereiht.
Doch diesmal war Montag. Und ein anderes Thema stand am Programm. Das änderten auch die halbherzigen Auseinandersetzungen der Universität mit ihrer Nazivergangenheit, kaum sichtbar an den Wänden links und rechts des ehemaligen Standortes des antisemitischen Siegfriedskopfes nichts. Die AkteurInnen stellten ungestört ihre Gesinnung zur Schau. Sie hatten Schilder mitgebracht, auf denen Forderungen zu lesen waren wie: "Soziale Selektion - Ja Bitte!", "Für die Diktatur des Marktes", "Banken gegen Studienbeihilfen", "363 Euro sind zu wenig - Pöbel raus aus Universitäten", "Eure Armut kotzt uns an!", "Prolos ans Fließband", "Gleichheit ist öde, wir fördern die Elite", "Zwei-Klassen-Gesellschaft! Jetzt", "Gott sei Dank habe ich die ÖVP gewählt", "Hoch die ÖVP", "I love Elite", "Nicht allen das Gleiche. Bildung nur für Reiche", "Gegen linke Gutmenschen" und "Seminarplätze nur für Reiche".
Auch das Fernsehen war gekommen. Mehrere Kameras filmten das Geschehen und warteten ab, immer auf der Suche nach spektakulären Bildern. Es blieb beim Filmen einer elegant gekleideten Gesellschaft, die zusätzlich zu ihren Schildern immer wieder ihre Forderungen lauthals formulierte: "Hoch die internationalen Banken und Konzerne!" Viele genossen es, mit dem Sektglas anzustoßen, eine Zigarre zu rauchen und zum Donauwalzer zu tanzen.
Irgendwann, nach etwa einer Stunde des Feierns formierte sich die Menge zu einem Zug. Einer Tradition zufolge bewegten sich Paare, mit Schildern und Sektgläsern in den Händen vor die Universität. Dort wurde für 10 Minuten die Ringstraße blockiert. Einige tanzten dort kurz im Regen - und bald kehrte der festliche Umzug zum Ausgangspunkt zurück, um den Sektempfang langsam ausklingen zu lassen.
Die Polizei, diesmal nur mit Beamten in ziviler Kleidung vertreten, beobachtete das Geschehen ebenso wie die hauseigenen Securities, die an diesem Tag ihren eigentlichen Job - wohl auf Befehl von oben - nicht ausführten. So konnte die Elite allen Verboten zum Trotz auch drinnen rauchen und am Ende blieben neben zahlreiche 100-Euro Scheinbildungs-Scheinen auch Zigarettenstummel am Boden zurück.
Zuvor stellte sich noch die Frage, ob die Aktion gut oder geschmacklos gewesen sei? Schwer zu beantworten. Jedenfalls war sie nicht konfrontativ, sondern vor allem für die Medien inszeniert worden. Vergessen sollte nicht werden, dass die AktivistInnen Spaß dabei hatten.
Und an dieser Stelle seien noch weitere Fragen aufgeworfen, die im Rahmen der Aktion zumindest nicht laut gestellt wurden: Wie sieht die gesellschaftliche Realität aus, in der wir leben? Ist es einfach ausgedrückt nicht schon jetzt so, dass die Armen für die Reichen putzen? Sind es nicht gerade die AbgängerInnen der Universitäten, die sich als Elite sehen, bedenkenlos und guten Gewissens ihren Status nutzen und vom ungleichen Bildungssystem ebenso profitieren, wie von rassistischen Gesetzen und männerbündischen Strukturen? Geht es darum, den status quo zu erhalten und den eigenen Bildungsweg zu beschreiten? Oder geht es darum, die gesellschaftlichen Institutionen zu öffnen und jegliche Zugangsbeschränkungen und Privilegien zu beseitigen?
Je nachdem, wie die Antworten rückblickend ausfallen werden, sind die Proteste zu bewerten. Zwar verspüren viele den Wunsch nach mehr Radikalität und Konfrontation. Doch würde sich diese Notwendigkeit in den Aktionen widerspiegeln, wäre an diesem Vormittag nicht symbolisch an der Universität Wien protestiert worden, sondern auf der anderen Seite der Donau an der Veterinärmedizinischen Universität, um dort die Überlegungen und Pläne der österreichischen Rektoren zu Zugangsbeschränkungen zu stören. Diese begrüßte schon am 11. Jänner 2007 in einer Presseaussendung, dass der SPÖVP-Koalitionspakt "erfreulicher Weise in den Kapiteln Wissenschaft und Forschung in einigen wesentlichen Punkten die Wünsche und Forderungen der
Österreichischen Rektorenkonferenz (ÖRK) auf(greift)." Somit ist davon auszugehen, dass die PolitikerInnen auch in Zukunft die Wünsche der Elite nach einem geschlossenen Bildungssystem vorantreiben werden - und die ironischen Forderungen der Jubeldemo für höhere Studiengebühren bald zur Realität werden könnten.